BT-Drucksache 18/2322

Erhebung, Ermittlung und Weitergabe personenbezogener Daten durch die Schutzvereinigung für allgemeine Kreditsicherung und anderer Wirtschafts- und Kreditauskunfteien

Vom 8. August 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2322
18. Wahlperiode 08.08.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Eva Bulling-Schröter, Susanna Karawanskij,
Kerstin Kassner, Jutta Krellmann, Jan Korte, Katrin Kunert, Caren Lay, Petra Pau,
Richard Pitterle, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Dr. Sahra
Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Erhebung, Ermittlung und Weitergabe personenbezogener Daten durch die
Schutzvereinigung für allgemeine Kreditsicherung und anderer Wirtschafts-
und Kreditauskunfteien

Ob und zu welchen Konditionen ein Kredit vergeben wird, ein Vertrag über die
Nutzung eines Handys oder die Anmietung einer neuen Wohnung zustande
kommt, ist abhängig davon, wie eine Abfrage bei einer sog. Wirtschafts- und
Kreditauskunftei ausfällt. Wer etwa von der Schutzgemeinschaft für allgemeine
Kreditsicherung (SCHUFA) eine schlechte Zahlungsfähigkeit bescheinigt be-
kommt, wird mitunter von vielen Basisdienstleistungen ausgeschlossen oder
muss zumindest höhere Zinsen, etwa für einen Kredit, bezahlen. Die Bewertung
der Zahlungs- und Kreditwürdigkeit von potenziellen Vertragspartnerinnen und
-partnern funktioniert als Geschäft der Auskunfteien und steht zugleich im
Zeichen der Organisation von Selbsthilfe für Banken, aber auch Telefonanbie-
tern, Versandhandelsunternehmen oder Immobilienfirmen. Diese liefern den
Wirtschafts- und Kreditauskunfteien die personen- und geschäftsbezogenen
Daten über ihre Kundinnen und Kunden und erhalten gegen Zahlung die ent-
sprechenden Bewertungen über die Zahlungs- und Kreditfähigkeit, auf Basis
derer sich zum vermeintlichen Schutz vor Zahlungsausfall spezifische Vertrags-
und Zinskonditionen rechtfertigen lassen. Daten- und Verbraucherschützern
geht die Auskunft entschieden zu weit. Sie warnen vor dem „gläsernen Bürger“,
der zur Realität werde, und sehen den Einzelnen mit unkalkulierbaren Risiken
konfrontiert (Süddeutsche Zeitung vom 11. Mai 2010). Hinzu kommt, dass an
der Verlässlichkeit dieser Bewertungen erhebliche Zweifel bestehen, wie aktu-
elle Medienberichte deutlich machen („ZDFzoom-Dokumentation: Die frag-
würdigen SCHUFA-Methoden“ vom 23. Juli 2014). So sind die hierfür gesam-
melten Daten nicht nur häufig falsch oder unvollständig. Sie werden zudem auf
der Grundlage kritischer Methoden ermittelt und ausgewertet, was oft mit dras-
tischen Folgen für die betroffenen Personen verbunden ist. Nach Auffassung der
Fragesteller besteht in Hinblick auf die hohen Fehlerquoten und das intranspa-
rente und willkürliche Verfahren bei der Auswertung der Daten sowie die
mangelnde Kontrolle und Beaufsichtigung der Wirtschafts- und Kreditaus-
kunfteien erheblicher Aufklärungs- und Regelungsbedarf. Es ist nicht nachvoll-
ziehbar, dass hierzu bislang politisch nichts unternommen wurde, Bürgerinnen
und Bürger einschließlich Gewerbetreibender vor den negativen Folgen im Zu-
sammenhang mit der Ermittlung und Weitergabe ihrer Daten durch privatwirt-
schaftlich organisierte Wirtschafts- und Kreditauskunfteien zu schützen.

Drucksache 18/2322 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wer sind nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland die nach

Marktanteil fünf größten Wirtschafts- und Kreditauskunfteien, und wie
haben sich Umsätze und Gewinne dieser marktführenden Wirtschafts- und
Kreditauskunfteien in den vergangenen zehn Jahren entwickelt (bitte Um-
sätze und Gewinne für die Jahre einzeln und, falls möglich, vor und nach
Steuern ausweisen)?

2. Wer sind nach Kenntnis der Bundesregierung zu welchen Teilen die Anteils-
eigner der Schutzvereinigung für allgemeine Kreditsicherung (SCHUFA)
und der nach Marktanteil größten weiteren vier Wirtschafts- und Kreditaus-
kunfteien (bitte die Anteilseigner entsprechend Wirtschaftsbereichen nach
Unternehmen sowie Kreditinstituten – diese nach Genossenschaftsbanken,
Sparkassen, Privatbanken – aufschlüsseln)?

