BT-Drucksache 18/3645

Staatenliste im Sicherheitsüberprüfungsgesetz

Vom 19. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3645
18. Wahlperiode 19.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Christine Buchholz, Annette Groth, Dr. André
Hahn, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Niema Movassat, Petra Pau,
Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Staatenliste im Sicherheitsüberprüfungsgesetz

Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Bundes (SÜG) regelt die Vorausset-
zungen und das Verfahren zur Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit
bestimmten sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten betraut werden sollen (Sicher-
heitsüberprüfung) oder bereits betraut worden sind (Aktualisierungs- bzw. Wie-
derholungsüberprüfung). Davon betroffen sind u. a. Personen, die Zugang zu als
VS-Streng geheim, VS-Geheim oder VS-Vertraulich eingestuften Verschluss-
sachen haben oder an einer sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer
lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt sind. Seit dem
10. Januar 2012 wird zudem im vorbeugenden personellen Sabotageschutz eine
erweiterte Sicherheitsüberprüfung nach § 9 Absatz 1 Nummer 3 SÜG durchge-
führt. Die Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des
Militärischen Abschirmdienstes (MAD-Amt) zur Mitwirkung bei der Sicher-
heitsüberprüfung sind in § 3 Absatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes
(BVerfSchG) und § 1 Absatz 3 MAD-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I
S. 2970 ff.) geregelt. Gemäß § 12 Absatz 1 SÜG werden bei allen Sicherheits-
überprüfungen regelmäßig Auskünfte aus dem Nachrichtendienstlichen Infor-
mationssystem (NADIS) und dem Bundeszentralregister (BZR), Bundeskrimi-
nalamt (BKA), Bundespolizei, MAD und Bundesnachrichtendienst eingeholt.
In der Sicherheitserklärung nach § 13 Absatz 1 sind vom Betroffenen u. a. „An-
gaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reisen, nahen Angehörigen und sonstigen
Beziehungen in und zu Staaten, in denen nach Feststellung des Bundesministe-
riums des Innern als Nationale Sicherheitsbehörde besondere Sicherheitsrisiken
für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit befassten Personen zu besorgen
sind“ zu machen. Hintergrund für diese Abfrage müssen Annahmen sein,
wonach fremde Nachrichtendienste als Druckmittel u. a. verwandtschaftliche
Beziehungen in Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken nutzen und häufige
Reisen in diese Staaten den Betroffenen einer besonderen Gefährdung durch
fremde Nachrichtendienste aussetzen.
Die im Rahmen der Sicherheitserklärung nach § 13 Absatz 1 Nummer 17 in den
Anlagen 4 und 5 beizufügende Staatenliste wird vom Bundesministerium des
Innern (BMI) gesondert festgelegt und mitgeteilt. Sie soll jeweils bei Eintritt
relevanter politischer Veränderungen überprüft und nach Bedarf den gegebenen
aktuellen Sicherheitserfordernissen angepasst werden. Erstellt wird diese Liste
vom BMI in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt (AA). Welche genauen
Sicherheitsrisiken vorausgesetzt werden bzw. anhand welcher Parameter die
Klassifizierung eines Landes erfolgt, ist nicht nachvollziehbar. So kommt es

Drucksache 18/3645 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
z. B., dass Serbien als EU-Beitrittskandidat auf der Liste zu finden ist, allerdings
kein einziges mittel- oder südafrikanisches Land (Ausnahme: Sudan) und Pakis-
tan erst im Juli 2014 hinzugekommen ist.
Die Auswirkungen für die Betroffenen sind gravierend: Wenn eine zu überprü-
fende Person (A) in engerem Kontakt mit einer Person (B) steht, die Staatsange-
hörige eines dieser Staaten ist bzw. dort längere Zeit gelebt hat, erhält A keine
Sicherheitsüberprüfung, wenn B nicht schon länger als fünf zusammenhängende
Jahre in Deutschland lebt, weil – so die Begründung der Geheimschutzstelle des
Deutschen Bundestages – Person B erst nach fünf Jahren überprüfungsfähig ist.
Dass der Aufenthalt in einem dieser Länder sich ggf. negativ auf die Beurteilung
im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung auswirkt, spricht nicht für ein positi-
ves Bild der Bundesregierung von bzw. ein vertrauensvolles bilaterales Verhält-
nis zu diesen Staaten.
Bemerkenswert ist deshalb, dass sie auf anderer Ebene durchaus mit diesen Staa-
ten kooperiert. Im Jahr 2013 hat das Bundesministerium der Verteidigung
(BMVg) unabhängig von EU- und NATO-Projekten, 774 Angehörige fremder
Streitkräfte in Deutschland militärisch ausgebildet. 320 dieser Personen kamen
aus Staaten der aktuell geltenden Staatenliste (u. a. Belarus, Syrien, Libanon).
22 der 29 Staaten, deren Militärangehörige in der Bundesrepublik Deutschland
aus- und weitergebildet werden, traut die Bundesregierung offenbar so wenig,
dass schon ein längerer Aufenthalt dort zu einem Problem bei einer Sicherheits-
überprüfung werden kann.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Seit wann existiert im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen an sicherheits-

