BT-Drucksache 18/11077

Mögliche Gefahren durch den geplanten Aus- und Neubau der A1 durch die Leverkusener Dhünnaue

Vom 30. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11077
18. Wahlperiode 30.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Herbert Behrens,
Matthias W. Birkwald, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Birgit Menz,
Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Gefahren durch den geplanten Aus- und Neubau der A1
durch die Leverkusener Dhünnaue

Für den Aus- und Neubau der Autobahn 1 (A1) zwischen Köln-Niehl und dem
Autobahnkreuz Leverkusen sind im aktuellen Bundesverkehrswegeplan (BVWP)
860 Mio. Euro vorgesehen. In den Plänen enthalten ist der Bau einer neuen Rhein-
brücke sowie der Abriss und Neubau der bestehenden Rheinbrücke mit einer
deutlichen Kapazitätserweiterung bis zum Jahr 2023. Dabei sollen die neuen
Trassen durch die Deponie Dhünnaue verlaufen. Das Bundesministerium für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hatte den ausgearbeiteten Plänen des Lan-
des Nordrhein-Westfalen (NRW) zugestimmt.
Kritik gegen das Vorhaben kommt von Seiten der Leverkusener Anwohnerschaft
sowie von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden. Gegen den Planfeststellungs-
entwurf wurden über 300 Einwendungen erhoben. Mit Datum vom 10. November
2016 erging der Planfeststellungsbeschluss. Die Bekanntmachung hierzu erfolgte
mit Datum vom 21. November 2016.
Die Einwendungen der Kritikerinnen und Kritiker sind vielseitig. Sie warnen un-
ter anderem vor den geplanten baulichen Eingriffen in die Mülldeponie
Dhünnaue. Dort kippte die dort ansässige Firma „Bayer“ (vormals IG Farben)
zwischen 1923 bis 1965 toxische Chemieabfälle aus der Produktion ab. Es wird
geschätzt, dass sich unter dem Deponiegelände rund 600 000 Kubikmeter Che-
mieproduktionsreste befinden.
Der in den Antragsunterlagen enthaltene „Erläuterungsbericht Emissionsschutz-
konzept“ führt zahlreiche hochgefährliche organische Chlorverbindungen auf, die
sich in der Deponie befinden. Die als „Seveso-Gift“ bekannt gewordenen poly-
chlorierten Dibenzodioxine und Dibenzofurane wurden in Konzentrationen bis zu
23 µg/kg gemessen. Demgegenüber liegt der Prüfwert der Bundes-Bodenschutz-
und Altlastenverordnung (BBodSchV) für Industrie- und Gewerbegrundstücke
bei 10 µg l-TEq/kg. Chlorphenole, die zum Teil giftig und umweltgefährlich sind,
wurden in Konzentrationen bis zu 1 663 mg/kg gemessen. Der Prüfwert der
BBodSchV für Industrie- und Gewerbegrundstücke liegt für Pentachlorphenol bei
250 mg/kg. Für weitere höchst gefährliche Stoffe wie PCB oder PAK zeigen sich
entsprechende Ergebnisse. Weiterhin wird vermutet, dass Abfälle aus der Ent-
wicklung von Zyklon B und E 605 der damaligen Farbenfabriken der 30er- und
40er-Jahre in der Altdeponie zu finden sind (siehe www.cbgnetwork.org/6535.
html).