3. Wie setzt sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Vorstand der
SCHUFA und der nach Marktanteil größten weiteren vier Wirtschafts- und
Kreditauskunfteien zusammen?

4. Bei wem hat die Bundesregierung entsprechend der Äußerung des Parla-
mentarischen Staatsekretärs beim Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz, Ulrich Kelber, in der Sendung „Die fragwürdigen Metho-
den von SCHUFA & Co.“ vom 23. Juli 2014 eine Studie über die SCHUFA
und andere Wirtschafts- und Kreditauskunfteien in Auftrag gegeben, und
wie lautet die konkrete Fragestellung der Studie?
Wann wird diese Studie vorliegen, und wird diese der Öffentlichkeit zu-
gänglich gemacht?

5. Über wie viele Personen liegen nach Kenntnis der Bundesregierung bei den
größten fünf Wirtschafts- und Kreditauskunfteien (einschließlich SCHUFA)
Daten zu Einzelpersonen und deren finanzieller Lage vor (bitte jeweils ein-
zeln angeben)?

6. Welche Institutionen liefern nach Kenntnis der Bundesregierung der
SCHUFA und den anderen Wirtschafts- und Kreditauskunfteien welche
Daten zu Einzelpersonen und deren finanzieller Lage, und wer überprüft die
Richtigkeit dieser Angaben?
Müssen die Angaben zu Einzelpersonen und deren finanzieller Lage nach
Kenntnis der Bundesregierung belegt werden?
Wenn ja, wie umfangreich?

7. Wer überprüft nach Kenntnis der Bundesregierung die Fehlerquellen, die
laut „ZDFzoom“ (Sendung vom 23. Juli 2014) bei den Wirtschafts- und
Kreditauskunfteien und insbesondere bei der SCHUFA systematisch vor-
kommen, wie hoch ist der Anteil von Falschauskünften durch die SCHUFA,
und wie hoch liegt jeweils der Anteil von falschen bzw. fehlerhaften Anga-
ben bei den weiteren nach Marktanteilen größten vier Wirtschafts- und
Kreditauskunfteien?

8. Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung die signifikantesten
Fehlerquellen, bzw. woraus resultieren die häufigsten Fehler bei den Aus-
künften?

9. Auf welcher rechtlichen, vertraglichen oder vereinbarten Grundlage liefern
nach Kenntnis der Bundesregierung Unternehmen und andere Institutionen
persönliche Daten an die Wirtschafts- und Kreditauskunfteien, und welche
Sanktionsmöglichkeiten gibt es, wenn die Datenübermittlung unterbleibt
und/oder fehlerhaft ist?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2322
10. Welche Kreditinstitute in Deutschland sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung nicht der SCHUFA angeschlossen?

11. Welche konkreten Aufgaben und Leistungen umfasst nach Kenntnis der
Bundesregierung das Gegenseitigkeitsprinzip, wonach die SCHUFA für die
angeschlossenen Unternehmen Auskünfte über deren Vertragspartner sam-
melt und diese zum Zweck der Bonitätsbeurteilung auf Anfrage übermittelt?

12. Ist die SCHUFA-Auskunft nach Kenntnis der Bundesregierung auch Grund-
lage für Kreditinstitute, bei Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern mit
negativem Scoring einen höheren Zinssatz für Kredite zu nehmen, als bei
Personen mit einem positiven Scoring, und wie bewertet die Bundesregie-
rung den möglichen Interessenkonflikt, dass so die von den Kreditinstituten
finanzierte SCHUFA Instrumente bereitstellt, um höhere Zinssätze für Kre-
dite zu rechtfertigen?
Welche Kontrollmöglichkeiten gibt es, und wie wird der Verbraucherschutz
effektiv umgesetzt, damit die Kreditinstituten nicht unrechtmäßig zu Lasten
der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer von zu hoch angesetzten Zins-
sätzen profitieren?

13. Wie kontrolliert die Bundesregierung die Modalitäten der Kreditvergabe
– z. B. über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) –
im Hinblick auf die Einschätzung der Kreditwürdigkeit von Personen,
die über die SCHUFA definiert wird?

14. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für Kreditinstitute in öffentlich-
rechtlicher Trägerschaft bei Abschluss von Konto- und Kreditverträgen eine
Möglichkeit, von der Einholung von Bonitätsauskünften bei Wirtschafts-
und Kreditauskunfteien abzuweichen bzw. bestehen Spielräume für struk-
turpolitische oder an das Sozialstaatsgebot geknüpfte Komponenten,
wonach die Eröffnung eines Girokontos oder die Beantragung eines Kredits
jenseits einer SCHUFA-Auskunft anders und/oder weiter gefasst wird?

