BT-Drucksache 18/10473

Familien stärken - Kinder fördern

Vom 30. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10473
18. Wahlperiode 30.11.2016
Antrag
der Abgeordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, Lisa
Paus, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ekin Deligöz, Ulle Schauws, Kordula
Schulz-Asche, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Maria
Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe,
Britta Haßelmann, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Corinna Rüffer,
Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Familien stärken – Kinder fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland ist ein reiches Land. Trotzdem wächst eine große Zahl Kinder und Ju-
gendlicher in Armut auf. Nicht dabei zu sein, wenn die Freundinnen zusammen ins
Kino gehen, und sich am nächsten Morgen möglichst unauffällig zu benehmen, wenn
über das gemeinsam Erlebte gesprochen wird. Die Blicke der anderen zu spüren, wenn
zu Beginn des neuen Schuljahrs der Ranzen immer noch der alte ist. Armut tut weh
und grenzt aus. Wenn Eltern arbeitslos sind oder zu wenig verdienen, um auch für die
Kinder sorgen zu können, wachsen diese unter Bedingungen auf, die ihre Entwicklung
nicht fördern.
In Deutschland gibt es eine Vielzahl von materiellen Leistungen für Kinder. Dazu zäh-
len insbesondere das Kindergeld und die Kinderfreibeträge, die im Einkommensteuer-
recht geregelt sind, das Sozialgeld, das im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch geregelt
ist, und der Kinderzuschlag. Trotz allem sind Kinder und ihre Familien in unserem
Land überdurchschnittlich von Armut bedroht. Trotz jahrelanger Evaluation der Ehe-
und Familienförderung hat die Bundesregierung das Problem bis heute nicht wirklich
in Angriff genommen. Die Erhöhung des Kinderzuschlags bleibt ein Tropfen auf den
heißen Stein. Die überfällige Ausweitung des Unterhaltsvorschusses hat die Union
vorerst gestoppt, da die Bundesregierung die Finanzierung nicht geklärt hat. Die Be-
kämpfung der Kinderarmut ist kein Anliegen der Großen Koalition. Kinderarmut muss
in Deutschland endlich der Vergangenheit angehören. Doch seit Jahren tut sich nichts.
Besonders gefährdet sind Alleinerziehende wie auch Familien mit drei und mehr Kin-
dern. Im Bundesdurchschnitt sind 57,2 Prozent der armen Kinder im Alter von sieben
bis 15 Jahren mehr als drei Jahre auf staatliche Unterstützung angewiesen. Studien
zeigen, dass andauernde Armutserfahrungen sich besonders negativ auf Teilhabe, Ge-
sundheit und die Entwicklung von Kindern auswirken. So haben Kinder aus sozial
benachteiligten Familien ein größeres Risiko zu erkranken, leiden häufiger unter psy-
chischen Auffälligkeiten oder werden Opfer von Gewalt.

Drucksache 18/10473 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Ungleich sind auch weiterhin die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland. Sie hängen noch immer stark von der sozialen Lage der Eltern ab. Zwar
hat sich seit PISA 2000 einiges verbessert, aber noch immer ist die Gruppe der Jugend-
lichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen oder auch mit einem Hauptschulab-
schluss kaum Chancen auf einen Ausbildungsplatz hat, viel zu groß. Noch immer
nimmt die soziale Ungleichheit im Laufe der Bildungskette sogar zu: von der Kita bis
zum Studium wird es für Kinder und Jugendliche aus wirtschaftlich schwächer gestell-
ten Herkunftsfamilien mit jedem Schritt schwerer. Das darf nicht so bleiben.
Um soziale Teilhabe von Kindern zu erreichen, braucht es eine effektive Strategie, die
aus einer aufeinander abgestimmten Kombination von unterstützenden Kitas, Schulen
oder Jugendeinrichtungen sowie Geldleistungen bestehen muss. Das beste Mittel ge-
gen Kinderarmut bleibt nach wie vor die Erwerbstätigkeit beider Eltern. Kinder sollten
jedoch in keinem Fall die Leidtragenden der Einkommensarmut ihrer Eltern werden.
Unabhängig von Herkunft und Geldbeutel der Eltern sollten alle Kinder die gleiche
Chance haben, ihr Leben auf einer gesicherten finanziellen Basis selbst zu gestalten.
Die Förderung von Kindern und Familien muss einfacher und übersichtlicher werden;
Leistungen sollten daher zusammengeführt und automatisch ausbezahlt werden.
Hier und jetzt müssen daher Maßnahmen ergriffen werden, die die Folgen von Armut
lindern und mehr Gerechtigkeit schaffen. Auf diese konzentriert sich der vorliegende
Antrag.

