BT-Drucksache 18/12070

Überschuldung und Schuldnerberatung in Deutschland

Vom 12. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12070
18. Wahlperiode 12.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Heidrun Bluhm,
Eva Bulling-Schröter, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Katja Kipping,
Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Pia Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Überschuldung und Schuldnerberatung in Deutschland

6,7 Millionen Menschen sind in Deutschland überschuldet (vgl. iff-Überschul-
dungsreport 2016, Seite 17). 78 500 Menschen mussten im Jahr 2015 ein Ver-
braucherinsolvenzverfahren eröffnen (vgl. Statistisches Bundesamt). Die Anzahl
der überschuldeten Personen und Haushalte steigt deutschlandweit seit Jahren.
Der Bedarf an kostenfreier und seriöser Schuldner- und Insolvenzberatung ist er-
heblich. Unterstützung und Hilfe erfahren die Betroffenen vor allem durch die
kommunalen und freien gemeinnützigen Einrichtungen der Schulden- und Privat-
insolvenzberatung. Die Finanzierung dieser Einrichtungen ist jedoch schon seit
vielen Jahren völlig unzureichend (Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der
Verbände, Positionspapier zur Finanzierung der Schuldnerberatung, Mai 2011).
Viele überschuldete oder von Überschuldung bedrohte Menschen erhalten keine
kostenfreie Unterstützung, da diese für sie gesetzlich nicht vorgesehen ist. Da-
rüber hinaus müssen sie oftmals sehr lange auf eine Schuldnerberatung warten.
Unseriöse private Schuldenregulierer, Inkassounternehmen und Kreditvermittler
nutzen die Notsituation Überschuldeter aus. Sie bieten vermeintliche „Sofort-
hilfe“ an, verdienen damit jedoch nur durch teure Kettenumschuldungen und hohe
Gebühren viel Geld, während den Betroffenen nicht geholfen wird (vgl.
www.vzth.de/finger-weg-von-gewerblichen-schuldenregulierern, www.vzhh.de/
schulden/30971/schuldnerberatung-ein-teures-vergnuegen.aspx).
Derzeit wird die Schuldnerberatung uneinheitlich aus vielen verschiedenen öf-
fentlichen Töpfen finanziert. Schon seit Mitte der 1990er Jahre wird darüber dis-
kutiert, dass sich die Wirtschaftsverbände an der Finanzierung beteiligen sollen.
Ein im Jahr 1998 mit Unterstützung des damaligen Bundesfamilienministeriums
und des Bundesjustizministeriums ins Leben gerufenes Gesprächsforum mit den
Verbänden der Kreditwirtschaft, der Versicherungen und des Handels ist geschei-
tert. Anträge der Fraktion DIE LINKE., in denen eine Anschubfinanzierung durch
den Bundeshaushalt vorgeschlagen wurde, bis die Schuldnerberatung finanziell
durch eine Kostenbeteiligung durch die Wirtschaftsverbände abgesichert ist, wur-
den seitens der Koalition aus SPD, CDU und CSU abgelehnt (vgl. Bundestags-
drucksachen 18/3271 und 18/6767). Dies ist aus Sicht der Fragesteller kaum
nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass die Koalition eine solche Anschubfi-
nanzierung im Jahr 2009 für den Ausbau der Finanzberatungsangebote selbst an-
geregt hatte (vgl. Bundestagsdrucksache 16/13612).

Drucksache 18/12070 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die zunehmende Überschuldungssitua-
tion privater Haushalte?

2. Welchen Stellenwert nehmen die Überschuldungsproblematik privater Haus-
halte und die Schuldnerberatung innerhalb der Bundesregierung ein?

3. Welche Bundesministerien sind mit dem Thema „Verschuldung und Über-
schuldung privater Haushalte“ befasst?

4. Im Rahmen welcher Maßnahmen hat die Bundesregierung das Thema im
Laufe der letzten vier Jahre bearbeitet (bitte nach Bundesministerium und
Jahr auflisten)?

