BT-Drucksache 18/195

Konsequenzen aus der Abmahnwelle gegen Nutzerinnen und Nutzer des Videostream-Portals Redtube.com

Vom 17. Dezember 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/195
18. Wahlperiode 17.12.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder,
Sigrid Hupach, Ulla Jelpke, Harald Petzold (Havelland), Kersten Steinke,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Konsequenzen aus der Abmahnwelle gegen Nutzerinnen und Nutzer
des Videostream-Portals Redtube.com

Anfang Dezember 2013 wurde bekannt, dass die U+C Rechtsanwälte
URMANN + COLLEGEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (U+C) im Auftrag
der „The Archive AG“ massenhaft Abmahnungen an Nutzerinnen und Nutzer
des Videostreaming-Dienstes Redtube.com verschickt hat und sie darin wegen
einer Urheberrechtsverletzung zu einer Zahlung von 250 Euro (169,50 Euro An-
waltskosten, 65 Euro Ermittlungskosten und 15,50 Euro Schadensersatz für die
Urheberrechtsverletzung) und der Abgabe einer Unterlassungserklärung auffor-
derte (www.lawblog.de/index.php/archives/2013/12/06/streaming-abmahnung-
mit-vielen-fragezeichen/). Schätzungen gehen davon aus, dass eine fünf-
stellige Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern eine solche Abmahnung erhalten
haben (https://netzpolitik.org/2013/der-dreifache-skandal-der-uc-streaming-
abmahnungen/). Trotz des im Oktober 2013 in Kraft getretenen Gesetzes gegen
unseriöse Geschäftspraktiken kommt es also wieder zu einer Abmahnwelle.
Beachtenswert an dieser Abmahnwelle ist auch, dass zum ersten Mal Nutzerin-
nen und Nutzer eines Videostream-Portals massenhaft abgemahnt werden. Ob
das reine Betrachten eines Videostreams eine urheberrechtsrelevante Vervielfäl-
tigung ist, ist rechtlich allerdings umstritten und nicht abschließend geklärt.
Einige Juristen argumentieren, dass die Zwischenspeicherung im Cache des In-
ternetbrowsers eine Vervielfältigung darstellt. Dem wird entgegengehalten, dass
sich das Betrachten eines Videostreams nicht vom Betrachten einer DVD unter-
scheidet. Das Abspielen von DVDs stellt keine Urheberrechtsverletzung dar,
auch wenn die Nutzerin oder der Nutzer weiß, dass es sich um eine Raubkopie
handelt. Doch selbst wenn das reine Betrachten eines Videostreams als Verviel-
fältigung angesehen wird, könnten Schrankenregelungen, wie beispielsweise in
§ 44a des Urhebergesetzes (UrhG) vorgesehen, greifen.
Trotz der rechtlichen Unklarheit hat das Landgericht Köln angeordnet, dass der
Internet Service Provider der Nutzerinnen und Nutzer die Nutzerdaten heraus-
zugeben hat. In der Begründung heißt es: „Durch das öffentliche Zugänglich-
machen des geschützten Werkes zu den aus der Anlage ersichtlichen Zeit-
punkten über eine sogenannte Tauschbörse liegt zudem eine Rechtsverletzung
im Sinne vom Paragraf 19a Urheberrechtsgesetz vor.“ (www.golem.de/news/u-
c-abmahnung-gericht-hat-streaming-und-p2p-verwechselt-1312-103257.html).
Vermutlich ging das Gericht fälschlicherweise davon aus, dass es sich nicht um
einen Videostreaming-Dienst handele, sondern um eine Tauschbörse. Es kann
berechtigt davon ausgegangen werden, dass der Fall ungeprüft durchgewinkt
wurde (www.internet-law.de/2013/12/warum-die-streaming-abmahnungen-der-
rechtsanwaelte-uc-unwirksam-sind.html).

Drucksache 18/195 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wie „The Archive AG“ an die IP-Adressen der einzelnen Nutzerinnen und Nut-
zer gelangen konnte, ist derzeit noch unklar. Da es sich um einen Videostream-
Portal handelt, sind die bei Tauschbörsen üblichen Methoden zur Ermittlung ei-
ner IP-Adresse nicht wirksam. Dass Redtube.com die Daten selbst herausgege-
ben hat, erscheint eher unwahrscheinlich, da das Unternehmen seinen Sitz in den
USA hat. Es gibt daher die Vermutung, dass sich „The Archive AG“ zum Bei-
spiel über einen Computervirus oder über die Weiterleitung ähnlich lautender
Domains die IP-Adressen beschafft hat. Es steht also zu befürchten, dass auf
rechtlich fragwürdige Methoden zurückgegriffen wurde (www.golem.de/news/
redtube-com-von-u-c-streaming-abmahnung-sind-ueber-10-000-betroffen-1312-
103226.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hält die Bundesregierung das reine Betrachten eines Videostreams für eine

urheberrechtlich relevante Vervielfältigung?
Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen hält die Bundesregierung dies für
illegal und damit abmahnwürdig?

2. Sieht die Bundesregierung Bedarf, rechtlich verbindlich zu regeln, ob das
reine Betrachten eines Videostreams eine Vervielfältigung darstellt?
Wenn ja, gibt es dafür bereits konkrete Pläne?

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Vorgehen der Anwaltskanzlei U+C vor dem Hintergrund, dass das
Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, Massenabmahnungen eigentlich
unterbinden sollte und eine Deckelung der Anwaltskosten zum Ziel hatte?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Auswirkungen des Geset-
zes gegen unseriösen Geschäftspraktiken, insbesondere in Bezug auf Mas-
senabmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen im Internet?

5. Sieht die Bundesregierung Bedarf, weitergehende Regelungen einzuführen,
um Massenabmahnungen, wie die der Anwaltskanzlei U+C, zu unterbinden?
Wenn ja, welche Regelungen wären dies?

6. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der möglicherweise rechtlich fragwürdigen Beschaffung der IP-Adressen
der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer durch „The Archive AG“?

7. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Anordnung des Landgerichts Köln, Nutzerdaten herauszugeben, ob-
wohl die rechtliche Frage, ob das reine Betrachten eines Videostreams eine
Urheberrechtsverletzung darstellen kann, rechtlich nicht abschließend ge-
klärt ist?

8. Sieht die Bundesregierung Bedarf, Gerichten eine Einzelfallprüfung bei Aus-
kunftserteilungen unter Verwendung der Verkehrsdaten vorzuschreiben, um
ungerechtfertigte Abmahnungen zu vermeiden?

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, sich gegen eine unberech-
tigte Abmahnung zur Wehr zu setzen, vor dem Hintergrund, dass der Auftrag-
geber der Anwaltskanzlei U+C die „The Archive AG“ seinen Sitz in der
Schweiz hat?

Berlin, den 17. Dezember 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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