BT-Drucksache 18/3029

Konsequenzen aus den Misshandlungen von Asylsuchenden durch Angehörige privater Bewachungsunternehmen

Vom 31. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3029
18. Wahlperiode 31.10.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, Klaus Ernst,
Kerstin Kassner, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Petra Pau, Martina Renner,
Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Hubertus Zdebel und
der Fraktion DIE LINKE.

Konsequenzen aus den Misshandlungen von Asylsuchenden durch Angehörige
privater Bewachungsunternehmen

Nach Medienberichten über Misshandlungen von Asylsuchenden durch Ange-
hörige privater Bewachungsunternehmen geriet dieser Dienstleistungsbereich in
den öffentlichen Fokus. Es wurde deutlich, dass private Wachschutzleute für
ihre Arbeit in latent konfliktträchtigen Räumen nicht immer ausreichend quali-
fiziert sind, vereinzelt wurde festgestellt, dass auch Personal trotz Vorstrafen
eingestellt wurde. Scharfe Kritik an den privatwirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen, die diesen Missstand hervorgerufen hätten, äußerte der Vorsitzende der
Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, in einer Pressemittei-
lung vom 29. September 2014: Das Verhalten der Wachschützer sei „die Folge
der Entstaatlichung öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, willkommen im
schlanken, privaten Staat.“ Auch der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft
(BDSW) sprach Mängel an und schlug ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor
(www.bdsw.de).
Die kurzfristig jedenfalls in Nordrhein-Westfalen erhöhten Leistungsstandards
für Bewachungsunternehmen bei Asylbewerberunterkünften können nach An-
gaben des BDSW überhaupt nicht erfüllt werden: Die geforderte Sachkunde-
prüfung benötige mehr Zeit, „eine seriöse Auftragsvergabe an private Sicher-
heitsdienste, die alle gesetzlichen Vorgaben einhält, ist binnen weniger Tage
schlichtweg nicht möglich!“.
Auch aus Sicht der Fragesteller ist der Einsatz privater Sicherheitsunternehmen
zunehmend ein Problem. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Tätigkeit als
Wachfrau bzw. Wachmann sind sehr locker, selbst für die Gründung eines
Bewachungsunternehmens genügt eine Sachkundeprüfung durch die Industrie-
und Handelskammer (IHK). Auf diese kann man sich in kurzen Lehrgängen vor-
bereiten, die zum Teil nur wenige Tage dauern. Für einfache Angestellte eines
Bewachungsunternehmens ist weder eine Sachkundeprüfung noch die Vorlage
eines Führungszeugnisses zwingend vorgeschrieben.
Dabei gäbe es gerade in sensiblen Bereichen, wie etwa der Bewachung von
Asylbewerberunterkünften, fraglos einen hohen Bedarf an Personal mit hoher
interkultureller Kompetenz und Fähigkeiten zur Deeskalation. Gleiches dürfte
auch für Sicherheitsdienstleister etwa in Fußballstadien gelten, wie generell für
Bewachungsunternehmen, die mit größeren Menschenmengen in Kontakt kom-
men, beispielsweise bei Großevents. Nach den Vorfällen in Burbach und ande-
ren Flüchtlingsunterkünften halten die Fragesteller eine Überprüfung der gesetz-

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lichen Voraussetzungen für eine Arbeitsaufnahme im Bewachungsgewerbe für
dringend notwendig.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Regelungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in den Bun-

desländern für die Beauftragung von Bewachungsunternehmen für Wohn-
heime von Asylsuchenden?
a) In welchen Bundesländern ist der Nachweis einer Sachkundeprüfung auch

für einzelne angestellte Wachschützerinnen und Wachschützer vorge-
schrieben, und in welchen Bundesländern war dies schon vor Bekanntwer-
den der aktuellen Misshandlungsvorwürfe so?

b) Welche Standards bzw. Leistungsstufen für Bewachungsunternehmen
werden in den Bundesländern jeweils verlangt?

c) Inwiefern werden von Angestellten eines Bewachungsunternehmens
Fremdsprachenkenntnisse, Fähigkeiten in Mediation bzw. Deeskalation
und interkulturelle Kompetenz erwartet, und in welcher Form erfolgt
deren Nachweis?

d) Inwiefern sind Bewachungsunternehmen gleichzeitig auch Subunterneh-
mer der Betreiber der Wohnheime, und inwiefern werden der Betrieb und
die Bewachung getrennt vergeben (bitte ggf. Schätzwerte nennen)?

e) Inwiefern kommen die zuständigen Auftraggeber für die Vergabe von
Aufträgen an Bewachungsunternehmen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber
den untergebrachten Personen ausreichend nach, wenn die privaten Wach-
leute de facto für einen Großteil des Tages und an Wochenenden die ein-
zigen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die Bewohnerschaft
in Fragen des täglichen Lebens und in besonderen Situationen, wie der
Kontaktaufnahme zu Notärzten, bei akuten psychischen Stresssituationen,
interkulturellen und interreligiösen Konflikten etc., sind?

