BT-Drucksache 17/9935

Initiative Demokratie stärken

Vom 11. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9935
17. Wahlperiode 11. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Diana Golze, Steffen Bockhahn, Klaus Ernst, Nicole
Gohlke, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Cornelia Möhring,
Jens Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Initiative Demokratie stärken

Die unter dem Titel „Initiative Demokratie stärken“ seit Sommer 2010 laufen-
den Präventionsprogramme des Bundes zu den Themen Islamismus und Links-
extremismus haben aufgrund ihrer Ausrichtung und teilweise fehlenden Fach-
lichkeit vielfach Kritik erfahren. Im März 2012 wurde in der „taz“ auf eine Studie
des Deutschen Jugendinstituts e. V. (DJI) verwiesen, die diese Kritik aus Sicht
der wissenschaftlichen Begleitung unterstützt (vgl. www.taz.de/!88765/). Von
Seiten der Bundesregierung wurde dieser Bericht der wissenschaftlichen Beglei-
tung nicht veröffentlicht, obwohl die Bundesregierung dies in der Antwort auf
die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/5329,
Frage 7) zugesagt hatte. Mittlerweile hat es in diesem Fall stattdessen die „taz“
übernommen, den Bericht des DJI ins Netz zu stellen.

Zahlreiche Probleme des Projektteils zum Thema Linksextremismus werden
hier aufgeführt, die die bisherige Kritik am Programm unterstützen. So wird vor
allem die völlig ungeklärte inhaltliche Dimension des Begriffs Linksextremis-
mus hervorgehoben, die sich in unterschiedlichen, teils willkürlichen Zielgrup-
penbestimmungen der Projekte niederschlägt. Teilweise wird von den Projekt-
trägern die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSFJ) vorgegebene Begrifflichkeit bewusst vermieden, weil mit ihr keine
gesellschaftlichen Realitäten abzubilden sind. Im Bericht des DJI heißt es dazu:
„Es deutet sich jedoch an, dass mit dem Begriff ,Linksextremismus‘ so unter-
schiedliche Phänomene bezeichnet werden, dass zweifelhaft erscheint, inwie-
weit ,Linksextremismus‘ im sozialwissenschaftlichen und im pädagogischen
Bereich (insbesondere mit Fokus auf der Jugendphase) einen geeigneten Ober-
begriff darstellt.“ (DJI, Ergebnisbericht der wissenschaftlichen Begleitung 1. Ja-
nuar 2011 bis 31. Dezember 2011, S. 109).

Die vom DJI festgestellte räumliche Konzentration der Projekte auf Berlin ver-
stärkt die Zweifel, ob es sich um einen modellhaften Projektansatz mit bundes-
weiter Relevanz handelt. Die fehlende wissenschaftliche Definition und Erfor-
schung des politisch vorgegebenen Themas führt laut Evaluation dazu, dass für

einen großen Teil der Träger nicht einmal die Zielgruppenbestimmung klar ist,
geschweige denn, sinnvolle pädagogische Arbeit entwickelt werden kann: „Auf-
grund der mangelnden Erforschung des Gegenstandes und der wenigen verläss-
lichen Daten über die potenzielle Zielgruppe, haben viele Projekte Schwierig-
keiten, sich im Themenfeld zu orientieren und adäquate pädagogische Konzepte
zu entwickeln.“ (DJI, Ergebnisbericht der wissenschaftlichen Begleitung 1. Ja-
nuar 2011 bis 31. Dezember 2011, S. 70).

Drucksache 17/9935 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die inzwischen auch von Gerichten in Frage gestellte so genannte Demokratie-
erklärung wird auch im DJI-Bericht als hinderlich und verunsichernd für die
Projekte beschrieben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aus welchem Grund hat die Bundesregierung den Ergebnisbericht der
wissenschaftlichen Begleitung des DJI für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis
31. Dezember 2011 nicht vollständig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht,
und wie verträgt sich dieses Vorgehen mit ihrer Antwort auf die Kleine An-
frage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/5329, in der es
zu den Zwischenberichten des DJI heißt: „Diese werden jeweils in geeigneter
Weise veröffentlicht.“?

2. Wie bewertet die Bundesregierung den Zwischenbericht des DJI, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie aus ihm für die Ausrichtung des Programms
„Initiative Demokratie stärken“ insgesamt?

3. a) Was sind die Ergebnisse des auf Seite 31 des DJI-Berichts erwähnten Zwi-
schenberichts, der dem BMFSFJ am 31. Oktober 2011 zugegangen ist und
„einzelprojektbezogene Gesamtdarstellungen enthält“ (bitte nach Projek-
ten aufschlüsseln).

b) Wo ist dieser Bericht veröffentlicht, bzw. warum ist er nicht veröffentlicht
worden?

4. Welche Relevanz haben die Berichte des DJI (vom 31. Oktober 2011 und
31. Dezember 2011) und die wissenschaftliche Begleitforschung für die
Frage der weiteren Finanzierung einzelner Projekte?

5. Bei welchen Entscheidungen über Fördermittelvergaben 2011 bzw. über die
Weiterförderung 2012 im Rahmen des Programms „Initiative Demokratie
stärken“ wurde die wissenschaftliche Begleitung durch das DJI beteiligt?