5. Aus welchen Gründen hat das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) die federführende Zuständigkeit für die Ko-
ordination der Schuldnerberatung und nicht das Bundesministerium für Ar-
beit und Soziales (BMAS) (siehe Antwort auf die Schriftliche Frage 53 der
Abgeordneten Karin Binder auf Bundestagsdrucksache 18/10797), und wie
wird die Zuständigkeit ausgeübt?

6. Welches Bundesministerium koordiniert die Verbraucherinsolvenzberatung
in Kooperation mit Ländern und Kommunen?
Wie wird die Zuständigkeit ausgeübt?

7. Aus welchen Gründen beschäftigt sich das BMAS nicht mit der Verfügbar-
keit von Schuldnerberatungsstellen, obwohl die Schulden sich nach seiner
Auffassung als Vermittlungshemmnis für die Eingliederung in Arbeit erwei-
sen und das Angebot von Schuldnerberatung als ein wichtiger Beitrag zur
sozialen Stabilisierung und als Voraussetzung für die Heranführung der leis-
tungsberechtigten Personen an den Arbeitsmarkt betrachtet werden (siehe
Antwort zu den Fragen 2c, 2d und 2e der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/10299)?

8. Welche Bedeutung hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Schuldnerbe-
ratung für ein Verbraucherinsolvenzverfahren, und welche gesetzlichen
Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, damit eine einheitliche Beratung
garantiert werden kann?

9. Wie viele Stellen und Personen beschäftigen sich im BMFSFJ sowie anderen
Bundesministerien mit der Koordination der Schuldnerberatung und fachli-
chen Begleitung des Themas Überschuldung und Schuldnerberatung in
Deutschland?

10. Welche Felder der Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Schuldnerbera-
tung sehen das BMFSFJ, das BMAS, das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz (BMJV), das Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie (BMWi) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF)?

11. Welchen Reformbedarf sieht die Bundesregierung bei der Zusammenarbeit
mit der gemeinnützigen Schuldnerberatung, und welchen Reformbedarf se-
hen das BMFSFJ, das BMAS, das BMJV, das BMWi und das BMF?

12. Wie hoch waren die finanziellen Mittel, die die Bundesregierung und nach
Kenntnis der Bundesregierung die einzelnen Länder und Kommunen seit
dem Jahr 2009 für die Insolvenz- und Schuldnerberatung zur Verfügung ge-
stellt haben (bitte nach Jahren und Bundesland aufschlüsseln)?

13. Wie oft, wann, und mit welchen Wirtschaftsverbänden und Schuldnerbera-
tungsstellen haben sich Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung
seit dem Jahr 2009 getroffen, um eine finanzielle Beteiligung der Wirtschaft
zu erreichen (bitte Datum, Thema und Teilnehmerkreis auflisten)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12070

14. Welche Treffen fanden seit dem Jahr 2009 auf Arbeits- und Ministerebene

fachübergreifend innerhalb der Bundesministerien und mit den Bundeslän-
dern statt (bitte Datum, Thema und Teilnehmerkreis auflisten)?

15. Welche Konsequenzen und daraus folgenden Maßnahmen haben das
BMFSFJ oder andere Bundesministerien aus der Überschuldungsstatistik
2015 gezogen, nach der am häufigsten alleinerziehende Frauen, alleinle-
bende Männer und in zunehmenden Maße Seniorinnen und Senioren von
Überschuldung betroffen sind?

16. Wie viele Kinder leben in den von Überschuldung betroffenen Haushalten,
und welche Auswirkung hat die Überschuldung der Eltern für sie?

17. Wie viele Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sind bereits verschuldet
bzw. von Verschuldung bedroht?

Wie hoch ist die Verschuldungshöhe dieser Gruppe insgesamt?
18. Wie viele Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen mit wie vielen Bera-

tungsfachkräften gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt in
Deutschland sowie jeweils in den einzelnen Bundesländern?

