BT-Drucksache 17/9740

Ursachen und Verantwortlichkeiten für das Berliner Flughafendebakel lückenlos aufklären - Chancen für besseren Lärmschutz nutzen

Vom 23. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9740
17. Wahlperiode 23. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Renate Künast, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Sven-
Christian Kindler, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, Bettina Herlitzius,
Daniela Wagner, Cornelia Behm, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ursachen und Verantwortlichkeiten für das Berliner Flughafendebakel lückenlos
aufklären – Chancen für besseren Lärmschutz nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Bau des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) ist zu einer Provinzposse
geworden, über den die gesamte Welt lacht. Der Imageschaden für die Haupt-
stadtregion, aber auch für Deutschland insgesamt ist groß. Die Absage der Er-
öffnung wenige Wochen vor der geplanten Inbetriebnahme ist nicht die Folge
kurzfristig aufgetretener Probleme bei der Genehmigung der Brandschutz-
anlage, sondern eine Notbremse für offensichtliche Schlamperei großen Stils
bei Planung, Bau und vor allem auch Controlling der Maßnahmen durch das
Management und den Aufsichtsrat.

Spätestens als das Management im Dezember 2011 den Aufsichtsrat über Pro-
bleme beim Brandschutz unterrichtete und „Alternativterminals in Zeltbau-
weise“ die Check-in-Schalter in der Haupthalle entlasten sollten, hätten beim
Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Wowereit und dem Vertreter des Bundes, dem
beamteten Staatssekretär Rainer Bomba aus dem Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung, sämtliche Alarmglocken schrillen und hätte ein
unabhängiges Controlling in Gang gesetzt werden müssen. Besonders unverant-
wortlich ist, dass Management und Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft nicht
nur den Zeitplan völlig unrealistisch einschätzten, sondern auch einer Auswei-
tung der Flugkapazitäten bereits vor der Fertigstellung zustimmten, die jetzt zur
Überlastung der Flughafens Berlin-Tegel beitragen.

In der Folge des Missmanagements drohen Mehrkosten in Höhe mehrerer
100 Mio. Euro, für die am Ende die Steuerzahler aufkommen müssen. Der Bund
ist mit 26 Prozent an der Flughafengesellschaft beteiligt. Es bedarf daher einer

lückenlosen unabhängigen Aufklärung sämtlicher Vorgänge in Management
und Aufsichtsrat, auch um mögliche Regressansprüche gegen persönlich Ver-
antwortliche zu klären.

Neben den stark betroffenen Fluggesellschaften sind vor allem die kleinen Un-
ternehmen die derzeitigen Leidtragenden der Verzögerung, die ab dem 3. Juni
2012 am neuen Standort Geschäfte oder gastronomische Einrichtungen eröffnen
wollten. Viele dieser Unternehmen drohen in die Insolvenz zu gehen, wenn

Drucksache 17/9740 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
ihnen nicht kurzfristig und unbürokratisch Überbrückungskredite zur Verfügung
gestellt werden. Außerdem müssen sie bei der Bearbeitung der Schadensersatz-
ansprüche bevorzugt behandelt werden.

Die Verschiebung der Inbetriebnahme um weitere zehn Monate bietet allerdings
auch die Chance, für die Fluglärmbetroffenen einen zeitgemäßen Schallschutz
vorzusehen. Das Lärmschutzprogramm ist dementsprechend auszubauen. Vor
allem sind die bereits beschlossenen Maßnahmen bis zum neuen Inbetriebnah-
metermin zügig und vollständig umzusetzen, da bislang erst 5 Prozent der be-
troffenen Haushalte Lärmschutzmaßnahmen erhalten haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, den Haushaltsaus-
schuss und den Ausschuss für Tourismus des Deutschen Bundestages kon-
tinuierlich transparent über das Krisenmanagement zu informieren und
dabei sämtliche dazu notwendige Unterlagen mit Ausnahme sicherheits-
relevanter Informationen öffentlich zu machen, anstatt sie nur in der Ge-
heimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Verfügung zu stellen,

2. eine unabhängige rechtliche und technische Untersuchung der Ursachen
und Verantwortlichkeiten von Management und Aufsichtsrat für die Verzö-
gerung der Inbetriebnahme und die Kostenrisiken beim Bau des BER in
Auftrag zu geben,

3. die Kostenrisiken aus Schadensersatzforderungen für die von der Verzöge-
rung betroffenen Unternehmen, Neu- und Umplanungen sowie Zinstausch-
geschäfte lückenlos aufzuführen,

4. die wirtschaftlichen und organisatorischen Folgen für die Tourismusbranche
(u. a. Fluggesellschaften, Reiseveranstalter) sowie darüber hinausgehender
indirekter negativer Wertschöpfungseffekte insgesamt darzulegen,

5. zu prüfen, inwieweit persönliches schuldhaftes Verhalten von Management
und Aufsichtsrat auch strafrechtlich verfolgt werden müssen, um Regress-
forderungen durchsetzen zu können,

6. das Lärmschutzprogramm für die Fluglärmbetroffenen auszuweiten und bis
zum neuen Inbetriebnahmetermin vollständig umzusetzen,

7. keine neuen Lärmbelastungen durch eine Ausweitung der Betriebszeiten in
den Nachtstunden am Flughafen Berlin-Tegel zuzulassen,

8. die genehmigten zusätzlichen Flüge so an den beiden alten Standorten zu
verteilen, dass vorhandene Kapazitäten ausgeschöpft werden,

9. einen Entschädigungsfonds für die Unternehmen im Non-Aviation-Bereich
(z. B. Geschäfte, Gastronomie) einzurichten, der unbürokratisch Über-
brückungskredite und Schadensersatz leistet,

10. Flugverfahren (wie z. B. Flugrouten) im Luftverkehrsrecht zum Gegenstand
des Planfeststellungsverfahrens zu machen, um eine wirkliche Abwägung
der Lärmschutzbelange mit Blick auf die Betroffenen vorzunehmen.

Berlin, den 22. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.