BT-Drucksache 18/1614

Umwidmung nicht genutzter Bundesmittel der United Nations Mission in South Sudan (UNMISS) für die Unterstützung des unbewaffneten Schutzes der Zivilbevölkerung im Südsudan

Vom 4. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1614
18. Wahlperiode 04.06.2014

Antrag
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
hristine Buchhol , evi Da delen, Dr. Diether Deh , Annette Groth,
Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich, Katrin Werner und
der Fraktion DIE LINKE.

Umwidmung nicht genutzter Bundesmittel der United Nations Mission in
South Sudan (UNMISS) für die Unterstützung des unbewaffneten Schutzes
der Zivilbevölkerung im Südsudan

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die im Dezember 2013 ausgebrochenen Kämpfe zwischen der Armee des Süd-
sudan unter dem amtierenden Präsidenten Salva Kiir und verschiedenen Rebellen-
gruppen und abgespaltenen Armeeeinheiten unter dem früheren Regierungschefs
Riek Machar wurden entlang ethnischer Linien blutig eskaliert. Auch nach dem
vereinbarten Waffenstillstand gehen die Kämpfe vereinzelt weiter und ein erneuter
Ausbruch der Kämpfe im großen Maßstab ist zu befürchten. Leidtragende dieser
Entwicklung war und ist die Zivilbevölkerung des Südsudan.

Die Kämpfe zum Jahreswechsel 2013/2014 waren in ihrem landesweiten Ausmaß
mit bis zu 800 000 internen Flüchtlingen besonders schwerwiegend, sie reihen sich
jedoch in eine lange Reihe ähnlicher Auseinandersetzungen ein. Seit dem
Comprehensive Peace Agreement (CPA) von 2005 kam es immer wieder zu be-
waffneten Aufständen von Gruppierungen der Sudan People’s Liberation Army
(SPLA) oder anderen bewaffneten Akteuren, die in der Regel durch Amnestiean-
gebote und die Integration der Kämpfenden in die SPLA beendet wurden. Die
zugrundeliegenden Konflikte wurden jedoch nicht gelöst. Immer wieder kommt es
zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen auch durch die SPLA.

Der United Nations Mission in Sudan (UNMIS) und ihrer Nachfolgemission Uni-
ted Nations Mission in South Sudan (UNMISS) ist es trotz eines Jahresbudgets von
zuletzt 924 Mio. USD und einer Personalstärke von bis zu 7 000 Soldaten und bis
zu 900 Polizisten nicht gelungen, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleis-
ten. Die Programme zur Sicherheitssektorreform (Security Sector Reform, SSR)
sowie zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Kämpfern
(Disarmament, demobilization and reintegration, DDR) haben nicht zu einer Redu-
zierung der Bewaffnung und der Soldaten geführt. Die Anzahl von Kämpfern in
der SPLA ist stattdessen von geschätzten 160 000 im Jahr 2009 auf 210 000 im
Jahr 2012 angestiegen. Die Ausgaben für den Unterhalt hierfür entsprachen im Jahr
2013 etwa 40 Prozent des gesamten Staatshaushalts.

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Nach dem Tod von etwa 2 000 Menschen im Jonglei State zum Start von UNMISS
hat diese den „Schutz von Zivilisten“ zum Schwerpunkt ihrer Aktivitäten erklärt
und eine entsprechende Strategie vorgelegt. Tatsächlich hat UNMISS mit dem
Öffnen ihrer Stützpunkte für etwa 65 000 Vertriebene auch in den aktuellen Kämp-
fen einen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung geleistet. Angesichts der im
UNMISS-Mandat festgehaltenen Zusammenarbeit mit der Regierung des Südsu-
dans hatte sie außerhalb der Stützpunkte jedoch kaum Wirkung, da diese Konflikt-
partei ist und UNMISS den Zugang zur schutzbedürftigen Zivilbevölkerung regel-
mäßig verweigert.

Dies kam nicht überraschend, hatte doch eine Evaluation der UNMISS und ihrer
Strategie zum „Schutz von Zivilisten“ durch die niederländische Clingendael
Conflict Research Unit (CRU) im Januar 2013 festgestellt, dass UNMISS vor al-
lem mit politischen und zivilen Initiativen erfolgreich war, das scheinbare Verspre-
chen eines militärischen Schutzes jedoch nicht einhalten kann. CRU empfahl daher
die radikale Reduzierung der militärischen Komponente und Aufstockung der zivi-
len und politischen Kapazitäten von UNMISS. Mit der unter dem Eindruck des
Angriffs auf den UNMISS-Stützpunkt in Akobo beschlossenen Aufstockung des
Militärpersonals auf bis zu 12 500 Soldaten wird UNMISS zwar vielleicht die ei-
genen Basen besser schützen können, ein militärischer Schutz der Bevölkerung ist
jedoch weiterhin nicht möglich.

