BT-Drucksache 18/11960

Eigenbeteiligungen von gesetzlich Versicherten bei der Krankenbehandlung

Vom 6. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11960
18. Wahlperiode 06.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Kathrin Vogler,
Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Eigenbeteiligungen von gesetzlich Versicherten bei der Krankenbehandlung

Gemäß Fünftem Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) müssen Versicherte für die
meisten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich vorge-
schriebene Zuzahlungen entrichten. Die Zuzahlungen betragen nach § 61 SGB V
im Regelfall 10 Prozent des Preises, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens
10 Euro. Als Zuzahlungen zu stationären Maßnahmen werden je Kalendertag
10 Euro erhoben. Bei Heilmitteln und häuslicher Krankenpflege beträgt die Zu-
zahlung 10 Prozent der Kosten plus 10 Euro je Verordnung.
Für eine ambulante ärztliche, zahnärztliche oder psychotherapeutische Behand-
lung waren bis zum 1. Januar 2017 jeweils 10 Euro für die erste Behandlung im
Quartal zu bezahlen. Diese Praxisgebühr für Arztbesuche sollte nach Meinung
der Bundesregierung steuernd auf das Verhalten von Versicherten wirken und die
Zahl der Arztbesuche verringern. Weil sie die Steuerungswirkung nicht erzielte,
aufgrund der Proteste aus der Ärzteschaft wegen zu großer Bürokratie sowie ihrer
Unpopularität, wurde sie 2013 aus Sicht der Fragesteller völlig zurecht wieder
abgeschafft (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/113/1711396.pdf).
Alle anderen Zuzahlungen jedoch wurden nicht abgeschafft, obwohl die Steue-
rungswirkung der Zuzahlungen gesundheitspolitisch nicht gewollt sein kann, da
die betreffenden Leistungen ärztlich verordnet und medizinisch notwendig sind.
Ein Verzicht auf diese Leistungen aufgrund finanzieller Erwägungen durch die
Versicherten kann nicht nur einen unnötig schweren Krankheitsverlauf, sondern
auch regelmäßig hohe Folgekosten nach sich ziehen.
Nicht zuletzt durch die 2004 wirksam werdende kräftige Anhebung von Zuzah-
lungen zu den Leistungen der GKV bewegte sich die Lastenverteilung zwischen
Beschäftigten und Arbeitgebern von einer ehemals annähernd gegebenen Parität
bereits 2012 auf ein Verhältnis von 60 zu 40 zu, wie die Bundeszentrale für poli-
tische Bildung ausführt (www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/
179136/lastenverteilung).
Arzneimittel können von der gesetzlichen Zuzahlung befreit werden, wenn ihr
Preis mindestens 30 Prozent unter dem Festbetrag liegt und dabei Einsparungen
für die Krankenkasse zu erwarten sind (§ 31 Absatz 3 Satz 4 SGB V). Bei einer
Absenkung der Festbeträge sinken demnach die Preise für die Krankenkassen und
steigen gleichzeitig die Eigenbeteiligungen der Versicherten, da vormals zuzah-
lungsfreie Arzneimittel nun zuzahlungspflichtig werden. Auch wenn Rabattver-
träge für Arzneimittel abgeschlossen werden, kann die Krankenkasse auf die Zu-
zahlung ganz oder teilweise verzichten (§ 31 Absatz 3 Satz 5 SGB V).

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Versicherte müssen zusätzlich zu den Zuzahlungen für verordnete Leistungen
Zahlungen tätigen, die nicht oder nicht vollständig von der gesetzlichen Kranken-
kasse erstattet werden. Bei Arzneimitteln kann dies gefordert werden, wenn der
Preis eines Präparates deutlich über dem Festbetrag nach § 35 SGB V liegt. Diese
Eigenbeteiligungen der Versicherten werden als Aufzahlung bezeichnet. Sie
werden auch bei Hilfsmitteln und anderen Leistungen häufig erhoben und können
ein Vielfaches der außerdem zu tragenden Zuzahlung betragen. Bei Hilfsmittel-
ausschreibungen kam es zu sogenannten Unterkostenangeboten, bei denen von
Anbietern Preise offeriert wurden, die ganz offensichtlich nicht kostendeckend
waren. Damit wurde der oft exklusive Zugang zu den Versicherten einer Kran-
kenkasse gesichert, denen damit aufschlagspflichtige Angebote unterbreitet wer-
den konnten, die das Unterkostenangebot refinanzierten. Teilweise wurden
so die Produkte für Null Euro angeboten (vgl. Anhörung zum Heil- und Hilfsmit-
telversorgungsstärkungsgesetz am 30. November 2016 www.bundestag.de/
ausschuesse18/a14/anhoerungen/hhvg-inhalt-alt/479236).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch war nach Kenntnis der Bundesregierung das jährliche Volumen

der geleisteten Zuzahlungen in den vergangenen 15 Jahren jeweils für
a) Krankenhausaufenthalte
b) Arzneimittel
c) Hilfsmittel
d) Heilmittel
e) häusliche Krankenpflege
f) Fahrkosten
g) Haushaltshilfe
h) Soziotherapie
i) Anschlussrehabilitation
j) Mutter-/Vater-Kind-Kuren
k) Kuren
(bitte nach Jahren sowie in Summe und durchschnittlich pro Versicher-
ter/Versichertem aufschlüsseln)?

2. Um wie viel Prozent müsste nach Einschätzung der Bundesregierung der all-
gemeine paritätisch finanzierte Beitragssatz steigen, um den Wegfall der Ein-
nahmen durch Zuzahlungen finanziell auszugleichen?
Um welchen Betrag müssten also jeweils Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-
beitrag steigen, bei einem angenommenen Bruttoeinkommen von 1 000 Euro,
2 000 Euro, 3 000 Euro und 4 000 Euro, um diesen Wegfall auszugleichen?

