BT-Drucksache 18/2339

Umsetzung der Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto und Zahlungen von "Ghetto-Renten" nach Osteuropa

Vom 13. August 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2339
18. Wahlperiode 13.08.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Inge Höger, Niema Movassat,
Cornelia Möhring, Petra Pau, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Birgit Wöllert
und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten
aus Beschäftigung in einem Ghetto und Zahlungen von „Ghetto-Renten“
nach Osteuropa

Das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto
(ZRBG) sieht Rentenzahlungen an NS-Opfer vor, die in einem Ghetto gearbeitet
haben. Mit der im Juni bzw. Juli 2014 durch Bundestag und Bundesrat beschlos-
senen Änderung des ZRBG wurden die Forderungen vieler Überlebender erfüllt,
die Renten mit Wirkung zum 1. Juli 1997 auszuzahlen bzw. eine Nachzahlung
zu erhalten. Damit wurde auch dem historischen Willen des Gesetzgebers, wie
er bei Verabschiedung des ZRBG im Jahr 2002 formuliert wurde, Rechnung ge-
tragen. Zudem wurde der Geltungsbereich auf solche Ghettos erweitert, die in
einem nicht unmittelbar vom Deutschen Reich beherrschten Gebiet eingerichtet
worden waren, sondern etwa in den mit den Nazis verbündeten Staaten Rumä-
nien, Ungarn, der Slowakei; auch das Ghetto Shanghai ist jetzt inbegriffen
(Ghettos im Gebiet des damaligen Transnistrien waren von den Rententrägern
nach Kenntnis der Fragesteller ohnehin schon mit einbezogen worden).
Probleme, die formal gesehen außerhalb des ZRBG liegen, hat es in der Ver-
gangenheit bei der Auszahlung der „Ghetto-Renten“ an Berechtigte außerhalb
der Europäischen Union (EU) gegeben, wenn mit dem jeweiligen Land kein
Sozialversicherungsabkommen existiert (hinzu kommt noch eine besondere
Problematik von Berechtigten in Polen).
Das Auslandsrentenrecht sah noch bis voriges Jahr vor, dass in diesen Fällen der
Rentenanspruch auf 70 Prozent gekappt wurde. Außerdem gab es nur Renten
auf die eigentliche Beschäftigungszeit, nicht aber auf Ersatzzeiten im Anschluss
an die Beschäftigung. Ehemalige Ghetto-Arbeiterinnen und -Arbeiter haben
dadurch nur einen Bruchteil der Rentensumme bezogen. In einer Beispielrech-
nung aus dem Jahr 2009 nennt die Deutsche Rentenversicherung eine Summe
von 40 Euro, wohingegen sich die durchschnittliche „Ghetto-Rente“ auf
220 Euro beläuft (vgl. www.kiew.diplo.de/contentblob/2647214/Daten/722515/
pdf_ghetto_rente_zusatzinfo.pdf und Vorbemerkung der Bundesregierung auf
eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Bundestagsdrucksache 17/13051).
Die Fragesteller gehen davon aus, dass gerade in der Ukraine, in Belarus sowie
in der Russischen Föderation (Länder, mit denen es kein Sozialversicherungsab-
kommen gibt) einige Tausend ehemalige Ghetto-Beschäftigte wohnen, die auf
diese Weise schlechter behandelt wurden als Überlebende etwa in der EU, in
Israel oder den USA.

