BT-Drucksache 18/2726

Praktische Probleme der Wahrnehmung von Rechtsansprüchen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Vom 1. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2726
18. Wahlperiode 01.10.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Azize Tank, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W.
Birkwald, Ulla Jelpke, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Harald Petzold (Havelland), Halina Wawzyniak, Harald Weinberg,
Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Praktische Probleme der Wahrnehmung von Rechtsansprüchen im
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher im Bezug von Leistungen nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sind in der Wahrnehmung ihres
Rechtsanspruchs oftmals mit verschiedenen Hindernissen und Problemlagen
konfrontiert. Des Weiteren wird ihnen auch vermehrt die Annahme prekärer und
nicht existenzsichernder Beschäftigung nahegelegt bzw. werden sie in solche
Beschäftigungsverhältnisse vermittelt. So gibt es immer wieder Hinweise von
Menschen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, dass die unterschied-
lichen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in den Jobcentern nicht über den
gleichen Aktenstand verfügen. Dies stellt angesichts der nahezu halbjährig
wechselnden Zuständigkeiten eine erhebliche Belastung für alle Beteiligten dar.
Ferner berichten Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher, dass einge-
reichte Unterlagen trotz angegebenem Aktenzeichen immer wieder nicht den
bzw. die Zuständigen erreichen, dass die Aktenzeichen des Öfteren nicht über-
einstimmen und dass Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Leistungsab-
teilungen sowie der Vermittlungsabteilungen offenbar nicht über den gleichen
Sachstand bezüglich der einzelnen Fälle der Leistungsbezieherinnen und Leis-
tungsbezieher verfügen.
Antragstellende nichtdeutscher Muttersprache werden i. d. R. nicht über die
Möglichkeit der Inanspruchnahme von Dolmetschern gemäß der Weisung der
Bundesagentur für Arbeit „HEGA 05/11 – 08 – Inanspruchnahme von Dolmet-
scher- und Übersetzungsdiensten“ informiert. Informationsblätter liegen oft nur
in deutscher, türkischer, englischer und französischer Sprache vor, obwohl viele
Leistungsbeziehende aus anderen Regionen der Welt kommen und diese Spra-
chen nicht sprechen.
Des Weiteren tritt immer wieder der Fall auf, dass Alleinerziehende mit min-
derjährigen Kindern aufgefordert werden, sich für sog. 450-Euro-Jobs in den
Nachmittags- und Abendstunden zu bewerben. Ein besonderes Problem stellt die
Vermittlung in solche Jobs in bestimmten Branchen – insbesondere Friseure,
(Lebensmittel-)Einzelhandel, Tankstellen, Gastronomie – dar. Hier gibt es na-
hezu keinerlei Möglichkeit, bei Bedarf den Vertrag auf Vollzeit aufzustocken,
um so die Situation als ALG-II-Bezieher (ALG: Arbeitslosengeld) beenden zu
können. Außerdem sind die Arbeitszeiten nicht mit der Verfügbarkeit von Kin-
derbetreuungsmöglichkeiten vereinbar. Zusätzlich ist diese Vermittlung bezüg-
lich einer dauerhaften Beschäftigung arbeitsmarktpolitisch für zahlreiche Men-

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schen im SGB-II-Leistungsbezug kontraproduktiv. Eine Vermittlung in Ausbil-
dungsplätze – so gewünscht – würde die Chancen einer nachhaltigen Integration
in den Arbeitsmarkt stärken und wäre arbeitsmarktpolitisch auch sinnvoller.
§ 11 Absatz 2 SGB II sieht vor, dass Einnahmen im Monat des Zugangs berück-
sichtigt werden. Das führt angesichts der Tatsache, dass Entgeltzahlungen erst
am Monatsende vorgenommen werden, zu einer unbilligen Härte, wenn für den
Monat bereits die potenzielle Einnahme von der Leistung abgezogen wird.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie erfolgt die beabsichtigte Umsetzung der einheitlichen Aktenführung in

den Jobcentern?
Welche Maßnahmen trifft die Bundesagentur für Arbeit bzw. hat sie getroffen,
alle eingereichten Unterlagen einzuscannen, um somit dem jeweilig zustän-
digen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern einen einheitlichen Zugriff
auf den Sachstand zu ermöglichen?
Und wie wird dabei die Einhaltung des Datenschutzes gewährleistet?

