BT-Drucksache 17/9921

Kloster Mor Gabriel weiter schützen

Vom 12. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9921
17. Wahlperiode 12. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Klaus Brandner, Dr. h. c. Gernot
Erler, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Kerstin Griese, Wolfgang Gunkel,
Ute Kumpf, Ullrich Meßmer, Thomas Oppermann, Christoph Strässer,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Kloster Mor Gabriel weiter schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel liegt im Südosten der Türkei, nahe
der syrischen Grenze, in der türkischen Provinz Mardin im Landkreis Midyat
(Region Tur Abdin). Es ist eines der ältesten christlichen Klöster weltweit.
Wahrscheinlich 397 nach Christus gegründet, stellt es heute als eines der letzten
intakten christlichen Klöster das geistliche und kulturelle Zentrum syrisch-
orthodoxer Christen in Südostanatolien dar. Das Kloster kann auf eine 1 600
Jahre währende kontinuierliche Ausübung der Liturgie und klösterlichen Lebens
verweisen. Es ist Ort für Exerzitien einheimischer Mönche, die dort auf ein Leben
als Eremit vorbereitet werden. Das Kloster Mor Gabriel spielt eine entschei-
dende Rolle bei der Pflege der syrisch-aramäischen Kirchen- und Alltagsspra-
che und sichert institutionell das kulturelle Erbe der syrisch-orthodoxen Bevöl-
kerung. Schließlich ist das Kloster faktisch seit der Bischofsweihe des Abtes von
Mor Gabriel Sitz des Bischofs Mor Timotheos Samuel Aktas.

Das Kloster und die örtliche Gemeinde sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Es
steht zu befürchten, dass das Kloster Mor Gabriel in mehreren seit Jahren anhän-
gigen Gerichtsverfahren enteignet und entwidmet werden könnte.

Seit Mitte Juli 2011 ist ein Urteil des türkischen Kassationsgerichts im soge-
nannten Wald-Verfahren rechtskräftig. Das Urteil bestätigt die für das Kloster
Mor Gabriel negative erstinstanzliche Entscheidung vom 24. Juni 2009. Danach
sind nach der neuen Katastererfassung ca. 336 000 m2 der bisher vom Kloster
genutzten Ländereien als Wald eingestuft und somit laut türkischer Verfassung
automatisch Staatseigentum. Das Kloster hat gegen diese Entscheidung am
18. August 2011 unter Berufung auf die Religionsfreiheit und das Recht auf
Eigentum den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen.

Im Strafverfahren gegen den Vorsitzenden der Gemeindestiftung, Kyriakos

Ergün, geht es anknüpfend an das „Wald-Verfahren“ um den Vorwurf, Kyriakos
Ergün habe auf staatlichem Land („Wald“) eine Mauer errichtet und damit gegen
Strafvorschriften des Waldgesetzes verstoßen. Ein für den 17. Oktober 2011 ge-
planter Gerichtstermin wurde zunächst auf den 11. Januar 2012 anschließend auf
den 7. März 2012, daraufhin auf den 25. April 2012 und nun auf den 13. Juni
2012 verschoben, um dem Gericht noch eine Ortsbegehung zu ermöglichen.

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Im „Schatzamt-Verfahren“ hob das türkische Kassationsgericht mit Urteil vom
7. Dezember 2010 ein für das Kloster Mor Gabriel positives erstinstanzliches
Urteil vom 24. Juni 2009 auf und verwies das Verfahren an das Ausgangsgericht
in Midyat zurück. Ein aktueller Gerichtstermin (Anhörung) hierzu fand am
10. Oktober 2011 statt. Als Ergebnis wurde die Entscheidung zuungunsten des
Klosters vom Ausgangsgericht erneut zurückgewiesen und wieder an den
Kassationsgerichtshof verwiesen. Nächste Schritte werden nun nicht vor Ablauf
von drei bis fünf Monaten erwartet. Zur Vorgeschichte dieses Verfahrens: Ende
Januar 2009 hatte das lokale Schatzamt der zuständigen Gemeinde Midyat eine
Anzeige erstattet, mit der zwölf der dem Kloster zugehörigen Parzellen als nicht
ackerfähiges Land dargestellt und daher als Staatseigentum beansprucht wur-
den. Laut den Anwälten des Klosters habe das Kassationsgericht bei seiner Ent-
scheidung das Eigentum des Klosters belegende Dokumente aus den Jahren
1936/1937 unbeachtet gelassen. Zudem seien eingereichte Dokumente, die das
Eigentum belegen sollten, nicht mehr in den Prozessakten enthalten.

