BT-Drucksache 18/11063

Tabaklobby und Tabakregulierung

Vom 27. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11063
18. Wahlperiode 27.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Tempel, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Katrin Kunert,
Harald Petzold (Havelland), Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert und
der Fraktion DIE LINKE.

Tabaklobby und Tabakregulierung

Mit der Unterzeichung der WHO-Tabakrahmenkonvention (WHO Framework
Convention on Tobacco) im Jahr 2003 (Inkrafttreten 2005) hat sich Deutschland
dazu verpflichtet, die tabakbedingten gesundheitlichen und gesellschaftlichen
Schäden einzugrenzen. Hierzu gehört laut Vertragstext, „ein umfassendes Verbot
aller Formen von Tabakwerbung, Förderung des Tabakverkaufs und Tabakspon-
soring“ zu erlassen. Als Werbung wird „jede Form der kommerziellen Kommu-
nikation, Empfehlung oder Handlung mit dem Ziel, der Wirkung oder der wahr-
scheinlichen Wirkung, ein Tabakerzeugnis oder den Tabakgebrauch unmittelbar
oder mittelbar zu fördern“ verstanden. Laut Vertragstext hätte dieses Verbot in-
nerhalb von fünf Jahren umgesetzt werden sollen – also bis 2010. Dennoch finden
weiterhin verkaufsfördernde Aktivitäten von Tabakerzeugnissen statt (vgl. Bun-
destagsdrucksache 17/11613 sowie aktuell DHS 2016: Jahrbuch Sucht 2016,
S. 63-67). Die WHO-Tabakrahmenkonvention ist der einzige völkerrechtlich ver-
bindliche internationale Vertrag im Gesundheitsbereich.
Im Jahr 2012 begründete die Bundesregierung das Ausbleiben eines Verbots etwa
der Außen- und Kinowerbung damit, dass neun Jahre nach Unterzeichnung des
WHO-Vertrags „die Diskussion innerhalb der Bundesregierung noch nicht abge-
schlossen“ sei (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11613). Dies empört aus Sicht der
Fragesteller umso mehr, als auch der Deutsche Bundestag schon im Jahr 2004 mit
der Verabschiedung des Gesetzes zum Tabakrahmenübereinkommen der Bun-
desregierung einen eindeutigen Handlungsauftrag gegeben hat, den Vertragstext
umzusetzen und damit alle Formen des Tabakmarketings zu unterbinden.
Am 25. Juni 2015 legte dann das Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse vor, das ein Komplettverbot
von Außen- und Kinowerbung für Tabakerzeugnisse beinhaltete. Innerhalb der
Bundesregierung konnte sich dieses Anliegen jedoch nicht durchsetzen. So bein-
haltete ein neuer Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ta-
bakerzeugnisgesetzes vom 4. November 2015 kein Komplettverbot von Kinower-
bung. Außenwerbung sollte erst ab dem Jahr 2018 verboten werden. Der am
28. Juni 2016 eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Tabakerzeugnisge-
setzes (Bundestagsdrucksache 18/8962) sah nun ein Verbot für Außenwerbung
sogar erst ab dem Jahr 2020 vor. Ohne Komplettverbot von Tabakwerbung ist
jedoch zu erwarten, dass sich die Tabakwerbung in die nichtregulierten Berei-
che – wie etwa die Kinowerbung, Promotion und Sponsoring von Veranstaltun-
gen mit regionaler und lokaler Bedeutung – verlagern wird.

Drucksache 18/11063 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Aus Sicht der Fragesteller hat die Bekämpfung von sozialen und gesundheitlichen
Folgeproblemen durch den Tabakkonsum eine hohe Priorität. Gesundheit ist ein
Menschenrecht und es ist die Pflicht des Staates, die Gesundheit der Menschen
zu schützen. Das muss wichtiger sein als Überlegungen zur Wirtschaftsförderung
oder zum Steueraufkommen. Allerdings gibt die Tabaklobby offen zu, „über Jahr-
zehnte einen guten Draht zur Politik aufgebaut“ zu haben. In Deutschland sei es
wie in keinem anderen Land so einfach, mit der Politik ins Gespräch zu kommen
(vgl. www.fr-online.de/wirtschaft/tabakindustrie-im-dunstkreis-der-tabak-lobby,
1472780,20775826.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch lagen nach Kenntnis der Bundesregierung die Ausgaben für Wer-

bung, Promotion und Sponsoring für Tabakerzeugnisse seit 2013 bis ein-
schließlich 2016 (bitte nach direkter Werbung, Außenwerbung, Werbung im
Kino, sonstige Werbung und keine Zuordnung, Promotion und Sponsoring
sowie nach Jahren auflisten)?

2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die jährlichen finanziellen Schäden
für Kranken-, Pflege und Rentenversicherungen durch Tabakkonsum seit
2009 bis einschließlich 2016 (bitte jährlich auflisten)?

3. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Anzahl der Todesfälle durch ak-
tives und passives Rauchen seit 2009 bis einschließlich 2016 (bitte jährlich
auflisten)?

4. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die jährlichen Gewinne der Tabakin-
dustrie seit 2009 bis einschließlich 2016 (bitte jährlich auflisten)?

5. In welchem Monat begann die Arbeit am Referentenentwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeug-
nisse im Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, der am
25. Juni 2015 fertig gestellt wurde?

6. Wie viele Treffen fanden zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Tabak-
industrie und der Bundesregierung seit Beginn der 18. Legislaturperiode statt
(bitte nach Datum, Verband, Ministerien und Ebene auflisten)?
a) In welcher Form fand die Vorbereitung zu den einzelnen Treffen statt

(z. B. Erstellung von Vermerken)?
b) Bei welchen Treffen wurde ein Gesprächsprotokoll geführt, bei welchen

Gesprächen wurde kein Gesprächsprotokoll geführt?
c) Bei welchen Treffen wurde ein Ergebnisprotokoll geführt, bei welchen

Treffen wurde kein Ergebnisprotokoll geführt (bitte nach Monat, Verband
und Ministerien auflisten)?

d) Bei welchen dieser Treffen wurde über das Tabakwerbeverbot gespro-
chen?

7. Inwiefern kommen die Ministerien einheitlichen und gleichen Transparenz-
standards nach, wenn das Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft und das Bundesministerium für Gesundheit alle Gesprächstermine auf
ihrer Internetseite veröffentlichen, das Bundesministerium für Wirtschaft
und Energie jedoch nur Gesprächstermine auf der Leitungsebene erfasst (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Frage 16 auf Bun-
destagsdrucksache 18/7008)?

8. Wie begründet die Bundesregierung die unterschiedliche Handhabung zur
Erfassung von Gesprächsterminen mit der Tabaklobby in den einzelnen Res-
sorts (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Frage 16
auf Bundestagsdrucksache 18/7008)?

http://www.fr-online.de/wirtschaft/tabakindustrie-im-dunstkreis-der-tabak-lobby,1472780,20775826.html
http://www.fr-online.de/wirtschaft/tabakindustrie-im-dunstkreis-der-tabak-lobby,1472780,20775826.html
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11063
9. Inwiefern plant die Bundesregierung, etwa durch die Richtlinienkompetenz
der Bundeskanzlerin, für einheitliche und gleiche Transparenzstandards zur
Erfassung von Gesprächsterminen mit der Tabaklobby in den unterschiedli-
chen Ressorts zu sorgen?

10. Nach welchen Kriterien entscheiden die Bundesregierung bzw. die zuständi-
gen Ministerien, ein Gesprächs- oder Ergebnisprotokoll bei Treffen mit Ver-
treterinnen und Vertretern der Tabaklobby zu führen?

11. Wie können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Ministerien zur
internen Bearbeitung von zukünftigen Vorgängen nachvollziehen, was bei
den Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Tabaklobby besprochen
oder entschieden wurde, wenn keine Protokolle vorliegen?

12. Wie kommt die Bundesregierung den Vorgaben des Informationsfreiheitsge-
setzes nach, insbesondere der Möglichkeit der Akteneinsicht für Dritte, wenn
keine Protokolle bei Gesprächen zwischen Bundesregierung bzw. den Mini-
sterien und Vertreterinnen und Vertretern der Tabaklobby stattfinden?

13. Wie kommt die Bundesregierung den Leitlinien für die Umsetzung von Ar-
tikel 5.3 des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabak-
gebrauchs nach, insbesondere Leitlinie 2, wonach Vertragsparteien sicher-
stellen sollen, „dass jede Interaktion mit der Tabakindustrie zu Belangen der
Eindämmung des Tabakgebrauchs oder der öffentlichen Gesundheit rechen-
schaftspflichtig und transparent ist“?

14. Wie stellt die Bundesregierung zukünftig sicher, dass Gesprächs- und/oder
Ergebnisprotokolle bei Treffen zwischen der Bundesregierung bzw. den Mi-
nisterien und Vertreterinnen und Vertretern der Tabaklobby geführt werden?

15. Wie viele Anfragen auf Informationszugang erhielten die Bundesministerien
über Treffen mit Vertretern der Tabaklobby seit 2013 (bitte nach Ministerien
auflisten)?

16. Wurde der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse vom Bundesministerium
für Ernährung und Landwirtschaft vom 25. Juni 2015 an externe juristische
Personen (Firmen, Vereine, Verbände) mit Bitte um Stellungnahme ver-
schickt?
a) Durch welche Ministerien erfolgte die Verschickung?
b) An welchem Datum erfolgte die Verschickung?
c) An welche juristischen Personen erfolgte eine Bitte um Stellungnahme?

