BT-Drucksache 18/11030

Umsetzung und erste Erfahrungen mit dem sogenannten SGB-II-Rechtsvereinfachungsgesetz

Vom 25. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11030
18. Wahlperiode 25.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, Cornelia Möhring, Azize Tank, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg, Birgit Wöllert und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung und erste Erfahrungen mit dem sogenannten SGB-II-
Rechtsvereinfachungsgesetz

Seit Juni 2013 tagte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Konferenz der Minis-
terinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales
(ASMK) mit dem selbst gesetzten Ziel, das passive Leistungs- und Verfahrens-
recht bei Arbeitslosengeld II (Hartz IV) zu vereinfachen. Es sollten Vorschläge
erarbeitet werden, um die administrativen Abläufe bei Hartz IV effizienter zu ge-
stalten. Die Probleme und Anliegen der Hartz-IV-Leistungsberechtigten spielten
bei diesen Verhandlungen nach Einschätzung der Fragesteller keine relevante
Rolle. Insbesondere die Sicherstellung des verfassungsrechtlich verbürgten
Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenz- und Teilhabeminium und/oder
die Verbesserung von Maßnahmen zur Förderung der sozialen und beruflichen
Eingliederung der Betroffenen spielten in dem Beratungsprozess nur eine Neben-
rolle. Damit wurde von Beginn an eine aus Sicht der Fragesteller fragwürdige
Prioritätensetzung verfolgt. Die Gelegenheit zu einer ihrer Auffassung nach not-
wendigen grundlegenden Reform des Hartz-IV-Systems im Sinne der betroffenen
Leistungsberechtigten wurde nicht genutzt.
Mit dem 9. SGB-II-Änderungsgesetz (SGB II – Zweites Buch Sozialgesetzbuch)
wurden einige der Anregungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgegriffen und
im Juli 2016 beschlossen (BGBl. I S. 1824). Andere Vorschläge wurden dagegen
nicht in das Gesetz aufgenommen. Zu den nicht übernommenen Vorschlägen zäh-
len insbesondere Vorschläge zur Abmilderung der Sanktionsregeln im SGB II,
die in weitreichendem Konsens von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vereinbart
wurden. Stattdessen wurde mit Änderungen an der Regelung zu sog. sozialwidri-
gem Verhalten die Disziplinierungsmöglichkeit in dem Gesetz ausgeweitet. Zent-
rale bürokratische Probleme im SGB II – wie etwa das bürokratische Monstrum
Bildungs- und Teilhabepaket – wurden in dem Gesetzgebungsprozess gänzlich
ausgeklammert. In der Summe erscheint das Gesetz als Fülle unsystematischer
Einzeländerungen, als „Sammelsurium unterschiedlicher Einzelregelungen, die
kein Konzept erkennen lassen“ (Bernd Eckhardt: Neuntes Gesetz zur Änderung
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung, www.sozialrecht-
justament.de/sozialrecht-justament-2016/).
Die Kleine Anfrage thematisiert einzelne Aspekte der Gesetzesänderung sowie
Hintergründe zur ausgebliebenen Abmilderung des Sanktionsrechts.

http://www.sozialrecht-justament.de/sozialrecht-justament-2016/
http://www.sozialrecht-justament.de/sozialrecht-justament-2016/
Drucksache 18/11030 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Ziele verfolgt die Bundesregierung mit den Regelungen
des sogenannten SGB-II-Rechtsvereinfachungsgesetzes, und welches über-
greifende Konzept steht hinter den Änderungen?

2. Welche Mechanismen hat die Bundesregierung im Gesetz verankert, um die
Erreichung der Ziele umzusetzen und zu überprüfen?

3. Welche Fachlichen Hinweise sind durch die Bundesagentur für Arbeit neu
entwickelt oder überarbeitet worden, um die Änderungen durch das Gesetz
umzusetzen?

4. Welche konkreten Inhalte sind ggf. in diesen Fachlichen Hinweisen veran-
kert worden?

5. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von Beratungen und/oder Emp-
fehlungen der kommunalen Spitzenverbände zur Umsetzung der Gesetzes-
änderungen für die sog. Optionskommunen?

6. Inwieweit waren die Regelungen des sog. SGB-II-Rechtsvereinfachungsge-
setzes Gegenstand der Beratungen im Bund-Länder-Ausschuss nach § 18c
SGB II, und welche Ergebnisse hatten diese Beratungen?

Falls nein, sind diesbezügliche Beratungen noch geplant?
7. Welche Vorarbeiten mit welchen Inhalten und welcher inhaltlichen Begrün-

dung wurden zur Überarbeitung der Sanktionsnormen im SGB II durch das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales geleistet?

8. Wann wurden diese Vorarbeiten welchen politischen Entscheidungsträgern
oder anderen Akteuren vorgestellt?

9. Aus welchen Gründen wurde trotz der vorhandenen Vorarbeiten von Seiten
der Bundesregierung in dem Gesetzentwurf kein Vorschlag zur Abmilderung
der Sanktionsnormen in das SGB II eingebracht?

