BT-Drucksache 18/1732

Kenntnis der Bundesregierung über Vorbereitungen einer "Geheimarmee" Anfang der 1950er-Jahre und Konsequenzen hieraus

Vom 6. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1732
18. Wahlperiode 06.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau,
Harald Petzold (Havelland), Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Kenntnis der Bundesregierung über Vorbereitungen einer „Geheimarmee“
Anfang der 1950er-Jahre und Konsequenzen hieraus

Nach Forschungen des Historikers Dr. Agilolf Keßelring hat es in der Bundes-
republik Deutschland Anfang der 1950er-Jahre massive Bestrebungen zum
illegalen Aufbau einer militärischen Truppe gegeben, in die mindestens 2 000
ehemalige Offiziere der Wehrmacht involviert waren („Die Organisation Gehlen
und die Verteidigung Westdeutschlands“, www.uhk-bnd.de/wp-content/
uploads/2013/05/UHK-BND_Bd3_online.pdf). Das „amerikanisch initiierte“
Unternehmen sei der damaligen Bundesregierung unter Bundeskanzler
Dr. Konrad Adenauer nicht nur bekannt gewesen, sondern von ihr unterstützt
worden, um für den Fall eines Krieges gegen die DDR einen eigenständigen
deutschen Kampfbeitrag leisten zu können – und das bereits etliche Jahre vor
Gründung der Bundeswehr und obwohl solche Bestrebungen damals illegal
waren. Anstatt gegen die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere vorzugehen, wurden
führende Angehörige dieses Geheimclubs in der später gegründeten Bundes-
wehr auf hohe Posten gesetzt.
Die Initiative für das Projekt ging vom ehemaligen Offizier der Wehrmacht
Albert Schnez aus, der später Heeresinspekteur der Bundeswehr wurde. Sein
Ziel war die Aufstellung einer Truppe von 40 000 ehemaligen Wehrmachts-
soldaten für einen Krieg gegen die DDR und zur Bekämpfung westdeutscher
Kommunisten. Dazu hat Albert Schnez eine Namensdatei angelegt, die Namen
von 2 000 bis 3 000 ehemaligen Wehrmachtsoffizieren umfasst habe. Hinzu ka-
men 8 000 weitere ehemalige Soldaten, die von den Plänen aber nicht unterrich-
tet worden waren.
Die notwendigen Waffen sollte Anton Grasser, ehemaliger Wehrmachtsgeneral
und nach 1950 Generalinspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder, besor-
gen, dazu hätten auch Maschinengewehre und Granatwerfer gehört. Zu den Per-
sonen im Umfeld von Albert Schnez soll auch der SS-Mann Otto Skorzeny ge-
hört haben.
Geführt wurden diese Bestrebungen von der Organisation Gehlen, dem Vorgän-
ger des Bundesnachrichtendienstes (BND).
Hervorzuheben bei diesen Planungen ist, dass es sich nicht um reine Phantasie-
gebilde handelte, wie damals in der Szene von Altnazis und Militaristen nicht
unüblich, sondern um offiziell abgesegnete, relativ weit fortgeschrittene Planun-
gen. Dr. Agilolf Keßelring schreibt dazu: „Fünf Jahre vor dem NATO-Beitritt

Drucksache 18/1732 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
der Bundesrepublik Deutschland gab es bereits eine national organisierte Miliz-
formation mit Verteidigungsaufgaben.“ Unter anderem waren laut Dr. Agilolf
Keßelring bereits „Depots mit Lebensmitteln und Betriebsstoff“ angelegt wor-
den.
Von einer Stunde Null bei Gründung der Bundeswehr könne keine Rede mehr
sein. Vielmehr, so Dr. Agilolf Keßelring, müsse nun danach gefragt werden,
welchen Einfluss dieser frühe Vorläufer der Bundeswehr auf deren innere Ver-
fasstheit gehabt habe. Dr. Agilolf Keßelring verweist unter anderem darauf, dass
Albert Schnez, obwohl in der Wehrmacht nur Oberst, 1957 als Brigadegeneral
in die Bundeswehr eingestellt wurde – offenbar eine Belohnung für dessen – es
sei wiederholt: rechtswidrige – Tätigkeiten. Als Inspekteur des Heeres stellte
sich Albert Schnez gegen Ende seiner militärischen Laufbahn strikt gegen die
Prinzipien der inneren Führung (vgl. Studie „Gedanken zur Verbesserung der in-
neren Ordnung des Heeres“).
Die Fragesteller halten es für eine fällige Konsequenz, dass die Bundesregierung
den Berichten mit Hochdruck nachgeht und die Traditionspolitik der Bundes-
wehr überprüft.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hatte die Bundesregierung schon vor Veröffentlichung der Arbeit von

Dr. Agilolf Keßelring Kenntnis über die Bestrebungen von Albert Schnez,
und wenn ja, seit wann und aus welchen Quellen?

