BT-Drucksache 18/12842

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822 Nr. 5 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

Vom 21. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12842

18. Wahlperiode 21.06.2017

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung

– Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822 Nr. 5 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraus-
setzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbst-
bestimmungsrechts von Betreuten

A. Problem

Der Gesetzentwurf sieht eine Änderung im Betreuungsrecht vor, die aufgrund ei-
ner Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig ist. Mit Beschluss
vom 26. Juli 2016 hat das Gericht entschieden, dass es gegen die Schutzpflicht
aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verstoße, dass hilfsbedürftige
Menschen, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt wer-
den, sich aber nicht mehr aus eigener Kraft fortbewegen können, nach geltender
Rechtslage nicht notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen ärztlich behandelt
werden dürfen (1 BvL 8/15). Es hat damit die Rechtsauffassung des Bundesge-
richtshofs in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Vorlagebeschluss vom
1. Juli 2015 (XII ZB 89/15, FamRZ 2015, 1484) bestätigt und dem Gesetzgeber
aufgegeben, unverzüglich eine Regelung für die genannte Fallgruppe zu treffen.

Zur Schließung der Lücke soll die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaß-
nahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt werden. Für jede
dieser Maßnahmen soll eine selbständige Norm mit einem eigenen richterlichen
Genehmigungsvorbehalt geschaffen werden. Ärztliche Zwangsmaßnahmen wer-
den an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in
dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer er-
forderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, gebunden. Die materiellen Zuläs-
sigkeitsvoraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme
bleiben im Übrigen erhalten, ebenso die strengen verfahrensrechtlichen Anforde-
rungen.

B. Lösung

Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung. Die Änderungen sollen un-
ter anderem eine stärkere Bindung des Betreuers an den nach § 1901a des Bür-

Drucksache 18/12842 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

gerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu beachtenden Willen des Betreuten bewirken, ei-
nen Gleichlauf der Verbringungsvorschrift mit der Unterbringungsregelung errei-
chen und zur Vermeidung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen beitragen.

Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE
LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen

Keine.

D. Kosten

Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12842

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksachen 18/11240, 18/11617 mit folgenden Maßga-
ben, im Übrigen unverändert anzunehmen:

1. Artikel 1 Nummer 3 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 wird wie folgt gefasst:

„3. die ärztliche Zwangsmaßnahme dem nach § 1901a zu beachten-
den Willen des Betreuten entspricht,“.

b) Absatz 4 wird wie folgt gefasst:

„(4) Kommt eine ärztliche Zwangsmaßnahme in Betracht, so gilt
für die Verbringung des Betreuten gegen seinen natürlichen Willen zu
einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus § 1906 Absatz 1
Nummer 2, Absatz 2 und 3 Satz 1 entsprechend.“

2. Artikel 2 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 1 wird folgende Nummer 2 eingefügt:

‚2. Dem § 62 wird folgender Absatz 3 angefügt:

„(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger
die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entspre-
chend.“ ‘

b) Die bisherige Nummer 2 wird Nummer 3.

c) Die bisherige Nummer 3 wird Nummer 4 und wie folgt gefasst:

‚4. In § 167 Absatz 1 Satz 1 wird die Angabe „§ 312 Nr. 3“ durch die
Angabe „§ 312 Nummer 4“ ersetzt.‘

d) Die bisherigen Nummern 4 bis 11 werden die Nummern 5 bis 12.

3. Artikel 7 wird wie folgt gefasst:

„Artikel 7

Evaluierung

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter-
sucht nach Ablauf von drei Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
gemäß Artikel 8 die Auswirkungen der durch dieses Gesetz vorgenommenen
Änderungen auf die Anwendungspraxis, insbesondere die Art und Häufig-
keit von betreuungsgerichtlich genehmigten oder angeordneten ärztlichen
Zwangsmaßnahmen sowie die Wirksamkeit der Schutzmechanismen in
§ 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die Auswirkungen der Änderun-
gen in den §§ 62 und 326 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.“

Drucksache 18/12842 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Berlin, den 21. Juni 2017

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Renate Künast
Vorsitzende

Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Berichterstatterin

Dr. Matthias Bartke
Berichterstatter

Jörn Wunderlich
Berichterstatter

Katja Keul
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12842

Bericht der Abgeordneten Dr. Sabine Sütterlin-Waack, Dr. Matthias Bartke, Jörn
Wunderlich und Katja Keul

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/11240 in seiner 221. Sitzung am 9. März 2017
beraten und an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur federführenden Beratung sowie an den Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und an den Ausschuss für Gesundheit zur Mitberatung überwie-
sen.