empfindlichen Stellen der Bundesrepublik Deutschland eine Staatenliste?
2. Welche Funktion hat die Staatenliste nach § 13 Absatz 1 Nummer 17 SÜG im

Einzelnen?
3. Wer genau stellt die Liste nach welchem Verfahren zusammen?
4. Nach welchem Verfahren werden von wem und auf wessen Antrag Staaten

aus der Liste entfernt, und welche Staaten waren das seit 2001 (bitte nach Jah-
ren darstellen)?

5. Nach welchen Kriterien, in welchen zeitlichen Abständen und auf Grundlage
welcher Informationen wird jeweils im Sinne von § 13 Absatz 1 Nummer 17
SÜG festgelegt, welche Länder in die SÜG-„Liste von Staaten mit besonde-
ren Sicherheitsrisiken“ aufgenommen bzw. gestrichen werden (bitte bei der
Auflistung nach innenpolitischen Gründen in Deutschland und im jeweiligen
ausländischen Staat sowie in den jeweiligen außenpolitischen Beziehungen
oder sonstigen sicherheitsrelevanten Erwägungen unterscheiden)?

6. Welche Staaten standen in welchen Zeiträumen aus welchen Gründen auf der
„Liste von Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken“ (bitte nach Staat, Zeit-
raum und Sicherheitsrisiko aufschlüsseln)?

7. Welche konkreten Gründe, die vor diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben
waren, haben dazu geführt, dass Pakistan Mitte Juli 2014 in die Staatenliste
aufgenommen wurde?

8. Warum fehlt Mali bis heute in der Liste, wohingegen seit langem Vietnam
aufgeführt wird?

9. Aus welchen Gründen werden die EU-Beitrittskandidaten Serbien und
Türkei unterschiedlich eingestuft?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3645
10. Mit welcher Begründung wird Bosnien-Herzegowina in der Staatenliste
aufgeführt?

11. Aus welchen konkreten Gründen werden die Staaten des ehemaligen Jugo-
slawiens sicherheitsrelevant unterschiedlich eingestuft?

12. Ab welchem Zeitpunkt ihrer jeweiligen Beitrittsverhandlungen würden Bei-
trittskandidaten ggf. von der Staatenliste entfernt werden?

13. In wie vielen Ministerien, Behörden oder Einrichtungen des Bundes sowie
bei nichtöffentlichen Stellen findet das SÜG aktuell Anwendung?

14. Inwieweit unterscheiden sich die Sicherheitsüberprüfungsgesetze der Bun-
desländer ggf. vom SÜG und untereinander?

15. Wie viele Sicherheitsüberprüfungen fanden seit Inkrafttreten des SÜG in
der Zuständigkeit des Bundes bzw. von Bundesbehörden statt (bitte nach
Jahr, Anzahl der überprüften Personen, Behörde oder sonstige öffentliche
Stelle des Bundes sowie bei nichtöffentlichen Stellen aufschlüsseln)?

16. Wie viele der Überprüfungen ergaben sicherheitsrelevante Erkenntnisse
(bitte nach Jahren und Bereichen auflisten)?

17. Wie viele der Überprüfungen seit Inkrafttreten des SÜG ergaben ein Sicher-
heitsrisiko, und welche der im Gesetz genannten Sicherheitsrisiken (feh-
lende Zuverlässigkeit, besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und
Werbungsversuche fremder Dienste, Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlich-
demokratischen Grundordnung) wurden jeweils festgestellt (bitte nach Jah-
ren und Bereichen auflisten)?

