BT-Drucksache 18/2569

Fortdauer der Abgeltungsteuer

Vom 18. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2569
18. Wahlperiode 18.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Richard Pitterle, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Fortdauer der Abgeltungsteuer

Die Abgeltungsteuer wurde zum 1. Januar 2009 eingeführt. Seitdem werden pri-
vate Kapitalerträge im Regelfall mit einem pauschalen Satz in Höhe von 25 Pro-
zent besteuert. Andere Einkunftsarten, wie z. B. Löhne und Gehälter, sind dage-
gen dem mit der Einkommenshöhe ansteigenden Steuersatz des Einkommen-
steuertarifs unterworfen. Die steuerliche Begünstigung von privaten Kapitaler-
trägen wurde vorrangig mit der Eindämmung der Steuerflucht begründet.
Demnach sollte die Abgeltungsteuer zwar kurzfristig Mindereinnahmen, aber
langfristig Mehreinnahmen bewirken. Diese Sichtweise manifestierte sich in
dem vom damaligen Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, geäußerten
Satz „Besser 25 Prozent auf X, statt 42 Prozent auf nix“ (vgl. z. B. Manager Ma-
gazin Online vom 25. Mai 2007: Unternehmensteuer – Bundestag beschließt
Reform). Die langfristig erwarteten Mehreinnahmen sind bisher nicht eingetrof-
fen. Stattdessen betrugen laut Kassenstatistik die tatsächlichen Mindereinnah-
men in jedem Jahr ein Vielfaches der ursprünglich angenommenen. Letztere
wurden im Gesetzentwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (Bun-
destagsdrucksache 16/4841) für Einkommensteuer und Kapitalertragsteuer zu-
sammen mit 915 Mio. Euro (volle Jahreswirkung) beziffert. Demgegenüber lag
laut Steuerschätzung vom Mai 2014 das kassenmäßige Steueraufkommen aus
der pauschalen Besteuerung von Dividenden, Zinsen und Veräußerungsgewin-
nen im Jahr 2013 um über 4 Mrd. Euro und damit rund 14 Prozent niedriger als
das entsprechende Aufkommen im Jahr 2008.
Derweil verliert die einstige Begründung zur Einführung der Abgeltungsteuer
zunehmend an Grundlage. Zur Eindämmung von Steuerflucht schließen sich
weltweit immer mehr wichtige Volkswirtschaften und Finanzzentren dem auto-
matischen Informationsaustausch an (vgl. z. B. Pressemitteilung des Bundes-
ministeriums der Finanzen vom 7. Mai 2014: Die Schweiz und Singapur haben
ihre Bereitschaft erklärt, künftig am automatischen Informationsaustausch teil-
zunehmen). Damit willigen sie ein, sich voraussichtlich ab dem Jahr 2017 über
Anlagen und Kapitalerträge von ausländischen Anlegern wechselseitig zu in-
formieren. Zusammen mit dem Ankauf von sogenannten Steuerdaten-CDs ent-
faltet die bevorstehende Einführung des automatischen Informationsaustausches
bereits heute Wirkung. Das zeigen unter anderem die aktuellen Rekordzahlen
bei der Abgabe von strafbefreienden Selbstanzeigen in Steuersachen (vgl. z. B.
dpa-Meldung vom 15. August 2014: Deutlicher Anstieg bei Selbstanzeigen von
Steuerbetrügern), beim boomenden Bargeldschmuggel an den Grenzen zur
Schweiz und zu Österreich (vgl. DER SPIEGEL, Nr. 19/2014 vom 5. Mai 2014:
Bargeldschmuggel nimmt zu) sowie die Kündigungen von ungeklärten Konten
mit Auslandsbezug durch Schweizer Banken (vgl. Frankfurter Allgemeine Zei-
tung vom 21. Juni 2014: Schweizer Banken setzen Steuersünder vor die Tür).

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Die Bundesregierung hält dennoch an der Abgeltungsteuer fest. Sie begründet
dies damit, dass die konkrete Umsetzung des automatischen Informationsaus-
tausches noch Jahre dauern würde (vgl. z. B. dpa-Meldung vom 22. Mai 2014:
Merkel hält an pauschaler Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge fest). Bis dahin
bedürfe es weiterhin der Abgeltungsteuer zur Sicherung von Steuereinnahmen
(vgl. die Bundestagsrede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang
Schäuble, vom 8. April 2014, Plenarprotokoll 18/28).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welches Aufkommen hat sich aus der Besteuerung von Einkünften aus Kapi-

talvermögen ab dem Jahr 2005 ergeben (bitte differenziert nach Jahren, Steu-
erarten, Steuergläubigern, mit der absoluten und relativen Veränderung zum
Vorjahr sowie dem Anteil am gesamten Steueraufkommen angeben)?

