BT-Drucksache 18/13090

Liberalisierung der Märkte der Bodenabfertigungsdienste an deutschen Flughäfen und ihre Auswirkungen auf Arbeits- und Sozialstandards

Vom 4. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13090
18. Wahlperiode 04.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Beate Müller-Gemmeke,
Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Bärbel Höhn, Dieter Janecek,
Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Steffi Lemke, Dr. Tobias Lindner,
Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Liberalisierung der Märkte der Bodenabfertigungsdienste an deutschen Flughäfen
und ihre Auswirkungen auf Arbeits- und Sozialstandards

An Verkehrsflughäfen werden verschiedene Dienstleistungen, die Fluggesell-
schaften für ihre Luftverkehrsdienste benötigen, durch Bodenabfertigungsdienste
erbracht. Darunter fallen beispielsweise die Gepäckabfertigung, das Be- und Ent-
laden der Flugzeuge und ihre Betankung.
Im Jahr 1996 wurden die Märkte der Bodenabfertigungsdienste an den Flughäfen
in der Europäischen Union durch die EU-Richtlinie 96/67/EG liberalisiert. In
Deutschland wurden die Regelungen der Richtlinie in die Bodenabfertigungs-
dienst-Verordnung (BADV) überführt. In der Folge konnten weitere Anbieter
ausgewählte Dienstleistungen an Flughäfen erbringen.
Während einerseits Akteure wie der Bundesverband der Deutschen Fluggesell-
schaften fordern, die Liberalisierung weiter voranzutreiben, um Wettbewerbs-
nachteile im Vergleich zu ausländischen Verkehrsflughäfen abzubauen, konsta-
tieren andererseits Akteure wie die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft nega-
tive Folgen durch die bereits erfolgte Liberalisierung.
Insbesondere beklagt die Gewerkschaft unsichere Arbeitsbedingungen und unter-
durchschnittliche Löhne bei den Beschäftigten. Dies führt sie auf die Tatsache
zurück, dass zahlreiche Dienstleistungen nunmehr ausgeschrieben werden müs-
sen, sodass der daraus resultierende Wettbewerbsdruck prekäre Beschäftigungs-
bedingungen im Sinne niedriger Löhne, befristeter Verträge und unverhältnismä-
ßiger Leiharbeit fördere. Damit einher gehe eine wachsende Zahl gering qualifi-
zierter Mitarbeiter. Aus diesem Grund könne auch die Qualität und Zuverlässig-
keit der Leistungserbringung durch die Bodenabfertigungsdienste sinken, sodass
in der Folge auch erhebliche Sicherheitsrisiken nicht mehr ausgeschlossen wer-
den könnten.
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft stützt sich bei ihren Erkenntnissen auf
eine im Jahr 2015 durchgeführte repräsentative Umfrage (www.verdi-airport.de/
download/BVD_Umfrage_Bundesweit_Quanti_Quali_zusammen_lang.pdf) unter
rund 2 000 Branchenbeschäftigten an deutschen Flughäfen. Darin beklagten
83 Prozent der Befragten, dass die Arbeit bei den Bodenabfertigungsdiensten
nicht existenzsichernd sei. Dies sei eine Folge von Befristungsquoten von bis zu
40 Prozent und einem erheblichen Anteil von Leiharbeit. Das führe zu einer ho-
hen Fluktuation unter den Beschäftigten. Neue Kollegen würden somit oft nicht
ausreichend eingearbeitet oder weiterqualifiziert, wie 84 Prozent der Befrag-

Drucksache 18/13090 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

ten aussagten. 72 Prozent gaben an, dass Sicherheits- und Qualitätsvorgaben auf-
grund des Arbeitsdrucks oft nicht eingehalten werden könnten. Nur 7 Prozent der
Befragten können sich vorstellen, unter den derzeitigen Bedingungen ihren Beruf
bis zur Rente gesund ausüben zu können.
Fraglich ist, welche Kenntnis die Bundesregierung von den Arbeitsbedingungen
bei Bodenabfertigungsdiensten an deutschen Verkehrsflughäfen und ihre Auswir-
kungen auf die Qualität und Zuverlässigkeit der Leistungserbringung sowie die
Sicherheit an deutschen Verkehrsflughäfen hat. Offen ist auch, welche Maßnah-
men sie als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland als Mitgesellschafterin
von Flughafenbetriebsgesellschaften, durch gesetzgeberische Aktivitäten und
durch Initiativen auf europäischer Ebene ergreift, um gute Arbeitsbedingungen
sicherstellen zu können und somit Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit an
Verkehrsflughäfen zu erhöhen und nicht zu reduzieren.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung den Stand der Liberalisierung der Märkte

der Bodenabfertigungsdienste an deutschen Verkehrsflughäfen?
2. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit weiterer Liberalisie-

rungen der Märkte der Bodenabfertigungsdienste und insbesondere einer Er-
höhung der Mindestzahl von Selbst- und Drittabfertigern in der Bodenabfer-
tigungsdienst-Verordnung?

3. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung für weitere Liberalisierungen der
Märkte der Bodenabfertigungsdienste durch eigene Maßnahmen und durch
Initiativen auf europäischer Ebene ein, beispielsweise durch die Weiterent-
wicklung der EU-Richtlinie 96/67/EG?

4. Aus welchem Grund nennt das Luftverkehrskonzept des Bundesministeri-
ums für Verkehr und digitale Infrastruktur keine Maßnahmen im Bereich der
Bodenabfertigungsdienste?

