BT-Drucksache 18/2534

Folgen der gesetzlichen Tarifeinheit

Vom 10. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2534
18. Wahlperiode 10.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Thomas Nord, Richard Pitterle, Dr. Sahra Wagenknecht, Sabine Zimmermann
(Zwickau) und der Fraktion DIE LINKE.

Folgen der gesetzlichen Tarifeinheit

Das Bundeskabinett hat den Beschluss zur Tarifeinheit Anfang Juli 2014 von der
Tagesordnung gestrichen und mit dem Hinweis verschoben, dass über das Ge-
setz noch intensiver beraten werden muss. Eine zentrale, aber noch ungelöste
Frage ist, wie die Tarifeinheit gesetzlich geregelt werden soll, ohne dabei das
grundgesetzlich geschützte Streikrecht einzuschränken.
Laut „STUTTGARTER ZEITUNG“ vom 2. September 2014 plant das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales eine „abgeschwächte“ Regelung, bei der le-
diglich die Vorgabe gemacht wird, dass in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der
Mehrheitsgewerkschaft gelten soll, ohne jedoch die Friedenspflicht dieses Tarif-
vertrages auf die Minderheitengewerkschaft zu erstrecken. Damit wird keine
Aussage zum Streikrecht der Minderheitengewerkschaft getroffen, vielmehr soll
die Frage von den Gerichten entschieden werden. Der Plan des Bundesarbeits-
ministeriums soll am 2. September 2014 auf der Klausur der Bundesregierung
mit den Sozialpartnern auf Schloss Meseberg am Rande beraten werden (vgl.
STUTTGARTER ZEITUNG: „Berlin will Gesetz abschwächen“, 2. September
2014). Es stellt sich die Frage, ob es sich bei den Planungen des Bundesarbeits-
ministeriums nicht doch zumindest um eine faktische Einschränkung des Streik-
rechts handelt, da das Ergebnis von Arbeitskämpfen der Minderheitengewerk-
schaften, also der Tarifvertrag, keine Anwendung finden soll.
Die Arbeitgeber sehen laut des oben genannten Berichts ohne eine gesetzliche
Regelung zur Tarifeinheit die Gefahr, dass die derzeitige Entwicklung negative
Auswirkungen auf das System der Flächentarifverträge haben könnte. Daher
soll die Macht kleiner Gewerkschaften begrenzt und somit verhindert werden,
dass Betriebe allzu häufig bestreikt würden (vgl. STUTTGARTER ZEITUNG
vom 2. September 2014). Angesichts dieser Argumentation stellt sich die Frage,
wie groß das Ausmaß der Tarifpluralität in Deutschland überhaupt ist und
welche negativen Auswirkungen auf das System des Flächentarifvertrags davon
ausgehen. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob tatsächlich von einer pro-
blematischen Entwicklung hinsichtlich der Streikhäufigkeit in Deutschland aus-
gegangen werden kann.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Ausfalltage aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen gab es nach

Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland jährlich seit dem Jahr 1991
(bitte jährlich darstellen und nach Branchen differenzieren)?

Drucksache 18/2534 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Wie viele Ausfalltage aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen gab es nach
Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland jährlich seit dem Jahr 1991
differenziert nach Berufsgruppen?

3. Wie viele Ausfalltage aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen gab es nach
Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 1991 in den einzelnen Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union und in den USA (wenn möglich, bitte
für jedes Land einzeln die jährlichen Daten ausweisen)?

4. Welche Berufsgruppen weisen nach Kenntnis der Bundesregierung in den
Jahren 2010 bis 2013 in Deutschland besonders hohe Durchschnittszahlen
bezüglich der Dauer und Anzahl von Arbeitskämpfen auf, und wie viele
Ausfalltage sind jeweils zu verzeichnen?

5. Wie viele Ausfalltage aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen gab es nach
Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 1991 in den Bundesministerien
und Bundesämtern bzw. in den Bundesbehörden und -instituten (bitte
jeweils jährlich insgesamt angeben sowie nach Bundeskanzleramt und Bun-
desministerien mit den entsprechenden Bundesämtern bzw. -behörden und
-instituten aufschlüsseln)?

6. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
im Hinblick auf die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns aus dem
Ausmaß und der Entwicklung der Ausfalltage aufgrund von Arbeits-
kampfmaßnahmen in Deutschland, auch im Vergleich mit anderen Staaten
der Europäischen Union und differenziert nach Branchen?
Ist aus Sicht der Bundesregierung in diesem Zusammenhang eine problema-
tische Entwicklung zu verzeichnen, aus der gesetzgeberischer Handlungs-
bedarf abgeleitet wird?