3. Wie viel Geld geben gesetzlich Versicherte durchschnittlich pro Monat für
Zuzahlungen aus?

4. Wie viele Versicherte haben nach Kenntnis der Bundesregierung in den ver-
gangenen zehn Jahren jährlich eine Befreiung von der Zuzahlung erhalten?

5. Inwiefern kann die Bundesregierung die postulierte Steuerungswirkung be-
legen?

6. Inwiefern stimmt die Bundesregierung der Auffassung der Fragesteller zu,
dass die Steuerungswirkung von Zuzahlungen gesundheitspolitisch uner-
wünscht ist, wenn ärztlich verordnete Leistungen des SGB V aufgrund von
Zuzahlungen nicht in Anspruch genommen werden?

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7. Sieht es die Bundesregierung als positiv an, wenn Versicherte wegen der
Arzneimittelzuzahlung auf ein ärztlich verordnetes Arzneimittel verzichten?

8. Wie viele verordnete Leistungen (insbesondere Arzneimittelverschreibun-
gen) werden nach Kenntnis der Bundesregierung nicht in Anspruch genom-
men?
Inwiefern ist eine Abschätzung möglich, wie hoch dabei der Anteil der Steu-
erungswirkung der Zuzahlungen ist?

9. Für welche Leistungsarten des SGB V ist der Bundesregierung bekannt, dass
über die gesetzliche Zuzahlung hinaus Zahlungen von den Versicherten für
eine ärztlich verordnete Leistung gezahlt werden?

10. Wie hat sich nach Erkenntnissen der Bundesregierung das Volumen für Ei-
genbeteiligungen über die gesetzliche Zuzahlung hinaus seit 2003 entwickelt
(bitte aufschlüsseln nach Leistungsart und insbesondere Hilfsmittel, Arznei-
mittel und künstliche Befruchtung berücksichtigen)

11. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2003 die privat ge-
tragenen Anteile der gesetzlich Versicherten bei zahnärztlichen Leistungen
und Zahnersatz entwickelt?

12. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2003 die Ausgaben
der GKV für zahnärztliche Behandlungen und Zahnersatz entwickelt?

13. Wie hat sich die Zahl der nach § 31 Absatz 3 Satz 4 SGB V zuzahlungsbe-
freiten Arzneimittel nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 2010
bis 2015 entwickelt, und welche Angaben kann sie für die ersten Quartale
des Jahres 2016 machen?
Welche Ursachen sieht die Bundesregierung in dieser Entwicklung, und wel-
che Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

14. Bei wie vielen Arzneimitteln, für die ein Rabattvertrag abgeschlossen wurde,
haben die Krankenkassen auf einen Teil oder die vollständige Zuzahlung ver-
zichtet (bitte absolute Zahl und Anteil an Rabattarzneimitteln angeben)?
Wie hoch ist die Gesamtsumme an Zuzahlungen, die wegen dieser Ermäßi-
gungen nicht gezahlt werden musste?

15. Welche Steuerungswirkung erhofft sich die Bundesregierung aus der aktuel-
len Rechtslage, wonach die Versicherten umso mehr Arzneimittel-Zuzahlun-
gen entrichten müssen, je niedriger die Erstattungspreise (Festbeträge) für
die Krankenkassen werden und je mehr Arzneimittel aufgrund der 30-Pro-
zent-Regel nicht mehr zuzahlungsbefreit sind?

16. Wie sind Zuzahlungen bei der Ermittlung des Regelsatzes des Arbeitslosen-
geldes II (Hartz IV) berücksichtigt (bitte in Euro angeben)?

17. Inwiefern ist es nach Kenntnis der Bundesregierung möglich, dass Menschen
aufgrund von Zuzahlungen unter das Existenzminimum fallen?

18. Wie viel Kosten fallen nach Kenntnis der Bundesregierung für die Erhebung
der Zuzahlungen, die Prüfung und Erstellung von Befreiungen, den Einzug
von Zuzahlungen durch die für Leistungserbringerinnen und Leistungser-
bringer an?

19. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über sogenannte Unterkosten-
angebote, bei denen nicht kostendeckende Angebote bei Hilfsmittelaus-
schreibungen eingereicht werden, weil von den Anbietern von vornherein
mit dem Verkauf aufzahlungspflichtiger Produkte kalkuliert wird?

20. Inwiefern sind Unterkostenangebote nach Ansicht der Bundesregierung mit
dem Wettbewerbsrecht vereinbar?

Wie sind hier gegebenenfalls wettbewerbsrechtliche Sanktionen möglich?

Drucksache 18/11960 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

21. Inwiefern hat die Krankenkasse die Möglichkeit, ein Unterkostenangebot zu

identifizieren, wenn nur oder überwiegend Unterkostenangebote eingereicht
werden?
Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf, etwa in Bezug auf eine
verpflichtende Plausibilitätsprüfung über die Offenlegung der Kalkulation?

22. Inwiefern sind nach Ansicht der Bundesregierung Unterkostenangebote mit
den Regelungen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsstärkungsgesetzes
(HHVG) zuverlässig ausgeschlossen?
Inwiefern sind nach Ansicht der Bundesregierung auch Unterkostenangebote
unter Einhaltung der neu gefassten Regelungen zur Hilfsmittelqualität im
HHVG denkbar?

23. Welche Summe würden die gesetzlichen Krankenkassen nach Erkenntnissen
der Bundesregierung einsparen, wenn die mit dem GKV-Spitzenverband
ausgehandelten rabattierten Erstattungspreise rückwirkend im ersten Jahr
gelten würden?

Berlin, den 5. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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