2. Welche Veränderungen beim Aufkommen aus der Besteuerung von Einkünf-
ten aus Kapitalvermögen hätten sich ab dem Jahr 2009 ergeben, wenn die Ab-
geltungsteuer nicht eingeführt worden wäre und stattdessen die Rechtslage
von 2008 weiter gegolten hätte (bitte differenziert nach Jahren, Steuerarten,
Steuergläubigern, mit der absoluten und relativen Veränderung zum Ist-Auf-
kommen angeben)?

3. Welche Veränderungen beim Aufkommen aus der Besteuerung von Einkünf-
ten aus Kapitalvermögen hätten sich ab dem Jahr 2009 ergeben, wenn diese,
inklusive Veräußerungsgewinnen gemäß § 20 Absatz 2 des Einkommen-
steuergesetzes, dem progressiven Einkommensteuertarif nach § 32a des Ein-
kommensteuergesetzes unterworfen worden wären (bitte differenziert nach
Jahren, Steuerarten, Steuergläubigern, mit der absoluten und relativen Ver-
änderung zum Ist-Aufkommen angeben)?

4. In wie vielen Fällen wurde ab dem Jahr 2009 das Optionsrecht zur Regel-
besteuerung gemäß § 32d Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 des Einkommensteuer-
gesetzes angewandt, welches Aufkommen wurde dabei erzielt, in welcher
Höhe wurden dabei Werbungskosten zum Abzug gebracht, in welcher Höhe
wurden dabei Verluste verrechnet, und welches Aufkommen hätte sich erge-
ben, wenn das Optionsrecht nicht zur Anwendung gekommen wäre (bitte dif-
ferenziert nach Jahren und Steuerarten angeben)?

5. Bei wie vielen Steuerpflichtigen lagen seit dem Jahr 2009 laut Fortschreibung
der Einkommensteuerstatistiken aus der Zeit vor der Einführung der Abgel-
tungsteuer die Einkünfte aus Kapitalvermögen über dem Sparer-Pauschbe-
trag, und bei wie vielen dieser Steuerpflichtigen könnte die Veranlagung und
eine Belastung mit dem persönlichen Steuersatz nach § 32d Absatz 6 des Ein-
kommensteuergesetzes zu einer Entlastung im Vergleich zur Abgeltungsteuer
führen (bitte differenziert nach Jahren angeben)?

6. In wie vielen Fällen ab dem Jahr 2009 führte die Günstigerprüfung gemäß
§ 32d Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes zu einem günstigeren Ergeb-
nis, und in welcher betragsmäßigen Höhe ergaben sich dadurch Steuermin-
derungen gegenüber der Besteuerung mit der Abgeltungsteuer (bitte differen-
ziert nach Jahren sowie mit dem Anteil an der Gesamtzahl der Steuerpflich-
tigen angeben)?

7. In wie vielen Fällen ab dem Jahr 2009 führte die Inanspruchnahme des Wahl-
rechts zur Veranlagung gemäß § 32d Absatz 4 des Einkommensteuergesetzes
zu Steuerminderungen, und in welcher betragsmäßigen Höhe ergaben sich
dadurch Steuerminderungen (bitte differenziert nach Jahren sowie mit dem
Anteil an der Gesamtzahl der Steuerpflichtigen angeben)?

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8. In welcher betragsmäßigen Höhe wurden ab dem Jahr 2009 Kapitalertrag-
steuer durch ausländische Steuerschuldner überwiesen (bitte nach Jahren
differenziert und unter Angabe der Fallzahlen angeben)?

9. In welcher betragsmäßigen Höhe wurden ab dem Jahr 2009 bei der Besteu-
erung von Einkünften aus Kapitalvermögen ausländische Steuern steuer-
mindernd berücksichtigt (bitte nach Jahren differenziert und unter Angabe
der Fallzahlen angeben)?