15. Welche Kriterien werden nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Eröff-
nung eines sog. Jedermann-Kontos sowie der Umwandlung eines Girokon-
tos in ein Konto mit Pfändungsschutzfunktion angelegt, und wonach richten
sich die von den Kreditinstituten erhobenen Entgelte?

16. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend, dass die Eröffnung
eines Kontos mit Pfändungsschutzfunktion, das bei der SCHUFA gemeldet
wird, nicht in das Scoring über die betreffende Person mit eingeht?
Sofern dies zutrifft, wie wird dies von der Bundesregierung kontrolliert?

17. Wie garantiert die Bundesregierung, dass Bürgerinnen und Bürger an-
gesichts der umfassenden Rolle, die u. a. die SCHUFA-Auskunft im Alltag
spielt, davor geschützt werden, bei Kreditbedarf, Kontoeröffnung oder
Deckung der notwendigen oder alltäglichen Bedürfnisse des Lebens, wie
Wohnungsanmietung, Vertragsschließung oder Ankauf, zentral in ihrer
Lebensplanung von der richtigen oder falschen Auskunft und Bewertung
einer von den Kreditinstituten finanzierten Wirtschafts- und Kreditauskunf-
tei abhängig zu werden?

18. Kann die Bundesregierung Städte bzw. dortige Stadtteile oder Regionen be-
nennen, die es nach ihrer Ansicht rechtfertigen, anhand eines GEO-Scores,
die Kreditwürdigkeit von Bürgerinnen und Bürgern allein aufgrund der Tat-
sache einzuschätzen, dass sie dort wohnen (bitte die entsprechenden Städte,
deren Stadtteile oder die entsprechenden Regionen, mit nachteilig sozialer
Segregation auflisten)?

Drucksache 18/2322 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
19. Wenn die Bundesregierung keine sozial segregierten Städte, Stadtteile oder
Regionen benennen kann, die einen GEO-Score rechtfertigen würden,
welchen Sinn macht es dann nach Auffassung der Bundesregierung, dass
die SCHUFA einen GEO-Score mit als zentrales Kriterium für die Kredit-
würdigkeit anwendet?

20. Erfüllt die Anwendung eines GEO-Scores die Anforderung der Diskrimi-
nierungsfreiheit, die jedem Individuum zusteht?
Wenn nein, wird die Bundesregierung gegen die Anwendung eines GEO-
Scores durch die SCHUFA zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit von
Personen vorgehen?
Wenn nicht, warum nicht?

21. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Prozentsatz bei
Wohnungsvermietungen, bei denen eine SCHUFA-Auskunft angefordert
wird?

22. Wie schätzt die Bundesregierung den Anteil bei der Anmietung von Woh-
nungen ein, bei denen keine SCHUFA-Auskunft angefordert wird?

23. Wie schätzt die Bundesregierung die Chance von Menschen mit geringem
Einkommen oder von Erwerbslosen mit Bezug von Arbeitslosengeld nach
dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bei der Wohnungsanmietung ein, wenn
eine SCHUFA-Auskunft verlangt wird, vor dem Hintergrund, dass Men-
schen mit geringem Einkommen im Vergleich zum Durchschnittsverdiener
häufiger eine höhere Privatverschuldung aufweisen, häufiger in Vierteln
wohnen, die einen negativen GEO-Score aufweisen und daher durch ihre
soziale Lage bereits ein hohes Risiko für einen negativen Score durch die
SCHUFA tragen?

24. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass durch die regelhafte Anforde-
rung einer SCHUFA-Auskunft bei der Wohnungsanmietung eine Negativ-
Auslese von Menschen mit geringem Einkommen oder von Erwerbslosen
mit Bezug von Arbeitslosengeld I vom Wohnungsmarkt befördert wird, und
wenn nein, warum nicht?

25. Trägt die mehrheitlich angeforderte SCHUFA-Auskunft bei der Wohnungs-
anmietung nach Ansicht der Bundesregierung zu einer verstärkten sozialen
Segregation am Wohnungsmarkt – vor allem in Ballungsgebieten – bei
(wenn nicht, bitte begründen)?

26. Welche Diskrepanzen sieht die Bundesregierung angesichts der umfassen-
den Bedeutung, welche die SCHUFA-Auskunft im Leben der Bundesbürger
hat, in Hinblick auf das in Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes garantierte
Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gegeben, wonach „jeder das
Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit [hat], soweit er nicht die
Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung
und das Sittengesetz verstößt“?

Berlin, den 6. August 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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