Existenzminimum verlässlich sichern
Rund zwei Millionen Minderjährige und ihre Eltern in Deutschland beziehen Grund-
sicherungsleistungen. Die Zahl der betroffenen Kinder hält sich seit Jahren auf hohem
Niveau, zuletzt ist sie sogar gewachsen.
Die Grundsicherung soll Teilhabe von Kindern ermöglichen. Die Regelsätze reichen
aber nicht, um das zu gewährleisten. So erachtet die Bundesregierung das Eisessenge-
hen im Sommer für genauso überflüssig wie Malstifte für die Freizeit oder festliche
Kleidung für Familienfeste. Soziale Teilhabe von Kindern wird durch diese Streichun-
gen bei der Berechnung der Regelsätze verhindert anstatt gestärkt.
Eine Gesellschaft, die zusammenhalten soll, muss zuallererst darauf achten, dass den-
jenigen geholfen wird, die sich nicht selbst helfen können. Für Kinder und Jugendliche
gilt, dass die Regelbedarfe so anzusetzen sind, dass sie den tatsächlichen Bedarf de-
cken, auch den zur Teilhabe an Bildung, Kultur und Mobilität. Erforderlich ist auch
eine einfache Lösung zur Deckung der Bedarfe von Kindern, die zwischen den Haus-
halten ihrer getrennt lebenden Eltern wechseln.
Kaum wahrnehmbar sind auch die vielen von Armut Betroffenen, die amtlich nicht
erfasst werden. Weil ihnen der Gang zum Amt ein Grauen ist oder die Scham größer
ist als die paar Euro, die sie zu erwarten hätten. So bleibt auch die verdeckte Armut in
Deutschland ein drängendes Problem. Schwierig ist auch die Situation für die gut
55.000 Familien, die für ihre knapp 154.000 Kinder den Kinderzuschlag erhalten. Kin-
dergeld und Kinderzuschlag reichen zusammen nicht aus, um das sächliche Existenz-
minimum von Kindern zu decken. Viele Eltern mit kleinen Einkommen werden so
stattdessen auf die Fürsorge-Leistungen verwiesen. Dabei hat schon die Evaluation der
Ehe- und Familienförderung der Bundesregierung vor Jahren aufgezeigt, wie sich der
Kinderzuschlag zu einem effektiven Instrument der Kinderarmutsbekämpfung weiter
entwickeln lässt. Mit dem Kinderzuschlag in seiner jetzigen Ausgestaltung lässt sich
verdeckte Kinderarmut nicht erfolgreich bekämpfen.
Es muss verhindert werden, dass Familien, die Förderung, die sie benötigen, aus Un-
kenntnis nicht erhalten. Ebenso muss verhindert werden, dass Familien, insbesondere
Alleinerziehende, nur wegen ihrer Kinder auf Grundsicherung angewiesen sind oder
verarmen. Zeiten des Bezugs von Sozialhilfe müssen im Leben von Kindern zur Aus-
nahme werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10473
Alleinerziehende und ihre Kinder besser unterstützen
Während viele Eltern mit hohem und sehr hohem Einkommen durch ihre Steuererklä-
rung automatisch eine finanzielle Leistung durch die Kinderfreibeträge erhalten, muss
der Kinderzuschlag dagegen beantragt werden. Das Verfahren ist sehr bürokratisch
und kompliziert. Nur 30 Prozent aller Kinder, die theoretisch Anspruch auf den Kin-
derzuschlag hätten, erhalten diese Leistung auch tatsächlich.
Von der Kinder- bzw. Familienarmut besonders betroffen sind allein Erziehende –
überwiegend Frauen. In knapp jedem vierten Familienhaushalt leben Kinder allein mit
einem Elternteil. Diese Familien haben längst einen festen Platz in unserer Gesell-
schaft. Allerdings lebt jedes zweite Kind im Hartz-IV-Bezug in einem Alleinerziehen-
den-Haushalt. Über 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen.
Viele allein erziehende Elternteile sind trotz der hohen Belastung im Alltag in Vollzeit
beschäftigt und doch reicht in vielen dieser Familien das Einkommen nicht aus.
Jede/r zweite allein erziehende Elternteil erhält heute keinen Kindesunterhalt, ein wei-
teres Viertel erhält nicht den vollen ihnen zustehenden Unterhalt. Auf Antrag springt
der Staat mit dem Unterhaltsvorschuss ein, allerdings bisher noch für maximal sechs
Jahre und maximal bis zum 12. Lebensjahr des Kindes. Für Alleinerziehende wäre es
eine große Erleichterung, wenn der Unterhaltsvorschuss bis zum 18. Lebensjahr des
Kindes gezahlt würde und ohne zeitliche Befristung, wie von der Bundesregierung
geplant.
Für Alleinerziehende wäre es ebenso hilfreich, wenn sie den Bedarf ihrer Kinder aus
einer Hand decken könnten und ihre Kinder gegenüber Kindern, die den Unterhalt di-
rekt vom Unterhaltspflichtigen bekommen, nicht benachteiligt werden. Das leistet der
Unterhaltsvorschuss nicht. Bei Kindern, die den Unterhalt direkt vom anderen Eltern-
teil erhalten, wird das Kindergeld nur zu Hälfte auf den Unterhaltsvorschuss angerech-
net. Bei Kindern, die Unterhaltsvorschuss erhalten, dagegen voll. Diese Ungleichbe-
handlung wollte die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nicht beenden.

