BT-Drucksache 18/324

Aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende mögliche Ansprüche Griechenlands auf Reparationen und Rückzahlung einer Zwangsanleihe

Vom 17. Januar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/324
18. Wahlperiode 17.01.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Petra Pau,
Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Frank Tempel,
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende mögliche Ansprüche Griechenlands
auf Reparationen und Rückzahlung einer Zwangsanleihe

In der griechischen Politik werden wieder Forderungen laut, die Bundesrepublik
Deutschland solle Reparationen für Kriegs- und Besatzungsschäden aus dem
Zweiten Weltkrieg bezahlen. Außerdem wird die Rückzahlung einer Zwangs-
anleihe, die die Nazis im Jahr 1942 dem besetzten Griechenland abgepresst hat-
ten, gefordert. Die Bundesregierung lehnt diese Forderungen als unbegründet
ab.
Einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages
zufolge ist die Rechtsauffassung der Bundesregierung aber aus völkerrechtlicher
Sicht nicht zwingend (WD 2, 041/13). Von der rechtlichen Situation abgesehen,
müssen aus Sicht der Fragesteller auch moralische und politische Pflichten be-
rücksichtigt werden. Was die Nazis gestohlen haben, darf die Bundesrepublik
Deutschland nicht einfach behalten.
Ihre Position, die Reparationsfrage habe mittlerweile ihre Berechtigung verlo-
ren, hat die Bundesregierung unter anderem auf Bundestagsdrucksache 16/1634
erläutert. Dabei weist sie darauf hin, das im Londoner Schuldenabkommen von
1952 bis zum Abschluss einer endgültigen Regelung erklärte Moratorium von
Reparationsfragen sei mit dem Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages „gegen-
standslos“ geworden. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag habe das Ziel gehabt, eine ab-
schließende Regelung herbeizuführen, „und es wurde deutlich, dass es weitere
(friedensvertragliche) Regelungen über rechtliche Fragen […] nicht geben
werde. Hieraus ergab sich auch, dass die Reparationsfrage nach dem Willen der
Vertragspartner nicht mehr geregelt werden sollte. Diesem Vertrag haben die der
KSZE angehörenden Staaten in der Charta von Paris am 21. November 1990 zu-
gestimmt; zu diesen Staaten gehört auch Griechenland.“
Dieser Sichtweise steht entgegen, dass der Zwei-plus-Vier-Vertrag die Frage
von Reparationsansprüchen mit keinem Wort explizit erwähnt. Der Bundes-
gerichtshof hat zwar im Jahr 2003 die Auffassung vertreten, der Vertrag regele
auch die Reparationsfrage abschließend (Az. III ZR 245/98), diese Entscheidung
ist aber nicht per se völkerrechtlich verbindlich. Und in der Charta von Paris
heißt es nur, der Zwei-plus-Vier-Vertrag werde „zur Kenntnis“ genommen. Dass
diese Kenntnisnahme extensiv dahingehend ausgelegt werden kann, dass sie
einen expliziten Reparationsverzicht auch Griechenlands bedeute, ist nach dem
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes eine offene Frage.

Drucksache 18/324 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Einen formellen Verzicht Griechenlands hat es zumindest nach Kenntnis der
Fragesteller bislang nicht gegeben. Zudem ist dem Völkerrecht ein „Verfalls-
datum“ für Reparationsansprüche fremd. Die Interpretation, durch eine Art
„Fristablauf“ hätten sich etwaige griechische Ansprüche erledigt und weitere
Forderungen gefährdeten die Rechtssicherheit, ist nicht zwingend. Sowohl vor
als auch nach Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages erklärten griechische
Politiker wie der damalige Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis und der
damalige Außenminister Antonis Samaras, Griechenland fordere Reparationen
(taz.die tageszeitung, 6. November 1990, WirtschaftsWoche, 7. Juni 1991). Im
April 2013 hat der griechische Außenminister Dimitris Avramopoulos aus-
geführt, die Reparationsfrage sei nie in einer gegenseitig annehmbaren Weise
gelöst worden, dabei bezeichnete er die Kriegsschulden als „offen“ (DIE WELT,
25. April 2013), und dazu gab es Berichte über ein Gutachten, das von der grie-
chischen Regierung in Auftrag gegeben worden war, aber bisher geheim gehal-
ten wird. Diese Berichte waren nach Auffassung der Fragesteller geeignet, der
Bundesregierung zu verdeutlichen, dass Griechenland die Frage keineswegs für
erledigt hält.
Die Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe muss nach Auffassung der
Fragesteller getrennt von dem übrigen Reparationskomplex behandelt werden.
Auch nach Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundes-
tages lassen sich die griechischen Forderungen nicht zwingend als Reparations-
anspruch klassifizieren, sondern können auch als Geltendmachung eines ver-
tragsrechtlichen Darlehensrückzahlungsanspruches betrachtet werden (WD 2,
093/13).
Die Höhe der Zwangsanleihe betrug ursprünglich 476 Mio. Reichsmark. Bei
Veranschlagung von 3 Prozent Zinsen ergibt sich daraus nach Berechnungen des
Wissenschaftlichen Dienstes bis Ende 2011 die Summe von 3,3 Mrd. Reichs-
mark bzw. 8,25 Mrd. Dollar (WD 4, 093/12). Griechische Quellen gehen von ei-
ner noch höheren Summe aus.
Die Konsequenz aus den zumindest strittigen völkerrechtlichen Bewertungen
muss aus Sicht der Fraktion DIE LINKE. lauten: Im Zweifel für das NS-Opfer.
Die Bundesrepublik Deutschland sollte von sich aus einen Schritt unternehmen
und anbieten, sowohl die damalige Zwangsanleihe zurückzuzahlen, als auch
Einzelpersonen, die Opfer von NS-Unrecht wurden, zu entschädigen, wie dies
auch die griechische Justiz unter anderem im Distomo-Verfahren gefordert
hatte.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat die griechische Regierung jemals formell gegenüber der Bundesrepublik