Das Kloster selbst klagte in einem weiteren Fall (sogenanntes Grenz-Verfahren)
gegen die Katastereintragung. Inhalt der Klage waren die Verwaltungsgrenzen
zu den Nachbardörfern. In diesem Verfahren fällte das zuständige Gericht am
22. Mai 2009 ein Urteil im Sinne des Klosters. Das Kassationsgericht hat aller-
dings im Berufungsverfahren Mitte August 2010 einen Zuständigkeitsfehler
konstatiert und das für das Kloster positive erstinstanzliche Urteil aufgehoben.
Nicht das Zivilgericht, sondern das Verwaltungsgericht sei für den Fall zustän-
dig. Die Zuständigkeitsfrage ist bisher nicht abschließend geklärt.

Ein weiteres Gerichtsverfahren wurde von Vorstehern umliegender Dörfer, die
zum Einflussgebiet eines kurdischen Feudalherren und ehemaligen (bis Juni
2011) AKP-Abgeordneten (AKP = Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung)
im türkischen Parlament gehören, initiiert. Dieses Strafverfahren wegen „illega-
ler Landnahme“ durch Bau einer vier Kilometer langen Einfriedungsmauer ge-
gen den Vorsitzenden der Gemeindestiftung, Kyriakos Ergün, steht mit dem o. g.
„Wald-Verfahren“ in Verbindung, da die Kläger von der Einstufung großer Teile
der Klosterländereien als Wald und damit als Staatseigentum ausgehen. Eine
Entscheidung in diesem Verfahren wird wegen des inzwischen rechtskräftigen
Urteils im „Wald-Verfahren“ in Kürze erwartet.

Nach Bekanntwerden des Urteils im „Schatzamt-Verfahren“ wurden Demarchen
im EU-Kreis abgestimmt, die der Leiter der EU-Delegation in Ankara im März
2011 durchführte. Der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç versicherte
in diesem Zusammenhang, die türkische Regierung sei an einer praktischen und
pragmatischen Lösung interessiert. Er sprach von der Möglichkeit, dass die tür-
kische Regierung im Falle einer endgültigen negativen Gerichtsentscheidung
das Land kostenlos und für einen längeren Zeitraum an das Kloster verpachten
könnte. Eine derartige Regelung wird aber bisher vom Kloster unter Hinweis auf
den jahrhundertelangen Besitz der betroffenen Ländereien abgelehnt.

Die Republik Türkei hat sich im Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 dazu
verpflichtet, dass „türkische Staatsbürger, die nicht-muslimischen Minderheiten
angehören“, die „gleichen bürgerlichen und politischen Rechte genießen wie
Muslime“ (Artikel 39 Absatz 1 des Vertrages). Praktisch sieht die Türkei die
Minderheit der Syrisch-Orthodoxen in ihrem Land nicht als Minderheit im
Sinne des Vertrages von Lausanne an. Deshalb verfügt die syrisch-orthodoxe
Kirche in der Türkei über keine Anerkennung als Rechtspersönlichkeit. Sie be-
sitzt nicht das Recht, religiöse Stiftungen und Schulen zu unterhalten und darf
ihre Gebäude nicht zu Ausbildungszwecken nutzen. Auch wenn das Kloster
Mor Gabriel zivilrechtlich als Gemeindestiftung organisiert ist, wird ihm das
Recht abgesprochen, als Ausbildungsstätte zu fungieren.
Dieses Rechtsverständnis der Türkei schlägt sich auch bei der Ratifizierung des
Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) nieder.