Gleiche Chancen für alle Kinder
Eltern leisten unheimlich viel für ihre Kinder. Das muss stärker wertgeschätzt und
staatlich unterstützt werden. Die Kinder- und Familienfreundlichkeit einer Gesell-
schaft drückt sich auch in der monetären Familienförderung aus. Deswegen muss mehr
Geld in die Hand genommen werden, um alle Familien zu fördern.
Verantwortlich für die stärkere Förderung einkommensstarker Familien sind in erster
Linie die steuerlichen Leistungen, wie die Kinderfreibeträge, deren Wert mit dem zu
versteuernden Einkommen wächst. Eine Förderung, die diese Familien zudem quasi
automatisch erhalten, wohingegen Familien mit kleinem Einkommen sich mit vielen
verschiedenen Behörden auseinandersetzen müssen, um das nötigste zum Leben zu
haben. Die Familienförderung orientiert sich derzeit zu wenig am Unterstützungsbe-
darf der Kinder bzw. der Familie. Die Bekämpfung von Kinderarmut muss deshalb ein
prioritäres Ziel der Familien- und Sozialpolitik sein. Wir wollen Kinderarmut durch
eine echte Existenzsicherung für Kinder beenden, die ihre tatsächlichen Bedarfe deckt.
Ziel gesetzlicher Reformen sollte es daher sein, dass für alle Kinder dieses gesichert
ist und Kinder von Eltern mit hohen Einkommen nicht stärker gefördert werden, als
Kinder von Eltern mit geringem oder auch durchschnittlichem Einkommen.
Ungerecht ist auch die Wirkung des Ehegattensplittings. Von ihm profitieren nur Fa-
milien und damit auch indirekt die Kinder, in denen die Eltern verheiratet oder ver-
partnert sind und zudem ungleich viel verdienen. Alleinerziehende, nicht mit einander
verheiratete oder verpartnerte Eltern und Eltern, die sich Familien- und Erwerbsarbeit
aufteilen und ein ähnlich hohes Einkommen haben, gehen leer aus.