6. Welche Publikationen sind im Rahmen der „Initiative Demokratie stärken“
entstanden, und wie hat sich das DJI als wissenschaftliche Begleitung ggf.
dazu geäußert?

a) Hat sich das DJI beispielsweise zu der „Linksextremismusbroschüre“ der
Zeitbild Stiftung oder der Publikation „Linksextremismus in Deutschland:
Erscheinungsbild und Wirkung auf Jugendliche“ der Konrad-Adenauer-
Stiftung e. V. geäußert, und wenn ja, in welcher Form?

b) Hatten die Äußerungen des DJI irgendwelche Konsequenzen, und wenn
ja, welche?

7. Welche der 2011 geförderten Projekte im Themenbereich Linksextremismus
und Islamismus werden auch 2012 weiter gefördert, und wurden diese vor
der erneuten Förderzusage evaluiert oder auf andere Art inhaltlich geprüft?

a) Wenn ja, durch wen ist die Evaluierung oder Prüfung erfolgt, nach wel-
chen Kriterien, und mit welchem Ergebnis?

b) Wenn nein, warum nicht?

8. Was hat konkret die wissenschaftliche Prüfung der bewilligten Projekte er-
geben (bitte nach positiv und negativ beurteilten Projekten aufschlüsseln)?

9. Ist die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung über Förderanträge den Emp-
fehlungen des DJI gefolgt, und wenn nein, warum nicht (bitte nach Projekt-
anträgen aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9935

10. Wie bewertet die Bundesregierung die vom DJI bemängelte unklare Be-
grifflichkeit beim zentralen Begriff des Linksextremismus, und welche Fol-
gerung zieht sie für die weitere Programmgestaltung daraus?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die im DJI-Bericht dargestellte unklare
Zielgruppenbestimmung der Projekte, und welche Schlussfolgerung zieht
sie hieraus für die weitere Programmgestaltung?

12. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass die räum-
liche Konzentration der Projekte im Bereich Linksextremismus auf den
Raum Berlin, die bundesweite Relevanz dieses Programmteils in Frage
stellt, und wie begründet sie ihre Ansicht?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung die im DJI-Bericht konstatierte Verunsi-
cherung der Projektträger durch die sogenannte Demokratieerklärung, und
wie will sie zukünftig damit umgehen?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die im Ergebnisbericht der Wissen-
schaftlichen Begleitung (Nummer 6.3) beschriebenen Mängel in der Quali-
tät der Förderanträge, nach der nur ein Viertel der Projekte die Modellhaf-
tigkeit ihres Ansatzes überhaupt beschrieben haben?

15. Welche Förderanträge welcher Organisationen haben sich weitgehend auf
die „Beschreibung der angestrebten Produkte und eine Kostenaufstellung“
beschränkt, und wurde diesen Anträgen stattgegeben (bitte aufschlüsseln)?

16. Bis zu welchem Betrag werden Projekte im Rahmen der „Initiative Demo-
kratie stärken“ gefördert, und existiert eine Deckelung der Zuwendungen
wie sie vergleichsweise bei den Projekten gegen Rechtsextremismus exis-
tiert?

17. Haben sämtliche geförderte Projekte die in den Leitlinien zum Programm-
bereich geforderte Kofinanzierung erbracht, und wenn nein, welche nicht,
und aus welchen Gründen wurde von der Forderung abgesehen (bitte auf-
schlüsseln)?

18. Wie begründet sich die im Vergleich zu den Modellprojekten im Bereich
Rechtsextremismus relativ geringe Kofinanzierungsforderung von 10 Pro-
zent (im Gegensatz zu 50 Prozent dort), und ist eine Angleichung geplant?

Wenn ja, in welche Richtung?

19. Für welche Projekte hat das Landesamt für Verfassungsschutz Niedersach-
sen im Jahr 2011 Mittel aus dem Programms „Initiative Demokratie stär-
ken“ beantragt?

a) Welche Anträge wurden genehmigt?

b) Welche aus dem Programm unterstützten Veranstaltungen wurden wann
und wo durchgeführt?

c) Wie hoch war die Teilnehmeranzahl bei den durchgeführten Veranstal-
tungen (bitte aufschlüsseln)?

d) Worin liegt die in den Leitlinien des Programms geforderte Modellhaf-
tigkeit dieser Veranstaltungen, z. B. des „Regionalen Extremismus-Sym-
posions“ am 12. November 2011 in Oldenburg?

20. Worin erklärt sich das BMFSFJ die Modellhaftigkeit des Projektes der
„Stiftung Partner für Schule NRW“?

21. Wurden im Zuge des Nachdrucks des „Andi-Comics“ neben dem Vorwort
der Bundesministerin, Kristina Schröder, auch inhaltliche Änderungen zur
bereits bestehenden Version des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen

vorgenommen?

Drucksache 17/9935 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
22. Wie viele Exemplare des „Andi-Comics“ wurden gedruckt, wie viele be-
reits versendet, und wie teuer war der Nachdruck?

23. Sieht die Bundesregierung die finanzielle Förderung der Projekte im Pro-
gramm „Initiative Demokratie stärken“ als Beitrag zur Unterstützung der
Zivilgesellschaft, und wie verträgt sich dieser Ansatz mit der Finanzierung
von Projekten des Landesamtes für Verfassungsschutz in Niedersachsen
oder der Stiftung „Partner für Schule NRW“?

Berlin, den 11. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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