17. Wurde der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse vom Bundesministerium
für Ernährung und Landwirtschaft vom 25. Juni 2015 in Fachgesprächen
oder Anhörungen zusammen mit externen juristischen Personen erörtert?
a) Welche juristischen Personen erhielten eine Einladung zu einem Fachge-

spräch oder einer Anhörung?
b) Welche Ministerien haben zu Fachgesprächen oder Anhörungen eingela-

den?
c) Wann erfolgte die Einladung zu Fachgesprächen oder Anhörungen (bitte

nach Ministerien aufschlüsseln)?
d) Wie viele Fachgespräche oder Anhörungen fanden zum Referentenent-

wurf statt (bitte nach Datum und Ministerien aufschlüsseln)?
e) Welche juristischen Personen nahmen an den Fachgesprächen oder An-

hörungen teil (bitte nach einzelnen Fachgesprächen und zuständigen Mi-
nisterien aufteilen)?

Drucksache 18/11063 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

18. Wurde der Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ta-

bakerzeugnisgesetzes vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft vom 4. November 2015 an externe juristische Personen mit der Bitte
um Stellungnahme verschickt?
a) Durch welche Ministerien erfolgte die Verschickung?
b) An welchem Datum erfolgte die Verschickung?
c) An welche juristischen Personen erfolgte eine Bitte um Stellungnahme?

19. Wurde der Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ta-
bakerzeugnisgesetzes vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft vom 4. November 2015 in Fachgesprächen oder Anhörungen zusam-
men mit externen juristischen Personen erörtert?
a) Welche juristischen Personen erhielten eine Einladung zu einem Fachge-

spräch oder einer Anhörung?
b) Welche Ministerien haben zu Fachgesprächen oder Anhörungen eingela-

den?
c) Wann erfolgte die Einladung zu Fachgesprächen oder Anhörungen (bitte

nach Ministerien aufschlüsseln)?
d) Wie viele Fachgespräche oder Anhörungen fanden zum Referentenent-

wurf statt (bitte nach Datum und Ministerien aufschlüsseln)?
e) Welche juristischen Personen nahmen an den Fachgesprächen oder An-

hörungen teil (bitte nach einzelnen Fachgesprächen und zuständigen Mi-
nisterien aufteilen)?

20. Welchen Regeln und Vorschriften unterliegt die Weitergabe von Referenten-
entwürfen innerhalb der Ministerien zur Bewertung an Dritte?

21. Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der adressierten juristischen
Personen zur Bewertung des oben genannten Referentenentwurfs?

22. Inwiefern haben die Bundesregierung bzw. die zuständigen Ministerien oder
deren nachgeordnete Behörden im Jahr 2016 Spenden oder sonstige finanzi-
elle, personelle oder fachliche Unterstützung von der Tabakindustrie oder
verbundenen Stiftungen erhalten, und wie hoch war der Wert der jeweiligen
Unterstützung?

23. Wie hoch waren die Parteispenden aus der Tabakindustrie in den letzten fünf
Jahren (bitte nach Partei, Spender und Jahr aufschlüsseln)?

24. Wie begründet die Bundesregierung aus gesundheitspolitischer Sicht die
Herausnahme des ausnahmslosen Verbots von Tabakwerbung im Kino, wel-
ches noch im Referentenentwurf vom 25. Juni 2015 vorgesehen war, im Ver-
gleich zum Referentenentwurf vom 4. November 2015 und des jetzigen Ent-
wurfs der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 18/8962)?

25. Wie begründet die Bundesregierung aus gesundheitspolitischer Sicht die
Herausnahme des ausnahmslosen Verbots von Tabakaußenwerbung, wel-
ches noch im Referentenentwurf vom 25. Juni 2015 vorgesehen war, im Ver-
gleich zum Referentenentwurf vom 4. November 2015?

26. Wie begründet die Bundesregierung aus gesundheitspolitischer Sicht die
Verschiebung des Außenwerbeverbots von 2018 auf 2020, wie im jetzigen
Entwurf der Bundesregierung vorgesehen (Bundestagsdrucksache 18/8962)
im Vergleich zum Referentenentwurf vom 4. November 2015?

27. Inwiefern steht das geplante Außenwerbeverbot für 2020 sowie die Ausnah-
men für Kinowerbung im Widerspruch zum Gesetz zu dem Tabakrahmen-
übereinkommen, das zu einem Verbot aller Formen der Tabakwerbung bis
2010 verpflichtet und direkte Gesetzeswirkung in Deutschland hat?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11063

28. Bleibt die Bundesregierung bei der Ansicht, dass sie verfassungsrechtlich

nicht daran gehindert wird, dem „Gesundheitsschutz gegenüber den damit
beeinträchtigten Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit der Unter-
nehmen und der Verhaltensfreiheit der Raucher, den Vorrang einzuräumen“
(vgl. Bundestagsdrucksache 17/2036).

29. Welche Programme fördert die Bundesregierung als wirtschaftlich realisier-
bare Alternative für Tabakanbauerinnen und Tabakanbauer, Tabakarbeite-
rinnen und Tabakarbeiter sowie Einzelverkäuferinnen und Einzelverkäufer?

Berlin, den 26. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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