BT-Drucksache 18/2612

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/432, 18/2100 - Soziale, ökologische, ökonomische und politische Effekte des EU-USA Freihandelsabkommens

Vom 24. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2612
18. Wahlperiode 24.09.2014
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann,
Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Dr. Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksachen 18/432, 18/2100 –

Soziale, ökologische, ökonomische und politische Effekte des EU-USA
Freihandelsabkommens

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Bundesminister für Wirtschaft und Ener-
gie haben gemeinsame Ziele und Anforderungen an die Verhandlungen zum Trans-
atlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) formuliert. Notwendig sei, so der Be-
schluss des SPD-Parteikonvents vom 20. September 2014, „eine intensive Diskus-
sion über die TTIP-Verhandlungen sowie auch das geplante Freihandelsabkommen
mit Kanada (CETA), für das die … Maßgaben zu TTIP gleichermaßen gelten.“
Der SPD-Parteikonvent beschloss folgende Mindestbedingungen:
– „Das Freihandelsabkommen darf Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, So-

zial- und Umweltstandards nicht gefährden. Einen Dumping-Wettbewerb, bei
dem Staaten und Unternehmen sich Vorteile über Sozial- und Umweltschutz-
dumping verschaffen, lehnen wir ab. Deshalb muss im Rahmen des Handelsab-
kommens darauf hingewirkt werden, Mitbestimmungsrechte, Arbeits-, Ge-
sundheits- und Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards zu ver-
bessern.

– Die Beseitigung der verbliebenen tarifären Hindernisse (Zölle) fördert den Han-
del, auch wenn die Zölle nicht hoch sind – sie bewegen sich für Industriegüter
im Durchschnitt bei etwa 4 %. Aber das Handelsvolumen ist groß. Täglich ge-
hen Waren im Wert von ca. 2 Mrd. Euro über den Atlantik. Wegen des großen
Handelsvolumens können Zölle im großen Umfang eingespart werden. Wenn
die Zölle aber beseitigt werden, so soll der Einnahmenverlust der EU ausgegli-
chen werden.

Drucksache 18/2612 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
– Der Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse kann grundsätzlich im gegensei-

tigen Interesse sein, muss sich aber auf unterschiedliche technische Standards
und Vorschriften sowie gegebenenfalls auf die Abschaffung doppelter Zulas-
sungsverfahren, die tatsächlich vergleichbar sind, beschränken. Das gilt z. B.
für die Größe von Rückspiegeln, für die Festigkeit von Blechen, die Größe und
Tragfähigkeit der Felgen, der Verfahren zur Messung von Emissionen oder der
Vergabe von bestimmten Genehmigungen. Das Abkommen kann dazu beitra-
gen, dass im Bereich der Zukunftstechnologien durch die Entwicklung gemein-
samer Standards optimale Rahmenbedingungen für Innovationen geschaffen
werden. Eine gegenseitige Anerkennung von Standards und Zulassungsverfah-
ren darf es nur geben, wenn damit keine Absenkung des Schutzniveaus verbun-
den ist. Die parlamentarische Hoheit über die Definition von Standards und Zu-
lassungsverfahren muss sichergestellt bleiben.

– Ein hohes Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzniveau soll nicht nur im
Einklang mit dem Besitzstand der EU und den Rechtsvorschriften der Mitglied-
staaten gewahrt, sondern muss auch weiter verbessert werden können. Beide
Vertragspartner sollten sich verpflichten, internationale Übereinkünfte und
Normen in den Bereichen Umwelt, Arbeit und Verbraucherschutz zu beachten
und umzusetzen, insbesondere die ILO Kernarbeitsnormen und die OECD-
Leitsätze für multinationale Unternehmen. Dazu sollten beide Vertragspartner
ein Zeitfenster vereinbaren, innerhalb dessen die Ratifizierung, Umsetzung und
Überwachung dieser internationalen Übereinkünfte geregelt wird. Die Einhal-
tung von Arbeits- und Sozialstandards muss in Konfliktfällen genauso wir-
kungsvoll sichergestellt sein, wie die Einhaltung anderer Regeln des Abkom-
mens.

– In keinem Fall dürfen das Recht der Mitbestimmung, der Betriebsverfassung
und der Tarifautonomie oder andere Schutzrechte für Arbeitnehmer, die Um-
welt und Verbraucher als „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ interpretiert wer-
den. Entsprechende nationale Gesetze oder Vorschriften eines EU-Mitglieds-
staates – insbesondere hinsichtlich der Regulierung des Arbeitsmarktes oder
sozialer Sicherungssysteme, der Tarifautonomie, des Streikrechts, Mindestlöh-
nen und Tarifverträgen – müssen in diesem Sinne von einem Abkommen un-
berührt bleiben. Das gilt nicht nur für das gegenwärtige, sondern auch für künf-
tige Erweiterungen dieser Schutzrechte. Derartige Möglichkeiten dürfen durch
ein Abkommen nicht eingeschränkt oder behindert werden.