2. Wie stellt die Bundesagentur für Arbeit sicher, dass die „HEGA 05/11 – 08 –
Inanspruchnahme von Dolmetscher- und Übersetzungsdiensten“ auch tat-
sächlich zur Anwendung kommt?
Welche Maßnahmen sind dazu ergriffen worden?
Wie oft wurden diese Dienste – aufgeteilt nach Bundesländern – in Anspruch
genommen, und wie stehen diese im Verhältnis zu der Anzahl Antragstellen-
der nichtdeutscher Muttersprache?

3. In welchen Sprachen über die bereits in der Vorbemerkung der Fragesteller
genannten hinaus, werden die Informationsblätter den Jobcentern zur Ver-
fügung gestellt?
Wann ist mit der Veröffentlichung von Informationsblättern in weiteren Spra-
chen zu rechnen?
Sind für die Erstellung und Ausgabe dieser Informationsblätter die jeweiligen
Jobcenter oder die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg zuständig?
Welche Regelungen gelten für die Optionskommunen?
In welchem Umfang werden Ausfüllhilfen in den entsprechenden Sprachen
mit ausgegeben?

4. Wie werden die Jobcenter dem Anliegen Alleinerziehender gerecht, nicht in
Beschäftigungsverhältnisse zu unzumutbaren Zeiten, in denen keine Kinder-
betreuung möglich ist, vermittelt zu werden, zukünftig Rechnung tragen?
Wie steht die Bundesregierung zu den den Fragestellern zugetragenen Aus-
sagen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern, dass auch
unter Sechzehnjährige ohne Probleme zu Hause alleine gelassen werden sol-
len?

5. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung aufgrund von Untersu-
chungen durch die Bundesagentur für Arbeit respektive des Instituts für Ar-
beitsmarkt und Berufsforschung (IAB) oder des Bundesinstituts für Berufs-
bildung (BIBB) vor, wie viele einschlägig ausgebildete Fachkräfte in den in
der Vorbemerkung der Fragesteller beispielhaft genannten Berufen und Bran-
chen (hier: Friseure, (Lebensmittel-)Einzelhandel, Tankstellen, Gastronomie)
arbeitslos sind, und wie viele Stellen mit 450-Euro-Jobs in diesen Branchen
besetzt sind?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2726
Wie ist das Verhältnis von ausgebildeten zu nichtausgebildeten Fachkräften
sowie 450-Euro-Jobbern in den genannten Bereichen?
Welche berufsbildungspolitischen Folgerungen zieht die Bundesregierung
bei einem ungünstigen Verhältnis zu Lasten der einschlägig Ausgebildeten?
Welche arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen wird die Bundesregierung
ziehen, um außer bei freiwilliger Teilzeitbeschäftigung die Vollzeitbeschäfti-
gung auch in diesen Bereichen nachhaltig zu verbessern?

6. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung einleiten, dass Leistungsbe-
rechtigte, die zum Neuerwerb einer Qualifikation einer mehrjährigen Voll-
zeitausbildung nachgehen und keinen Anspruch auf Mittel nach dem Berufs-
ausbildungsförderungsgesetz, Berufsausbildungsbeihilfe oder ALG I haben,
nicht aus dem Leistungsbezug des SGB II herausfallen?

7. Welche Maßnahmen trifft die Bundesregierung, um den Übergang von Teil-
zeitbeschäftigung bei Leistungsbeziehenden gemäß SGB II in eine Vollzeit-
beschäftigung zu verbessern?
Wie schätzt die Bundesregierung diese Maßnahmen ein?
Welche Mittel werden dafür eingesetzt, und wie nachhaltig sind die so geför-
derten Maßnahmen?
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um Leistungsbe-
ziehenden gemäß SGB II eine Umschulung mit dem Ziel des Erwerbs eines
Berufsabschlusses nach dem Berufsbildungsgesetz bzw. auch eine Teilzeit-
ausbildung oder eine betriebliche Umschulung zu ermöglichen, weil dabei
die Wahrscheinlichkeit der Einmündung in einen Arbeitsvertrag bei entspre-
chenden Vorkenntnissen höher ist?

8. Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die Leistungsauszahlung
gemäß § 11 Absatz 2 SGB II zu korrigieren und um unnötige Belastungen der
Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher und der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Jobcenter zu vermeiden?

9. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob in allen Jobcentern
Bankautomaten zur Barauszahlung bzw. Vorschusszahlung zur Verfügung
stehen?

Berlin, den 1. Oktober 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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