Drucksache 18/10473 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen und dafür zu sorgen,
dass
1.) die Teilhabe von allen Kindern und ihren Eltern, die von Grundsicherung leben,

tatsächlich sichergestellt wird. Die Regelsätze für Kinder und Erwachsene in der
Grundsicherung müssen so ermittelt werden, dass sie das Existenzminimum ver-
lässlich und in ausreichender Höhe absichern. Die Bedarfe müssen tatsächlich
gedeckt werden, auch die zur Teilhabe am sozialen Leben, an Bildung, Kultur
und Mobilität;

2.) Kinder in Familien mit niedrigem Einkommen eine gezielte und bedarfsdeckende
Unterstützung erhalten, die das sächliche Existenzminimum deckt, aus einer
Hand geleistet und automatisch ausgezahlt wird;

3.) insbesondere Alleinerziehende, die keinen oder zu wenig Unterhalt für ihre Kin-
der erhalten, verlässlich materiell abgesichert werden und auch für die Kinder von
Alleinerziehenden das sächliche Existenzminimum aus einer Hand und ohne viel
Bürokratie gewährleistet ist und diese Kinder so gestellt werden wie Kinder, die
den Unterhalt direkt vom anderen Elternteil erhalten;

4.) eine einkommensunabhängige Leistung für Kinder eingeführt wird, mit der die
Benachteiligung von unverheirateten Paaren und Paaren, die sich Erwerbs- und
Sorgearbeit partnerschaftlich teilen, beendet wird und außerdem Eltern mit klei-
nen und mittleren Einkommen für ihre Kinder die gleiche Unterstützung erhalten
wie Eltern mit hohen Einkommen, welche derzeit von den Freibeträgen stärker
profitieren. Diese neue Kindergrundsicherung sollte mit einer Reform des Ehe-
gattensplittings kombiniert werden, wobei bereits bestehende Ehen eine Wahl-
möglichkeit zwischen dem alten Modell der Familienförderung mit Ehegatten-
splitting, Kinderfreibeträgen und Kindergeld und dem neuen Modell mit Kinder-
grundsicherung und Individualbesteuerung erhalten.

Berlin, den 29. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10473
Begründung