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Der Pakt beinhaltet in Artikel 27 einen Minderheitenschutz und ist seit dem
24. Dezember 2003 in Kraft. Allerdings hat die Türkei den IPbpR mit Vorbehal-
ten bzw. Erklärungen versehen. Sie anerkennt nur Minderheiten im Sinne ihrer
einschränkenden Interpretation des Lausanner Vertrages. Aus den Artikeln 37
bis 45 des Vertrages lässt sich eine Unterscheidung der nichtmuslimischen Min-
derheiten jedoch nicht ableiten.

Immer wieder haben in den vergangenen Jahren Vertreter der Bundesregierung
und des Deutschen Bundestages auf die Probleme des Klosters aufmerksam ge-
macht und diese auch in Gesprächen mit der türkischen Regierung verdeutlicht,
ohne eine substanzielle Verbesserung der Situation zu erreichen. Auch die Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP haben bereits in der vergangenen Legisla-
turperiode mit dem Antrag „Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen“
(Bundestagsdrucksache 16/12866) ihre gemeinsame Unterstützung für das
Kloster zum Ausdruck gebracht. Der Metropolit und weitere Vertreter des Klos-
ters haben der Politik und auch den Kirchen in Deutschland für ihre Solidarität
mehrfach gedankt.

Der Deutsche Bundestag begrüßt einzelne rechtliche Verbesserungen für reli-
giöse Minderheiten, die in jüngster Zeit erzielt wurden. Zu nennen sind etwa die
Feierlichkeiten unter Teilnahme internationaler Pilger anlässlich des Paulus-
Jahres 2008/2009 am Geburtsort des Apostels in Tarsus. Weitere Schritte waren
Erlaubnisse für Gottesdienste der griechisch-orthodoxen Christen im ehema-
ligen Kloster Sümela und armenischer Christen in der Kirche auf der Insel
Akdamar in den Jahren 2010 und 2011, wie sie jetzt einmal jährlich stattfinden
sollen. Auch im Stiftungsrecht hat es seit 2008 erhebliche Verbesserungen gege-
ben. Zu begrüßen ist nicht zuletzt das Dekret mit Gesetzeskraft vom 27. August
2011. Dieses gibt religiösen Gemeindestiftungen das Recht, binnen zwölf Mo-
naten nach Inkrafttreten die Rückgabe von Immobilien zu verlangen, die ihnen
nach 1936 durch Enteignung entzogen wurden. Alternativ besteht ein Entschä-
digungsanspruch zum heutigen Marktwert.

Leider haben sich die Hoffnungen des Deutschen Bundestages, dass die Türkei
umfassende Anstrengungen auf dem Weg zur uneingeschränkten Achtung der
Religionsfreiheit unternehmen wird, um die religiöse Vielfalt sowie das reiche
kulturelle Erbe des Landes zu schützen und zu bewahren, so noch nicht erfüllt.
Insbesondere fehlt es an Auswirkungen in der Praxis, die zu einer Verbesserung
der Situation der Christinnen und Christen in der Türkei insgesamt und beson-
ders der des Klosters Mor Gabriel führen.

Heute leben weniger als 100 000 Christen sämtlicher Konfessionen in der Tür-
kei. Diese Zahl ist auch in den letzten Jahren noch rückläufig. Die restriktiven
Gesetze, die stark in die Religionsfreiheit eingreifen, gefährden den Fortbestand
der christlichen Gemeinschaften.