2. Welche Schlussfolgerungen werden nach Kenntnis der Bundesregierung in
den Bundesländern aus den aktuellen Misshandlungsvorwürfen hinsichtlich
der Bewachung von Flüchtlingswohnheimen gezogen?
a) Inwiefern wird die Problematik bislang in Bund-Länder-Gesprächen er-

örtert?
b) Hat die Bundesregierung eigene Vorstellungen für eine bundesweite Ver-

einheitlichung der Vergabe von Bewachungsaufträgen bei Flüchtlings-
wohnheimen und der zugrunde liegenden Standards, die sie mit den Bun-
desländern erörtern will, und wenn ja, welche sind dies?

c) War die Festlegung einheitlicher Standards für die Beauftragung privater
Sicherheitsunternehmen für Asylbewerberunterkünfte Gegenstand der
Beratungen beim „Flüchtlingsgipfel“ am 23. Oktober 2014 im Bundes-
kanzleramt, und wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

3. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung selbst aus den Miss-
handlungsfällen?
a) Inwiefern hält sie eine Überarbeitung der Gewerbeordnung (GewO) und/

oder der Bewachungsverordnung für angezeigt, insbesondere hinsichtlich
von Bewachungsaufträgen mit Öffentlichkeitsverkehr und bei Flücht-
lingswohnheimen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3029
b) Inwiefern hält sie es für angezeigt, von Angestellten von Bewachungs-
unternehmen bei Wohnheimen
– grundsätzlich das Vorliegen eines Führungszeugnisses,
– Fremdsprachenkenntnisse,
– Kenntnisse in Mediation bzw. Deeskalation,
– interkulturelle Kompetenz
zu verlangen, und welche Vorstellungen hat sie ggf. über die daraus resul-
tierenden Änderungen in den Rechtsgrundlagen bzw. die Gestaltung von
Lehrplänen für eine (ggf. erweiterte) Sachkundeprüfung?

c) Inwiefern hält sie es für angezeigt, die Sachkundeprüfung in den vorge-
nannten Fällen nicht nur von der IHK, sondern auch von anderen fachkun-
digen Verbänden oder Einrichtungen vornehmen zu lassen, die mit prakti-
schen Problemen und Konfliktlagen rund um Flüchtlingsunterkünfte ver-
traut sind?

d) Inwiefern sieht die Bundesregierung grundsätzlich schon in der Unterbrin-
gung von Asylsuchenden in Sammelunterkünften ein Sicherheitsproblem,
und teilt sie in dieser Hinsicht die Ansicht der Fragesteller, dass vorrangig
eine Unterbringung in Wohnungen oder kleineren Gemeinschaftsunter-
künften gesetzlich verankert werden sollte?

4. Inwiefern hat sich die Bundesregierung mit der Frage auseinandergesetzt, ob
statt Wachleuten mit einem Stundenlohn von 7,50 Euro besser bezahlte Psy-
chologen, Sozialarbeiter usw. in den Unterkünften eingesetzt werden sollten,
und zu welchen Schlussfolgerungen kam sie dabei?
Inwiefern ist sie darüber mit den Bundesländern und Kommunen im Ge-
spräch?

5. Inwiefern hat sich die Bundesregierung mit der Frage auseinandergesetzt, ob
statt privater Bewachungsunternehmen nicht besser kommunale Ordnungs-
dienste eingesetzt werden sollten, ggf. mit finanzieller Unterstützung des
Bundes?

6. In welchem Umfang nimmt der Bund private Bewachungsunternehmen in
Anspruch?
a) Wie viele Bewachungsunternehmen haben im Jahr 2013 im Auftrag des

Bundes Bewachungsmaßnahmen durchgeführt?
b) Welche Bewachungsunternehmen waren dies (bitte vollständig auflisten)?
c) Wie viel Personal wurde dabei insgesamt im Jahr 2013 eingesetzt?
d) Welche Objekte, Liegenschaften usw. wurden von privaten Dienstleistern

bewacht (bitte vollständig auflisten)?
e) Achtet die Bundesregierung darauf, dass mit Bewachungsunternehmen

ein bestimmter Mindestlohn (als Bruttoentgelt für die eingesetzten Wach-
leute) vereinbart wird, und wenn ja, in welcher Höhe, und inwiefern kann
der Bund gewährleisten, dass dieses Entgelt auch bei allfällig eingesetzten
Leihfirmen u. Ä. bezahlt wird?

f) Wie häufig werden Bewachungsaufträge vom Bund direkt mit den Wach-
schutzunternehmen abgeschlossen und wie häufig von vom Bund beauf-
tragten Privatunternehmen (ggf. schätzen), und welche Richtlinien bzw.
Durchführungsgrundsätze gibt es hierzu (bitte vollständig angeben)?