Die Vorlage auf Drucksache 18/11617 hat der Deutsche Bundestag mit Drucksache 18/11822 Nr. 5 am 31. März
2017 an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur federführenden Beratung sowie an den Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und an den Ausschuss für Gesundheit zur Mitberatung überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat die Vorlagen auf Drucksachen 18/11240,
18/11617 in seiner 95. Sitzung am 21. Juni 2017 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs mit Änderungen. Der Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD wurde einstimmig angenommen.

Der Ausschuss für Gesundheit hat die Vorlagen auf Drucksachen 18/11240, 18/11617 in seiner 120. Sitzung am
21. Juni 2017 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs mit Ände-
rungen. Der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD wurde einstimmig angenommen.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich mit der Vorlage auf Bundestagsdrucksache
18/11240 (Bundesratsdrucksache 66/17) in seiner 59. Sitzung am 8. März 2017 befasst und festgestellt, dass keine
Nachhaltigkeitsrelevanz des Gesetzentwurfes gegeben sei. Die Darstellung der Nachhaltigkeitsprüfung sei plau-
sibel und eine Prüfbitte daher nicht erforderlich.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlage auf Drucksache 18/11240 in seiner 134. Sitzung
am 22. März 2017 anberaten und beschlossen, eine öffentliche Anhörung durchzuführen, die er in seiner 144. Sit-
zung am 26. April 2017 durchgeführt hat. An dieser Anhörung haben folgende Sachverständige teilgenommen:

Peter Fölsch Deutscher Richterbund e. V.
Richter am Landgericht Lübeck

Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoso-
matik und Nervenheilkunde e. V., Berlin
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner
Charite

Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Lipp Ordentlicher Professor für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht,
Medizinrecht und Rechtsvergleichung
Georg-August-Universität Göttingen

Annette Loer Betreuungsgerichtstag e. V.
Stellvertretende Vorsitzende

Gudrun Schliebener Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
(BApK) e. V., Bonn
Erste Vorsitzende

Drucksache 18/12842 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Antje Welke Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., Berlin
Justiziarin und Leiterin der Abteilung „Konzepte und Recht“

Dr. med. Martin Zinkler Kliniken Landkreis Heidenheim gGmbH
Klinik für Psychatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Heiden-
heim
Chefarzt

Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der 144. Sitzung vom 26. April 2017 mit den
anliegenden Stellungnahmen der Sachverständigen verwiesen.

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlagen auf Drucksachen 18/11240, 18/11617 in
seiner 155. Sitzung am 21. Juni 2017 abschließend beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs in der aus der Beschlussempfehlung ersichtlichen Fassung.
Die Änderungen beruhen auf einem Änderungsantrag, der von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD in den
Ausschuss eingebracht wurde und der einstimmig angenommen worden ist.

