BT-Drucksache 18/11022

Sozialversicherungs- bzw. Beitragspflicht von Honorar- und Notärzten - Wirksamkeit und Folgen vorgeschlagener Gesetzesänderungen

Vom 25. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11022
18. Wahlperiode 25.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Kurth, Dr. Harald Terpe, Beate Müller-Gemmeke,
Brigitte Pothmer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Corinna Rüffer,
Maria Klein-Schmeink, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sozialversicherungs- bzw. Beitragspflicht von Honorar- und Notärzten –
Wirksamkeit und Folgen vorgeschlagener Gesetzesänderungen

Nach Aussagen von Honorar- und Notärzten sowie Trägern der Rettungsdienste
ist eine notärztliche Versorgung vor allem in ländlichen Gebieten und in kleineren
Krankenhäusern nur dann sicherzustellen, wenn flexibel einsetzbare Honorar-
und Notärzte kurzfristig „hinzugebucht“ werden könnten. Dies geschieht in aller
Regel durch hauptberuflich niedergelassene oder im stationären Bereich ange-
stellte Ärzte mittels Honorarverträgen. Gleichwohl gibt es auch Notärztinnen und
Notärzte, die ihre Tätigkeit im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigung nachgehen.
In der Praxis gibt es seit geraumer Zeit eine große Unsicherheit bei allen Betei-
ligten, ob es sich bei den Honorarnotarzttätigkeiten nicht eigentlich um eine so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Zu dieser Unsicherheit trug
ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. August 2016 bei, das diese Tätigkeit
in einem Fall als Scheinselbstständigkeit einstufte (BSG, Az.: B 12 R 19/15 B).
Die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung mit Sozialversicherungspflicht
hat sozial-, arbeits- und einkommensrechtliche Folgen. So muss der Auftraggeber
bzw. die Auftraggeberin, mithin der Träger der Rettungsdienste, Sozialversiche-
rungsbeiträge entrichten, in der Regel kommt das Arbeitszeitgesetz zur Anwen-
dung und die Nebenbeschäftigung führt zu höheren Lohnsteuerabgaben. Die Trä-
ger der Rettungsdienste, vor allem die Kommunen, können sich zudem strafbar
machen, wenn sie vorsätzlich keine Sozialversicherungsbeiträge abführen.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat unlängst einen Vorschlag un-
terbreitet, der vorsieht, die nebenberufliche Tätigkeit als Notärztin bzw. Notarzt
im Rettungsdienst von der Beitragspflicht freizustellen. So soll die notärztliche
Versorgung auch künftig sichergestellt werden. Der Vorschlag soll kurzfristig in
Form eines Änderungsantrags (Ausschussdrucksache 18(11)904 des Ausschusses
für Arbeit und Soziales) zum Heil- und Hilfsmittelgesetz Gesetzeskraft erlangen.
Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen werfen nicht nur strukturelle Fragen
auf, sondern sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und möglicher Folgewirkungen
auf analoge Fallgestaltungen vollkommen unklar.

Drucksache 18/11022 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele der in Deutschland nebenberuflich tätigen Notärztinnen und Not-
ärzte üben diese Tätigkeit nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen
eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses aus, und
wie viele auf Grundlage von Honorarverträgen?

2. Wie viele im Nebenberuf tätige Notärztinnen und Notärzte sind hauptberuf-
lich niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, und wie viele sind im stationären
Bereich angestellte Ärztinnen und Ärzte?

3. Welche Zahlen oder sonstige Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zu
dem behaupteten (zukünftigen) Mangel an Notärztinnen und Notärzten vor,
bzw. wie hat sie die Angaben der Rettungsdienste und Kommunen überprüft?

4. Inwiefern hat nach Einschätzung der Bundesregierung das Urteil des Bun-
dessozialgerichts vom 30. August 2016 (BSG, Az.: B 12 R 19/15 B) gene-
relle Auswirkungen auf das Bundesgebiet?

5. Inwieweit wird durch die vom BMG vorgeschlagene Änderung die notärzt-
liche Versorgung zukünftig sichergestellt und Rechtssicherheit geschaffen?

