BT-Drucksache 18/3383

Sozialmedizinische sowie psychologische Untersuchungen und Drogentests bei Leistungsberechtigten nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch

Vom 26. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3383
18. Wahlperiode 26.11.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Frank Tempel, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Jan Korte, Matthias W. Birkwald, Kerstin Kassner, Katrin Kunert, Cornelia Möhring,
Kersten Steinke, Azize Tank, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Sozialmedizinische sowie psychologische Untersuchungen und Drogentests bei
Leistungsberechtigten nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch

Bezüglich der Untersuchung von Leistungsberechtigten gemäß Zweitem und
Drittem Buch Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB III) wird in der Antwort der
Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/8846) zu Frage 8 der Kleinen An-
frage der Fraktion DIE LINKE. erklärt, dass die Einleitung eines sozialmedizi-
nischen oder psychologischen Gutachtens von einer Vermittlungs- oder Bera-
tungsfachkraft nur vorzunehmen ist, wenn eine Einwilligung der bzw. des Leis-
tungsberechtigten vorliegt. Wörtlich heißt es: „Die Einleitung des Gutachtens ist
zwar von der Vermittlungs- oder Beratungsfachkraft vorzunehmen, allerdings
ist die Einwilligung der leitungsberechtigten Person zwingend vorausgesetzt.
Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Praxisleitfäden. […] Ein sozialmedizini-
sches oder psychologisches Gutachten wird nicht gegen den Willen der leis-
tungsberechtigten Person eingeleitet. […] Die Ablehnung eines sozialmedizini-
schen oder psychologischen Gutachtens bzw. die Weigerung, an einer Untersu-
chung oder Begutachtung mitzuwirken, stellt keinen Sanktionstatbestand im
Sinne des § 31 SGB II bzw. Sperrzeittatbestand im Sinne des § 144 SGB III dar.“
Daraus ergibt sich, dass, wenn die leistungsberechtigte Person nicht die Einwil-
ligung gibt, auch keine Untersuchung eingeleitet wird, somit auch keine feh-
lende Mitwirkung nach § 60 ff. SGB I an der Untersuchung mit der möglichen
Folge von Sperrzeiten im SGB III und Sanktionen im SGB II vorgeworfen wer-
den kann. Denn es wird nach Aussage der Bundesregierung bei Nichteinwilli-
gung keine Untersuchung, somit auch kein Drogentest, eingeleitet, somit kann
es auch nicht zu einem Nichterscheinen (zum Meldeversäumnis) oder zur feh-
lenden Mitwirkung bezüglich einer Untersuchung durch eine leistungsberech-
tigte Person kommen. Auch einer versehentlichen Einleitung einer Untersu-
chung trotz fehlender Zustimmung ist laut Aussage der Bundesregierung auf-
grund bestehender Weisungen ein Riegel vorgeschoben (siehe Antwort der Bun-
desregierung zu Frage 6): „Aufgrund der eindeutigen Weisungslage ist nicht zu
erwarten, dass einer Kundin bzw. einem Kunden trotz ihrer bzw. seiner Nicht-
einwilligung im Beratungsgespräch eine Einladung zu einem Untersuchungs-
termin zugesandt wird. Sollte trotz der fehlenden Einwilligung eine Einladung
erfolgt sein, kann das Erscheinen abgelehnt werden.“
Auch die Einleitung einer Untersuchung einer leistungsberechtigten Person auf-
grund eines Verlangens einer solchen Untersuchung durch die Vermittlungs-
oder Beratungsfachkraft (vgl. die Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 1
und 2) ist bei einer nicht erfolgten Zustimmung der leistungsberechtigten Person
nicht möglich, da eine Zustimmung durch Leistungsberechtigte nach Aussage

