BT-Drucksache 18/11610

Entkriminalisierung von Drogenkonsumierenden

Vom 22. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11610
18. Wahlperiode 22.03.2017
Antrag
der Abgeordneten Frank Tempel, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias
W. Birkwald, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jan Korte, Petra
Pau, Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Azize Tank, Kathrin
Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Entkriminalisierung von Drogenkonsumierenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Strafrecht gilt grundsätzlich als letztes Mittel. Obwohl der Konsum von Drogen
als Form der freiwilligen Selbstschädigung und ohne Schädigung Dritter formal als
straffrei gilt, stellt das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) sämtliche konsumnahen Hand-
lungen wie etwa den Anbau, die Produktion, den Erwerb und den Besitz von Betäu-
bungsmitteln (BtM) unter Strafe (vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die
Schriftliche Frage 16 auf Bundestagsdrucksache 18/4538, S. 11-12). Dabei konterka-
riert die Repression die Bemühungen um Prävention, Beratung und Schadensminimie-
rung im Bereich der Drogenpolitik: Menschen, die sich für den Drogenkonsum ent-
schieden haben, brauchen kein Strafrecht, sondern Aufklärung und Konsumkompe-
tenz. Auch Suchterkrankte brauchen keine Sanktionierung durch das Strafrecht, son-
dern Angebote der Therapie und Reintegration.
Das Bundesverfassungsgericht hält die strafrechtliche Prohibition nur deshalb mit dem
Grundgesetz vereinbar, weil der Gesetzgeber den Strafverfolgungsorganen ermög-
licht, von Strafe (§ 29 V BtMG) oder Strafverfolgung (§ 153 ff. StPO, § 31a BtMG)
bei geringem Schuldgehalt abzusehen. Dabei müssen die Länder „für eine im wesent-
lichen einheitliche Einstellungspraxis“ sorgen, wobei ein einheitlicher Vollzug dann
nicht gewährleistet ist, „wenn die Behörden der Länder durch allgemeine Weisungen
die Verfolgung bestimmter Verhaltensweisen nach abstrakt-generellen Merkmalen
wesentlich unterschiedlich vorschreiben oder unterbänden“ (vgl. BVerfGE Az. 2 BvL
43/92).
Die Bundesländer regeln die „geringe Menge“, bei deren Besitz und Erwerb von Straf-
verfolgung und Strafe abgesehen werden kann, nach Substanz und Menge sehr unter-
schiedlich: Bei Cannabis fehlen teilweise Richtlinien zur Anwendungspraxis nach
§ 31a BtMG, während in anderen bei bis zu 10 bzw. 15 Gramm die Strafverfahren
eingestellt werden können. Auch bei anderen Substanzen wie Amphetamin reicht die
Spannbreite von Null-Toleranz-Politik bis hin zu klaren Mengenangaben in einigen
Bundesländern.