Die Fraktion der SPD erläuterte, dass das Bundesverfassungsgericht im Sommer 2016 eine Schutzlücke in die-
sem Bereich festgestellt habe. Der Gesetzentwurf schließe diese Lücke maßvoll. Vorgesehen sei, die Einwilligung
in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung zu entkoppeln; dies sei der ent-
scheidende Punkt. Ärztliche Zwangsmaßnahmen würden künftig an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts
gebunden. Dort werde die medizinische Versorgung des Betreuten sichergestellt. Wegen des Ultima-Ratio-Gebots
blieben ambulant durchgeführte ärztliche Zwangsmaßnahmen auch weiterhin ausgeschlossen. Die strengen ma-
teriellen und verfahrensrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen blieben im
Übrigen erhalten. Dadurch werde eine – befürchtete – Ausweitung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen verhindert.
In diesem Zusammenhang spiele auch die Evaluierung eine große Rolle; es werde untersucht, wie die rechtlichen
Regelungen, insbesondere die Schutzvorkehrungen, wirkten. Zudem werde die Verbreitung von Patientenverfü-
gungen gefördert, indem der Betreuer verpflichtet werde, auf diese Möglichkeit hinzuweisen und bei der Errich-
tung einer solchen Verfügung unterstützen solle. Drei Änderungen, die noch vorgenommen würden, seien beson-
ders hervorzuheben: Die wichtigste Änderung betreffe die Verbringung zu einem stationären Aufenthalt in ein
Krankenhaus. Hier werde ein zweistufiges Verfahren etabliert – zunächst werde nur über die zwangsweise Ver-
bringung und erst in einem zweiten Schritt über die Einwilligung zu möglichen ärztlichen Zwangsmaßnahmen
entschieden. Der zweite Punkt betreffe die Bindung an den Willen des Patienten. Es sei nunmehr positiv formu-
liert, dass die ärztliche Zwangsmaßnahme dem nach § 1901a BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entspre-
chen müsse. Die dritte Änderung betreffe die Rechte des Verfahrenspflegers. Diesem werde wegen seiner beson-
deren Stellung ein in § 62 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) verankertes Antragsrecht auf Feststellung einer Rechtsverletzung einge-
räumt. Dies stärke den Grundrechtsschutz der in diesen Fällen besonders schutzwürdigen Betroffenen.

Die Fraktion der CDU/CSU schloss sich diesen Ausführungen vollumfänglich an und betonte die hohe Sensibi-
lität und Schwierigkeit des Themas. Ergänzend hob die Fraktion hervor, dass die einschlägigen Regelungen für
ärztliche Zwangsmaßnahmen durch den Änderungsantrag weiter verbessert würden. Man greife damit zahlreiche
Anregungen und Hinweise von Interessengruppen und Verbänden auf; alle Fraktionen hätten zahlreiche Gesprä-
che geführt, in denen auch auf die Gefahr der Ausweitung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen hingewiesen wor-
den sei. Diese Befürchtung sei teilweise auch in der öffentlichen Anhörungen geäußert worden. Mit dem Ände-
rungsantrag reagiere man darauf. Die ärztliche Zwangsbehandlung müsse nun den zu beachtenden Willen des
Betreuten entsprechen. Zudem gelte mit der Änderung zukünftig grundsätzlich ein doppelter gerichtlicher Geneh-
migungsvorbehalt. Zunächst werde über die zwangsweise Verbringung ins Krankenhaus, danach über die ärztli-
che Zwangsbehandlung entschieden. Dadurch würden die Rechte der Betreuten nochmals gestärkt.

Die Fraktion DIE LINKE. nahm ebenfalls Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Diese
habe vielleicht keine Schutzlücke, wohl aber eine Regelungslücke aufgezeigt. Diese habe der Gesetzgeber zu
schließen, allerdings unter Beachtung des Ultima-Ratio-Prinzips, um Grundrechte der Betroffenen nicht zu ver-
letzen. Auch nach der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf bestünden noch erhebliche grundsätzliche Be-
denken hinsichtlich ärztlicher Zwangsmaßnahmen. Zweifel bestünden insbesondere an deren Notwendigkeit.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/12842

Denkbar sei nämlich – so auch die Aussage eines Sachverständigen in der Anhörung – dass Betreute sich über-
zeugen ließen. Andernfalls könne der Erzeugung von unzulässigem Druck auf Betreute Vorschub geleistet und
eine Scheinfreiwilligkeit erzeugt werden. Es bestehe nach wie vor die Gefahr, dass von ärztlichen Zwangsmaß-
nahmen exzessiver Gebrauch gemacht werde. Zuzugestehen sei, dass mit dem Änderungsantrag versucht werde,
dem entgegenzuwirken und die Voraussetzungen für ärztliche Zwangsmaßnahmen enger zu fassen. Dies gelte
etwa für das bereits beschriebene zweistufige Verfahren bei der zwangsweisen Verbringung in ein Krankenhaus.
Der Ansatz sei positiv zu bewerten, zerstreue aber nicht die vorgetragenen grundsätzlichen Zweifel am Gesetz-
entwurf insgesamt.