Drucksache 18/3383 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
der Bundesregierung zwingend für eine Einleitung vorausgesetzt ist (siehe
oben). Also kann es auch in diesem Fall des Verlangens durch die Vermittlungs-
oder Beratungsfachkraft gemäß der Bundesregierung zu keiner Verletzung der
Mitwirkungspflicht mit o. g. möglichen Folgen kommen.
Bezüglich des Sachverhalts der Feststellung bzw. Überprüfung der Leistungsbe-
rechtigung wird in der Antwort der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache
18/2696) zu Frage 10 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. ausgesagt:
bei „unterbliebener Mitwirkung im Untersuchungstermin durch Verweigerung
der Teilnahme am Drogentest kann bis zur Nachholung der Mitwirkung die
Leistung ganz oder teilweise versagt werden, soweit die Voraussetzungen der
Leistungen nicht nachgewiesen sind (§ 66 Absatz 1 SGB I).“ Diesem Satz steht
die folgende Aussage am selben Ort gegenüber: „Eine Versagung der Leistung
nach § 66 i. V. m. § 62 SGB I setzt darüber hinaus voraus, dass die Unter-
suchungsmaßnahme – d. h. hier der Drogentest – für die Entscheidung über die
Leistung erforderlich ist. Für finanzielle Leistungen zum Lebensunterhalt dürfte
diese Erforderlichkeit regelmäßig jedoch nicht gegeben sein, es sei denn, die
Erwerbsfähigkeit selbst wird dadurch in Zweifel gezogen.“ Die Bundesregie-
rung zieht also enge Grenzen bezüglich der Untersuchung zur Abklärung, ob
eine Leistungsberechtigung vorliegt. Somit sind auch hier oberhalb dieser
Grenze (Erforderlichkeit der Untersuchung wegen grundsätzlicher Zweifel an
Erwerbsfähigkeit) Untersuchungen nicht sperrzeiten- bzw. sanktionsbewehrt
gemäß SGB III bzw. SGB II. Auch wenn im Fall des Zweifels die grundsätzliche
Leistungsberechtigung in Frage steht, ist nicht der Eintritt einer Sperrzeit bzw.
einer Sanktion eines Leistungsberechtigten eine mögliche Folge, sondern ein
Versagen oder Nichtversagen der Leistung.
Grundsätzlich stellt die Bundesregierung in ihrer Antwort (Bundestagsdruck-
sache 17/8846) zu Frage 11 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. fest:
„Das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers ist einer der Gründe, warum keine
Rechtspflicht, die mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden könnte, zur Teil-
nahme an ärztlichen und psychologischen Untersuchungen im Sozialgesetzbuch
normiert wurde. Damit ist sichergestellt, dass ohne Einwilligung des Betrof-
fenen kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Bürger erfolgt. Nicht
zu beanstanden ist dagegen die Ausgestaltung bestimmter Mitwirkungspflichten
als Obliegenheiten. Die betroffenen Bürger können sich hier entscheiden, ob sie
ihrer Obliegenheit nachkommen oder nicht und dafür gegebenenfalls Rechts-
nachteile in Kauf nehmen.“ In der Antwort der Bundesregierung zu den Fragen
1 und 2 heißt es: „Bei der Mitwirkungspflicht im Sinne des § 62 SGB I handelt
es sich um keine Rechtspflicht im engeren Sinne, da der Leistungsberechtigte
nicht gezwungen werden kann, an einer ärztlichen oder psychologischen Unter-
suchungsmaßnahme teilzunehmen bzw. daran mitzuwirken. Insofern ist die Teil-
nahme freiwillig.“ In der Beantwortung der Schriftlichen Frage 35 der Abgeord-
neten Katja Kipping auf Bundestagsdrucksache 18/3012 durch die Bundesregie-
rung wird das Selbstbestimmungsrecht insbesondere auf das SGB III bezogen
dargelegt: „Die grundsätzliche Ablehnung einer ärztlichen Untersuchung stellt
einen wichtigen Grund im Sinne der Sperrzeitenregelung dar und führt nicht
zum Eintritt einer Sperrzeit, weil die Teilnahme an einer Untersuchung infolge
des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen nur mit deren Einwilligung mög-
lich ist. […] Die Tatsache, dass bei Ablehnung einer ärztlichen Untersuchung
keine Sperrzeit eintritt, bedeutet jedoch nicht, dass eine Weigerung folgenlos
bleibt. In diesen Fällen sind nach dem Recht des Ersten Buches Sozialgesetz-
buch die Folgen fehlender Mitwirkung zu prüfen.“ Gegenübergestellt werden
von der Bundesregierung also die Freiwilligkeit infolge des Selbstbestimmungs-
rechts und aufgrund des Rechts auf körperliche Unversehrtheit einerseits und die
Androhung und die mögliche Folge eines tatsächlichen Leistungsentzugs bzw.
einer Leistungskürzung (Sperrzeit bzw. Sanktion) andererseits, auf die der Be-
troffene im Beratungsgespräch aufmerksam gemacht wird.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3383
Wir fragen die Bundesregierung:
1. In wie vielen Fällen wurde Leistungsberechtigten gemäß SGB II und SGB III