http://www.cbgnetwork.org/6535.html
http://www.cbgnetwork.org/6535.html
Drucksache 18/11077 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Aufgrund erheblicher Schadstoffbelastungen wurde die Mülldeponie zwischen
1995 und 2000 für rund 110 Mio. Euro aufwendig saniert und abgedichtet (siehe
www.ksta.de/die-dhuennaue---eine-chronik-14137530).
Mit dem neuerlichen baulichen Eingriff in die Deponie Dhünnaue werden
schwere Umweltfolgen für Mensch und Natur befürchtet. Unabhängige Experten
kritisieren den Planfeststellungsbeschluss dahingehend, dass die Pfähle in die
Mülldeponie in 2 Meter Tiefe gesetzt werden sollen, in dieser Tiefe ein Boden-
austausch vorgesehen ist, auf dem die Autobahn später ruhen soll. Diese Tiefe der
Pfähle sei viel zu gering, um auf dem Deponiegelände ein späteres Absacken der
Fahrbahn zu verhindern, welche aufgrund der labilen Bodensituation drohe. Da-
her gehen unabhängige Exporten wie der Diplom Ingenieur Helmut Hesse davon
aus, dass statt der geplanten 2 Meter in einer Tiefe von 10 bis 15 Meter Boden
abgetragen werden müsse, was zu erheblichen Kostensteigerungen bei der Ent-
sorgung führe (siehe levmussleben.eu/dokumente/einwändungen/Einwand%201
%20-%20Erforderlicher%20Mülltransport%20verstößt%20gegen%20das%20
Bundesbodenschutzgesetz.pdf?boxtype=pdf&g=false&s=true&s2=false&r=wide).
Nach Schätzungen eines Sachverständigen könnten sogar Kosten von bis zu
1 Mrd. Euro anfallen (siehe www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/
a-1-ausbau-prognosen-zu-den-altlasten-in-der-dhuennaue-gehen-weit-auseinander-
24354456). Dies würde die Wirtschaftlichkeit des Projektes als Ganzes in Frage
stellen.
Im Planfeststellungsverfahren wurde vorgebracht, dass das Vorhaben unter den
Geltungsbereich der Seveso-III-Richtlinie (Richtlinie 2012/18/EU) fallen müsse.
Dies wurde in der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses insbesondere mit
Verweis auf die Ausnahmeregelung für Abfalldeponien abgelehnt. Ein anderer
Aspekt, der Relevanz für die Anwendung der Seveso-III-Richtlinie und des § 50
Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) besitzt, wurde hinge-
gen nicht betrachtet. So könnten Abfalllager errichtet und betrieben werden, um
die ausgehobenen Abfälle bis zu ihrem Transport zwischenzulagern.
Abfalllager können grundsätzlich Betriebsbereiche gemäß § 3 Absatz 5a BIm-
SchG sein, da sie keine Deponien darstellen. Abfälle sind gemäß Nummer 5 der
Anmerkungen zu Anhang I der Seveso-III-Richtlinie der ähnlichsten Gefahren-
kategorie oder dem ähnlichsten namentlich aufgeführten gefährlichen Stoff,
die/der in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, zuzuordnen. Damit
können die Mengenschwellen ermittelt werden, die festlegen, ab welchen Abfall-
mengen das Abfalllager unter den Geltungsbereich der Seveso-III-Richtlinie fällt.
Der Planfeststellungsbeschluss enthält jedoch keine Angaben zu der Einstufung
der Abfälle, die aus der Deponie Dhünnaue entnommen werden sollen, zu Anzahl
und Volumen potentieller Abfalllager und zu den angemessenen Abständen zu
sensiblen Gebieten gemäß § 50 Satz 1 BImSchG.
Auch von anderer Seite wird das Projekt kritisiert. Das Landesamt für Natur, Um-
welt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW) äußert in ei-
ner Stellungnahme die Befürchtung, dass es beim Aushub zu unvorhersehbaren
Ereignissen kommen könnte und fordert zahlreiche Schutzmaßnahmen (siehe
www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/a1-ausbau-oeffnung-der-alten-
giftmuelldeponie---ein-vorhaben-mit-schwachstellen-25094756).
Das Magazin „Westpol“ des Westdeutschen Rundfunks (WDR) berichtete in sei-
ner Sendung vom 18. Dezember 2016 über mögliche neue Probleme beim Bau
der Leverkusener Rheinbrücke. So soll ein 13 Hektar großer Teil der Altdeponie
Dhünnaue unter der in Betrieb befindlichen Sondermülldeponie Bürrig liegen
(siehe www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westpol/video-westpol-360.html,
www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/rheinbruecke-leverkusen-westpol-100.html).
Es wird befürchtet, dass im Extremfall die Deponie Bürrig den darunterliegenden
Teil der Altdeponie Dhünnaue auseinandergedrückt hat. Die Wechselwirkungen