Die Fraktion BÜNDNIS/DIE GRÜNEN wies auf die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte und zu schlie-
ßende Schutzlücke hin: Es könne für die Frage der ärztlichen Zwangsbehandlung nicht darauf ankommen, ob
jemand freiwillig stationär behandelt werde oder untergebracht sei. Es sei auch das Bemühen aller Fraktionen
erkennbar, eine möglichst enge Regelung zu finden, die eine Zunahme ärztlicher Zwangsmaßnahmen begrenze.
Dies werde insbesondere mit dem Änderungsantrag zum Ausdruck gebracht, der zustimmungsfähig sei. Im Er-
gebnis reiche dies allerdings nicht, um dem Gesetz insgesamt zustimmen zu können. Die Fraktion sehe weiterhin
die Gefahr der Ausweitung ärztlicher Zwangsmaßnahmen, etwa bei psychiatrischer Behandlung. Sie befürchte,
dass Betroffene davon abgehalten werden könnten, sich freiwillig in stationäre Behandlung zu begeben; diese
Befürchtung werde auch durch den Änderungsantrag nicht gänzlich ausgeräumt. Vorzugswürdig wäre es nach
Einschätzung der Fraktion gewesen, in § 1906 BGB die entsprechende Anwendung des Absatzes 3 für stationär
behandelte Personen festzulegen. Im Übrigen reiche eine Evaluierung des Gesetzes nicht aus; sinnvoll sei viel-
mehr ein dauerhaftes Monitoring der Vorschriften, da es um schwerwiegende Eingriffe in Freiheitsrechte der
Betroffenen gehe.

IV. Zur Begründung der Beschlussempfehlung

Im Folgenden werden lediglich die vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfohlenen Änderungen
gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs erläutert. Soweit der Ausschuss die unveränderte An-
nahme des Gesetzentwurfs empfiehlt, wird auf die jeweilige Begründung auf Drucksache 18/11240 verwiesen.

1. Allgemeines

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat eingehend die Frage erörtert, ob in Fällen ärztlicher Zwangs-
maßnahmen bei einer bedrohlichen somatischen Erkrankung des Betroffenen zwingend, neben dem Gutachten
über dessen psychische Erkrankung oder geistige oder seelische Behinderung, ein weiteres Gutachten eines für
die konkrete somatische Erkrankung und ihre Behandlung qualifizierten Facharztes einzuholen ist. In der Praxis
ist in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung in § 321 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren
in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die Einholung „eines
Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme“ üblich. Im Wege eines ärztlichen Konsils kann der vom
Gericht ausgewählte Sachverständige, der Arzt für Psychiatrie oder zumindest Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet
der Psychiatrie ist, grundsätzlich das Fachwissen anderer Ärzte mit einbeziehen (vgl. auch Drucksache 17/12086,
S. 12).

Der Ausschuss hält diese Praxis auch unter dem Aspekt der Verfahrensdauer für sachgerecht und geht von einer
regelmäßig vorhandenen kritischen Selbsteinschätzung des Sachverständigen bei der Frage der Reichweite der
eigenen fachlichen Kompetenz aus. Er weist auf die bereits nach den §§ 321, 30 Absatz 2, 1 FamFG in Verbindung
mit § 407a Absatz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) bestehende Pflicht des Sachverständigen hin, wonach dieser
unverzüglich zu prüfen hat, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachver-
ständiger fristgerecht erledigt werden kann. Ist das nicht der Fall, hat der Gutachter das Gericht unverzüglich zu
verständigen.

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2. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Nummer 1 (Änderung des § 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Entwurfsfassung)

Zu Buchstabe a (Bindung an den Willen des Betreuten)

Die Festlegungen in einer Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die
Behandlungswünsche des Betreuten und sein mutmaßlicher Wille nach § 1901a Absatz 2 BGB sind in dieser
Reihenfolge maßgeblich für die Entscheidung des Betreuers, ob er in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligt.
Hierfür reicht nicht aus, dass der Betreute zu einem früheren Zeitpunkt einer ärztlichen Zwangsmaßnahme mit
freiem Willen nicht widersprochen hat. Vielmehr ist entsprechend § 1904 Absatz 3 BGB positiv festzustellen,
dass die ärztliche Zwangsmaßnahme dem nach § 1901a zu beachtenden Willen des Betreuten entspricht. Dies soll
durch eine positiv gewendete Formulierung klargestellt werden.