im Jahr 2011 bis zum Jahr 2013 eine sozialmedizinische oder psychologische
Untersuchung vorgeschlagen (bitte einzeln nach Jahren und Grund des
Untersuchungsvorschlags auflisten)?

2. In wie vielen Fällen haben Leistungsberechtigte gemäß SGB II und SGB III
im Jahr 2011 bis zum Jahr 2013, denen eine sozialmedizinische oder psycho-
logische Untersuchung vorgeschlagen worden ist, diese freiwillig angenom-
men, und in wie vielen Fällen wurde die Zustimmung zum Vorschlag nicht
gegeben (bitte einzeln nach Jahren und Grund des Untersuchungsvorschlags
und der Ablehnung auflisten)?

3. In wie vielen Fällen wurde für Leistungsberechtigte gemäß SGB II und
SGB III im Jahr 2011 bis zum Jahr 2013, denen eine sozialmedizinische oder
psychologische Untersuchung vorgeschlagen worden ist, diese aber nicht die
Zustimmung gaben, trotzdem eine sozialmedizinische oder psychologische
Untersuchung eingeleitet – versehentlich oder nicht versehentlich (bitte ein-
zeln nach Jahren und Grund des Untersuchungsvorschlags und der Ableh-
nung auflisten)?

4. Wie viele derjenigen Leistungsberechtigten gemäß SGB II bzw. SGB III, bei
denen ohne deren Zustimmung eine Untersuchung – versehentlich oder nicht
versehentlich – eingeleitet worden ist, erhielten Sanktionen (SGB II) bzw.
Sperrzeiten (SGB III) (bitte einzeln nach Jahren und Begründung der Sperr-
zeiten und Sanktionen auflisten)?

5. Wie viele derjenigen Leistungsberechtigten, die eine Sanktion (SGB II) bzw.
Sperrzeiten (SGB III) aus dem genannten Grund erhielten, legten Wider-
spruch ein bzw. klagten gegen diese, und wie viele Widersprüche bzw. Klagen
wurden zugunsten der Betroffenen entschieden (bitte einzeln nach Jahren
auflisten)?

6. In wie vielen Fällen der Feststellung bzw. Überprüfung der Leistungsberech-
tigung nach dem SGB II und dem SGB III wurden in den Jahren 2011 bis
2013 eine sozialmedizinische oder psychologische Untersuchung wegen
grundsätzlicher Zweifel der Erwerbsfähigkeit angeordnet (bitte einzeln nach
Jahren auflisten)?

7. In wie vielen Fällen kamen die Betroffenen einer solchen Anordnung mit der
Folge der teilweisen oder ganzen Versagung der Leistung nicht nach (bitte
einzeln nach Jahren und Gründen auflisten)?

8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine Freiwilligkeit, begründet
auf dem Selbstbestimmungsrecht und dem Recht auf körperliche Unversehrt-
heit, durch die Androhung und Verwirklichung des Entzugs der für den
Lebensunterhalt und die gesellschaftliche Teilhabe notwendigen Mittel durch
Sanktionen (SGB II) oder Sperrzeiten (SGB III) nicht massiv beeinträchtigt
wird (bitte begründen)?

9. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass von Freiwilligkeit und
Selbstbestimmung unter Androhung und Realisierung des Entzugs der mate-
riellen Mittel für ein selbstbestimmtes Leben durch Sanktionen (SGB II) oder
Sperrzeiten (SGB III) nicht gesprochen werden kann, da ein Leben gemäß
dem freien Willen und in Selbstbestimmung nur mit einer ausreichenden
materiellen Absicherung des Lebens selbst möglich ist?

Berlin, den 25. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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