– Prinzipiell ist auszuschließen, dass das demokratische Recht, Regelungen zum
Schutz von Gemeinwohlzielen zu schaffen, gefährdet, ausgehebelt oder umgan-
gen wird oder dass ein Marktzugang, der solchen Regeln widerspricht, einklag-
bar wird. Die Fähigkeit von Parlamenten und Regierungen, Gesetze und Regeln
zum Schutz und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen, darf auch
nicht durch die Schaffung eines „Regulierungsrates“ im Kontext regulatori-
scher Kooperation oder durch weitgehende Investitionsschutzvorschriften er-
schwert werden. Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwi-
schen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht
mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfah-
ren und unklare Definitionen von Rechtsbergriffen, wie „Faire und Gerechte
Behandlung“ oder „Indirekte Enteignung“ abzulehnen. Die Europäische Kom-
mission hat ein Verhandlungsmoratorium zum Investitionsschutz beschlossen
und eine dreimonatige Öffentliche Konsultation zu dieser Frage ab März 2014
eingeleitet. Das Verhandlungsmoratorium ist zu begrüßen, zumal es eine grund-
sätzliche öffentliche Debatte über Investitionsschutz erlaubt. Probleme – wie
die Einschränkung staatlicher Regulierungsfähigkeit und die Gefahr hoher Ent-
schädigungs- und Prozesskosten für Staaten, wegen privater Klagen gegen le-
gitime Gesetze – existieren schließlich auch schon aufgrund existierender In-
vestitionsschutzabkommen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2612
– Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt

werden. Für den Bereich der Daseinsvorsorge sollen keine Verpflichtungen in
Deutschland übernommen werden. Bisherige EU-Vereinbarungen zum Schutz
öffentlicher Dienstleistungen dürfen nicht durch das Abkommen beeinträchtigt
werden. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften wird für
die Ausgestaltung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Inte-
resse ein umfassender Gestaltungsraum garantiert. Audiovisuelle Dienstleis-
tungen sind dauerhaft vom Anwendungsbereich des Abkommens auszuneh-
men. Die Mitgliedstaaten der EU müssen darüber hinaus das Recht haben, die
öffentliche Kultur- und Medienförderung vollständig zu erhalten. Auch die Da-
seinsvorsorge durch die Freie Wohlfahrtspflege muss erhalten bleiben. Die Ent-
scheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die Organisation der Da-
seinsvorsorge muss unberührt bleiben. Es darf keinen direkten oder indirekten
Zwang zu weiterer Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleis-
tungen oder gar eine Priorisierung „privat vor öffentlich“ durch das Abkommen
geben. Der Gestaltungsspielraum ist für die Zukunft zu gewährleisten. Wir sind
der Auffassung, dass ein Positivkatalog besser ist und mehr Vertrauen schafft
als der bisherige Ansatz der Negativlisten. Dieser Positivlistenansatz würde
ausschließen, dass alle Bereiche liberalisiert werden können, die nicht explizit
aufgelistet sind. Die zu erstellende Verpflichtungsliste im Dienstleistungsbe-
reich muss zusammen mit den betroffenen Kreisen, einschließlich der Gewerk-
schaften diskutiert und erstellt werden. Bei der Erbringung von Dienstleistun-
gen durch in die EU entsandte Beschäftigte ist zu gewährleisten, dass das nati-
onale Arbeitsrecht und nationale Tarifstandards nicht eingeschränkt werden. In
jedem Fall muss hinsichtlich der Einhaltung von arbeitsrechtlichen, sozialen
und tarifvertraglichen Regelungen in der EU das Ziellandprinzip festgeschrie-
ben und von Anfang an bei allen entsandten Beschäftigten angewandt werden,
sofern es für sie günstiger ist.

– Die Erfahrungen mit der jüngsten Weltwirtschaftskrise zeigen, dass statt einer
völligen Freigabe des Kapitalverkehrs und einer weiteren Liberalisierung von
Finanzdienstleistungen eine strikte Regulierung der Finanzmärkte notwendig
ist. Der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern und die Stabilität der
Weltwirtschaft würden wachsen, wenn es gelänge, die transatlantischen Ver-
handlungen auch für eine stärkere Regulierung bislang nicht ausreichend regu-
lierter Bereiche der globalisierten Finanzmärkte zu nutzen.

– Im Bereich der öffentlichen Vergabe und Beschaffung dürfen Soziale und öko-
logische Vergabekriterien und ihre mögliche Erweiterung nicht in Frage gestellt
werden. Unternehmen, die öffentliche Aufträge bekommen wollen, müssen auf
Einhaltung der jeweiligen Vergabekriterien, wie etwa die Tariftreue, verpflich-
tet werden können.

– Ein Abkommen soll eine Klausel enthalten, die eine Korrektur von uner-
wünschten Fehlentwicklungen und ggf. Kündigung ermöglicht.

– Für den weiteren Verlauf der Verhandlungen ist jeder Zeitdruck abzulehnen.
Europa und die USA stehen jetzt am Beginn der eigentlichen Verhandlungen.
Die Verhandlungen müssen transparent, unter der demokratischen Beteiligung
der Parlamente und unter Einbeziehung der Sozialpartner und der Vertreter der
Zivilgesellschaft geführt werden, um diesem Abkommen eine breite gesell-
schaftliche Legitimation zu verleihen. Es ist ein Höchstmaß an Transparenz
herzustellen. Wir sind der Auffassung, dass alle Verhandlungsdokumente offen
zu legen sind, und werden uns energisch dafür einsetzen. Ein transatlantisches
Abkommen, das den Bürgerinnen und Bürgern nutzen soll, darf nicht verhan-
delt werden, als müssten die Ergebnisse vor der Öffentlichkeit verborgen wer-
den.

– Die EU-Kommission ist aufgefordert, auf dieser Grundlage und im Bewusst-
sein um die Sensibilität des Abkommens zu verhandeln. Das Abkommen steht
Drucksache 18/2612 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

unter dem Zustimmungsvorbehalt des Europäischen Parlaments, des Rates und
auch unter dem Zustimmungsvorbehalt der 28 nationalen Ratifizierungspro-
zesse. Dies zeigt: Ein TTIP, das die Interessen der europäischen Bürgerinnen
und Bürger nicht berücksichtigt, darf und wird es nicht geben.“

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die genannten Mindestbedingungen als verbindliche und das Regierungshandeln be-
stimmende Position zu übernehmen.

Berlin, den 23. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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