BT-Drucksache 18/10771

Rechtliche Vorgaben zur Verschreibung und Anwendung von Naloxon

Vom 21. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10771
18. Wahlperiode 21.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Tempel, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jan Korte,
Katrin Kunert, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte,
Kersten Steinke, Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtliche Vorgaben zur Verschreibung und Anwendung von Naloxon

Naloxon wirkt Opioiden wie Heroin oder starken Schmerzmedikamenten entge-
gen (kompetitiver Antagonist) und wird eingesetzt, um eine akute Opioidvergif-
tung etwa bei der Überdosierung zu behandeln. Wird es rechtzeitig angewendet,
können Folgeschäden und Todesfälle durch Atemstillstand verhindert werden
(vgl. Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation http://apps.who.int/iris/bitstream/
10665/137462/1/9789241548816_eng.pdf?ua=1&ua=1).
Für opioidkonsumierende Menschen ist es aktuell in Deutschland kaum möglich,
Naloxon als Notfallmedikament zum Einsatz im Rahmen der Laienhilfe zu erhal-
ten. Weder Schmerzpatientinnen und -patienten, die ärztlich verschriebene Opio-
ide einnehmen, noch ärztlich substituierte Drogengebraucherinnen und -gebrau-
cher erhalten problemlos oder gar standardmäßig Naloxon als Notfallmedika-
ment. Für Drogenkonsumentinnen, und -konsumenten die ihre Opioide illegal er-
werben, besteht keine Möglichkeit, ein entsprechendes Rezept zu bekommen. Für
diese Personengruppe (einschließlich der ärztlich substituierten Drogengebrau-
cherinnen und -gebraucher besteht deshalb lediglich im Rahmen von Schulungs-
programmen die Möglichkeit, Naloxon als Notfallmedikament zu erhalten. Aller-
dings sind die Angebote weit davon entfernt, den tatsächlichen regionalen Bedarf
decken zu können. Schließlich hat nicht jede/r injizierende Opioidkonsumentin
und -konsument und jede/r ärztlich Substituierte die Möglichkeit, an einer Schu-
lung teilzunehmen, um Naloxon zu erhalten. An Schmerzpatientinnen und -pati-
enten, die langfristig mit Opioiden behandelt werden, sind diese Schulungspro-
gramme bisher gar nicht adressiert. Ein wesentlicher Grund für diese defizitäre
Versorgung sind nach wie vor immer noch bestehende rechtliche Bedenken. (http://
news.doccheck.com/de/72341/opiatueberdosis-erste-hilfe-wird-antidotensicher/).
Um opioidkonsumierenden Menschen sowie nicht konsumierenden potentiellen
Ersthelferinnen und -helfer (z. B. Angehörige) einen einfachen und sicheren Zu-
gang zu Naloxon gewährleisten zu können, sind rechtlich klare Abgabemodalitä-
ten deshalb dringend notwendig – insbesondere vor dem Hintergrund aktuell stei-
gender Drogentotenzahlen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Menschen sind infolge einer Überdosierung durch Opioide ver-

storben (bitte seit dem Jahr 2009 und nach Opioiden auflisten)?

http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/137462/1/9789241548816_eng.pdf?ua=1&ua=1
http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/137462/1/9789241548816_eng.pdf?ua=1&ua=1
http://news.doccheck.com/de/72341/opiatueberdosis-erste-hilfe-wird-antidotensicher/
http://news.doccheck.com/de/72341/opiatueberdosis-erste-hilfe-wird-antidotensicher/
Drucksache 18/10771 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Inwiefern kann Naloxon Todesfälle durch Überdosierungen mit Betäubungs-
mitteln verhindern?

Welche Applikationsform ist hierfür vorgesehen?
3. Inwiefern kann nach Einschätzung der Bundesregierung die Anwendung von

Naloxon dann eine alternative oder ergänzende Maßnahme zur Ersten Hilfe
bei Opioidüberdosierung sein?

4. Inwiefern ist die intramuskuläre und die intranasale Applikation durch ge-
schulte Laien nach Ansicht der Bundesregierung sicher?

5. Inwiefern stimmt die Bundesregierung den Fragestellenden zu, dass eine
Vergabe von Naloxon an Opioidgebrauchende mittels Take-Home-Program-
men (z. B. Drogennotfallschulungen mit Naloxonvergabe) zu einer höheren
Überlebensrate bei Überdosierungen beitragen kann (vgl. Alternativer Dro-
gen- und Suchtbericht 2015, S. 46)?

6. Wie unterstützt die Bundesregierung die Aufklärung über die Wirkung und
Anwendung von Naloxon zielgruppenspezifisch bei denjenigen Personen-
gruppen, denen Naloxon bei einer Überdosierung helfen könnte?

7. Welche gesetzlichen oder ordnungsrechtlichen Regelungen sind
a) bei der Verschreibung,
b) Abgabe und
c) Anwendung von Naloxon relevant?

8. Wie häufig wird in Deutschland Naloxon nach Kenntnis der Bundesregie-
rung jährlich angewendet, wie häufig davon durch Laien, und wie häufig
wurde es durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert?

