BT-Drucksache 18/2458

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation

Vom 1. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2458
18. Wahlperiode 01.09.2014
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Frithjof
Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, Britta Haßelmann, Katja
Keul, Dr. Tobias Lindner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf
gegen die Terrororganisation IS

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag verurteilt das grausame und menschenverachtende Vorge-
hen der ISIS.

Der Vormarsch der radikalislamistischen Terrormiliz ISIS im Nordirak und in Sy-
rien hat zu einer humanitären Katastrophe mit unzähligen Toten und hunderttausen-
den von Flüchtlingen geführt. Mittlerweile befinden sich im Irak rund 1,7 Millionen
Menschen auf der Flucht. Es fehlt den Menschen an fast allen Versorgungsmitteln,
die Folge sind Hunger und Mangelernährung sowie eine drohende Seuchengefahr.
Viele sind schwer traumatisiert. Jesiden, Christen, Turkmenen, Schiiten und auch
Sunniten werden aus ihren Dörfern vertrieben und getötet. Frauen und Mädchen wer-
den entführt, vergewaltigt und auf Sklavenmärkten verkauft. An eine schnelle Rück-
kehr zur Normalität ist nicht zu denken. Öffentliche Gebäude sind zu notdürftigen
Flüchtlingsunterkünften umfunktioniert, die gesamte Infrastruktur der Kurdenregion
– Krankenhäuser, Schulen, Verwaltung etc. – steht vor dem Kollaps. Es ist daher
dringend notwendig, dass die irakische Zentralregierung der kurdischen Region die
ihr zustehenden Haushaltsanteile vollständig überweist.
Eine schnelle humanitäre Offensive ist von zentraler Bedeutung. Der Bundestag be-
grüßt die Bereitschaft der Bundesregierung, zügig erste humanitäre Hilfsmaßnah-
men auf den Weg zu bringen. Die bereits zur Verfügung gestellten rund 4,5 Mio.
Euro des Auswärtigen Amts können aber nur ein erster Schritt sein. Auch die ange-
kündigten weiteren 20 Mio. Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung müssen nun so schnell wie möglich
in konkrete Hilfe umgesetzt und weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden. Da-
mit die Mittel zielführend eingesetzt werden können, braucht es ein breit angelegtes,
zwischen den Bundesministerien, innerhalb der Europäischen Union (EU) und in-
ternational abgestimmtes Hilfsprogramm für die Notleidenden in der gesamten Re-
gion, die unter der Führung der Vereinten Nationen (VN) geplant und umgesetzt

