BT-Drucksache 18/12160

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr. 8 - Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12160

18. Wahlperiode 26.04.2017

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder,
Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner,
Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Birgit Menz, Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr. 8, 18/12146 –

Entwurf eines Gesetzes

zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften
an europa- und völkerrechtliche Vorgaben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der am 30.10.2001 in Kraft getretenen Aarhus-Konvention, die auch die Bundes-
republik Deutschland unterzeichnet hat, soll ein umfassender Zugang der Bevölkerung
zu Gerichten in Umweltangelegenheiten eröffnet werden. Seit 15 Jahren ist die Um-
setzung durch die Bundesrepublik Deutschland jedoch mangelhaft. So wurde im Jahr
2011 vom Europäischen Gerichtshof entschieden, dass die Klagerechte von Umwelt-
vereinigungen unzulässigerweise auf solche Fälle eingeschränkt waren, in denen auch
Einzelpersonen klagebefugt sind. Mit dem Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkon-
ferenz zur UN ECE Aarhus-Konvention vom Juli 2014 zur eingeschränkten Rügebe-
fugnis auf „Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen“ sowie zur Beschränkung der
Klagebefugnis in vielen sektoralen Gesetzen wurde entschieden, dass die Bundesre-
publik Deutschland gegen die Aarhus-Konvention verstoßen hat. Mit dem Urteil des
Europäischen Gerichtshofes vom 15.10.2015 (Rechtssache C-137/14) wurde klarge-
stellt, dass auch der in Deutschland praktizierte Ausschluss des Vorbringens von Ar-
gumenten in Gerichtsverfahren, soweit diese nicht im vorausgegangenen Verwal-
tungsverfahren vorgebracht wurden, unzulässig ist.

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes
und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben sollen angeblich
die Anforderungen der Aarhus-Konvention und einschlägiger EU-Richtlinien in nati-
onales Recht vollständig umgesetzt werden.

Doch die Bundesregierung will ihre bisherige Politik der sehr restriktiven Umsetzung
der Aarhus-Konvention mit dem neuen Gesetzentwurf fortsetzen.

Drucksache 18/12160 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung bewirkt keine vollständige Um-
setzung der sich aus den internationalen Vorgaben ergebenden Verpflichtungen und
verletzt weiterhin europäisches Recht und Völkerrecht. Darauf wurde in der Öffentli-
chen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
des Deutschen Bundestages des am 26.9.2016 von der Mehrheit der Sachverständigen
deutlich verwiesen. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seiner Pub-
likation „Verbandsklage wirksam und rechtskonform ausgestalten: Stellungnahme zur
Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes“ im Oktober 2016 ausgeführt, dass der
Gesetzentwurf Einschränkungen des Klagerechts enthält, die entfallen müssen, um den
völker- und europarechtlichen Verpflichtungen gerecht zu werden.

Nach wie vor ist der Anwendungsbereich zu eng gefasst. So bezieht sich § 9 Absatz 3
Aarhus-Konvention nicht lediglich auf Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche
Verträge. Vielmehr muss jedwedes staatliches Handeln oder Unterlassen der gericht-
lichen Überprüfung auf Übereinstimmung mit den Vorschriften des Umweltrechts zu-
gänglich sein. Damit sind auch Satzungsbeschlüsse und Verordnungen in den Anwen-
dungsbereich des Gesetzes einzubeziehen.

Dem Gesetzentwurf mangelt es an einer systematischen Berücksichtigung von Ent-
scheidungen im Rahmen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVPG) oder des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (BNatSchG). Hier
sind entsprechende Änderungen vorzunehmen.

Es verstößt gegen die Rechtssystematik, bestimmte Pläne und Programme ausdrück-
lich von der Klagebefugnis auszunehmen, wie es § 16 Absatz 4 Satz 2 UVPG-E be-
stimmt. Insbesondere werden bestimmte Raumordnungspläne, die Flächen für den Ab-
bau von Rohstoffen ausweisen, von der Klagebefugnis der Verbände ausgenommen.
Diese Privilegierung des Bergbaus steht in direktem Gegensatz zu seinen erheblichen
Umweltauswirkungen und ist daher zu streichen. Aus Gründen einer effektiven Durch-
setzung des Umweltschutzes ist auch klarzustellen, dass die Erteilung bergrechtlicher
Erlaubnisse und Bewilligungen von den Verbänden gerichtlich angegriffen werden
kann.