2. Welche über den Bericht von Dr. Agilolf Keßelring hinausgehenden Kennt-
nisse hat die Bundesregierung darüber,
a) dass ehemalige Wehrmachtsoffiziere schon mehrere Jahre vor der Aufstel-

lung der Bundeswehr Bestrebungen zum gleichsam „privaten“ Aufbau
einer (west-)deutschen Streitmacht unternommen haben (bitte möglichst
Angaben dazu machen, wer die Initiatoren waren, welche konkreten
Schritte diese unternommen hatten, wie weit die Umsetzung des Vor-
habens gediehen war, in welchem Umfang die damalige Bundesregierung
Kenntnis von dem Vorhaben hatte und wie sie hierüber mit den Initiatoren
kommunizierte),

b) dass die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Dr. Konrad
Adenauer das von Albert Schnez betriebene Projekt zur Aufstellung einer
Miliz aus bis zu 40 000 Mann unterstützt hat?

3. Ist der Bundesregierung bekannt, ob außer dem Bundeskanzler Dr. Konrad
Adenauer und der Organisation Gehlen/dem BND weitere deutsche Behör-
den Kenntnis von dem Vorhaben hatten (bitte ggf. näher ausführen)?

4. Inwieweit gab es nach Kenntnis der Bundesregierung personelle oder organi-
satorische Verbindungen zwischen dem von Albert Schnez geschaffenen
Kader einer Geheimarmee und der später als Stay-Behind-Organisation des
BND bzw. als „Gladio“ bekannt gewordenen NATO-Geheimtruppe?

5. Wie viele der 2 000 bis 3 000 ehemaligen Wehrmachtsoffiziere, die laut
„DER SPIEGEL“ (Ausgabe 20/2014) in Albert Schnez’ Unternehmen ein-
geweiht waren, sind der Bundesregierung im Einzelnen bekannt, und um
welche Offiziere handelt es sich dabei (bitte vollständig anführen)?
Welche dieser Offiziere wurden später in die Bundeswehr aufgenommen
(bitte mit letztem Dienstrang in der Wehrmacht angeben)?
Wie viele ehemalige Angehörige der Waffen-SS waren nach Kenntnis der
Bundesregierung in die Pläne eingeweiht, und welche von diesen wurden
später in die Bundeswehr aufgenommen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1732
6. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der BND Albert Schnez auch fi-
nanziell oder materiell unterstützt hat, und wenn ja, um welche Summen für
welchen Verwendungszweck handelte es sich nach ihrer Kenntnis?
Welche Kosten entstanden nach ihrer Kenntnis für die Bereitstellung der
Depots, und was genau war darin gelagert (bitte Mengen angeben)?

7. Welche Firmen und Privatpersonen spendeten nach Kenntnis der Bundes-
regierung an die Schnez-Organisation (bitte soweit möglich Spender, Jahr,
Art der Spende und ggf. deren Wert angeben)?

8. Welche Unterstützung hat es für die Schnez-Organisation nach Kenntnis der
Bundesregierung von ausländischen Behörden oder Unternehmen gegeben
(bitte soweit möglich Art und ggf. Wert der Unterstützung angeben)?

9. Hat es von Seiten der Bundesbehörden jemals Versuche gegeben, strafrecht-
lich gegen Albert Schnez und seine Mitstreiter vorzugehen, und wenn ja,
welche und welchen Verlauf haben sie genommen?

10. Hat es nach Kenntnis der Bundesregierung gegen Angehörige der Organisa-
tion von Albert Schnez jemals dienstrechtliche Sanktionen oder Untersu-
chungen wegen eines möglichen Dienstvergehens gegeben (bitte angeben,
gegen wen, von welcher Behörde und mit welchem Ergebnis das Verfahren
geführt wurde)?

11. Hat die Organisation Schnez nach Kenntnis der Bundesregierung tatsäch-
lich Bürgerinnen und Bürger bzw. Politikerinnen und Politiker beobachtet
bzw. „Warnlisten“ verfasst, und wenn ja, wie viele, aus welchem Spektrum
und wen?
Sind Bundesbehörden schriftlich von der Beobachtung bzw. deren Er-
gebnissen unterrichtet worden, und falls ja, wo sind diese Schriftsätze ver-
blieben?

12. Inwieweit hat man vonseiten der Organisation Gehlen und später des BND
die von den Alliierten als verbrecherische Organisation verbotene SS noch
als bestehend oder jedenfalls wirkmächtig angesehen, auf welche persön-
lichen Netzwerke und Zusammenschlüsse (auch solche im Untergrund) be-
zog man sich bei dieser Einschätzung in der Organisation Gehlen bzw. im
BND, und wie weit waren diese SS-Angehörigen in polizeiliche und politi-
sche Funktionen eingebunden, um nach einer aus der Organisation Gehlen
kolportierten Äußerung „ein Faktor“ sein zu können, dessen Auffassungen
man vor einem Entschluss sondieren müsse?