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wird. Die humanitäre Notlage in Syrien und im Irak bedarf eines langfristigen, ver-
lässlichen und umfassenden Engagements. Dies beinhaltet die umgehende Errich-
tung von festen Flüchtlingsunterkünften, da eine schnelle Rückkehr für die meisten
Vertriebenen unmöglich ist und der Winter naht. Eine solche humanitäre Offensive
ist neben der Linderung von unmittelbarem Leid auch eine politische Stabilisierung.
Angesichts der humanitären Katastrophe ist die auf Bitten der irakischen Regierung
durchgeführte militärische Nothilfe der USA in Form von Luftunterstützung für die
kurdischen und irakischen Einheiten im Kampf gegen den Vormarsch von ISIS rich-
tig und notwendig. Der Vormarsch von ISIS macht ein militärisches Eingreifen er-
forderlich. Der Bundestag begrüßt die schnelle Lieferung von Hilfsgütern durch die
Bundeswehr in den Nordirak. Der Bundestag begrüßt ebenfalls die Unterstützung
der dortigen kurdischen Autonomieregierung durch nichtletale Ausstattungshilfe
und gegebenenfalls auch Ausbildung von kurdischen Kräften. Die Bundesregierung
sollte nach den Erfordernissen der Lage und in Absprache mit der internationalen
Gemeinschaft auch Unterstützung z. B. bei der Evakuierung gefährdeter Menschen
und bei der humanitären Versorgung aus der Luft anbieten.
Der Bundestag spricht sich gegen die von der Bundesregierung beschlossene Liefe-
rung von Waffen aus Deutschland in den Irak aus. Die Bundesregierung hat bisher
keine Strategie zur Bekämpfung der ISIS definiert und keinen Regionalansatz vor-
gelegt, der die Situation in Syrien umfasst und die wichtigsten Akteure wie die Tür-
kei, den Iran, Katar, Kuwait und Saudi-Arabien einbezieht. Die Bundesregierung hat
nicht dargelegt, welche militärische und politische Gesamtstrategie sie verfolgt. Die
Waffenlieferungen bergen die große Gefahr, dass sie die Region langfristig weiter
destabilisieren und ein großes Proliferationsrisiko sowie die Gefahr, diesen oder an-
dere Konflikte massiv zu verschärfen. Es geht politisch auch darum, Maßnahmen zu
unterlassen, die dazu beitragen können, die staatliche Einheit des Iraks zu destabili-
sieren. Es bleibt weiterhin unklar, wie ISIS gestoppt werden soll.
Hilfsorganisationen befürchten zudem in der praktischen Umsetzung der Waffenlie-
ferung eine Vermischung militärischen und humanitären Engagements, die negative
Folgen für die humanitäre Hilfe hätte. Darüber hinaus fehlt eine Einbettung in eine
politische Gesamtstrategie. Der Bundestag wendet sich in diesem Zusammenhang
zudem gegen innenpolitisch motivierte Versuche, die restriktiven Vorgaben der
Richtlinien für Rüstungsexporte aufzuweichen.
Angesichts der extremen Bedrohung der Zivilbevölkerung, insbesondere bestimmter
kultureller oder religiöser Gruppen, ist ein gemeinsames, effektives Vorgehen im
Sinne der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) durch die Vereinten Na-
tionen überfällig. Die Bundesregierung sollte sich für einen Beschluss des VN-Si-
cherheitsrates einsetzen und zur Umsetzung gegebenenfalls aktiv beitragen. Der Be-
schluss muss zügig die Voraussetzungen für eine regionale Gesamtstrategie, ein ge-
meinsames Vorgehen der Vereinten Nationen zur Vermeidung eines Völkermords
und zur Sicherstellung humanitärer Hilfe schaffen.
Die aktuelle Krise im Irak ist nicht allein militärisch, sondern vor allem politisch zu
lösen. Nur eine von allen Bevölkerungsgruppen akzeptierte neue Regierung kann die
Voraussetzungen für ein erfolgreiches Vorgehen gegen ISIS schaffen. Der immense
Reichtum des Landes muss allen Bevölkerungsgruppen in fairem Maße zu Gute
kommen. Klar ist auch, dass die Situation im Irak nicht losgelöst vom Krieg im
Nachbarland Syrien verstanden und bearbeitet werden kann. Angesichts der neuen
Entwicklungen sollten internationale Vermittlungsbemühungen in Bezug auf Syrien
daher wieder intensiviert werden.
Die Bundesregierung muss sich gemeinsam mit ihren europäischen Partnern und im
Rahmen der Vereinten Nationen für eine langfristige und nachhaltige Lösung enga-
gieren. Dabei ist es wichtig, dass die Bundesregierung auf die Länder in der Region
einwirkt, die Mitverantwortung für das Erstarken von ISIS tragen und Einfluss auf
einzelne Akteure innerhalb ISIS nehmen können. Dazu gehören das Austrocknen