6. a) Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittliche Ar-
beitszeit von nebenberuflich tätigen Notärztinnen und Notärzten?

b) Inwiefern verstoßen nebenberufliche Notärztinnen und Notärzte, die im
Hauptberuf einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen, mit
ihrer teils längeren Arbeitszeit gegen die Höchstarbeitszeit, wie sie im Ar-
beitszeitgesetz festgelegt ist?

c) Inwieweit nimmt die nun von der Bundesregierung vorgeschlagene Ge-
setzesänderung nebenberuflich tätige Notärztinnen und Notärzte von der
Geltung des Arbeitszeitgesetzes aus?

d) Falls das Arbeitszeitgesetz auch für diese Notärztinnen und Notärzte wei-
terhin gilt, wie soll dann zukünftig sichergestellt werden, dass die zuläs-
sige Höchstarbeitszeit im Rahmen dieser Tätigkeit nicht überschritten
wird?

7. Welche Alternativen zu dem Vorschlag des BMG wurden seitens der Bun-
desregierung geprüft, und aus welchen Gründen wurden diese Alternativen
jeweils verworfen?

8. Welche zusätzlichen Abgabepflichten oder finanziellen Belastungen entste-
hen nebenberuflichen Notärztinnen und Notärzten bei einer sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigung im Vergleich zu einer Tätigkeit auf Hono-
rarbasis?

9. Welche (belastbaren) Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über den An-
teil der Notärztinnen und Notärzte vor, die diese nebenberufliche Tätigkeit
nicht mehr ausüben würden, sollten sie sozialversicherungs- und beitrags-
pflichtig werden?

10. Welche zusätzlichen Abgabepflichten oder finanziellen Belastungen entste-
hen Kommunen und Rettungsdiensten bei einer sozialversicherungs- und
beitragspflichtigen Beschäftigung von nebenberuflichen Notärztinnen und
Notärzten im Vergleich zu einer Beschäftigung auf Honorarbasis?

11. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der gemeinsamen Stellungnahme vom Spitzenverband Bund der Kran-
kenkassen, von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V.
(DGUV) und von der Deutschen Rentenversicherung Bund (Ausschuss-
drucksache 18(11)883 des Ausschusses für Arbeit und Soziales), die kritisie-
ren, dass „die vorgesehenen Regelungen die Probleme nicht lösen, sondern
neue Probleme schaffen“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11022

12. Wann und in welchen Fällen kann es trotz der vorgeschlagenen Beitragsfrei-

heit für nebenberufliche Notarzttätigkeit zu Statusfeststellungsverfahren
kommen, also zur Prüfung, ob es sich bei der Tätigkeit um eine abhängige
Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit handelt?

13. Gibt es vergleichbare Fälle, Konstellationen bzw. Berufsgruppen, bei denen
trotz eindeutiger Sozialversicherungspflicht keine Beiträge zur Sozialversi-
cherung entrichtet werden müssen?

Wenn ja, aus welchen Gründen besteht jeweils Beitragsfreiheit?
14. Inwieweit gibt es Überlegungen seitens des Bundesregierung, Selbstständi-

gen die Möglichkeit zu eröffnen, unter bestimmten Bedingungen (etwa bei
wirtschaftlicher Unabhängigkeit) aus dem Statusfeststellungsverfahren her-
aus zu optieren?

15. Wie könnte die vorgeschlagene Änderung des Vierten Buches Sozialgesetz-
buch – die Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Notärztin bzw.
als Notarzt im Rettungsdienst nicht mehr beitragspflichtig stellt – gegenüber
anderen Selbstständigengruppen gerechtfertigt werden?

16. Worin liegt in diesem Zusammenhang der qualitative Unterschied zwischen
Honorarnotärzten und anderen auf Honorarbasis beschäftigten Ärztinnen
und Ärzten, wie etwa Anästhesisten, Chirurgen oder ärztlichen Psychothera-
peuten?

Berlin, den 24. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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