18. Wie viele der Überprüfungen seit Anfang 2012 waren einfache Sicherheits-
überprüfungen (§ 8 SÜG), erweiterte Sicherheitsüberprüfungen (§ 9 SÜG)
oder erweiterte Sicherheitsüberprüfungen mit Sicherheitsermittlungen (§ 10
SÜG) (bitte nach Jahren und Bereichen auflisten)?

19. Wie viele der Personen, die sich seit Anfang 2012 einer Sicherheitsüberprü-
fung unterziehen mussten, waren ausländische Staatsangehörige (bitte nach
Jahren, öffentlichem und nichtöffentlichem Bereich darstellen)?

20. Von wie vielen Personen sind persönliche Daten, die in der Sicherheitserklä-
rung angegeben werden (Personalien, Familienstand, nahe Verwandte, Aus-
landsaufenthalte etc.), in die vom BfV geführten Verbunddateien (nach § 6
des BVerfSchG) eingegeben und dauerhaft gespeichert worden (bitte seit
2012 nach Jahren auflisten)?

21. Wie viele Auskunftsersuchen sind seit 2012 im Rahmen von Sicherheits-
überprüfungen bzw. Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Bundes- und Lan-
desbehörden an die Bundesbeauftragte bzw. den Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demo-
kratischen Republik gerichtet worden (bitte nach Jahren und anfragenden
Behörden auflisten)?

22. Wer trifft auf Grundlage welcher Informationen die Feststellung eines Si-
cherheitsrisikos in der jeweiligen Sicherheitsüberprüfung?

23. Welche Möglichkeiten haben Betroffene gegen die Entscheidungen der
Feststellung eines Sicherheitsrisikos rechtlich vorzugehen und in wie vielen
Fällen geschieht dies mit welchem Ergebnis (bitte nach Jahren, Anzahl der
Einsprüche und Ergebnis aufschlüsseln)?

24. Welche Informationen erhebt das BfV mit welchen Mitteln über die zu über-
prüfende Person, und auf welche Register welcher Behörden kann dabei zu-
gegriffen werden bzw. wird dabei regelmäßig zugegriffen?

Drucksache 18/3645 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
25. Welche Informationen erhebt der MAD mit welchen Mitteln über die zu
überprüfende Person, und auf welche Register welcher Behörden kann da-
bei zugegriffen werden bzw. wird dabei regelmäßig zugegriffen?

26. In welchen Fällen einer Sicherheitsüberprüfung werden Anfragen bei aus-
ländischen Nachrichtendiensten vorgenommen, wie viele solcher Auslands-
anfragen wurden auf Initiative welcher deutschen Dienste bei welchen Aus-
landsdiensten seit dem Jahr 2001 gestellt, und wird auch hierbei nach der
Staatenliste vorgegangen?

27. Dienen die erhobenen Informationen, zum Beispiel über Kontobewegun-
gen, Schulden bzw. Verbindlichkeiten, bei einer späteren Ü3-Überprüfung
auch als Grundlage für die Befragung der Referenzpersonen?

28. Wie lange werden solche sensiblen Daten jeweils wo gespeichert?
29. Werden die Daten nach Ausscheiden aus der jeweiligen sicherheitsempfind-

lichen Tätigkeit bzw. nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gelöscht,
und wird der Betroffene darüber informiert?

30. Wieso ist ein Staatsangehöriger aus einem Staat, der auf der Staatenliste ge-
listet wird, erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland überprüfungs-
fähig?

31. In welcher Art und Weise wird in den ersten fünf Jahren das von der Person
ausgehende Sicherheitsrisiko klassifiziert?

32. Welche Rolle spielt diese Staatenliste bei der Auswahl der IPS-Stipendiaten
(Internationales Parlamentsstipendium) des Deutschen Bundestages?

33. Warum ist nach Maßstäben der Bundesregierung jemand, der sich längere
Zeit in einem Staat aufhält, dessen Militärangehörige vom BMVg ausgebil-
det werden, potenziell nicht vertrauenswürdig?

Berlin, den 19. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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