BT-Drucksache 18/1188

Berichte über die Verweigerung der Annahme von Neuanträgen auf Hartz-IV-Leistungen

Vom 10. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1188
18. Wahlperiode 10.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Katja Kipping, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert
und der Fraktion DIE LINKE.

Berichte über die Verweigerung der Annahme von Neuanträgen
auf Hartz-IV-Leistungen

Nach internen Verfahrensregeln einzelner Jobcenter und kommunaler Träger der
Grundsicherung wird nach Berichten von Betroffenen Antragstellerinnen und
Antragstellern bei Neuanträgen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeit-
suchende der dafür erforderliche Antragsvordruck erst im Rahmen des Erst-
gesprächs mit einem Berater der Einrichtung ausgehändigt (z. B. in Köln). So
kommt es zu Fällen, in denen den Antragstellerinnen und Antragstellern die
Aushändigung bzw. Entgegennahme eines Antrages auf Leistungen nach dem
Arbeitslosengeld (ALG) II ohne Aushändigung eines widerspruchsfähigen Be-
scheides verweigert wird.
Dieses Problem wird vermehrt in der Beratungspraxis beschrieben. Eine ver-
mehrte Verweigerung der Annahme von Anträgen scheint es zu geben im Zu-
sammenhang mit dem Ablauf der im „Gesetz zur Beseitigung sozialer Über-
forderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung“ geschaffenen und
bis zum 31. Dezember 2013 befristeten Möglichkeit zur nachzahlungsfreien
Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung.
Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Neuanträge auch von Menschen gestellt, die
aus verschiedensten Gründen vor Ablauf des Stichtags darauf verzichtet hatten,
Ansprüche nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geltend zu
machen.
Dabei handelt es sich u. a. um Menschen, die Neuanträge auf Grundsicherung
weder anknüpfend an eine Erwerbstätigkeit noch an den Bezug von ALG I
stellen, sondern aus einer sozial ungesicherten Lebenssituation, in der sie, ge-
stützt auf Hilfe aus dem Freundeskreis bzw. von nicht unterhaltspflichtigen
Familienangehörigen, zwar ihren Lebensunterhalt halbwegs gesichert, aber ihren
Krankenversicherungsschutz verloren haben.
In diesen Fällen wurde gegenüber solchen Personen die Ausgabe bzw. Annahme
von Anträgen auf Leistungen der Grundsicherung ohne Berücksichtigung des
Krankenversicherungsstatus mit der Begründung verweigert, dass eine Bedürf-
tigkeit schon deshalb offenkundig nicht gegeben sei, weil sie ihren Lebensunter-
halt weiterhin durch private Zuwendungen nicht unterhaltspflichtiger Dritter be-
streiten könnten bzw. keine Nachweise über Bemühungen zur Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit vorliegen.

Drucksache 18/1188 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung, dass die Verweigerung der

Ausgabe oder Annahme von Anträgen auf Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem SGB II unzulässig ist?
Auf welche Art und Weise stellt die Bundesregierung sicher, dass die Praxis
der örtlichen Jobcenter und kommunalen Träger der Grundsicherung dieser
Rechtsauffassung nicht widerspricht?

2. Kann es nach Auffassung der Bundesregierung Konstellationen oder Sach-
verhalte geben, die eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen im Vorhin-
ein unnötig machen?

3. Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung, dass die Verweigerung der
Ausgabe bzw. Annahme eines Antrages auf Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem SGB II ein Verwaltungsakt ist, über den nach
rechtsstaatlichen Grundsätzen den Betroffenen ein widerspruchsfähiger
schriftlicher Bescheid zu erteilen ist, und welche Mindestanforderungen
ergeben sich daraus für die Tätigkeit örtlicher Jobcenter und kommunaler
Träger der Grundsicherung?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass erwerbsfähige Leistungs-
berechtigte nach dem SGB II auch dann einen Rechtsanspruch auf Prüfung
ihrer Ansprüche im gesetzlich vorgeschriebenen Antragsverfahren haben,
wenn sie in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt durch Zuwendungen
nicht unterhaltspflichtiger Familienangehöriger und Freunde bestritten haben,
und welche Mindestanforderungen ergeben sich aus dieser Rechtsauffassung
für die Arbeitsweise der örtlichen Jobcenter?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass bei der Prüfung der Bedürf-
tigkeit als Anspruchsvoraussetzung für Leistungen nach dem SGB II die
Beiträge zur gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung auch dann zu
berücksichtigen sind, wenn der Lebensunterhalt in der Vergangenheit durch
Zuwendungen nicht unterhaltspflichtiger Dritter bestritten worden ist, ohne
Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichten?

6. Hält die Bundesregierung das beschriebene Vorgehen einzelner Jobcenter für
zulässig, bei Neuanträgen auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, die nicht
aus einer Erwerbstätigkeit bzw. dem Bezug von ALG I gestellt werden,
bereits die Aushändigung von Antragsunterlagen vom Nachweis eigener
Bemühungen um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abhängig zu machen?
Wie begründet sie ihre Einstellung, und welche Konsequenzen ergeben sich
daraus?

7. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und wie solche Fälle, bei denen Neuan-
tragstellerinnen und Neuantragsstellern die Ausgabe bzw. Entgegennahme
von Anträgen auf Leistungen der Grundsicherung ohne Ausstellung eines
widerspruchsfähigen schriftlichen Bescheides verwehrt wird, von den Job-
centern und kommunalen Trägern statistisch erfasst werden, und wie bewer-
tet sie diese Zuordnung?

8. In welcher Häufigkeit treten bundesweit solche Fälle auf, und wie verteilen
sie sich auf die einzelnen Jobcenter bzw. kommunalen Träger der Grund-
sicherung?
Für den Fall, dass darüber keine Daten vorliegen, wie bewertet die Bundes-
regierung diesen Umstand.?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1188
9. Welche öffentlichen und internen Regelungen und Anweisungen der Bun-
desagentur für Arbeit, ihrer Regionaldirektionen und des Jobcenters Köln
sind der Bundesregierung bekannt, in denen die Erfassung von Erstvor-
sprachen, die Ausgabe von Anträgen auf ALG II und die Berücksichtigung
der Erstvorsprache beim Bewilligungszeitraum geregelt sind, und wie be-
wertet sie diese Regelungen (die Regelungen und Anweisungen bitte der
Antwort anhängen)?

10. Wenn es interne Regelungen und Anweisungen dazu geben sollte, warum
sind diese intern und bisher nicht öffentlich?

11. Bis zu welchem Zeitpunkt wird die Bundesregierung durch Prüfung der
Arbeitsweise der Jobcenter klären, ob und welche Jobcenter die Ausgabe
und/oder Annahme von Anträgen unter einen Vorbehalt stellen?

12. Auf welche Art und Weise und bis zu welchem Zeitpunkt wird die Bundes-
regierung sicherstellen, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums nicht durch die Verweigerung der
Annahme eines Antrages gefährdet wird?

Berlin, den 9. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.