BT-Drucksache 18/1645

Widerruf der Zustimmung zur fortgesetzten Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen)

Vom 4. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1645
18. Wahlperiode 04.06.2014

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, Katrin Kunert,
Dr. Ale ander . eu, an an Aken, e i Da delen, Dr. Diether Deh ,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der
Fraktion DIE LINKE.

Widerruf der Zustimmung zur fortgesetzten Entsendung bewaffneter deutscher
Streitkräfte auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf
kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Am 27.3.2014 wurden durch die Veröffentlichung eines Gesprächsmittschnitts
die Pläne von türkischer Regierung und Generalstab bekannt, mittels eines fin-
gierten Überfalls auf türkisches Territorium einen Grund für eine Intervention
in Syrien zu schaffen. Die Pläne belegen, dass die türkische Führung bereit ist,
die eigene und die Weltöffentlichkeit, und auch ihre eigenen Verbündeten, in
zentralen Fragen des Friedens und der internationalen Sicherheit zu täuschen
und zu hintergehen. Der offensichtlich geplante Gebrauch einer Kriegslüge
missachtet die grundlegendsten Normen des internationalen Rechts. Dieser
Vorgang wird vom Deutschen Bundestag auf das Schärfste verurteilt.

2. Das kriminelle Verhalten von zentralen Akteuren der türkischen Führung ent-
zieht der Mission Active Fence und deren Begründung (Bundestagsdrucksache
18/262) die politische Basis. Der Mandatstext 18/262 leitet den Beschluss des
NATO-Rates zur Stationierung von PATRIOT-Abwehrraketen explizit aus der
von türkischer Seite „dargelegte[n] Bedrohung der Unversehrtheit des türki-
schen Territoriums“ her. Diejenigen, die die Bedrohungssituation „darlegen“,
erweisen sich nunmehr gleichzeitig als Fälscher. Das ist mit dem Anspruch auf
Mandatswahrheit unvereinbar. Eine Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit
mit der türkischen Regierung und der türkischen Militärführung ist nicht gege-
ben.

3. Angesichts solcher Kriegsplanungen von türkischer Seite ist die Wahrschein-
lichkeit erheblich gestiegen, dass deutsche Soldaten in einen so entstehenden
Konflikt hineingezogen werden können. Die Bundesrepublik Deutschland ist
durch das Grundgesetz aber in besonderem Maße angehalten, Verantwortung
für die Verhinderung von Kriegen zu übernehmen (Artikel 26 GG).

II. Der Deutsche Bundestag widerruft gemäß § 8 des Parlamentsbeteiligungsge-
setzes seine Zustimmung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte

Drucksache 18/1645 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

an der NATO-geführten Mission Active Fence in der Türkei (Bundestags-
drucksache 18/262).

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Operation Active
Fence sofort zu beenden. Die Einheiten der Bundeswehr und ihre Waffen sind
aus der Türkei abzuziehen;

2. sich im NATO-Rat für eine Verurteilung der betrügerischen Planungen der
türkischen Regierung einzusetzen und auf die sofortige Beendigung der Missi-
on Active Fence zu drängen;

3. die noch nicht verausgabten einsatzbezogenen Zusatzkosten für den genannten
Streitkräfteeinsatz im Haushaltsjahr 2014 für die Erleichterung der humanitä-
ren Lage der Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens einzusetzen.

Berlin, den 4. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Schon seit Ende des Jahres 2011 arbeitet die türkische Regierung an der Unterlegung ihrer Behauptung, die
Türkei werde durch Syrien und seine Streitkräfte bedroht. Der Verdacht, die türkische Regierung erschleiche
sich das Mandat mit gefälschten Angaben, lag schon bei der Zustimmung zur Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der NATO-geführten Mission Active Fence nahe. Anlass der Erklärung der Bedrohung
der Türkei im Sinne von Artikel 4 des Nordatlantikvertrages war der vermeintliche Abschuss eines türkischen
Aufklärungsflugzeuges und später der angebliche Granatbeschuss durch die syrische Armee. Wie sich kurze
Zeit später herausstellte, wichen die Erkenntnisse der NATO erheblich von den offiziellen Angaben der Tür-
kei über den Abschuss des türkischen Flugzeuges vom 22. Juni 2012 ab. Auch im Falle des angeblichen
Beschusses türkischen Bodens durch Granaten der syrischen Armee im Oktober 2012 sind binnen kürzester
Zeit Ungereimtheiten klar geworden. Nach den Anschlägen von Reyhanli wurden ausnahmslos türkische
Staatsbürger wegen der Tat verhaftet, obwohl die türkische Regierung beständig Syrien dafür verantwortlich
machte. Es ist zu konstatieren, dass die offiziell angegebenen Gründe für den PATRIOT-Einsatz auf Behaup-
tungen basierten, die sich später als falsch herausstellten.

Die Bundesregierung wollte jedoch keine eigene Untersuchung der Zwischenfälle durchführen lassen, son-
dern übernahm – und übernimmt – kritiklos und willfährig die Darstellungen der türkischen Regierung. Auch
die von der Bundeswehrführung im Bundestag angeführten Zahlen des türkischen Generalstabs zu angebli-
chen 94 Toten und 309 verwundeten Opfern syrischer Angriffe seit 2011 halten einer genaueren Betrachtung
nicht stand (vgl. Verteidigungsausschussdrucksache 18(12)35, zu Frage 6).

Nun wird offenbar, dass die Erdo an-Regierung auch nicht davor zurückschreckt, sich selbst aktiv eine Be-
drohung zu organisieren. Die betroffenen Personen haben grundsätzlich bestätigt, dass der Mittschnitt ihres
Gesprächs, der am 27. März des Jahres auf der Internetplattform „YouTube“ veröffentlicht wurde, echt ist.
Die jüngsten drakonischen Einschnitte in das Recht auf Informationsfreiheit in der Türkei, u. a. im Zusam-
menhang mit der Veröffentlichung dieses Gesprächsausschnittes, zeigen darüber hinaus, zu welchen aus-
ufernden Maßnahmen die Regierung Erdo an und das Militär fähig sind, um eigene Rechtsbrüche in Inneren
wie im Äußeren zu vertuschen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1645

Vor diesem Hintergrund würde die fortgesetzte Stationierung der PATRIOT-Batterien nicht nur eine fakti-
sche Zustimmung der Bundesregierung zur Praxis der Erfindung von Kriegslügen darstellen. Die weitere
Anwesenheit der PATRIOTS könnte darüber hinaus die türkische Regierung auch ermutigen, solche geplan-
ten Provokationen tatsächlich in die Tat umzusetzen, aus der Sicherheit heraus, dass ein etwaiger Gegen-
schlag dann abgefangen würde.

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