BT-Drucksache 18/2318

Gleichstellungspolitische Ziele und Grundannahmen der Bundesregierung

Vom 8. August 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2318
18. Wahlperiode 08.08.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie
Hein, Sigrid Hupach, Harald Petzold (Havelland), Katrin Werner, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Gleichstellungspolitische Ziele und Grundannahmen der Bundesregierung

In ihrer „Bewertung des nationalen Reformprogramms und des Stabilitätspro-
gramms DEUTSCHLANDS 2014“ hat die Europäische Kommission im Rah-
men des EU-Reformprogramms Europa 2020 Deutschland zum wiederholten
Mal wegen einer strukturellen Diskriminierung von Frauen kritisiert. So moniert
die Europäische Kommission, dass „steuerliche Fehlanreize für Zweitverdiener“
und das „nach wie vor unzureichende Angebot an ganztägigen Kinderbetreu-
ungseinrichtungen und Ganztagsschulen […], das Ehegattensplitting und die
kostenfreie Mitversicherung von nicht berufstätigen Ehepartnern insbesondere
Frauen von einer Erhöhung ihrer Arbeitsstunden ab[halten].“ Demnach ist „die
Zahl der von Frauen im Durchschnitt geleisteten Arbeitsstunden eine der nied-
rigsten in der EU.“
Das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) regelt seit dem Jahr 2001 für die
Bundesverwaltung, dass in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind,
diese bei Einstellungen und Beförderungen bei gleicher Qualifikation bevorzugt
berücksichtigt werden müssen, wenn nicht in der Person eines Mitbewerbers lie-
gende Gründe überwiegen. Dennoch sind Frauen im höheren Dienst und beson-
ders unter den Führungskräften weiter unterrepräsentiert. Mit steigender Hierar-
chieebene sinkt der Frauenanteil in den Verwaltungen weiter, die Frauen stoßen
an die sprichwörtliche „gläserne Decke“. So waren im Jahr 2009 in den obersten
Bundesbehörden 36 Prozent der Beschäftigten im höheren Dienst weiblich.
Gleichzeitig wurden nur 14 Prozent der Abteilungen von Frauen geleitet und nur
3 Prozent der beamteten Staatssekretäre waren Frauen (vgl. Erfahrungs- und
Gremienbericht 2010).
Nun plant die Bundesregierung mit dem „Gesetz für die gleichberechtigte Teil-
habe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft
und im öffentlichen Dienst“ parallel zur Einführung einer Frauenquote für Spit-
zenpositionen der Wirtschaft das BGleiG zu reformieren. Künftig soll es ge-
schlechtsneutral verfasst sein („Geschlechteransprache“). Demnach könnten in
einzelnen Bereichen der Bundesverwaltung, in denen Männer unterrepräsentiert
sind, diese gegenüber Frauen bevorzugt berücksichtigt werden.
Gegen diese Umgestaltung richtet sich die Hauptkritik diverser Arbeitszusam-
menhänge von Gleichstellungsbeauftragten. So kritisiert der interministerielle
Arbeitskreis der Gleichstellungsbeauftragten von etwa 200 Bundesbehörden,
die „Akzentverschiebung“ von der Frauenförderung hin zu einer gleichrangigen
Förderung von Männern“ „verwässere“ „das Ziel der gleichberechtigten Teil-
habe von Frauen“ (Schreiben vom 23. Juni 2014). Ähnlich äußerten sich nach