Gemäß dem Beschluss V/9h der Aarhus-Vertragsstaatenkonferenz vom Juli 2014 hat
die Bundesrepublik Deutschland die Rügebefugnis unzulässig auf „Rechtsvorschrif-
ten, die dem Umweltschutz dienen“, eingeschränkt. Der Gesetzentwurf sieht den Weg-
fall dieser Einschränkung vor, führt aber durch eine neue Anforderung praktisch zum
bisherigen Ergebnis. So sollen Rechtsbehelfe nur dann begründet sein, wenn der
Rechtsverstoß Belange berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach
ihrer Satzung fördert. Da dies in der Regel ausschließlich Ziele des Umweltschutzes
sein werden, wird die Anforderung der Aarhus-Vertragsstaatenkonferenz unterlaufen.
Dies provoziert eine erneute Entscheidung der Aarhus-Vertragsstaatenkonferenz ge-
gen die Bundesrepublik Deutschland.

Zwar soll aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die bisherige
Vorschrift über die materielle Präklusion im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz entfallen.
Jedoch tritt an ihre Stelle eine Missbrauchsklausel, wonach Einwendungen, die eine
Person oder eine Vereinigung erstmals im Rechtsbehelfsverfahren erhebt, unberück-
sichtigt bleiben, wenn ihre Geltendmachung im Rechtsbehelfsverfahren missbräuch-
lich oder unredlich ist. Angesichts der unbestimmten Rechtsbegriffe droht diese Rege-
lung zur „Präklusion durch die Hintertür“ zu werden. Sie ist daher zu streichen.

Zudem muss die Einführung neuer Präklusionsregeln im Umwelt-Rechtsbehelfsge-
setz, im UVPG und weiteren Gesetzen als unvereinbar mit europäischem Recht und
Völkerrecht gesehen werden.

Gemäß § 7 Abs. 5 UmwRG soll eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur
dann zur Aufhebung einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 2b oder 5 füh-
ren, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12160

behoben werden kann. Damit wäre zukünftig nicht das Ende des Verwaltungsverfah-
rens, sondern das Ende des Gerichtsverfahrens der entscheidungserhebliche Zeitpunkt.
Die Fehlerheilung wird damit für gebundene Entscheidungen nicht nur durch den Vor-
habenträger oder die Genehmigungsbehörde, sondern durch das Gericht erfolgen. Dies
bedeutet nicht nur, dass Vorhabenplanungen und Verwaltungsentscheidungen mit we-
niger Sorgfalt erfolgen, da praktisch eine unbegrenzte Heilung im Gerichtsverfahren
erfolgen kann. Es bedeutet auch, dass Umweltverbände auch bei höchst defizitären
Verwaltungsakten nicht mehr erfolgreich klagen können, da alle Fehler im Gerichts-
verfahren geheilt werden. Eine derartige Bestimmung verstößt gegen die Anforderung,
dass gewährleistet sein muss, dass Rechtsmittel effektiv geführt werden können und
ist daher nicht einzuführen.

Gesetzliche Bestimmungen zur Klagebegründungsfrist wie in § 6 UmwRG haben sich
nicht bewährt. Einerseits ist eine Frist von sechs Wochen in komplexen umweltrecht-
lichen Verfahren häufig zu knapp bemessen, andererseits steht dem keine gleichwer-
tige zeitliche Vorgabe für die Klageerwiderung gegenüber. Zeitliche Verzögerungen
ergeben sich aber regelmäßig durch die langen Zeiträume, die Antragsteller und Ge-
nehmigungsbehörden für eine Erwiderung in Anspruch nehmen.