Deutschland unterstützt UNMISS im Rahmen der Pflichtbeiträge an den
Peacekeeping-Haushalt der Vereinten Nationen und trägt so 7,141 Prozent der
Missionskosten. Für den Zeitraum 2013/2014 wurden dafür bis Ende Januar 2014
73,4 Mio. Euro gezahlt. Darüberhinaus wird die militärische Komponente der
UNMISS seit dem Start der Mission in 2011 auch direkt durch Soldaten der Bun-
deswehr mitgetragen. Allerdings wurden die eingestellten Mittel in jedem Jahr nur
zu etwa einem Drittel von der Bundeswehr abgerufen. Ausgaben im Jahr 2011: 0,2
Mio. Euro; im Jahr 2012: 0,6 Mio. Euro von geplanten 1,8 Mio. Euro im Jahr
2013: rund 554 000 Euro von beantragten 1,7 Mio. Euro (vgl. Bundestagsdrucksa-
che 17/14491). Allein in 2013 wurden so fast 1,2 Mio. Euro für den Bundeswehr-
beitrag zur UNMISS nicht abgerufen.

Im Südsudan gibt es eine Reihe ziviler Akteure, die sich unbewaffnet und deutlich
effizienter als UNMISS für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen und damit
große Wirkung erzielen. Zu ihnen gehört Nonviolent Peaceforce (NP), eine Orga-
nisation, die mit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in sechs Bundesstaaten
lokale Schutznetzwerke aufgebaut hat. Diese lokalen Schutzgruppen haben einen
wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass es trotz der Kämpfe auch in vielen ethnisch
gemischten Nachbarschaften ruhig blieb. Dinka schützten Nuer und Nuer schützten
Dinka. Die Teams der Nonviolent Peaceforce sorgten in den Flüchtlingslagern für
Sicherheit, überprüften Gerüchte über Gräueltaten und halfen Spannungen zu de-
eskalieren und Konflikte zu klären. Seit Abklingen der Kämpfe begleiten sie wie-
der die Migration der Viehherden, die in früheren Jahren immer wieder zu bewaff-
neten Auseinandersetzungen zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern mit hunder-
ten Toten geführt haben. Auch die Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge und
die Ermöglichung von Verhandlungen und Versöhnungsprozessen erfordert eine
Präsenz in der Fläche, die nur durch eine Vielzahl lokaler Initiativen aufrechter-
halten werden kann.

Diese örtlichen Initiativen haben sich zusammen mit NP und internationalen Ent-
wicklungsorganisationen im South Sudan Protection Cluster vereint, um den un-
bewaffneten Schutz der Bevölkerung flächendeckend zu organisieren. Nach den
frischen Wunden und Traumata der aktuellen Kämpfe wird diese Aufgabe, für die
bisher nicht mal 1 Prozent des UNMISS-Budgets zur Verfügung steht, allenfalls
mittelfristig zu bewältigen sein. Ohne einen effektiven zivilen Schutz der Bevölke-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1614

rung besteht die Gefahr, dass jeder Gewaltausbruch den Friedensprozess sabotiert
und der Südsudan im Teufelskreis der Gewaltakteure gefangen bleibt.

Initiativen zum gewaltfreien Schutz der Zivilbevölkerung benötigen dringend ver-
lässliche finanzielle Unterstützung, um in einem Land von der Größe Frankreichs
auch in der Fläche präsent zu sein. Neben kurzfristiger Unterstützung für Trans-
port- und Kommunikationsmittel, internationale und einheimische Friedensfach-
kräfte, Vernetzung, Medien und die Begleitung von Dialog- und Friedensprozes-
sen, muss mittelfristig der begonnene Aufbau von Friedensinfrastrukturen auf eine
stabile finanzielle Basis gestellt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den unbewaffneten Schutz der Zivilbevölkerung im Südsudan im Jahr 2014 in
Höhe von 1,2 Mio. Euro (entsprechend der im Jahr 2013 nicht genutzten
UNMISS-Mittel) zu unterstützen.
Angesichts der dringenden Notlage sollte die Hilfe schnell und unbürokratisch
zugesagt und den im South Sudan Protection Cluster organisierten bereits akti-
ven Organisationen zur Verfügung gestellt werden;
für die Jahre 2015 bis 2018 Mittel in Höhe von jährlich 1,5 Mio. Euro für den
zivilen Schutz der Bevölkerung auszuschreiben und über entsprechende Ver-
pflichtungsermächtigungen zu vergeben;
die finanziellen Mittel zur „Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf
den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung
durch das Auswärtige Amt“ entsprechend aufzustocken.

Berlin, den 3. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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