10. a) Wie viele Bescheide im SGB II erfolgten im Vorfeld der Gesetzesände-
rung vorläufig (pro Jahr; für 2016 pro Monat)?

b) Aus welchen Gründen wurden die Leistungen vorläufig bewilligt?
c) Wie viele endgültige Bescheide führten zu einer Rückforderung von Leis-

tungen durch die Jobcenter?
d) In welchem Umfang waren die Leistungsberechtigten in der Lage, Rück-

forderungen zu begleichen?
e) Aus welchen Gründen wurden die Verfahren für vorläufige Entscheidun-

gen verändert?
f) Aus welchen Gründen wird nunmehr den Jobcentern ermöglicht, von der

Berechnung von Einkommensfreibeträgen abzusehen?
g) Wie sichert die Bundesregierung ab, dass bei der abschließenden Beschei-

dung der Leistungsansprüche Einkommensfreibeträge systematisch ein-
kalkuliert werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11030

11. a) Welche konkretisierenden Hinweise sind von der Bundesagentur für Ar-

beit insbesondere für die Umsetzung der Änderungen bei der „Sozialwid-
rigkeit“ erlassen worden?

b) Welches Verhalten von Hartz-IV-Leistungsberechtigten führt nicht dazu,
dass die Hilfebedürftigkeit „erhöht, aufrechterhalten oder nicht verrin-
gert“ wird (§ 34 Absatz 1 SGB II)?

c) Wie setzt die Bundesagentur für Arbeit die Rechtsprechung des Bundes-
sozialgerichts um, dass die Einstufung von Verhalten als „sozialwidriges
Verhalten“ auf „eng zu fassende Ausnahmefälle“ begrenzt bleiben muss
(BSG, B 14 AS 55/12 R vom 16. April 2013)?

d) Welche konkreten Beweggründe hatte die Bundesregierung, die Ersatz-
ansprüche bei „sozialwidrigem Verhalten“ mit dem Gesetzentwurf auszu-
weiten?
Welche empirisch dokumentierten Sachverhalte lagen dem Vorschlag der
Bundesregierung zugrunde?

e) Wie viele Fälle von „sozialwidrigem Verhalten“ im SGB II waren der
Bundesregierung im Vorfeld der Gesetzgebung bekannt (wie viele Fälle
pro Jahr und wie viele seit Inkrafttreten des Gesetzes)?

12. a) In wie vielen Fällen wurde vor und seit der Gesetzesänderung bei den Job-
centern eine mangelnde oder fehlende Mitwirkung von Leistungsberech-
tigten bei der Beantragung vorrangiger Leistungen dokumentiert?

b) Um welche konkreten vorrangigen Leistungen und welche Fallzahlen
ging es in diesen Fällen?

c) Wie hoch ist der Anteil der Leistungsberechtigten, die in den dokumen-
tierten Fällen auch nach Beantragung der vorrangigen Leistungen weiter-
hin SGB-II-leistungsberechtigt waren?

d) Wie verändert sich systematisch durch die Anrechnungsregeln beim
SGB II das verfügbare Nettoeinkommen der Berechtigten, die vorrangige
Leistungen beantragen, aber im Leistungsbezug bleiben?

e) In welchen Fallkonstellationen können Jobcenter seit der Gesetzesände-
rung SGB-II-Leistungen entziehen oder versagen?

f) In wie vielen Fällen wurden seit der Gesetzesänderungen SGB-II-Leis-
tungen entzogen oder versagt?

13. a) Aus welchen sachlichen Gründen hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe die
aktuelle Praxis der sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft für re-
formbedürftig angesehen?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung speziell das Problem fehlender Rechts-
sicherheit in diesem Zusammenhang, und hat sie vor, diese zu schaffen?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Praktikabilität der sogenannten
temporären Bedarfsgemeinschaft?

d) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, stattdessen einen Um-
gangsmehrbedarf für den umgangsberechtigten Elternteil einzuführen,
und aus welchem Grund ist eine entsprechende Gesetzesinitiative durch
das federführende Bundesministerium bislang nicht erfolgt?

e) Wie viele Personen hätten nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell
ggf. Anspruch auf einen derartigen Umgangsmehrbedarf?

Drucksache 18/11030 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

14. Wie viele Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende haben

nach Kenntnis oder Schätzung der Bundesregierung infolge der Gesetzesän-
derung erstmalig oder einen erweiterten Anspruch auf Leistungen nach dem
SGB II?
Wie viele Anträge auf SGB-II-Leistungen sind von den genannten Personen-
gruppen seit Inkrafttreten des Gesetzes gestellt und wie beschieden worden?

15. In welcher Art und Weise wird der neue Fokus auf Vermittlung in Ausbil-
dung operativ durch die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter umge-
setzt?
Welche ersten Erfahrungen gibt es diesbezüglich seit dem Inkrafttreten des
Gesetzes?

16. In wie vielen Jobcentern ist es aufgrund der Gesetzesänderung zu einer Um-
stellung der Dauer der Bescheide auf zwölf Monate gekommen, und in wie
vielen Jobcentern war die Dauer von Bescheiden von zwölf Monaten bereits
zuvor gängige Praxis?

17. In welcher Größenordnung hat sich nach bisheriger Kenntnis der Bundesre-
gierung die gesamte Anzahl der Bescheide der Jobcenter infolge der Geset-
zesänderung verändert?

Berlin, den 23. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.