BT-Drucksache 18/10288

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/2492 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes - Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt

Vom 9. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10288

18. Wahlperiode 09.11.2016

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/2492 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ‒
Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt

A. Problem

Die rassistische bzw. vorurteilsmotivierte Gewalt gegen Menschen in Deutsch-
land bewegt sich auf einem inakzeptabel hohen Niveau. Im Jahr 2013 zählten die
Opferberatungsstellen in Ostdeutschland und Berlin (nur hier sind diese Einrich-
tungen flächendeckend vertreten) 737 rechts motivierte Angriffe mit 1.086 direkt
Betroffenen. Mehr als die Hälfte dieser Angriffe war rassistisch motiviert, das war
ein Anstieg um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr (opferperspektive.de,
„737 Fälle politisch rechts motivierter Gewalt“, 10. April 2014). Für West-
deutschland sind die Zahlen mangels einer unabhängigen Erfassung nicht be-
stimmbar, zudem dürfte die Dunkelziffer, d. h. die Zahl der bundesweit nicht er-
fassten Fälle, immens sein.

Bei den Opfern rassistischer Gewalttaten handelt es sich meist um nicht deutsche
Staatsangehörige, viele von ihnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Asylsu-
chende und Geduldete sind aufgrund der rassistischen Ideologie in besonderer
Weise rechten Angriffen ausgesetzt. Infolge der verpflichtenden Unterbringung
in gesonderten Massenunterkünften stellen sie auch ein prädestiniertes „Ziel“ für
solche Angriffe dar. Seit 2012 steigt die Zahl der von Nazis organisierten Angriffe
auf solche Unterkünfte kontinuierlich an, allein im ersten Quartal 2014 gab es 20
rechtsextreme Protestkundgebungen vor Flüchtlingsunterkünften, mehr als im
Jahr 2013 (vgl. Drucksache 18/1593).

Eine gesetzliche Regelung zur Gewährung eines sicheren Aufenthaltsstatus für
Opfer rechter Gewalt mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit ist aus mehreren
Gründen erforderlich. Zum einen ist es unerträglich, wenn deren Aufenthaltsrecht
in Gefahr gerät, weil sie infolge der Gewalttat ihre Beschäftigung oder Einkom-
mensgrundlage verlieren, etwa wegen psychischer oder physischer Verletzungen
und Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit. Denn für die Erteilung oder Ver-
längerung eines Aufenthaltstitels ist in der Regel der Nachweis ausreichenden
Einkommens eine grundlegende Voraussetzung. Zum anderen muss bereits der

Drucksache 18/10288 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Anschein eines – und sei es unfreiwilligen – Zusammenwirkens zwischen rechten
Gewalttätern und dem Staat vermieden werden. Werden aber Opfer rechter Ge-
walt zur Ausreise aufgefordert oder gar abgeschoben, können sich die Täter zu-
mindest subjektiv bestätigt oder unterstützt fühlen, da dies ihren rassistischen Zie-
len entspricht. Eines sicheren Aufenthaltsstatus bedarf es auch, damit die Opfer,
wenn sie dies wollen, den Wohnort wechseln können, um nicht mehr Gefahr zu
laufen, den Tätern erneut zu begegnen. Geduldete und Asylsuchende unterliegen
der Residenzpflicht und damit erheblichen Beschränkungen ihrer Bewegungsfrei-
heit. Schließlich ist die aufenthaltsrechtliche Sicherheit eine wichtige Bedingung
für das Gelingen einer psychotherapeutischen Behandlung der oftmals schwer
traumatisierten Opfer rechter Gewalt.

B. Lösung

Ausländische Opfer rassistischer oder vorurteilsmotivierter Gewalt erhalten ein
unbedingtes Bleiberecht.

Dies ist ein deutliches Signal des deutschen Gesetzgebers, dass die Gesellschaft
sich dem Anliegen der rechten Täterinnen und Täter entgegenstellt, die Menschen
ausländischer Staatsangehörigkeit durch Gewaltanwendung einschüchtern und
aus dem Land vertreiben wollen. Der deutsche Staat stellt sich damit solidarisch
schützend und helfend vor Migrantinnen und Migranten, die Opfer rechter Gewalt
oder massiv bedroht wurden.

Den Betroffenen werden nach ihrer traumatischen Gewalterfahrung Sicherheit
und Schutz angeboten und wird signalisiert, dass sie nicht alleingelassen werden.
So wird auch eine Verantwortung für einen mangelnden effektiven Schutz vor
rassistischer Gewalt und für die gesellschaftlichen, politischen und staatlichen
Versäumnisse in Bezug auf die Bekämpfung von Rassismus und rechter Gewalt
in der Bundesrepublik Deutschland übernommen.

Ablehnung des Gesetzentwurfs mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen

Annahme des Gesetzentwurfs.

D. Kosten

Keine Angaben möglich.

Eine Kostenberechnung dergestalt, dass der Aufenthalt eines Menschen mit aus-
ländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland in damit vermeintlich zusammen-
hängende Kosten umgerechnet würde, widerspräche dem Grundanliegen dieses
Gesetzes.

Denn die Denkweise und Reduktion von Nichtdeutschen auf ihre angeblichen
Kosten für die „deutsche Gesellschaft“ gehört zum Grundstock rechten und ras-
sistischen Gedankenguts und widerspricht dem Grundsatz der Menschenwürde.

Im Übrigen tragen die Verfestigung des Aufenthaltsstatus, ein diskriminierungs-
freier Zugang zum Arbeitsmarkt und entsprechende Vermittlungsangebote dazu
bei, dass die Betroffenen erfolgreich eine Beschäftigung finden und unabhängig
von staatlichen Hilfsleistungen leben können. Im Falle einer Hilfsbedürftigkeit

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10288

sind Leistungen zur Sicherstellung des menschenwürdigen Existenzminimums
sowohl nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) als auch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in
vergleichbarer Höhe vorgesehen.

Drucksache 18/10288 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/2492 abzulehnen.

Berlin, den 9. November 2016

Der Innenausschuss

Ansgar Heveling
Vorsitzender

Andrea Lindholz
Berichterstatterin

Dr. Lars Castellucci
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Volker Beck (Köln)
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10288

Bericht der Abgeordneten Andrea Lindholz, Dr. Lars Castellucci, Ulla Jelpke und
Volker Beck (Köln)

I. Überweisung

Der Gesetzentwurf auf Drucksache 18/2492 wurde in der 113. Sitzung des Deutschen Bundestages am
19. Juni 2015 an den Innenausschuss federführend sowie an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, den
Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für
Gesundheit und den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat in seiner 117. Sitzung am 9. November 2016 mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Gesetzentwurfs empfohlen.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner 93. Sitzung am 9. November 2016 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN die Ablehnung des Gesetzentwurfs empfohlen.

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat in seiner 75. Sitzung am 9. November 2016 mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Der Ausschuss für Gesundheit hat in seiner 93. Sitzung am 9. November 2016 mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die
Ablehnung des Gesetzentwurfs empfohlen.

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat in seiner 73. Sitzung am 9. November 2016 mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen, den Gesetzentwurf abzulehnen.

III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Innenausschuss hat in seiner 95. Sitzung am 9. November 2016 den Gesetzentwurf abschließend beraten
und empfiehlt die Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/2492 mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Berlin, den 9. November 2016

Andrea Lindholz
Berichterstatterin

Dr. Lars Castellucci
Berichterstatter

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Volker Beck (Köln)
Berichterstatter

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