BT-Drucksache 17/9562

Europäische Klimaschutzziele für 2020 auf 30 Prozent Treibhausgasminderung erhöhen - überschüssige Emissionsrechte stilllegen

Vom 8. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9562
17. Wahlperiode 08. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dorothee Menzner, Ralph Lenkert,
Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Ulla Lötzer, Richard Pitterle,
Sabine Stüber, Dr. Axel Troost, Johanna Voß und der Fraktion DIE LINKE.

Europäisches Klimaschutzziel für 2020 auf 30 Prozent Treibhausgasminderung
erhöhen – Überschüssige Emissionsrechte stilllegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ohne eine wirkliche Vorreiterrolle seitens wichtiger Industrieländer beim Kli-
maschutz wird kein neuer Schwung in die UN-Klimaverhandlungen kommen.
Der wichtigste Beitrag der Europäischen Union dafür wäre die Anhebung des
bedingungslosen EU-Minderungsziels für Treibhausgasemissionen bis 2020
von gegenwärtig minus 20 Prozent auf minus 30 Prozent gegenüber 1990.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich in der Europäischen Union vorbehaltlos

– für ein Minderungsziel für die EU-Treibhausgasemissionen von mindestens
30 Prozent bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 einzusetzen. Die EU-Kom-
mission soll zudem aufgefordert werden, im Jahr 2012 eine Konzeption zur
weiteren Verschärfung des Klimaschutzziels für das Jahr 2020 auf minus
40 Prozent vorzulegen und zudem Unterstützungsangebote an Mitgliedstaa-
ten zu machen, die durch die genannten neuen Klimaschutzziele wirtschaft-
lich besonders belastet würden;

– für die Kürzung der Gesamtmenge der ab der dritten Handelsperiode des
EU-Emissionshandels (2013 bis 2020) zu vergebenden Emissionszertifikate
um jenes Volumen an überschüssigen Emissionsrechten einzusetzen, das in
der laufenden Handelsperiode (2008 bis 2012) krisenbedingt oder aufgrund
der Überausstattung entstanden ist, wobei die überschüssigen Zertifikate
mittelfristig stillzulegen sind;

– in der EU für einen neuen Minderungspfad für die Emissionen der emissi-
onshandelspflichtigen Anlagen einzutreten, der über die momentan festge-
legten jährlichen 1,74 Prozent ab 2013 soweit hinausgeht, dass der Emis-
sionshandelssektor einen angemessenen Beitrag dazu leistet, das neue ambi-

tionierte Minderungsziel in der EU bis 2020 zu erreichen, und der das
Entstehen neuer überschüssiger Emissionsrechte und niedriger CO2-Preise
sicher verhindert;

– für eine Auktionierung der Emissionsrechte an die Industrie in der dritten
Handelsperiode des EU-Emissionshandels (2013 bis 2020) statt der bislang
vorgesehenen kostenlosen Vergabe der Emissionsrechte einzusetzen – ad-
äquat der Regelung für die Energiewirtschaft ab dem Jahr 2013;

Drucksache 17/9562 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– gegen eine Verwendung von Emissionsgutschriften aus Projekten des Clean
Development Mechanism (CDM) zur Abrechnung von Minderungsver-
pflichtungen im EU-Emissionshandelssystem einzusetzen, die aus Vorhaben
stammen, welche nach dem Jahr 2012 begonnen wurden. Emissionsgut-
schriften aus CDM-Projekten, die in der ersten und der laufenden zweiten
Handelsperiode begonnen wurden, sollen ebenfalls nicht verwendet werden
dürfen, sofern sie aus so genannten HFC-23-Industriegasprojekten oder dem
Neubau von Kohlekraftwerken stammen.

Berlin, den 8. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Europäische Union ist weit von einer klimapolitischen Vorreiterrolle ent-
fernt. Insbesondere mit dem Beharren auf dem alten Klimaschutzziel von minus
20 Prozent Treibhausgasen bis 2020 gegenüber 1990 verspielt sie im internatio-
nalen Klimaprozess Vertrauen. Schließlich betrug die Minderung im Jahr 2010
bereits 15,5 Prozent. Die EU ist ohne Zweifel wirtschaftlich und technisch in der
Lage, ihre Emissionen um 30 Prozent zu vermindern; und zwar ohne jene
momentan geltende Vorbedingung, die die Verschärfung des Klimaschutzziels
von 20 auf 30 Prozent Minderung an den Abschluss einer internationalen Kli-
mavereinbarung knüpft. Eine ambitionierte Klimapolitik könnte in dem genann-
ten Zeitraum sogar 40 Prozent weniger Treibhausgase ins Auge fassen, um so
dem überdurchschnittlichen Beitrag der Industriestaaten am fortschreitenden
Klimawandel Rechnung zu tragen.