10. In welcher betragsmäßigen Höhe wurden ab dem Jahr 2009 bei der Einkom-
mensteuererklärung unversteuerte, im Ausland erzielte Einkünfte aus Kapi-
talvermögen veranlagt (bitte nach Jahren differenziert und unter Angabe der
Fallzahlen angeben)?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die betragsmäßige Höhe
von im Ausland erzielten Einkünften aus Kapitalvermögen, die rechtswidrig
nicht oder nicht in vollem Umfang offenbart wurden, ab dem Jahr 2009 und
über das dadurch entgangene Steueraufkommen (bitte mit Begründung so-
wie differenziert nach Jahren und unter Angabe der Erkenntnisquellen an-
geben)?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die betragsmäßige Höhe
der Rückführung oder Offenbarung von illegal ins Ausland gebrachten Ka-
pitalvermögen seit dem Jahr 2009 (bitte mit Begründung und differenziert
nach Jahren, Rückführung oder Offenbarung sowie unter Angabe der Er-
kenntnisquellen angeben)?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Umfang von Steu-
erflucht, Steuerhinterziehung sowie Verlagerung von Vermögen ins Aus-
land, der durch die Abgeltungsteuer verhindert wurde (bitte mit Begrün-
dung und Erkenntnisquellen angeben)?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Umfang von Steu-
erflucht, Steuerhinterziehung sowie die Verlagerung von Vermögen ins
Ausland, der aktuell durch eine sofortige Abschaffung der Abgeltungsteuer
bewirkt würde (bitte mit Begründung und Erkenntnisquellen angeben)?

15. Wie begründet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Antworten zu
den Fragen 11 bis 14 die Beibehaltung der Abgeltungsteuer und die damit
verbundene, im Vergleich zu anderen Einkunftsarten ungleiche Behandlung
von Einkünften aus Kapitalvermögen?

16. Welchen Stellenwert räumt die Bundesregierung der Wahrung des Bank-
geheimnisses durch die Abgeltungsteuer ein (bitte mit Begründung)?

17. Ab wann findet nach Einschätzung der Bundesregierung der grenzüber-
schreitende automatische Informationsaustausch zu Finanzkonten als ver-
bindlicher internationaler Standard voraussichtlich, frühestens und spätes-
tens statt (bitte mit Begründung)?

18. Kann nach Ansicht der Bundesregierung die anonymisierte Abführung der
Abgeltungsteuer im Inland auch nach der verbindlichen Umsetzung des
grenzüberschreitenden automatischen Informationsaustausches im Bereich
der Einkünfte aus Kapitalvermögen beibehalten werden, und welche Kon-
sequenzen ergeben sich dadurch auf die Wahrung des Bankgeheimnisses im
Inland (bitte mit Begründung)?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Abgeltungssteuer mit
der Umsetzung des grenzüberschreitenden automatischen Informationsaus-
tausches zu Finanzkonten als verbindlicher internationaler Standard ihre
wesentliche Rechtfertigungsgrundlage verliert (bitte mit Begründung)?

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20. Kann nach Ansicht der Bundesregierung die Abgeltungsteuer auch nach
Umsetzung des grenzüberschreitenden automatischen Informationsaus-
tausches zu Finanzkonten als verbindlicher internationaler Standard beibe-
halten werden, oder teilt sie die Ansicht, dass damit die Abgeltungsteuer
hinfällig geworden ist (bitte mit Begründung)?

21. Wie viele Länder, und welche konkreten Volkswirtschaften müssen nach
Ansicht der Bundesregierung den grenzüberschreitenden automatischen
Informationsaustausch zu Finanzkonten umgesetzt haben, damit dieser die
Sicherung von Steuereinnahmen im gleichen Umfang wie die Abgeltung-
steuer gewährleistet, und ab welchem Zeitpunkt rechnet die Bundesregie-
rung mit einer derartigen Umsetzung (bitte mit Begründung)?

22. Wie wirkt sich nach Ansicht der Bundesregierung die angekündigte und ab-
sehbare Einführung des grenzüberschreitenden automatischen Informa-
tionsaustausches zu Finanzkonten als verbindlicher internationaler Standard
auf den Umfang von Steuerflucht, Steuerhinterziehung sowie Verlagerung
von Vermögen ins Ausland aktuell aus (bitte mit Begründung)?

23. Warum ist nach Ansicht der Bundesregierung die Beibehaltung der Ab-
geltungsteuer weiterhin zur Sicherung von Steuereinnahmen nötig, obwohl
bereits, wie unter anderen der Boom bei strafbefreiender Selbstanzeige und
Bargeldschmuggel sowie die veränderte Praxis der Schweizer Banken deut-
lich zeigen, illegal ins Ausland gebrachtes Kapitalvermögen massiv auf-
gedeckt und rückgeführt wird?

24. Inwieweit ist es bei beschränkt Steuerpflichtigen zulässig, dass Kreditinsti-
tute auf inländische Kapitalerträge Kapitalertragsteuer in Höhe des Sparer-
Pauschbetrags an der Quelle nicht erheben (bitte mit Begründung und Dar-
stellung der Rechtslage)?

Berlin, den 18. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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