Trotz einiger kleiner Fortschritte in den vergangenen Jahren ist die Religions-
freiheit in der Türkei nach wie vor stark eingeschränkt. Der Umgang mit nicht-
muslimischen Minderheiten entspricht nicht den Standards der Europäischen
Union. Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission listet seit Jahren
Defizite auf. So ist eine Befreiung vom grundsätzlich verpflichtenden sunni-
tisch-muslimischen Religionsunterricht entgegen einer Entscheidung des Euro-
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2007 (Fall Hasan und
Eylem Zengin) in der Praxis nach wie vor nicht problemlos möglich. Da die
Türkei den syrisch-orthodoxen Christen anders als ihren jüdischen, griechisch-
orthodoxen und armenischen Staatsbürgern keinen Status als „nichtreligiöse
Minderheit“ im Sinne des Vertrages von Lausanne zubilligt, haben diese auch
nicht das Recht, eigene Schulen in aramäischer Sprache zu unterhalten. Reli-
giösen Minderheiten ist es nicht gestattet, ihren geistlichen Nachwuchs aus-

zubilden. Die religiöse Zugehörigkeit wird in Personaldokumenten festgehalten
und bietet Anlass für vielfältige Diskriminierung im Alltag – die mittlerweile auf

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Antrag mögliche Änderung der Eintragung (auch das Freilassen des Feldes) hat
die gleichen Folgen. Immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Andersgläubige
und ihre Gebetshäuser. Obwohl seit Aufhebung des Artikels 163 des Türkischen
Strafgesetzbuchs „Mission“, also die öffentliche Weitergabe des Glaubens, for-
mal nicht mehr verboten ist, wird u. a. auch von staatlicher Seite so gehandelt,
als wäre der Artikel noch in Kraft und es kommt wegen des Vorwurfs der Mis-
sionierung weiterhin zu Anklageerhebungen.

Der Erhalt des Klosters Mor Gabriel durch den türkischen Staat wäre daher ein
starkes Signal für das Umgehen des türkischen Staates mit den religiösen Min-
derheiten, insbesondere der christlichen Minderheit, im Land. Die umfassende
Verwirklichung der Menschenrechte und der Kopenhagener Kriterien ist eine
Grundvoraussetzung für die Aufnahme in die EU.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen-
über der türkischen Regierung weiterhin dafür einzusetzen, dass die türkische
Regierung die Existenzgrundlage und die Lebensperspektive des Klosters
Mor Gabriel dauerhaft garantiert und der syrisch-orthodoxen Minderheit in
ihrem Land im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK) die Rechte gewährt, die auch in der Beitrittspartnerschaft mit der
Türkei eindeutig festgelegt sind;

2. in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union von der
türkischen Regierung auch zukünftig die uneingeschränkte Einhaltung ihrer
Verpflichtungen aus Artikel 18 IPbpR und Artikel 9 EMRK gegenüber re-
ligiösen Minderheiten einzufordern, damit im Einklang mit anderen interna-
tionalen Abkommen sichergestellt ist, dass religiöse nichtmuslimische und
nichtsunnitische Minderheiten Rechtspersönlichkeit erlangen und als aner-
kannte Minderheiten ihre Rechte uneingeschränkt ausüben können;

3. in den Beziehungen mit der Türkei die Defizite im Bereich der Religionsfrei-
heit verstärkt anzusprechen und gegenüber der Europäischen Kommission
darauf hinzuwirken, dazu auch weiterhin ausführlich im Fortschrittsbericht
Stellung zu nehmen;

4. sich dafür einzusetzen, dass die türkische Regierung die syrisch-orthodoxen
Christen als Minderheit gemäß dem Lausanner Vertrag anerkennt;

5. sich dafür einzusetzen, dass die Türkei der Europäischen Charta für Regio-
nal- und Minderheitensprachen sowie der Rahmenkonvention zum Schutz
nationaler Minderheiten vorbehaltslos beitritt;

6. sich dafür einzusetzen, dass die türkische Regierung den Vorbehalt zu Arti-
kel 27 IPbpR zurücknimmt.

Berlin, den 12. Juni 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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