Die Beachtung des Willens des Betreuten nach § 1901a BGB ist jedoch nur möglich, soweit ein Wille nach dieser
Vorschrift festgestellt werden kann. Ist mangels konkreter Anhaltspunkte auch ein mutmaßlicher Wille gemäß
§ 1901a Absatz 2 BGB nicht feststellbar, so kann der Betreuer dennoch zum Wohl und Schutz des Betreuten in
die ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen, wenn alle weiteren Voraussetzungen des § 1906a Absatz 1 Satz 1
BGB-E erfüllt sind.

Zu Buchstabe b (Verbringung zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus)

Während bei der freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB die zwangsweise Zuführung
zum Ort der Unterbringung von der Unterbringungsgenehmigung umfasst ist, ist die bloße Verbringung zum
Krankenhaus zum Zwecke der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme gegen den natürlichen Willen
des Betreuten (aber ohne freiheitsentziehende Unterbringung) durch eine eigene Vorschrift zu regeln. Die Vor-
schrift soll Fälle erfassen, in denen der Betreute die Verbringung als solche zwar mit natürlichem Willen ablehnt,
sich dem Aufenthalt im Krankenhaus selbst jedoch nicht entziehen kann oder will, so dass eine freiheitsentzie-
hende Unterbringung nicht erforderlich ist. § 1906a Absatz 4 BGB-E, der dafür einen betreuungsgerichtlichen
Genehmigungsvorbehalt schafft und in der Fassung des Regierungsentwurfs die Voraussetzungen an die der Ein-
willigung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme knüpft, soll diese Lücke schließen.

Mit der nunmehr vorgeschlagenen Änderung soll erreicht werden, dass grundsätzlich zunächst nur über die
(zwangsweise) Verbringung in ein Krankenhaus entschieden wird, bevor später in einem zweiten Schritt darüber
zu entscheiden ist, ob die Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme erteilt werden darf.
Denn nach erfolgter Verbringung besteht – wie auch nach einer erfolgten freiheitsentziehenden Unterbringung
gemäß § 1906 Absatz 1 Nummer 2 BGB – die Möglichkeit, dass der Betreute der Durchführung der ärztlichen
Maßnahme im Krankenhaus zustimmt und für die ärztliche Maßnahme die Anwendung von Zwang nicht erfor-
derlich ist.

Hierfür wird nun für die Voraussetzungen einer zwangsweisen Verbringung auf die Voraussetzungen einer frei-
heitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 Nummer 2 BGB verwiesen. So wird ein Gleichlauf der
Verbringungsvorschrift mit der Unterbringungsregelung erreicht und zum Schutz des Betreuten eine vergleich-
bare Praxis ermöglicht. Die empfohlene Änderung kann damit zur Vermeidung von ärztlichen Zwangsmaßnah-
men beitragen.

Eine zwangsweise Verbringung des Betreuten soll aber nur erlaubt sein, wenn sie zum Zwecke eines stationären
Aufenthalts in einem Krankenhaus erfolgt, das die Voraussetzungen nach § 1906a Absatz 1 Nummer 7 BGB-E
erfüllt, denn eine Verbringung zum Zwecke einer ambulanten ärztlichen Zwangsmaßnahme soll weiterhin nicht
genehmigungsfähig sein.

Zu Nummer 2 (Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde des Verfahrensbeistands und des Verfahrenspflegers)

Zu Buchstabe a

§ 62 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit (FamFG) ermöglicht es, im Beschwerdeverfahren die Feststellung einer Rechtsverletzung durch eine ge-
richtliche Entscheidung geltend zu machen, obwohl die Erledigung der darin angeordneten Maßnahme bereits
eingetreten ist. Voraussetzung ist in der Regel ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, den der Betroffene durch