Drucksache 18/11610 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Damit wurden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch 20 Jahre nach der
Entscheidung nicht umgesetzt. Die Regelungen im BtMG zur Strafverfolgung von
Konsumierenden sind daher verfassungsrechtlich fragwürdig und unverhältnismäßig.
Offensichtlich ist nur eine Änderung des BtMG geeignet, für einen bundeseinheitlich
verfassungsgemäßen strafrechtlichen Umgang mit Drogenkonsumierenden zu sorgen.
Nach wie vor ist das Ziel eines regulierten Zugangs zu Cannabis (Bundestagsdrucksa-
che 17/7196) oder von anderen Substanzen (Bundestagsdrucksache 18/8459) sinnvoll.
Zumindest ist aber politisch überfällig und verfassungsrechtlich geboten, den Besitz
und Erwerb von Drogen zum Eigenbedarf in der Praxis zu entkriminalisieren.
Als Vorreiter bei der Entkriminalisierung gilt Portugal, wo bereits seit dem Jahr 2001
der Konsum und Besitz von bis zu 10 Tagesdosen nicht mehr strafrechtlich verfolgt
wird (http://www.sicad.pt/BK/Institucional/Legislacao/Lists/ SICAD_LEGISLACAO
/Attachments/525/lei_30_2000.pdf). Das betrifft nicht nur Cannabis, sondern auch He-
roin (max. 1 Gramm), Kokain (max. 2 Gramm), Amphetamine (MDMA, Amphetamin,
Methamphetamin jeweils max. 1 Gramm bzw. 10 Pillen) (http://www.spiegel.de/
panorama/gesellschaft/drogenpolitik-portugal-streicht-strafen-fuer-den-konsum-von-
drogen-a-888188.html). Von vielen kritisch beäugt oder offen abgelehnt, haben sich
in der Evaluation viele positive Wirkungen wie die massive Senkung von HIV-Infek-
tionen unter Konsumierenden gezeigt, während sich Befürchtungen um explodierende
Konsumzahlen und Drogentourismus als grundlos erwiesen haben
(https://www.heise.de/tp/features/15-Jahre-entkriminalisierte-Drogenpolitik-in-
Portugal-3224495.html). Werner Sipp, Präsident des International Narcotics Control
Board (INCB) bei der UN, lobte den portugiesischen Weg als ein Best-Practice-Modell
für andere Staaten (vgl. https://www.incb.org/documents/Speeches/Speeches2015/
statement_reconvened_CND_side_event_portugal.pdf).
Die bisherige Kriminalisierung hat in Deutschland zudem dazu geführt, dass Konsu-
mierende aufgrund von Bagatelldelikten im Bereich der „geringen Menge“ rechtswid-
rig in der Falldatei Rauschgift (FDR) gespeichert wurden. Die Betroffenen werden von
der Speicherung nicht einmal in Kenntnis gesetzt. Dabei sind durch die Speicherung
berufliche Nachteile für die Betroffenen möglich (vgl. Bundestagsdrucksache
18/10590).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen,
a) wonach § 31a BtMG regelt, dass von einer Strafverfolgung bei Volljährigen

abgesehen werden muss, wenn sich die Tat auf bis zu 15 Gramm getrocknete
Teile der Cannabispflanze oder äquivalente Mengen anderer Cannabiser-
zeugnisse (z. B. Marihuana, Haschisch) oder bis zu 3 Cannabispflanzen, die
ausschließlich dem Eigenkonsum dienen, bezieht;

b) wonach § 31a BtMG regelt, dass von einer Strafverfolgung bei Volljährigen
abgesehen werden muss, wenn sich die Tat auf den Umgang mit bis zu 10
Tagesdosen, die ausschließlich dem Eigenkonsum dienen, bezieht. Bei der
Festlegung der entsprechenden Mengenangaben soll sich auf die derzeit gel-
tenden Festlegungen in Portugal bezogen werden;

2. durch Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung (Anlage 4 Nummer 9) sicherzu-
stellen, dass ein Entzug der Fahrerlaubnis nicht allein aufgrund des festgestellten
Konsums einer illegalen Droge, sondern erst bei einer diagnostizierten Abhän-
gigkeitserkrankung, einem Drogengebrauch in riskanten Situationen oder nach
einer wiederholten „Drogenfahrt“ gemäß § 24a StVG (fehlendes Trennungsver-
mögen zwischen Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr) erfolgen kann. Die
Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung, derzufolge die

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11610

Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet werden kann, wenn der Be-
troffene Betäubungsmittel nur widerrechtlich besitzt oder besessen hat, ist aufzu-
heben;

3. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Bundesländern erlaubt, Modellprojekte
zur Abgabe von Cannabis in eigener Kompetenz durchzuführen, um die Auswir-
kungen einer Regulierung nach soziologischen und kriminologischen Gesichts-
punkten zu untersuchen;

4. schnellstmöglich in Zusammenarbeit mit den Ländern zu gewährleisten, dass die
Personen, deren Personendaten unrechtmäßig in der Falldatei Rauschgift (FDR)
gespeichert wurden, über die Speicherung aufgeklärt werden (vgl. Bundestags-
drucksache 18/10590).

Berlin, den 21. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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