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Kenntnis der Fragesteller bisher die Gleichstellungsbeauftragten der Berliner
und Brandenburger Jobcenter.
„Zur Frage der Zulässigkeit von Zielquoten für Frauen in Führungspositionen
im öffentlichen Dienst sowie zur Verankerung von Sanktionen bei Nichteinhal-
tung“ hat das Land Nordrhein-Westfalen im Juli 2014 ein Rechtsgutachten von
Prof. em. Dr. Dres. h. c. Hans-Jürgen Papier vorgestellt. Darin vertritt der ehe-
malige Präsident des Bundesverfassungsgerichts die Position, dass „mit einer
Quote Frauen – auch durch eine verhältnismäßige Bevorzugung gegenüber
Männern – nur gleiche Chancen eingeräumt werden sollen“, dass es „aber nicht
darum gehen [soll], in jedem Bereich unabhängig von weiteren Umständen eine
paritätische Verteilung nach Geschlechtern herzustellen“.
Vor diesem Hintergrund der strukturellen Diskriminierung von Frauen und dem
bisher als Referentenentwurf vorliegenden Gesetzentwurf, der einen Paradig-
menwechsel in der Gleichstellungspolitik vollzieht, stellt sich die Frage nach
dem gleichstellungspolitischen Grundverständnis der Bundesregierung.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hält es die Bundesregierung – von Antidiskriminierungspolitik abgesehen –

langfristig für erstrebenswert, alle Arbeitsbereiche im öffentlichen wie im
privaten Sektor geschlechterparitätisch zu besetzen?
Wenn ja, weshalb?

2. Wie will die Bundesregierung alle Arbeitsbereiche im öffentlichen wie im
privaten Sektor geschlechterparitätisch besetzen?

3. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Ungleichbehandlung der Ge-
schlechter durch die bevorzugte Einstellung von Frauen bei gleicher Qualifi-
kation, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe über-
wiegen, rechtlich?

4. Wie wäre im umgedrehten Falle einer Unterrepräsentanz von Männern deren
bevorzugte Einstellung bei gleicher Qualifikation, sofern nicht in der Person
einer Mitbewerberin liegende Gründe überwiegen, rechtlich zu rechtferti-
gen?

5. Teilt die Bundesregierung die im genannten Gutachten von Prof. em. Dr.
Dres. h. c. Hans-Jürgen Papier vertretene Position, dass mit einer Quote
Frauen – auch durch eine verhältnismäßige Bevorzugung gegenüber Män-
nern – nur gleiche Chancen eingeräumt werden sollen, dass es aber nicht
darum gehen soll, in jedem Bereich unabhängig von weiteren Umständen
eine paritätische Verteilung nach Geschlechtern herzustellen?

6. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen bereits in der Vergangen-
heit in obersten Bundesbehörden in Bereichen mit einem Frauenüberhang
Männer eingestellt oder befördert wurden, obwohl Bewerbungen gleich oder
höher qualifizierter Frauen vorlagen?

7. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Frauen in Deutschland struktu-
rell diskriminiert werden?
Wenn ja, wo, und weshalb?

8. Hält es die Bundesregierung auf mittelbare Sicht für denkbar und wahr-
scheinlich, dass es in Deutschland zu einer strukturellen Diskriminierung von
Männern kommen wird?

9. Gibt es bereits Bereiche, in denen eine Unterrepräsentanz von Männern auf
deren strukturelle Diskriminierung zurückzuführen ist?

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10. Liegt die Ursache der Unterrepräsentanz von Männern in Bereichen, in
denen die Bundesregierung eine Erhöhung des Männeranteils anstrebt (wie
etwa bei der Kinderbetreuung), an einer strukturellen Diskriminierung oder
an einer zu geringen finanziellen und gesellschaftlichen Anerkennung der
entsprechenden Arbeit?

11. Wie geht die Bundesregierung bei der geschlechterparitätischen Besetzung
von Gremien nach dem Bundesgremienbesetzungsgesetz mit Menschen
um, die nach dem neuen Personenstandsrecht keiner der beiden Ge-
schlechtskategorien männlich und weiblich zugeordnet sind (sowohl nach
dem 1. November 2013 geborene Intersexuelle sowie ältere Intersexuelle,
die sich das Recht, keiner Geschlechtskategorie anzugehören, gerichtlich
erstritten haben)?

Berlin, den 6. August 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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