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/12842

die erledigte Maßnahme erlitten hat, z. B. durch die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen
einer freiheitsentziehenden Unterbringung. Die Vorschrift ist zur Umsetzung verfassungsgerichtlicher Rechtspre-
chung geschaffen worden (BVerfGE 104, 220, 232 f.; Drucksache 16/6308, S. 205).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2012, 1582) kann der Verfahrenspfleger in einer Unter-
bringungssache (§ 317 FamFG) den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer im Beschwerdeverfahren
erledigten Maßnahme nicht stellen, weil nicht er, sondern nur der Betroffene in eigenen (Grund-)Rechten verletzt
ist. Die Literatur kritisiert diese Rechtsprechung und spricht sich dafür aus, auch dem Verfahrenspfleger aus-
drücklich ein Antragsrecht nach § 62 FamFG einzuräumen (MüKoFamFG, 2. Aufl., § 62 Rn. 16; Budde in: Kei-
del, FamFG, 19. Aufl., § 62 Rn. 12).

Der Gesetzgeber hat mit dem Institut des Verfahrenspflegers dem erhöhten Schutzbedürfnis des Betroffenen in
seiner besonderen, regelmäßig krisenhaften Situation Rechnung getragen. Der Verfahrenspfleger soll gerade die
Vorstellungen und Interessen des Betroffenen in dem Verfahren zur Geltung bringen, da der Betroffene selbst
infolge seiner Erkrankung oder Behinderung dazu nicht ausreichend in der Lage ist. Diese Funktion bliebe lü-
ckenhaft, wenn der Verfahrenspfleger zwar berechtigt ist, Beschwerde einzulegen (§ 335 Absatz 2 FamFG), nicht
aber dazu, bei einer bereits erledigten Maßnahme auch im Interesse des Betroffenen zu handeln und einen Antrag
nach § 62 FamFG zu stellen. Denn nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist der Verfahrenspfleger
befugt, fremde (Grund-)Rechte in eigenem Namen mit der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen (BVerfG
FamRZ 2013, 1279).

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betraf eine Betreuungssache, ist aber konsequent auf das
Verfahren in Unterbringungssachen zu übertragen. Wegen des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs sollen
überdies die Freiheitsentziehungssachen, in denen ebenfalls ein Verfahrenspfleger für den Betroffenen zu bestel-
len ist (§ 419 FamFG), in die Neuregelung einbezogen werden. Außerdem ist es im Hinblick auf die jüngere
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen (FamRZ 2017,
206), die sich auf die entsprechende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verfahrenspfleger be-
zieht, geboten, auch diesem das Antragsrecht nach § 62 FamFG zuzubilligen.

Durch die Änderung wird dem Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen sowie dem Verfahrenspfleger in Betreu-
ungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen wegen ihrer besonderen Stellung im Verfahren ein in
§ 62 FamFG gesetzlich verankertes Antragsrecht auf Feststellung einer Rechtsverletzung eingeräumt, um den
Grundrechtsschutz der in diesen Fällen besonders schutzwürdigen Betroffenen zu stärken. Das Antragsrecht soll
indes nur bestehen, wenn der Verfahrensbeistand beziehungsweise der Verfahrenspfleger selbst die Beschwerde
eingelegt hat.

Zu den Buchstaben b bis d

Bei den Änderungen zu den Buchstaben b und d handelt sich um redaktionelle Folgeänderungen. Die Änderung
zu Buchstabe c ist veranlasst, weil davon auszugehen ist, dass das vorliegende Gesetz zur Änderung der materi-
ellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungs-
rechts von Betreuten vor dem Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für
freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern in Kraft treten wird (vgl. hierzu den Gesetzentwurf auf Drucksache
18/11278).

Zu Nummer 3 (Evaluierung)

Hinsichtlich des Zeitpunkts der Evaluierung und ihres Umfangs findet eine sprachliche Klarstellung statt.

Im Übrigen soll die Evaluierung auch auf das Verfahrensrecht im Hinblick auf die Auswirkungen der Änderungen
bei der Verbringung des Betroffenen zu einem stationären Aufenthalt (§ 326 FamFG-E) und auf die Fortsetzungs-
feststellungsbeschwerde (§ 62 Absatz 3 FamFG-E) ausgeweitet werden.

Drucksache 18/12842 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Berlin, den 21. Juni 2017

Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Berichterstatterin

Dr. Matthias Bartke
Berichterstatter

Jörn Wunderlich
Berichterstatter

Katja Keul
Berichterstatterin

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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