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g) Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, in welchem Umfang die Dienst-
leister ihrerseits Leihfirmen einsetzen oder auf Personal anderer Dienst-
leister zugreifen, und wenn ja, in welchem Umfang (prozentualer Anteil)
ist hiervon im Jahr 2013 Gebrauch gemacht worden?

h) Welche ggf. über die Regelungen des § 34a GewO sowie die Bewachungs-
verordnung hinausgehenden Ansprüche stellt die Bundesregierung an Be-
wachungsunternehmen sowie deren Beschäftigte?

7. Inwiefern werden bestimmte (ggf. unterschiedliche) Standards bzw. Leis-
tungsnachweise für die Tätigkeit von Bewachungsunternehmen im Auftrag
des Bundes zur Voraussetzung gemacht, und auf welche Bereiche bezieht
sich dies (bitte ausführlich darlegen)?
a) Für welche Bewachungstätigkeiten wird die Vorlage eines Führungszeug-

nisses seitens des Inhabers des Unternehmens verlangt, und für welche
Bewachungstätigkeiten der konkret eingesetzten Wachleute?
Wie viele Personen waren im Jahr 2013 hiervon betroffen?

b) Für welche Bewachungstätigkeiten wird eine Sicherheitsüberprüfung zur
Voraussetzung gemacht?
Wie viele Wachleute im Auftrag des Bundes waren im Jahr 2013 sicher-
heitsüberprüft, und wie viele wurden in diesem Jahr erstmals sicherheits-
überprüft (bitte sämtliche Angaben ggf. nach den betreffenden Stufen der
Sicherheitsüberprüfung differenzieren)?

c) Welche Vorschriften und Regeln gelten hinsichtlich der Zuverlässigkeits-
überprüfung von Unternehmen und Personal bei Bewachungsaufgaben für
Liegenschaften der Bundeswehr?
Ist hierfür generell eine Sicherheitsüberprüfung sämtlicher Wachleute er-
forderlich (und wenn ja, welche Stufe), und kann die Bundesregierung
gewährleisten, dass dies auch bei einem eventuellen Einsatz von Leih-
arbeitern eingehalten wird?

8. Bezüglich welcher Tätigkeiten bzw. welcher sensiblen Bereiche hält es die
Bundesregierung für angezeigt, im Einvernehmen mit dem Bundesrat, die
rechtlichen Voraussetzungen für die Tätigkeit von Bewachungsunternehmen
zu verschärfen, und insbesondere für Tätigkeiten mit Öffentlichkeitsverkehr,
a) im Hinblick auf eine Mindeststundenzahl an Prüfungsvorbereitung,
b) im Hinblick auf die Prüfung selbst,
c) im Hinblick auf verpflichtende Fortbildungen (mit Fähigkeitsnachweis)

für Inhaber, Geschäftsführer von Bewachungsunternehmen und beschäf-
tigten Wachleuten,

d) im Hinblick auf verpflichtende Lehrinhalte, wie interkulturelle Kompe-
tenz, Deeskalation, zumindest bei jenen Wachleuten, die an Objekten oder
in Räumen mit Publikumsverkehr eingesetzt werden?

9. Welche Zertifizierungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung im Be-
reich der Bewachungsdienstleistungen, wer bietet diese an, was sind ihre
Voraussetzungen, und was sagen diese jeweils über die Qualität des Unter-
nehmens aus?
In welchem Umfang achtet der Bund bei der Beschäftigung von Bewa-
chungsunternehmen auf das Vorliegen bestimmter Zertifizierungen?

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10. Welche Erfahrungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bei der
Zusammenarbeit von Bewachungsunternehmen und der Polizei, wenn
beide zusammen, etwa bei Großereignissen, eingesetzt werden?
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über negative Erfahrungen
oder Beschwerden (seitens des Publikums, der Veranstalter, der Polizei) im
Zusammenhang mit dem Einsatz von Bewachungsunternehmen bei Groß-
veranstaltungen, Messen, Fußballspielen usw., und welche Schlussfolge-
rungen zieht die Bundesregierung daraus?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die Problematik, dass ein Anwachsen
des privaten Sicherheitssektors das staatliche Gewaltmonopol unterhöhlen
könnte, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

Berlin, den 30. Oktober 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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