Drucksache 18/2339 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Diese Problematik hat sich deutlich entschärft, nachdem voriges Jahr das Gesetz
zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und auslän-
dischen Arbeitnehmern beschlossen wurde (Bundestagsdrucksache 17/13022).
Durch die Streichung des § 113 Absatz 3 und 4 im Sechsten Buch Sozialgesetz-
buch ist jetzt ein Rentenexport unter Berücksichtigung auch der Ersatzzeiten in
100 Prozent Höhe möglich. Nach Kenntnis der Fragesteller soll die Deutsche
Rentenversicherung (DRV) sämtliche Leistungsbezieher informiert und die
Rentenbezüge angeglichen haben. Die Fragesteller begehren diesbezüglich eine
Bestätigung durch die Bundesregierung. Zu klären ist auch, ob die Betroffenen
von den Rententrägern informiert werden, oder ob sie sich von sich aus mit
ihrem Rentenversicherungsträger in Verbindung setzen müssen.
Nach wie vor offen ist die Situation für Ghetto-Überlebende in Polen, weil das
deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen keinen Rentenexport nach
Polen zulässt. In einer Unterrichtung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales
vom 23. Juli 2014 kündigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales an,
dass voraussichtlich im September 2014 in Warschau Verhandlungen über ein
Abkommen stattfinden, mit dem Ziel, die Zahlung von Renten nach dem ZRBG
nach Polen zu ermöglichen. Sollten diese Verhandlungen zu keinem zeitnahen
Ergebnis führen, stellt sich die Frage, ob nicht Alternativen wie etwa einmalige
oder regelmäßige Entschädigungszahlungen erwogen werden müssten.
Zu klären ist darüberhinaus die Frage, wie NS-Opfer, die in Ghettos außerhalb
des früher im ZRBG definierten Geltungsbereichs beschäftigt waren, über die
Erweiterung des Geltungsbereichs informiert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung durch die Änderung des Auslands-

rentenrechts sichergestellt, dass die geschilderte Benachteiligung von
ZRBG-Beziehern in Ländern außerhalb der EU, mit denen kein Sozialver-
sicherungsabkommen besteht, vollständig aufgehoben ist?
Wenn nicht, welche Schwierigkeiten gibt es noch, und wie begegnet die
Bundesregierung diesen?

2. Erhalten ZRBG-Bezieher in Ländern außerhalb der EU, mit denen kein
Sozialversicherungsabkommen besteht, auch in der Praxis (in individueller
Abhängigkeit von Lebensalter und Beschäftigung) die gleichen Bezüge wie
ZRBG-Bezieher in Deutschland oder Ländern, mit denen ein Sozialver-
sicherungsabkommen besteht, oder gibt es für sie noch Formen faktischer
Schlechterstellungen (diese bitte ggf. ausführen), und wenn ja, was unter-
nimmt die Bundesregierung, um diese zu beseitigen?

3. Wie viele ZRBG-Leistungsbezieher leben gegenwärtig in Staaten außerhalb
der EU, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen besteht (bitte die ein-
zelnen Länder jeweils einzeln mit der Zahl der ZRBG-Empfänger auflisten)?

4. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung alle ZRBG-Leistungsbezieher
in Ländern außerhalb der EU, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen
besteht, angeschrieben, um sie über die Erhöhung der Leistungen zu unter-
richten, und wenn nein, warum nicht?

5. Wurden die Bezüge aller ZRBG-Leistungsbezieher in Ländern außerhalb der
EU, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen besteht, neu berechnet
(erhöht), und werden die erhöhten Renten auch tatsächlich ausbezahlt, und
wenn nein, warum nicht?
Inwiefern ist es dabei nötig, dass die Betroffenen von sich aus den Kontakt
mit den Rententrägern suchen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2339
6. Wie hoch fiel nach Kenntnis der Bundesregierung vor Änderung des Aus-
landsrentenrechts eine „Ghetto-Rente“ im Durchschnitt für Bezieher in
Deutschland, Israel und den USA aus, und wie hoch für Bezieher in der Rus-
sischen Föderation, Belarus, der Ukraine und Moldau?
a) Wie hoch fallen die Renten für die genannten verschiedenen Gruppen

heute im Durchschnitt aus?
b) Wie erklärt sich die Bundesregierung allfällige signifikante Unterschiede

in der heutigen Durchschnittshöhe der Leistungen zwischen Ost und
West, und inwiefern versucht sie diesen zu begegnen?

c) Welche Modellrechnungen hierzu existieren bei der Deutschen Renten-
versicherung?

7. Was unternehmen die Bundesregierung bzw. nach ihrer Kenntnis die
Rententräger, um die Erweiterung des räumlichen Geltungsbereiches des
ZRBG unter ehemaligen Ghetto-Beschäftigten bekannt zu machen (bitte die
diesbezüglichen Maßnahmen vollständig aufzählen)?

8. Was unternehmen die Bundesregierung bzw. nach ihrer Kenntnis die
Rententräger, um insbesondere in der Russischen Föderation, in Belarus,
der Ukraine und Moldau darüber aufzuklären, dass die bisherigen Benach-
teiligungen beseitigt sind, um so ggf. frühere Ghetto-Beschäftigte, die bis-
her wegen der faktischen Nutzlosigkeit auf eine Antragstellung verzichtet
hatten, doch noch zu einem Antrag zu ermuntern (bitte die diesbezüglichen
Maßnahmen vollständig aufzählen)?