13. Welche Verbindungen hatte Albert Schnez nach Kenntnis der Bundesregie-
rung zu rechtsextremen und neofaschistischen Kreisen?

14. In welchem Zusammenhang stand nach Kenntnis der Bundesregierung die
Schnez-Organisation mit dem „Bund Deutscher Jugend“?

15. Welche allgemeinen Auswirkungen hatte nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die Mitgliedschaft in der Schnez-Organisation auf die späteren Bun-
deswehrkarrieren dieser Mitglieder?

16. Wie viele Mitglieder der Schnez-Organisation sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung nach 1955 in die Bundeswehr eingetreten?

17. Inwiefern wird Albert Schnez und den möglicherweise ebenfalls in die
Pläne eingeweihten Adolf Heusinger und Hans Speidel (vgl. DER
SPIEGEL 20/2014) vonseiten der Bundeswehr ein ehrendes Gedenken zu-
teil (bitte Angaben über Äußerungen zu diesen ehemaligen Wehrmachts-
und Bundeswehroffizieren auf der Homepage und in Veröffentlichungen
der Bundeswehr zusammenfassen), und inwiefern sieht die Bundesregie-

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rung nach der Aufdeckung der Aktivitäten von Albert Schnez Veranlassung
dazu, die Erinnerung an diese zu modifizieren?
Inwiefern gilt dies auch für andere, in Albert Schnez’ Aktivitäten einge-
weihte bzw. sie unterstützende (spätere) Angehörige der Bundeswehr?

18. Inwiefern war ggf. auch der Oberst i. G. a. D. Adolf Graf Kielmansegg aus
dem damaligen Amt Blank in die Pläne von Albert Schnez eingeweiht, und
welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hieraus für die Eh-
rung Adolf Graf Kielmanseggs durch die Bundeswehr?

19. Nach welchen der Generäle, die an den Plänen beteiligt waren, sind Kaser-
nen der Bundeswehr benannt, und inwiefern hält die Bundesregierung eine
Umbenennung für erforderlich eingedenk ihrer Äußerung, Soldaten mit
Wehrmachtsvergangenheit erschienen ihr nur dann „als Namensgeber
geeignet, wenn diese als Gründerväter der Bundeswehr am Aufbau unseres
demokratischen Rechtsstaats und der Verankerung der Bundeswehr in der
Demokratie aktiv mitgewirkt haben“ (Antwort der Bundesregierung auf
Bundestagsdrucksache 17/6202, zu Frage 10) und der Tatsache, dass die
geschilderten Aktivitäten Anfang der 1950er-Jahre nach Auffassung der
Fragesteller rechtswidrig waren?

20. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Berichten für die
Erinnerungspolitik der Bundeswehr, insbesondere hinsichtlich der mög-
lichen Beteiligung der namentlich erwähnten ehemaligen Wehrmachts- und
späteren Bundeswehroffiziere?

21. Welche Anstrengungen wird die Bundesregierung unternehmen, um ge-
nauer zu eruieren, wie sich die damalige Bundesregierung unter Bundes-
kanzler Dr. Konrad Adenauer zu diesen Aktivitäten positioniert hat und aus
welcher Motivation heraus?

22. Sieht sich die Bundesregierung nun veranlasst, die Traditionspolitik der
Bundeswehr, insbesondere die Übernahme ehemaliger Offiziere der Wehr-
macht, die sich trotz aller NS-Verbrechen an ihren auf Adolf Hitler geleiste-
ten Eid gebunden fühlten, kritisch zu hinterfragen?
Welche Maßnahmen will sie ggf. hierzu, außer einer Wiederholung des Tra-
ditionserlasses, konkret ergreifen?

23. Nachdem mehrere Bundesministerien und Bundesbehörden, wie etwa das
Bundeskriminalamt und der BND, eine Aufarbeitung ihrer Frühgeschichte
und des Einflusses von nationalsozialistisch belastetem Personal auf die
eigene Behördenarbeit vorgenommen bzw. eingeleitet haben, sieht die
Bundesregierung eine Veranlassung, vergleichbare Untersuchungen auch
für den Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung und die Bundes-
wehr zu fördern (bitte begründen)?

24. Welche Aktivitäten will die Bundesregierung generell unternehmen (inklu-
sive der Förderung von Forschungen), um den aufgeworfenen Fragen sowie
der Kenntnis der damaligen Bundesregierung nachzugehen, und bis wann
will sie entsprechend tätig werden?

Berlin, den 5. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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