Nach geltendem Recht sind Eltern verpflichtet, Unterhalt für ihre Kinder zu leisten. In einer wachsenden Zahl
von Fällen sind Eltern in Deutschland dazu nicht mehr in der Lage. Kinderarmut ist in Deutschland ein Massen-
phänomen. Rund zwei Millionen Minderjährige lebten Ende 2015 in Hartz-IV-Haushalten, 52.000 mehr als 2014.
Damit waren 14,7 Prozent aller Kinder auf die staatliche Grundsicherung angewiesen.
Kinder sollten jedoch nicht die Leidtragenden der Einkommensarmut ihrer Eltern sein. Kinderarmut muss in
Deutschland endlich der Vergangenheit angehören. Die Bekämpfung von Kinderarmut muss deshalb ein priori-
täres Ziel der Familien- und Sozialpolitik sein. Daher sind der Regelsatz in der Grundsicherung zu erhöhen und
der Familienleistungsausgleich grundlegend zu reformieren.
Alle Menschen in Deutschland haben einen Anspruch auf ein Leben in Würde. Auch in Phasen mit einem gerin-
gem oder ohne Erwerbseinkommen muss Teilhabe an der Gesellschaft möglich sein. Das ist nur möglich mit
einer verlässlichen und in der Höhe ausreichenden Grundsicherung. Die Bundesregierung rechnet hingegen den
Regelsatz klein. Die Bundesregierung berechnet nach wie vor die Grundsicherung auf Basis von Haushalten, die
selbst arm sind und rechnet die Regelsätze klein, in dem sie viele Ausgaben aus der Berechnung der Regelsätze
herausnimmt, die sich als nicht relevant einstuft. Insbesondere im Bereich der sozialen Teilhabe wird der Rotstift
angesetzt: der Konsum von Speiseeis, Ausgaben für das Handy, Blumen oder auch Malstifte für Kinder werden
aus dem Regelsatz unter der Begründung herausgestrichen, dass sie als nicht existenzsichernd anzusehen seien.
Die Streichungen haben Folgen: Insgesamt wird Bürgerinnen und Bürgern, die auf Grundsicherung angewiesen
sind, eine Unterstützung zugestanden, die deutlich unter dem liegt was die statistische Referenzgruppe ausgibt.
Das wird von vielen Sozialverbänden kritisiert. Die Berechnung der Kinderregelsätze ist ebenfalls noch immer
methodisch fragwürdig (siehe dazu das Gutachten der Ruhr-Universität Bochum von Ott & Werding 2013). So
finden die Berechnungen je nach Altersgruppe nur auf der Basis von etwas mehr als 100 Haushalten statt. Der
Mobilitätsbedarf für Paare mit einem 14 bis 17 jährigen Kind wird mit einer Sonderauswertung auf der Grundlage
von sogar nur zwölf Haushalten ermittelt. Damit macht die Bundesregierung das Wohlergehen der davon be-
troffenen Kinder und Jugendlichen von statistischen Zufällen abhängig.
In dem Umfang, in dem Eltern ihr Einkommen für den sozialhilferechtlich ermittelten Mindestbedarf ihrer Kinder
einsetzen, darf es nicht mit Steuern belastet werden. Dieses Existenzminimum von Kindern wird aus verfassungs-
rechtlichen Gründen von der Steuer freigestellt. Diesen Zweck erfüllen die kinderbedingten Steuerfreibeträge.
Für 2016 hat der Gesetzgeber die Kinderfreibeträge auf 7.248 € festgesetzt, davon entfallen 4.608 € auf den
Freibetrag für das sächliche Existenzminimum (384 € pro Monat) und 2.640 € auf den Freibetrag für Betreuung,
Ausbildung und Erziehung.
Eltern, die zwar ihr eigenes Existenzminimum aber nicht das ihrer Kinder sichern können, haben zusätzlich zum
Kindergeld Anspruch auf den Kinderzuschlag. Dieser beträgt derzeit maximal 160 € pro Monat. Kindergeld und
Kinderzuschlag reichen zusammen also nicht einmal aus, um das sächliche Existenzminimum von Kindern in
Höhe von monatlich 384 € zu decken. Eltern mit kleinen Einkommen werden so auf die Fürsorge-Leistungen
verwiesen.
Darüber hinaus kommen Eltern durch ihre Steuererklärung automatisch in den „Genuss“ der Entlastung durch
die kindbedingten Steuerfreibeträge, die neben dem sächlichen Existenzminimum auch einen Betrag für Bildung,
Erziehung und Ausbildung beinhaltet. Auch das Kindergeld wird nach einmaliger Beantragung automatisch aus-
gezahlt. Der Kinderzuschlag für gering verdienende Eltern hingegen muss beantragt werden. Das Verfahren wird
von vielen Betroffenen als bürokratisch, kompliziert und mühsam empfunden. Daher erhalten nur rund 1/3 der
anspruchsberechtigten Familien den Kinderzuschlag. Und mit Erreichen der Höchsteinkommensgrenze entfällt
der Anspruch abrupt und vollständig. Zusätzliche Erwerbsarbeit ist jenseits dieser Grenze für viele Eltern nicht
mehr lohnend.
Jede/r zweite Alleinerziehende erhält heute keinen Kindesunterhalt, ein weiteres Viertel nur unzureichenden. Auf
Antrag springt der Staat mit dem Unterhaltsvorschuss ein. Allerdings nur begrenzt: Er wird nur für maximal
sechs Jahre und bis zum Alter von Zwölf der Kinder gezahlt. Außerdem wird das Kindergeld vollständig ange-
rechnet. Darüber hinaus haben viele Alleinerziehende mit einem strukturellen Nachteil des Unterhaltsrechts zu
tun: Sie müssen den Kindesunterhalt beim anderen Elternteil aktiv einklagen. Ein häufig belastender Schritt, der
dazu führt, dass viele Alleinerziehenden versuchen, so über die Runden zu kommen.