9. Werden jene ZRBG-Anträge, die in der Vergangenheit deswegen abgelehnt
wurden, weil die Ghettos nicht in dem in der früheren Fassung des ZRBG
definierten Geltungsbereich und auch nicht im (damaligen) Transnistrien
lagen, nun von der DRV selbsttätig neu geprüft, oder müssen die Antrag-
steller von sich aus tätig werden?
a) Wie viele Anträge sind in der Vergangenheit aus dem genannten Grund

abgelehnt worden (bitte hierbei die Verteilung der Ghettos auf die jewei-
ligen Länder angeben)?

b) Falls diese Anträge nun von den Rententrägern neu überprüft werden,
bei wie vielen Anträgen ist dies bereits erfolgt, und bis wann soll die
Überprüfung abgeschlossen sein?

c) Wird eine Neuüberprüfung auch dann durchgeführt, wenn die Antrag-
steller mittlerweile verstorben sind, um die Beträge rückwirkend ab dem
Jahr 1997 an etwaige Hinterbliebene auszuzahlen?

10. Wie viele Neuanträge hat es seit Änderung des ZRBG gegeben, und aus
welchen Ländern stammen die Antragsteller?

11. Wie viele Neuanträge stammen von Antragstellern, die in Ghettos gearbeitet
haben, die im Einflussbereich Nazideutschlands standen, vom bisherigen
Geltungsbereich (nur Ghettos in Gebieten unter deutscher Besatzung bzw.
Deutschland eingegliederten Gebieten inklusive des damaligen Trans-
nistrien) aber nicht erfasst waren, und welche Angaben kann die Bundes-
regierung darüber machen, wie viele dieser Anträge bereits anerkannt bzw.
abgelehnt wurden?

12. Wie viele ZRBG-Bezieherinnen und -Bezieher gibt es derzeit (bitte Hinter-
bliebenenrenten gesondert angeben)?

13. Sind mittlerweile alle ZRBG-Bezieher über die Möglichkeit einer Nach-
zahlung ab dem Jahr 1997 im Sinne der erfolgten Änderung des ZRBG
unterrichtet worden, und wenn nein, bis wann soll dies erfolgen?

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14. Gibt es Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, die auf-
grund ihrer Bestimmungen ebenfalls (rechtliche und/oder praktische)
Schlechterstellungen für ZRBG-Bezieher zur Folge haben, und wenn ja,
welche Länder neben Polen betrifft dies, und was unternimmt die Bundes-
regierung, um Abhilfe zu schaffen?

15. Hat die Bundesregierung für den Fall, dass die Verhandlungen mit Polen
nicht zu einem zügigen Abschluss führen, Überlegungen angestellt, den in
Polen lebenden früheren Ghetto-Arbeitern eine (ggf. weitere) Abschlags-
zahlung ähnlich wie die Anerkennungsleistung zu gewähren, angesichts der
Tatsache, dass die Betroffenen allesamt in einem hohen Alter sind und das
längere Zuwarten auf eine Verhandlungslösung nicht mehr zumutbar er-
scheinen könnte?

16. Gibt es aus Sicht der Bundesregierung völkerrechtliche Hindernisse, die
einer einmaligen oder laufenden, jedenfalls außerhalb des Rentenrechts ge-
regelten, Entschädigungszahlung an frühere Ghetto-Arbeiter, die in Polen
leben, entgegenstehen, und wenn ja, welche sind dies?

17. Verfügt die Bundesregierung über Einschätzungen darüber, inwiefern unter
Roma und Sinti die Regelungen des ZRBG bekannt sind und ob es bei Be-
antragung und Auszahlung entsprechender Zahlungen spezifische Probleme
gibt (bitte ggf. ausführen), und was unternimmt sie ggf. dagegen?

18. Welche Ghettos sind derzeit „anerkannt“ in dem Sinne, dass Beschäfti-
gungen dort zu einer Berechtigung im Sinne des ZRBG führen (bitte die
vollständige „Ghetto-Liste“ übermitteln, die von den Rententrägern benutzt
wird)?

Berlin, den 13. August 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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