http://www.ksta.de/die-dhuennaue---eine-chronik-14137530
http://levmussleben.eu/dokumente/einw?ndungen/Einwand%201%20-%20Erforderlicher%20M?lltransport%20verst??t%20gegen%20das%20Bundesbodenschutzgesetz.pdf?boxtype=pdf&g=false&s=true&s2=false&r=wide
http://levmussleben.eu/dokumente/einw?ndungen/Einwand%201%20-%20Erforderlicher%20M?lltransport%20verst??t%20gegen%20das%20Bundesbodenschutzgesetz.pdf?boxtype=pdf&g=false&s=true&s2=false&r=wide
http://levmussleben.eu/dokumente/einw?ndungen/Einwand%201%20-%20Erforderlicher%20M?lltransport%20verst??t%20gegen%20das%20Bundesbodenschutzgesetz.pdf?boxtype=pdf&g=false&s=true&s2=false&r=wide
http://www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/a-1-ausbau-prognosen-zu-den-altlasten-in-der-dhuennaue-gehen-weit-auseinander-24354456
http://www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/a-1-ausbau-prognosen-zu-den-altlasten-in-der-dhuennaue-gehen-weit-auseinander-24354456
http://www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/a-1-ausbau-prognosen-zu-den-altlasten-in-der-dhuennaue-gehen-weit-auseinander-24354456
http://www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/a1-ausbau-oeffnung-der-alten-giftmuelldeponie---ein-vorhaben-mit-schwachstellen-25094756
http://www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/a1-ausbau-oeffnung-der-alten-giftmuelldeponie---ein-vorhaben-mit-schwachstellen-25094756
http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westpol/video-westpol-360.html
http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/rheinbruecke-leverkusen-westpol-100.html
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11077

beider Deponien miteinander und die Auswirkungen auf das Straßenbauprojekt
wurden vom Landesbetrieb Straßenbau (Straßen.NRW) und der Bezirksregierung
Köln jedoch nicht untersucht, eine Gefährdungsabschätzung wurde nicht erstellt.
Auch stellt sich die Frage, ob im Planfeststellungsverfahren bisher alle Alternati-
ven zur bisherigen Vorzugsvariante ausreichend geprüft worden sind. Im Rahmen
dessen gibt es Informationsbedarf hinsichtlich möglicher Grundstücksübertra-
gungen von der Bayer AG an Straßen.NRW beziehungsweise an den Bund.
Zugleich wird vor einer Abwälzung der Deponie-Haftung von der Bayer AG auf
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gewarnt. Die Steuerzahlerinnen und Steu-
erzahler würden nach Einschätzung der Kritikerinnen und Kritiker bei künftigen
Komplikationen mit der Mülldeponie im vollen Umfang haften.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Befinden sich im Bereich „Dhünnaue Nord“ (nördlich der Autobahnbrü-

cke A1) Grundstücke im Besitz des Bundes oder im Besitz von Stra-
ßen.NRW, welche im Auftrag des Bundes erworben worden sind (bitte um
Auflistung nach Zeitpunkt des Erwerbs)?

2. Existieren bundesweit einheitliche und spezifische rechtliche Bestimmungen
zur Errichtung und zum Betrieb größerer Straßenbauprojekte, die durch De-
ponien oder Altdeponien geführt werden, auf denen gefährliche Abfälle ab-
gelagert werden oder wurden?