Um zu einem gemeinsamen Beschluss der Mitgliedstaaten zu gelangen, das
EU-Klimaschutzziel auf mindestens 30 Prozent Minderung anzuheben, müssen
Angebote an Mitgliedstaaten gemacht werden, die durch eine solche Verschär-
fung überproportional belastet würden. Insbesondere muss dadurch die gegen-
wärtige Blockade Polens in dieser Sache durch Finanz- und Technologiehilfen
durchbrochen werden. Dazu muss die Kommission unverzüglich Verhand-
lungen aufnehmen, um noch in diesem Frühsommer im Europäischen Rat zu
einem neuen ambitionierten EU-Klimaschutzziel zu kommen.

Im Zuge der Verschärfung des EU-Klimaschutzziels muss die EU Korrekturen
am Europäischen Emissionshandelssystem vornehmen. Schließlich wird das
laut Bundesregierung wichtigste klimapolitische Instrument durch vielfältige
Art und Weise seiner umweltpolitischen Wirkung beraubt; beispielsweise durch
die große Menge an überschüssigen Emissionsberechtigungen. Diese hat drei
Ursachen: 1. die Wirtschaftskrise 2008/2009, 2. die Überausstattung der ener-
gieintensiven Industrie mit Emissionsrechten und 3. den Zustrom von teilweise
„faulen“ Zertifikaten über internationale Klimaschutzprojekte unter dem CDM.
Die Zertifikatsblase in der Europäischen Union beträgt nach älteren Schätzun-
gen der EU-Kommission rund 1,4 Mrd. Tonnen CO2; nach anderen Quellen wird
sie bis 2020 auf bis zu 2 Mrd. Tonnen CO2 geschätzt. Darin enthalten sind auch
jene Verschmutzungsrechte, mit denen insbesondere deutsche Industriekon-
zerne durch penetrantes Lobbying von vornherein überausgestattet wurden. Der
Emissionshandel dient hier als Einnahmequelle statt als Anreiz für mehr Klima-
schutz, stellte die britische Umweltorganisation Sandbag in einer im November
2011 veröffentlichten Studie fest.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9562

Die Zertifikatsschwemme wird die neue Handelsperiode ab 2013 belasten,
denn überschüssige Emissionsrechte sind dorthin übertragbar. EU-Klimakom-
missarin Connie Hedegaard warb deshalb mehrfach dafür, die Gesamtauktions-
menge ab 2013 um das Übertragsvolumen zu kürzen. Sonst sei das EU-Ziel in
Gefahr, bis zum Jahr 2020 die Energieeffizienz um 20 Prozent zu verbessern.
Denn aus geringen CO2- Preisen um die 6 Euro je Tonne CO2, wie aktuell er-
reicht, erwachsen für Unternehmer kaum Anreize, in Energieeinspartechnolo-
gien zu investieren. Nachdem die Bundesregierung an einer Stilllegung von
Zertifikaten dennoch bislang nur wenig Interesse gezeigt hat, wie die Antwor-
ten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Fraktion DIE LINKE. (vgl.
Bundestagsdrucksachen 17/6974 und 17/4970) nahelegen, gibt es neuerdings
aus dem Bundeskabinett Signale in diese Richtung. Die Bundesregierung muss
nun einen tatkräftigen Schritt tun und im Sinne des Klimaschutzes das deutsche
Gewicht in die europäischen Verhandlungen einbringen. Kurzfristig müssen
überschüssige Zertifikate aus dieser Handelsperiode über ein so genanntes
Side-Aside beim Versteigerungs-/Vergabeverfahren ab 2013 zurückgehalten
werden. Mittelfristig sind diese Mengen durch eine Änderung der Emissions-
handelsrichtlinie bis 2020 endgültig stillzulegen. Darüber hinaus ist der Minde-
rungspfad des Emissionshandelssektors für die Zeit ab 2013 so an das neue
Klimaschutzziel anzupassen, dass er neue relevante Überschüsse an Zertifika-
ten verhindert.

Für dieses Ziel und zur Wahrung der ökologischen Integrität des Europäischen
Emissionshandelssystems ist zudem der Einsatz von fragwürdigen Zertifikaten
aus CDM-Auslandsprojekten auf unproblematische Altfälle aus der Zeit vor
2013 zu beschränken.

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