19. Wie lange müssen nach Kenntnis der Bundesregierung überschuldete Men-
schen derzeit auf eine Schuldner- oder Insolvenzberatung warten?

20. Wie hoch waren nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2016 die Schul-
den aller überschuldeten Personen in Deutschland?
Wie hat sich die Privatverschuldung seit dem Jahr 2009 entwickelt (bitte für
die Jahre einzeln angeben)?

21. Aus welchen öffentlichen und privaten Mitteln werden nach Kenntnis der
Bundesregierung die Schuldner- und Insolvenzberatung derzeit finanziert?

22. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu gewerblichen Schuldenre-
gulierern und Kettenumschuldungen in Bezug auf verschuldete oder über-
schuldete Personen?

23. Wie wird die Tätigkeit der Schuldnerberatungsstellen gemäß § 305 Absatz 1
Nummer 1 der Insolvenzverordnung (InsO) nach Kenntnis der Bundesregie-
rung finanziell vergütet?

24. Welche Bedeutung hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Ausstellung
einer Bescheinigung für einen Anspruch auf einen erhöhten Freibetrag für
ein Pfändungsschutzkonto?
Wie oft wurde diese Bescheinigung im Jahr 2016 im Verhältnis zu anderen
berechtigten Stellen durch die Schuldnerberatungsstellen nach Kenntnis der
Bundesregierung ausgestellt?
Wie wird diese Tätigkeit durch die Schuldnerberatungsstellen nach Kennt-
nis der Bundesregierung vergütet?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die Tätigkeit den
Schuldnerberatungsstellen zu vergüten?

25. Welche überschuldeten Menschen haben nach Kenntnis der Bundesregie-
rung kein Recht auf eine kostenfreie Schuldnerberatung, und was ist der
Grund für diese Differenzierung von verschuldeten Personen beim Zugang
zur kostenfreien Schuldnerberatung?

Drucksache 18/12070 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

26. Welche gesetzlichen Änderungen sind nach Auffassung der Bundesregie-

rung notwendig, um allen überschuldeten und von Überschuldung gefährde-
ten Menschen einen Zugang zur kostenfreien Schuldnerberatung zu ermög-
lichen?
Welche Änderungen strebt die Bundesregierung zur Durchsetzung eines sol-
chen Anspruchs an?

27. Wie bewertet die Bundesregierung die derzeitigen Kontokosten für die Ein-
richtung eines Basiskontos vor dem Hintergrund von Erwägung 46 der Zah-
lungskontenrichtlinie 2014/92/EU, und welche Schlussfolgerungen und
Konsequenzen zieht sie daraus?

28. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
in Hinblick auf steigende Mieten und Mietschulden bei überschuldeten Per-
sonen?

29. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
in Hinblick auf die „anhaltenden Missstände“ bei Restkreditversicherungen
(siehe Studie der Verbraucherzentralen Hessen e. V. und Sachsen e. V. vom
23. April 2017)?

30. Aus welchen Gründen wird die Restschuldversicherung von der Bundesan-
stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nicht gesondert zahlenmäßig
erfasst (siehe die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/2391, Frage 23), und
sind hier Änderungen geplant?

31. Welche Ergebnisse hat die Prüfung hinsichtlich des Regelungsbedarfes des
„Grauen Kreditmarktes“ durch die Bundesregierung ergeben (siehe die Ant-
wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
auf Bundestagsdrucksache 18/2391, Fragen 32 bis 35), und welche Schluss-
folgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergeb-
nissen?

32. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
in Hinblick auf die Geschäftsmethoden von Inkassounternehmen (siehe
ZDF-Sendung Frontal 21 vom 29. November 2016 „In der Schuldenfalle“)?

33. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von der Gefahr der Datenwei-
tergabe und dauerhaften öffentlichen Verfügbarkeit der Daten von Schuld-
nern, z. B. durch die gewerblich genutzte App „Achtung Pleite“?

Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie daraus?

Berlin, den 11. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.