BT-Drucksache 18/12

Die Situation von Auszubildenden unter besonderer Berücksichtigung des Einzelhandels

Vom 23. Oktober 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12
18. Wahlperiode 23. 10. 2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Rosemarie Hein, Jutta
Krellmann, Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Nicole Gohlke,
Diana Golze, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, Harald Weinberg und der Fraktion
DIE LINKE.

Die Situation von Auszubildenden unter besonderer Berücksichtigung des
Einzelhandels

Jüngst wurde ein Fall der Misshandlung von Auszubildenden beim Einzelhan-
delsunternehmen ALDI bekannt. Im Zentrallager des Konzerns in Mahlberg
wurden Auszubildende von Vorgesetzten mit Frischhaltefolie an Pfosten gefes-
selt und im Gesicht mit wasserfesten Filzstiften beschmiert (DER SPIEGEL 39/
2013). Das mag ein extremes Einzelbeispiel sein, wirft aber grundsätzlich die
Frage nach der allgemeinen Situation von Auszubildenden bzw. nach der Quali-
tät von Ausbildung auf. Nach Angaben der ver.di – Vereinte Dienstleistungs-
gewerkschaft versucht ALDI Süd in seinen Filialen Vollzeitkräfte durch Aus-
zubildende zu ersetzen, bei denen eine fachgerechte Ausbildung auf der Strecke
bleibt. Ähnlich stellt sich dies beim Unternehmen Netto Marken-Discount AG &
CO. KG dar (Report Mainz, 8. Oktober 2013 „Billige Auszubildende: Wie
eine Supermarktkette mit dem Nachwuchs umgeht“). Dass dies ein generelles
Problem ist, belegen die Ergebnisse des jüngst veröffentlichten Ausbildungsre-
portes 2013 der DGB-Jugend. Demnach hat ein Drittel aller befragten Auszubil-
denden keinen betrieblichen Ausbildungsplan, jeder bzw. jede Zehnte muss
„häufig“ oder „immer“ ausbildungsfremde Tätigkeiten ausüben und ihre Ausbil-
derin oder ihr Ausbilder stehen „selten“ oder „nie“ am Ausbildungsplatz zur Ver-
fügung. Gut ein Drittel der Auszubildenden muss darüberhinaus regelmäßig
Überstunden machen. Zudem ist die Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis
nach der Ausbildung nicht garantiert.
Auszubildende stehen in der betrieblichen Hierarchie oft ganz unten und haben
wenig Möglichkeiten, sich gegen ungerechte Behandlungen in der Ausbildung
zu wehren. Das gilt insbesondere dann, wenn es nach Angaben von ver.di, wie
bei ALDI Süd, keine Betriebsräte und keine Jugend- und Auszubildendenvertre-
tungen gibt, die sich für ihre Interessen stark machen können (bei ALDI Nord
gibt es nur Betriebsräte). Nicht selten verstoßen Arbeitgeber gegen gesetzliche
Regelungen und Auszubildende werden als billige Arbeitskräfte missbraucht.
Berufe mit schlechten Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen weisen zudem
hohe Vertragsauflösungen und Ausbildungsabbrüche auf. Dazu gehören auch
Berufe des Einzelhandels, in dem es vergleichsweise mehr ausbildungsberech-
tigte und ausbildende Betriebe gibt als im Dienstleistungsgewerbe und in der
Privatwirtschaft (IAB 2013: Branchenstudie Einzelhandel). Arbeitgeber im
Einzelhandel klagen – wie Arbeitgeber anderer Branchen auch – über fehlende
Fachkräfte, haben aber zugleich die Manteltarifverträge gekündigt mit dem
Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und Löhne zu senken. Das

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würde diejenigen, die sich momentan in der Ausbildung befinden, zusätzlich
treffen (im Folgenden wird oft speziell nach Daten des Einzelhandels bzw. sei-
ner häufigsten Ausbildungsberufe gefragt; sofern für den Einzelhandel keine
entsprechenden Daten vorliegen, bitte auf Daten aus dem Handel insgesamt zu-
rückgreifen).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche sind nach Kenntnis der Bundesregierung die zehn am häufigsten ge-

wählten Ausbildungsberufe im Einzelhandel (bitte je nach Beruf die Zahl
der Auszubildenden pro Jahr und nach Geschlecht nennen), und wie häufig
werden Ausbildungsberufe des Einzelhandels, verglichen mit anderen (dua-
len) Ausbildungsberufen, gewählt?

2. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Probleme in der Ausbildung
aus Sicht der Auszubildenden sowie über Probleme in der Ausbildung im
Allgemeinen?
Wie stellt sich konkret die Situation im Einzelhandel dar?

3. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung im Durchschnitt aller Be-
rufe der Anteil der unbesetzten Ausbildungsstellen, und wie hoch ist die
Quote der Vertragsauflösungen bzw. Ausbildungsabbrüche?
Wie stellt sich konkret die Situation im Einzelhandel dar?

4. In welchen Branchen und Berufen geht nach Kenntnis der Bundesregierung
ein überdurchschnittlich hoher Anteil unbesetzter Ausbildungsplätze mit
einer überdurchschnittlich hohen Quote von Vertragsauflösungen bzw. Aus-
bildungsabbrüchen einher?
Wie erklärt sich die Bundesregierung diesen Sachverhalt?
Welche Rolle spielen die Ausbildungs- und zukünftigen Arbeitsbedingun-
gen in diesen Branchen und Berufen?
Wie stellt sich die Situation speziell für den Einzelhandel und die dort am
häufigsten gewählten Ausbildungsberufe dar?

5. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Qualität der
Ausbildung und dem Lohngefüge bzw. der Ausbildungsvergütung in der
jeweiligen Branche, und wenn ja, welchen?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus diesem Sachverhalt in Bezug auf den Einzelhandel?

6. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, ob und in welchem Aus-
maß die nach dem Berufsbildungsgesetz vorgeschriebenen betrieblichen
Ausbildungspläne tatsächlich aufgestellt und eingehalten werden und in
welchen Branchen es Probleme bzw. Verstöße gibt (bitte entsprechende Zah-
len aus Erhebungen und Statistiken nennen)?
Welche Erkenntnisse gibt es diesbezüglich zur Branche des Einzelhandels
bzw. den dort am häufigsten gewählten Ausbildungsberufen?
Inwiefern sieht die Bundesregierung hier ein Umsetzungsproblem, und wel-
che Schlussfolgerungen leitet sie daraus ab?

7. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob Auszubildende ihre Ab-
schlussprüfungen nicht bestehen, weil Inhalte des Ausbildungsrahmenplans
(laut Berichtsheft) nachweislich nicht vermittelt wurden?
Wenn ja, wie viele (bitte gesondert nach Branchen auflisten), und wie stellt
sich die Situation konkret im Einzelhandel dar?
Wie kann nach der Meinung der Bundesregierung gewährleistet werden,
dass alle Auszubildenden zu Beginn ihrer Berufsausbildung den jeweiligen
Ausbildungsrahmenplan erhalten?

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8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass nach dem DGB-
Ausbildungsreport 2013 Auszubildende ihre Ausbildungsnachweise auch
außerhalb der Arbeitszeit führen müssen (bitte entsprechende Zahlen nen-
nen), und inwiefern trifft dieses Problem insbesondere auf den Einzelhandel
bzw. die dort am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe zu?
In welchen anderen Branchen bzw. Berufen müssen die Auszubildenden
ihre Ausbildungsnachweise vergleichsweise häufig außerhalb ihrer Ar-
beitszeit führen?

9. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Betreuungsintensität
der Auszubildenden durch ihre Ausbilderinnen und Ausbilder (bitte ent-
sprechende Zahlen nennen)?
Wie stellt sich diesbezüglich die Situation im Einzelhandel bzw. den dort
häufigsten Ausbildungsberufen dar?
In welchen Branchen bzw. Ausbildungsberufen gibt es eine vergleichs-
weise geringe Betreuungsintensität?

10. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Überstunden bzw. über-
lange Arbeitszeiten, die Auszubildende leisten müssen, und welche Bran-
chen betrifft das konkret (bitte, wenn möglich, auch entsprechende Zahlen
nennen)?
Wie stellt sich die Situation im Einzelhandel bzw. den dort häufigsten Aus-
bildungsberufen dar?

11. In welchem Maße werden nach Kenntnis der Bundesregierung Zeiten für
den Berufsschulunterricht nicht auf die Arbeitszeit im Betrieb angerechnet,
und wie viele Auszubildende müssen aus diesem Grund die Zeit, die sie in
der Berufsschule verbringen, im Betrieb vor- bzw. nacharbeiten?
Wie stellt sich die Situation konkret im Einzelhandel bzw. den dort häufigs-
ten Ausbildungsberufen dar?

12. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass Auszubildende
ausbildungsfremde Tätigkeiten ausüben müssen, und welche Branchen be-
trifft das konkret (bitte entsprechende Zahlen nennen)?
Wie stellt sich die Situation im Einzelhandel bzw. den dort am häufigsten
gewählten Ausbildungsberufen dar?

13. In welchen Branchen oder Ausbildungsberufen treten nach Kenntnis der
Bundesregierung gravierende Mängel und Verstöße in der Ausbildung auf,
sodass der Eindruck entsteht, Auszubildende würden als „billige Arbeits-
kräfte“ missbraucht?
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber in Bezug auf den Ein-
zelhandel bzw. die dort häufigsten Ausbildungsberufe?

14. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Inhalte des Ausbil-
dungsrahmenplanes zeitlich vorgezogen wurden, damit die oder der Auszu-
bildende während der Ausbildung schnellstmöglich als Fachkraft im Be-
trieb zum Einsatz kommen kann?
Wenn ja, wie viele in welchen Betrieben und Branchen, und wie stellt sich
die Situation im Einzelhandel dar?

15. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Auszubildende ohne Be-
treuung oder fachliche Anleitung durch Kolleginnen und Kollegen bzw.
Ausbilderinnen und Ausbilder Funktionen und Aufgaben übernehmen
müssen, die in der Regel dem Stammpersonal bzw. leitenden Angestellten
obliegt?
Wenn ja, wie viele in welchen Betrieben und Branchen, und wie stellt sich
die Situation im Einzelhandel dar?

Drucksache 18/12 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
16. In wie vielen Fällen werden nach Kenntnis der Bundesregierung junge
Menschen, die bei einem Bildungsträger ausgebildet werden, als Praktikan-
ten in einem externen Betrieb eingesetzt?
Wie stellt sich die Situation im Einzelhandel bzw. den dort am häufigsten
gewählten Ausbildungsberufen dar?

17. Wie viele Einstiegsqualifizierungen (EQ) wurden in den zurückliegenden
drei Jahren von der Bundesagentur für Arbeit bewilligt (bitte gesondert
nach Jahren aufschlüsseln)?
Wie viele EQ wurden im gleichen Zeitraum für Betriebe des Einzelhandels
bewilligt (bitte gesondert nach Jahren aufschlüsseln)?

18. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Quoten für die
Übernahme von Auszubildenden nach einer erfolgreich abgeschlossenen
Ausbildung (bitte nach Branchen aufschlüsseln)?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Situation im Einzelhandel?

19. Welche Untersuchungen und Ergebnisse liegen der Bundesregierung über
die produktiven Einsatzzeiten der Auszubildenden und die von ihnen mo-
netär bewerteten produktiven Leistungen sowie die Äquivalenzerträge, die
von den Auszubildenden am normalen betrieblichen Arbeitsplatz erwirt-
schaftet werden, vor?
Wie haben sich diese innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre entwickelt?

20. Welche Erkenntnis hat die Bundesregierung über Verstöße gegen das Ju-
gendarbeitsschutzgesetz sowie den Arbeitsschutz betreffende Regelungen
des Berufsbildungsgesetzes (bitte sofern vorhanden, die häufigsten Ver-
stöße benennen)?
Wie häufig finden nach Kenntnis der Bundesregierung Kontrollen statt,
und hält die Bundesregierung diese für ausreichend?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Wirksamkeit der Kontrollen?
In welchen Bundesländern existieren nach Kenntnis der Bundesregierung
Landesausschüsse für Jugendarbeitsschutz?

21. Inwiefern werden nach Kenntnis und Ansicht der Bundesregierung die
Kammern bzw. die zuständigen Stellen ihrem Kontrollauftrag für die Ein-
haltung der Regelungen des Berufsbildungsgesetzes gerecht?
Inwiefern ergeben sich Probleme aus der Doppelfunktion der Kammern, da
diese neben einer Kontrollinstanz zugleich als Interessenvertretung der
Wirtschaft agieren?

22. Hält die Bundesregierung alternative bzw. ergänzende Möglichkeiten oder
Institutionen für die Kontrolle der Qualität von Ausbildung für notwendig?
Wenn ja, in welcher Form?

Berlin, den 22. Oktober 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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