7. Wie viele Berufsgewerkschaften gibt es derzeit nach Kenntnis der Bundes-
regierung in Deutschland, und welche sind dies?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Vorhandensein, der Zahl und dem Agieren von Berufs- und Spar-
tengewerkschaften im Hinblick auf das eigene gesetzgeberische Handeln?

8. Wie viele Betriebe sind nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland
von Tarifpluralität betroffen (bitte absolute und relative Zahlen nennen)?
Welche Branchen weisen ein besonders hohes Maß an Tarifpluralität aus?
Verzeichnet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang negative Aus-
wirkungen, die gesetzgeberisches Handeln rechtfertigen?
Wenn ja, welche sind dies?

9. Wie viele Bundesministerien und Bundesämter bzw. Bundesbehörden und
-institute sind nach Kenntnis der Bundesregierung von Tarifpluralität be-
troffen (bitte absolute und relative Zahlen nennen)?
Verzeichnet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang negative Aus-
wirkungen, die gesetzgeberisches Handeln rechtfertigen?
Wenn ja, welche sind dies?

10. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der vorhandenen Tarifpluralität, und welche problematischen Entwick-
lungen gehen aus Sicht der Bundesregierung damit einher?
Auf welche empirischen Untersuchungen stützt sich die Bundesregierung
bei ihrer Problemanalyse?

11. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Tarifbindung in
Deutschland seit dem Jahr 1991 bis heute entwickelt (bitte nach Ost und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2534
West sowie nach Branchen differenzieren, jeweils die Tarifbindung der
Betriebe und der Beschäftigten ausweisen sowie die Tarifbindung nach
Firmentarifvertrag und Branchentarifvertrag unterscheiden)?

12. Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Erosion des Systems der
Branchen- bzw. Flächentarifverträge zu beobachten?
Wenn ja, welche sind nach Auffassung der Bundesregierung die wesent-
lichen Ursachen für diese Entwicklung?
Welchen Stellenwert nimmt dabei aus Sicht der Bundesregierung die Tarif-
pluralität bzw. das Agieren von Berufs- und Spartengewerkschaften ein?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es sich um eine faktische
Einschränkung des Streikrechts handelt, wenn das Ergebnis eines Arbeits-
kampfes, also der Tarifvertrag, nicht zur Anwendung kommt (bitte begrün-
den)?

14. Erkennt die Bundesregierung die Organisations- und Satzungsautonomie
der Gewerkschaften an, steht ihnen zu, selbständig zu entscheiden, in
welcher Form sie sich organisieren und ausrichten, und steht ihnen darüber
hinaus zu, ihre Mittel frei zu wählen?
Wenn nein, warum nicht?

15. Hält es die Bundesregierung für sachgerecht, die Konsequenzen und die
Auslegung von Gesetzen von der Exekutive auf die Judikative zu verlagern?
Hält sie dies mit einer notwendigen Rechtsfolgeabschätzung für vereinbar?

16. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass der genuine Zweck einer
Gewerkschaft zunächst das Aushandeln von Tarifverträgen und den dazu-
gehörigen Arbeitsbedingungen für die jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder
ist, und wird nach Einschätzung der Bundesregierung mit der gesetzlichen
Regelung zur Tarifeinheit den Berufs- und Spartengewerkschaften die
Tariffähigkeit genommen (bitte begründen)?

17. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Berufs- und Sparten-
gewerkschaften mit einer gesetzlichen Regelung zur Tarifeinheit der Orga-
nisationszweck entzogen wird und die Bundesregierung damit ihre Neutra-
litätspflicht verletzt (bitte begründen)?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass nach der herrschenden
Autonomietheorie der Staat nicht berechtigt ist, die autonome Koalitions-
bildung zu verändern oder zu beeinflussen (bitte begründen)?

19. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die aktive Beteiligung von
ehemaligen bzw. Nochstaatskonzernen, wie z. B. der Deutschen Post, Tele-
kom Deutschland GmbH oder Deutschen Bahn AG, an der zunehmenden
Entstehung der Tarifpluralität, indem sie eine Vielzahl von Tochtergesell-
schaften gebildet haben (bitte begründen)?

Berlin, den 10. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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