Um welche Regelungen handelt es sich?
3. Hält die Bundesregierung die Festlegung im Planfeststellungsbeschluss für

realistisch, den Boden im Bereich der zukünftigen Autobahntrasse auf der
Mülldeponie Dhünnaue Nord lediglich bis zu einer Tiefe von 2 Metern aus-
zutauschen (bitte begründen)?

4. Inwieweit wird aus Sicht der Bundesregierung im derzeitigen Planfeststel-
lungsentwurf die Tragfähigkeit des darunter befindlichen Bodens sicherge-
stellt, auf dem die spätere Autobahntrasse ruhen soll (bitte begründen)?

5. Welche Produktionsabfälle welcher produktionsspezifischer Herkunft und
chemischer Zusammensetzung befinden sich im Bereich der zukünftigen Au-
tobahntrasse oder können sich dort befinden?
Welche Gutachten und Stellungnahmen hierzu sind der Bundesregierung be-
kannt?
Wurden darin auch Fehlchargen aus der Produktion berücksichtigt?

6. Wie würden die abgelagerten Abfälle heute nach der Abfallverzeichnis-Ver-
ordnung eingestuft?
Welche Gefahrenmerkmale nach der CLP-Verordnung wären für die Abfälle
einschlägig?

7. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung in Bezug auf die mögliche
Lagerung von Abfällen aus der Entwicklung von Zyklon B im Bereich
Dhünnaue Nord vor?

8. Welches Konzept existiert zur Bewältigung von Gefahren durch bisher nicht
erkannte und nicht in die bisherigen Betrachtungen einbezogene Problemab-
fälle, die bei einer Öffnung der Deponie gefunden werden könnten?
Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr durch die potentielle Freiset-
zung toxischer Gase und Stäube, wassergefährdender Stoffe oder von Stof-
fen, die eine explosionsfähige Atmosphäre hervorrufen können?

Drucksache 18/11077 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
9. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass die Wechselwirkung zwischen
der im Betrieb befindlichen Deponie Bürrig und der Altdeponie Dhünnaue
nicht betrachtet wurde und keine Gefährdungsabschätzung im Hinblick
auf das Straßenbauprojekt erstellt wurde (www1.wdr.de/mediathek/video/
sendungen/westpol/video-westpol-360.html, www1.wdr.de/nachrichten/
landespolitik/rheinbruecke-leverkusen-westpol-100.html)?

10. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass im Planfeststellungsbeschluss
und seiner Begründung (www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/verfahren/
25_strasse_planfeststellungsverfahren/autobahn1_ak_leverkusen/beschluss.
pdf) eine Betrachtung der Anwendbarkeit der Seveso-III-Richtlinie bzgl. des
Vorliegens von Betriebsbereichen bzw. eines Betriebsbereiches in Form von
Abfalllagern nicht erfolgt ist und keine diesbezüglichen angemessenen Ab-
stände ermittelt bzw. erforderliche Flächenzuordnungen im Sinne des § 50
Satz 1 BImSchG bezüglich schwerer Unfälle nicht ermittelt wurden?

11. Wer trägt etwaige Mehrkosten bei den geplanten Bau- und Entsorgungsar-
beiten im Bereich Dhünnaue Nord?

12. Wie wirkt sich die Brückenplanung und Öffnung der Deponie auf die Haf-
tung der Bayer AG für Schäden aus, die von der Deponie verursacht werden?

Berlin, den 27. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westpol/video-westpol-360.html
http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westpol/video-westpol-360.html
http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/rheinbruecke-leverkusen-westpol-100.html
http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/rheinbruecke-leverkusen-westpol-100.html
http://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/verfahren/25_strasse_planfeststellungsverfahren/autobahn1_ak_leverkusen/beschluss.pdf
http://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/verfahren/25_strasse_planfeststellungsverfahren/autobahn1_ak_leverkusen/beschluss.pdf
http://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/verfahren/25_strasse_planfeststellungsverfahren/autobahn1_ak_leverkusen/beschluss.pdf

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