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von Finanzierungsquellen von ISIS, auch von privaten Financiers aus den Golfstaa-
ten, und effektive Grenzkontrollen an der türkisch-syrischen Grenze, um die Nach-
schubwege von ISIS abzuschneiden. In Syrien muss auf eine von der Bevölkerung
akzeptierte neue Regierung ohne Baschar al-Assad gedrungen werden. Eine Koope-
ration mit Assad gegen ISIS ist nicht akzeptabel – ohne Assads Unterstützung wäre
die ISIS nicht dort wo sie jetzt steht.
Die humanitäre Situation im Irak darf nicht getrennt von der Lage in Syrien betrach-
tet werden. Angesichts dieser Lage wäre eine Kürzung des Titels für Humanitäre
Hilfe im Haushalt des Auswärtigen Amts unverantwortlich. Der Krieg in Syrien, der
bis heute 190 000 Todesopfer gefordert und Millionen Menschen zur Flucht in Nach-
barländer gezwungen hat, bedarf daher deutlich größerer Aufmerksamkeit als sie die
Bundesregierung dem Land bislang entgegenbrachte.
Um die Nachbarländer Syriens wirklich zu entlasten, muss auch Deutschland weit
mehr Flüchtlingen Zuflucht gewähren, als dies durch die bisherigen drei Aufnahme-
kontingente erfolgt ist, die für insgesamt 20 000 Menschen ausgerichtet sind. Die
Bundesregierung sollte sich aufgrund der sich durch die ISIS-Gewalt in der Region
verschärfenden Flüchtlingskrise endlich aktiver für eine gesamteuropäische Strate-
gie zur Aufnahme von Flüchtlingen, das heißt besonders die Ausweitung und Koor-
dination weiterer Kontingentverfahren, einsetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für die Einrichtung einer internationalen Irak- und Syrien-Kontaktgruppe
einzusetzen und alle diplomatischen Möglichkeiten, Dialog- und Vermittlungs-
initiativen zu nutzen, um die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit
im Irak, und ebenso in Syrien, zu befördern;

2. sich für die dauerhafte Einbindung des Handelns der einzelnen internationalen
Akteure in ein VN-Mandat und eine Stärkung der VN-Mission im Irak (UN-
AMI) einzusetzen;

3. gemeinsam mit internationalen Partnern zügig detaillierte Maßnahmen zur kon-
sequenten Austrocknung von Finanzierungsquellen von ISIS wie Ölrenten, die
über die Forderungen der Sicherheitsratsresolution 2170 (2014) hinausgehen,
zu erarbeiten und umzusetzen;

4. sich für ein breit angelegtes, national und international abgestimmtes humani-
täres Hilfsprogramm für die Menschen im Irak und in Syrien unter Führung der
VN einzusetzen. Dazu müssen finanzielle Zusagen gemacht werden, die lang-
fristige Unterstützung sicherstellen;

5. bislang zugesagte Mittel zur humanitären Hilfe zügig in konkrete Unterstüt-
zungsleistung umzusetzen; innerhalb der EU durch gezielte Absprache und Ko-
ordination die nationalen und EU-Maßnahmen systematisch zu bündeln;

6. die bisherigen Zusagen in Höhe von etwa 25 Mio. Euro an Hilfsleistungen für
den Irak sowie den Haushaltstitel für Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt
nochmals deutlich aufzustocken. Auch die Hilfsleistungen für Syrien müssen
erhöht und langfristig gewährleistet werden;

7. sich dafür einzusetzen, dass diplomatische Bemühungen zur Lösung des Syri-
enkonflikts im Rahmen einer erneuten Vermittlungsmission wieder verstärkt
werden;

8. sich gegenüber der türkischen Regierung für eine schnelle und unbürokratische
Abfertigung von Hilfstransporten an den Grenzen zum Irak und zu Syrien ein-
zusetzen;

9. die türkische Regierung dazu zu drängen, die Nachschubwege und die Rück-
zugsgebiete der islamistischen Kämpfer in Syrien und dem Irak zu schließen
und Unterstützung bei der Grenzsicherung anzubieten;
Drucksache 18/2458 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
10. gegenüber Katar und Saudia-Arabien darauf zu drängen, dass diese alle Unter-

stützungsleistungen durch private Geldgeber und Stiftungen an ISIS und deren
Umfeld umgehend unterbinden;

11. zusammen mit den Partnern in der Europäischen Union zügig die Forderung
der Sicherheitsratsresolution 2170 (2014) umzusetzen und die Bewegung von
internationalen terroristischen Kämpfern zu unterbinden;

12. sich für eine europäische Strategie zur Flüchtlingsaufnahme und die Einberu-
fung einer internationalen Flüchtlingskonferenz einzusetzen, die vor allem zum
Ziel hat, dass die Anzahl der Flüchtlinge, die aus der Region von der EU auf-
genommen werden, in einem Maße vervielfacht wird, das die Nachbarländer
Syriens signifikant entlastet.

Berlin, den 1. September 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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