Deutschland einen endgültigen Verzicht auf Reparationen, die Rückzahlung
der Zwangsanleihe oder Entschädigungsleistungen für griechische Staatsan-
gehörige, die Opfer von NS-Unrecht wurden, erklärt (bitte ggf. ausführen, in
welcher Form, wann, durch wen usw.)?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass
a) der Zwei-plus-Vier-Vertrag die Themen Reparationen, Entschädigungen

für NS-Opfer sowie Rückzahlung der Zwangsanleihe nicht explizit an-
spricht;

b) die Charta von Paris keine formelle Zustimmung zum Zwei-plus-Vier-
Vertrag darstellt, sondern eine Kenntnisnahme;

c) in der Charta von Paris die Themen Reparationen, Entschädigungen und
Darlehensrückzahlungen nicht explizit angesprochen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/324
3. Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung im Völkerrecht eine Art all-
gemeine Verfallsfrist von Reparationsansprüchen, und wenn ja, nach
welcher Frist ist ihrer Auffassung nach das historisch beispiellose Unrecht
der NS-Verbrechen gegenstandslos (bitte mit Quellenangaben und Belegen
versehen)?

4. In welcher Form ist die griechische Regierung im Vorfeld und während der
Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag von der deutschen Rechtsauf-
fassung in Kenntnis gesetzt worden, dass dieser Vertrag zugleich den end-
gültigen Verzicht der alliierten Siegermächte auf Reparationen und Dar-
lehensrückzahlungen festschreiben solle?
a) Inwiefern ist zudem der griechischen Regierung verdeutlicht worden,

dass dieser Verzicht auch Griechenland selbst, das den Zwei-plus-Vier-
Vertrag nicht unterzeichnet hat, betreffen solle?

b) Wie hat die griechische Regierung hierauf reagiert?
5. Wie begründet die Bundesregierung die von ihr vorgenommene rechtliche

Einordnung der Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe als Repa-
rationsforderung (vgl. Bundestagsdrucksache 17/709), und wieso sieht sie
in dieser Frage nicht eher eine darlehensvertragsrechtliche (zivilrechtliche)
Problematik?

6. Bei welchen Gelegenheiten haben nach Kenntnis der Bundesregierung An-
gehörige der verschiedenen griechischen Regierungen seit dem Abzug der
deutschen Besatzungstruppen im Jahr 1944 öffentlich darauf hingewiesen,
dass sie Entschädigungsleistungen, Wiedergutmachungen, die Rückzah-
lung der Zwangsanleihe oder andere aus dem Zweiten Weltkrieg herrüh-
rende Leistungen von Deutschland erwarten (bitte exemplarisch auflisten
und wenigstens allgemein angeben, in welchen Jahren bzw. Zeiträumen
solche Äußerungen erfolgten)?

7. Sind der Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragesteller er-
wähnten Äußerungen griechischer Regierungsvertreter aus den Jahren
1990, 1991 und 2013 bekannt?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Darlegun-
gen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages bzw. aus
den Ausführungen in der Vorbemerkung der Fragesteller dieser Kleinen
Anfrage?

9. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Meinung, die angesprochenen Fragen
seien geklärt, und wenn ja, wie begründet sie diese Auffassung rechtlich?

10. Hat die Bundesregierung (ggf. auch nur partielle) Kenntnis von dem er-
wähnten Gutachten der griechischen Regierung, und wenn ja, welche An-
gaben kann sie dazu machen?

11. Hat die Bundesregierung bei der griechischen Regierung um Übermittlung
oder Zusammenfassung des Gutachtens gebeten?

12. Hat die griechische Regierung seit April 2013 gegenüber der Bundesregie-
rung die Forderung nach Reparationen oder Darlehensrückzahlungen bzw.
die Aufnahme entsprechender Verhandlungen gefordert, und wenn ja, wie
hat die Bundesregierung hierauf reagiert?

13. Welche (unterschiedlichen) Berechnungen zur Höhe der Zwangsanleihe
nach heutigem Stand sind der Bundesregierung bekannt?

Drucksache 18/324 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
14. Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, ob sie sich im Falle einer
Klage Griechenlands auf Zahlung von Reparationen oder Rückzahlung der
Zwangsanleihe vor dem Internationalen Gerichtshof freiwillig dessen
Rechtsprechung unterwerfen würde, und wenn ja, zu welchem Schluss ist
sie dabei gekommen?

Berlin, den 16. Januar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.