9. Inwiefern ist es nach Kenntnis der Bundesregierung rechtlich möglich, dass
Angehörige von Menschen mit Allergien Notfallarzneimittel zur Adrenalin-
Injektion bei den Betroffenen anwenden, für den Fall, dass diese bei einem
anaphylaktischen Schock dazu nicht mehr selbst in der Lage sind?
a) Inwiefern tragen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für diese

Notfallmedikation?
b) Inwiefern ist eine vorgehende Schulung rechtliche Voraussetzung, um im

Notfall ein Adrenalin bei den Betroffenen injizieren zu dürfen?
c) Wie häufig werden diese Notfallarzneimittel in Deutschland verordnet

bzw. erstattet?
d) Inwiefern erachtet die Bundesregierung dies für rechtlich vergleichbar mit

der Naloxon-Anwendung bei Opioid-Überdosierung?
10. Unter welchen Voraussetzungen ist es Ärztinnen und Ärzten nach Ansicht

der Bundesregierung erlaubt, Menschen mit einer Heroin- oder sonstigen
Opioidabhängigkeit Naloxon zur Anwendung im Notfall zu verschreiben?

11. Inwiefern ist es Angehörigen oder anderen Menschen im sozialen Umfeld
erlaubt, Naloxon zu applizieren?

12. Inwiefern ist es Menschen erlaubt, Naloxon bei einem anderen Menschen als
dem, für den es verordnet wurde, zu applizieren, wenn dadurch eine Gefahr
für Leib und Leben abgewendet werden kann?

13. Inwiefern kommt eine Strafbarkeit der unterlassenen Hilfeleistung nach
§ 323c des Strafgesetzbuches (StGB) in Frage, wenn Naloxon verfügbar und
die Anwendung bekannt ist und keine Hilfe geleistet wird?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10771

14. Inwiefern sprechen Risiken des Arzneimittels nach Ansicht der Bundes-

regierung gegen die Naloxon-Anwendung als Notfallmedikament durch
Laien?

15. Inwiefern geht die Bundesregierung von einem Missbrauchspotenzial bei
Naloxon aus?

16. Welche Personen und Personengruppen können in Deutschland legal Na-
loxon als verschreibungsfähiges Medikament erhalten (z. B. substituierende
Opioidkonsumierende, illegalisierte Opioidkonsumierende, Menschen, die
Drogennotfallschulungen absolviert haben, Angehörige von Opioidsuchter-
krankten)?

17. Inwiefern ermöglichen oder verbieten die rechtlichen Bestimmungen die Na-
loxon-Verschreibung bei der gleichzeitigen Verschreibung von Opioiden zur
Behandlung einer Sucht oder von Schmerzen?

18. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung der Fragestellenden zu, dass
Angehörige von Opioidsuchterkrankten eine herausragende Rolle spielen
können, um riskantes Konsumverhalten zu minimieren (z. B. durch soziale
Stabilisierung oder ein besonderes Vertrauensverhältnis in Notfällen)?

19. Gibt es bei bestehender Verschreibungspflicht eine Möglichkeit, dass auch
potentielle Ersthelferinnen und -helfer (z. B. Angehörige) Naloxon erhalten
können?
Wie können geschulte medizinische Laien zum Zwecke der Verabreichung
im Drogennotfall Naloxon legal erhalten?

20. Unter welchen Voraussetzungen tragen die gesetzlichen Krankenkassen die
Kosten für Naloxon (bitte aufschlüsseln für Anwendung durch medizinisches
Personal, Applikation durch die Betroffenen, Applikation durch Dritte und
Applikation bei Menschen, denen es nicht verordnet wurde)?

21. In welchen Bundesländern wurden nach Kenntnis der Bundesregierung Na-
loxon-Modellprojekte durchgeführt?
Konnten geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modellprojekte
Naloxon legal erhalten?

22. Welche Bundesländer führen gegenwärtig nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Modellprojekte zur Vergabe und Anwendung von Naloxon durch?
Können geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modellprojekte
Naloxon legal erhalten?

23. Welche Naloxon-Modellprojekte wurden bisher durch die Bundesregierung
durchgeführt?
Konnten geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modellprojekte
Naloxon legal erhalten?

24. Plant die Bundesregierung weitere Naloxon-Modellprojekte?
Falls ja, können geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modell-
projekte Naloxon legal erhalten?

25. In welchen EU-Mitgliedstaaten ist Naloxon nach Kenntnis der Bundesregie-
rung rezeptfrei erhältlich?

26. In welchen EU-Mitgliedstaaten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung
ein Produkt, das die Applikation von Naloxon durch Nasensprays ermög-
licht?

Drucksache 18/10771 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

27. Gibt es in Deutschland ein Produkt, das die Applikation von Naloxon durch

Nasensprays ermöglicht?
Falls nein, befinden sich derartige Produkte in der Zulassungsphase, und falls
ja, welche?

Berlin, den 21. Dezember 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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