Drucksache 18/10473 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Kinderarmut muss durch eine echte Existenzsicherung für Kinder beendet werden, die ihre tatsächlichen Bedarfe
deckt und echte Teilhabe und Chancengerechtigkeit ermöglicht und insbesondere auch Alleinerziehende stärkt.
Für Kinder in Familien mit niedrigen Einkommen und Alleinerziehende kann das durch eine gezielte, bedarfsde-
ckende Unterstützung erreicht werden, die umso höher ausfällt, je niedriger das Familieneinkommen ist und in
Familien mit niedrigem Einkommen den vollen Mindestbedarf des Kindes umfasst (durchschnittlich 384 €) und
mit steigendendem Einkommen sinkt. Damit Kinderarmut effektiv bekämpft wird – auch verdeckte Armut, sollte
die Leistung so ausgestaltet werden, dass sie nicht gesondert beantragt werden muss (wie der heutige Kinderzu-
schlag) und auch nicht befristet ist (wie der heutige Unterhaltsvorschuss). Alleinerziehende sollen die Leistung
in voller Höhe erhalten, wenn nach einer Trennung der andere Elternteil den Unterhalt für sein Kind nicht zahlt.
Analog zum Unterhaltsrecht sollte nur die Hälfte des Kindergeldes angerechnet werden, damit Kinder in Tren-
nungsfamilien gleich behandelt werden. So kann der Mindestunterhalt für Alleinerziehende nachhaltig und stabil
gesichert werden.
Die größte Entlastungswirkung für einkommensstarke Familien entfalten nicht die Geldleistungen, sondern die
steuerlichen Regelungen. Von den steuerlichen Freibeträgen profitieren vor allem Eltern mit höheren Einkom-
men. Faktisch werden Eltern mit hohen Einkommen daher vom Staat stärker entlastet als Eltern mit mittleren
Einkommen. Einkommensstarken Personen stehen aufgrund der Freibeträge aktuell bis zu 286 € pro Monat und
Kind zu. Eltern mit kleinen und mittleren Einkommen erhalten in der Regel nur Kindergeld in Höhe von 190 €.
Familien müssen insgesamt deutlich besser gefördert werden und die Unterstützung von Kindern entlang des
Einkommens ihrer Eltern muss beendet werden.
Ungerecht ist auch die Wirkung des Ehegattensplittings. Von ihm profitieren nur Familien und damit auch indi-
rekt die Kinder, in denen die Eltern verheiratet oder verpartnert sind und zudem ungleich viel verdienen. Allein-
erziehende, nicht miteinander verheiratete Eltern und Eltern, die sich Familien- und Erwerbsarbeit aufteilen und
ein ähnlich hohes Einkommen haben, gehen leer aus.
Aus diesen Gründen soll das Ehegattensplitting durch eine individuelle Besteuerung und eine gezielte Förderung
von Familien mit Kindern, vor allem von Alleinerziehenden und ihren Kindern ersetzt werden.
Dabei soll für Paare, die nach einer Reform heiraten oder sich verpartnern, das neue Recht gelten. Für Paare, die
bereits verheiratet oder verpartnert sind, soll das alte Recht mit Ehegattensplitting bestehen bleiben. Die Reform
des Ehegattensplittings wird mit Verbesserungen bei den Leistungen für alle Formen der Familien mit Kindern
im Haushalt verknüpft, um sicherzustellen, dass Ehen mit Kindern keine Nachteile erfahren.
Die Kindergrundsicherung ist daher mit der Reform des Ehegattensplittings zu kombinieren. Bestehende Ehen
können entscheiden, ob sie das alte Recht mit altem Ehegattensplitting, Kinderfreibeträgen und Kindergeld be-
halten oder die neue Regelung mit Individualbesteuerung und neuer Familienförderung für sie günstiger ist. So
wird keine Familie schlechter, aber viele Familien mit kleinen und mittleren Einkommen deutlich besser gestellt.

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