Mit der Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes soll Umweltorganisationen die
Funktion eines „Verwaltungshelfers“, eines Anhangs der zuständigen Behörde, zu-
kommen. Dies verkennt die eigenständige Funktion von umweltorientierten Nichtre-
gierungsorganisationen im Kommunikationsdreieck Antragsteller-Behörde-Umwelt-
organisation und negiert die eigenständigen Interessen der zivilgesellschaftlichen Ak-
teure. Derartige Passagen müssen ersatzlos entfallen.

Soweit das Umweltrechtsbehelfsgesetz auf Klagemöglichkeiten bezüglich des Um-
weltschadensgesetzes Bezug nimmt, ist aufgrund der Fehlentwicklungen in der Recht-
sprechung, die diese zu eng sieht, eine Klarstellung erforderlich. Diese Klarstellung
muss bezüglich der Angabe der einzelnen Paragrafen erfolgen.

Die Stichtagsregelung dürfte zu einer weiteren Entscheidung der Vertragsstaatenkon-
ferenz zur UN ECE Aarhus-Konvention gegen die Bundesrepublik Deutschland füh-
ren. Danach findet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz zum Teil nur Anwendung für
Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen, die nach dem 31. Dezember 2016 ergangen
sind. Die Rechtswidrigkeit der deutschen Regelungen war aber bereits zum Zeitpunkt
des Beschlusses V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur UN ECE Aarhus-Konven-
tion bekannt. Daher ist auf den Zeitpunkt dieser Entscheidung, den 2. Juli 2014, oder
auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen. Nach dem 2. Juli 2014 kann es keinen Ver-
trauensschutz mehr geben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes vorzulegen,

1. indem die Klagebefugnis ausnahmslos auf alle umweltrelevanten Pläne und Pro-
gramme ausgedehnt wird,

2. indem klargestellt wird, dass dieses Gesetz Anwendung findet für Entscheidun-
gen nach den §§ 5 bis 8 Umweltschadensgesetz,

3. indem klargestellt wird, dass dieses Gesetz Anwendung findet für die Erteilung
von Erlaubnissen und Bewilligungen nach dem Bundesberggesetz,

4. indem die gerichtliche Überprüfung nicht lediglich für Verwaltungsakte und öf-
fentliche Verträge eröffnet ist. Vielmehr muss jedwedes staatliche Handeln oder
Unterlassen, insbesondere Satzungsbeschlüsse und Verordnungen, der gerichtli-
chen Überprüfung auf Übereinstimmung mit den Vorschriften des Umweltrechts,
zugänglich sein,

Drucksache 18/12160 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

5. durch den im Bereich des Bundesnaturschutzgesetzes die Mitwirkungsrechte
(§ 63 BNatSchG) und Rechtsbehelfe (§ 64 BNatSchG) konsequent erweitert wer-
den,

6. indem auf die Bestimmung, dass Rechtsbehelfe nur dann begründet sind, wenn
der Verstoß Belange berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach
ihrer Satzung fördert, verzichtet wird,

7. indem auf Ausnahmen von der Klagebefugnis der Verbände für Raumordnungs-
pläne, insbesondere für Raumordnungspläne, die Flächen für den Abbau von
Rohstoffen ausweisen, verzichtet wird,

8. indem auf eine Missbrauchsklausel hinsichtlich der Klageerhebung verzichtet
wird,

9. indem auf eine Klagebegründungsfrist verzichtet wird,

10. indem auf die Einführung neuer Präklusionsvorschriften verzichtet wird,

11. indem keine neuen Möglichkeiten der Fehlerheilung hinsichtlich gebundener
Entscheidungen im gerichtlichen Verfahren eröffnet werden,

12. indem auf jegliche Anforderungen verzichtet wird, die die Umweltorganisationen
als „Verwaltungshelfer“ charakterisieren,

13. indem auf Überleitungsvorschriften verzichtet wird, die bestimmen, dass erst Ent-
scheidungen, die nach dem 31. Dezember 2016 ergehen, einer neuen Rechtslage
unterfallen. Stattdessen soll als Stichtag der 3.7.2014 gewählt werden.

Berlin, den 25. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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