5. Wie viele Selbst- und Drittabfertiger sind an den deutschen Verkehrsflughä-
fen nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils tätig (bitte nach Verkehrs-
flughäfen und jeweiliger Anzahl von Selbst- und Drittabfertigern aufschlüs-
seln)?

6. Hält die Bundesregierung die Anzahl der Selbst- und Drittabfertiger an den
deutschen Verkehrsflughäfen jeweils für angemessen, und wenn nein, wel-
che Verringerung oder Vergrößerung der Anzahl hält sie jeweils für erfor-
derlich?

7. Welche Marktanteile haben Drittanbieter im Vergleich zu Anbietern der
Flughafenbetreiber bzw. entsprechenden Tochterunternehmen an den deut-
schen Verkehrsflughäfen nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils (bitte
nach Verkehrsflughäfen aufschlüsseln)?

8. Wie haben sich die Reallöhne bei Arbeitnehmern im Bereich der Bodenab-
fertigungsdienste nach Kenntnis der Bundesregierung seit 1996 verändert?

9. Wie hat sich der Anteil nicht in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer im Be-
reich der Bodenabfertigungsdienste nach Kenntnis der Bundesregierung seit
1996 verändert?

10. Wie hat sich der Anteil befristet beschäftigter Arbeitnehmer im Bereich der
Bodenabfertigungsdienste nach Kenntnis der Bundesregierung seit 1996 ver-
ändert?

11. Wie hat sich der Anteil der als Leiharbeiter beschäftigten Arbeitnehmer im
Bereich der Bodenabfertigungsdienste nach Kenntnis der Bundesregierung
seit 1996 verändert?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13090

12. Wie haben sich der Anteil der Arbeitsleistungen über Arbeit auf Abruf sowie

der Anteil der über dieses Arbeitsverhältnis beschäftigten Arbeitnehmer im
Bereich der Bodenabfertigungsdienste nach Kenntnis der Bundesregierung
seit 1996 verändert?

13. Wie hat sich der Anteil derjenigen Arbeitnehmer im Bereich der Bodenab-
fertigungsdienste nach Kenntnis der Bundesregierung seit 1996 verändert,
die ihren Lohn durch Hartz-IV-Leistungen aufstocken müssen?

14. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von der im Jahr 2015 durchge-
führten repräsentativen Umfrage der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft
unter Beschäftigten der Bodenabfertigungsdienste, und welche Schlussfol-
gerungen zieht sie daraus?

15. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von den Arbeits- und Sozialstan-
dards bei Bodenabfertigungsdiensten an deutschen Flughäfen, wie bewertet
sie die Situation, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

16. Auf welche Weise wird sich die Bundesregierung für eine Verbesserung der
Arbeits- und Sozialstandards bei Bodenabfertigungsdiensten an deutschen
Verkehrsflughäfen einsetzen, und dabei insbesondere
a) als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland als Mitgesellschafterin

von Flughafenbetriebsgesellschaften,
b) durch gesetzgeberische Aktivitäten, und
c) durch Initiativen auf europäischer Ebene tätig werden?

17. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von der Qualität und Zuverlässig-
keit der Dienstleistungen der Bodenabfertigungsdienste an deutschen Ver-
kehrsflughäfen, wie bewertet sie die Situation, und welche Schlussfolgerun-
gen zieht sie daraus?

18. Auf welche Weise wird sich die Bundesregierung für eine Verbesserung der
Qualität und Zuverlässigkeit der Dienstleistungen der Bodenabfertigungs-
dienste an deutschen Verkehrsflughäfen einsetzen, und dabei insbesondere
a) als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland als Mitgesellschafterin

von Flughafenbetriebsgesellschaften,
b) durch gesetzgeberische Aktivitäten, und
c) durch Initiativen auf europäischer Ebene tätig werden?

19. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von Sicherheitsrisiken und sicher-
heitsrelevanten Vorfällen aufgrund einer mangelhaften Qualität oder Zuver-
lässigkeit der Dienstleistungen der Bodenabfertigungsdienste an deutschen
Verkehrsflughäfen, wie bewertet sie die Situation, und welche Schlussfolge-
rungen zieht sie daraus?

20. Auf welche Weise wird sich die Bundesregierung für eine Verbesserung der
Sicherheit durch gesteigerte Qualität oder Zuverlässigkeit der Dienstleistun-
gen der Bodenabfertigungsdienste an deutschen Verkehrsflughäfen einset-
zen, und dabei insbesondere
a) als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland als Mitgesellschafterin

von Flughafenbetriebsgesellschaften,
b) durch gesetzgeberische Aktivitäten, und
c) durch Initiativen auf europäischer Ebene tätig werden?

Drucksache 18/13090 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

21. Welche Kontrollen hat das Luftfahrt-Bundesamt bzw. haben von ihm beauf-

tragte oder autorisierte Einrichtungen in den Jahren 2014, 2015 und 2016 an
den deutschen Verkehrsflughäfen in Bezug auf den Bereich der Bodenabfer-
tigungsdienste durchgeführt, und zu welchen Konsequenzen kam es dabei
gegebenenfalls (bitte nach Jahren, Verkehrsflughäfen, Anlässen der Kontrol-
len und Konsequenzen aufschlüsseln)?

22. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung insbesondere in ihrer Rolle als
Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland als Mitgesellschafterin von
Flughafenbetriebsgesellschaften das Anliegen der Vereinten Dienstleis-
tungsgewerkschaft zur Schaffung eines branchenweiten Tarifvertrags bei
Bodenabfertigungsdiensten?

Berlin, den 4. Juli 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.