BT-Drucksache 17/9543

Mögliche Aktivitäten von Mitgliedern der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend innerhalb der Jungen Nationaldemokraten

Vom 7. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9543
17. Wahlperiode 07. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jens Petermann, Kathrin Senger-Schäfer,
Frank Tempel, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Aktivitäten von Mitgliedern der verbotenen Heimattreuen Deutschen
Jugend innerhalb der Jungen Nationaldemokraten

Die neonazistische Heimattreue Deutsche Jugend e. V. (HDJ) war am 31. März
2009 vom Bundesminister des Innern verboten worden, da die Vereinigung die
„Heranbildung einer neonazistischen Elite“ und „ideologischen Einflussnahme
auf Kinder und Jugendliche durch Verbreitung völkischer, rassistischer, nationa-
listischer und nationalsozialistischer Ansichten im Rahmen vorgeblich unpoliti-
scher Freizeitangebote“ betrieb.

Seitdem mehren sich Hinweise, wonach Aktivitäten der HDJ im Rahmen einer
Untergruppe der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) fort-
geführt werden. So sollen sich etliche ehemalige Kader und „Einheitsführer“ der
HDJ inzwischen in den Reihen der JN wiederfinden und auf JN-Zeltlagern als
Ausbilder in Erscheinung treten. Leiter einer wenige Monate nach dem HDJ-
Verbot gebildeten „IG Fahrt und Lager“ als „Untergruppe“ innerhalb der JN ist
der ehemalige HDJ-Aktivist S. R., der im Dezember 2010 zum stellvertretenden
JN-Bundesvorsitzenden gewählt wurde.

Im Vorfeld des von der JN geplanten sogenannten Jahreswechsellagers hatte es
am 21. Dezember 2010 Hausdurchsuchungen bei JN-Aktiven in vier Bundes-
ländern gegeben. Das Landeskriminalamt sah Parallelen zwischen der IG Fahrt
und Lager und der HDJ.

Wohl aus Angst vor staatlichen Eingriffen und antifaschistischen Protesten
weicht die JN bei Aktivitäten der IG Fahrt und Lager zunehmend ins Ausland
aus. So veranstaltete die JN am 14. April 2012 in der Gemeinde Salmbach im
französischen Elsass ihren „3. Südwestdeutschen Kulturtag“ mit rund 150 aus
Deutschland angereisten Teilnehmern. Der Festsaal der Gemeinde wurde nach
Angaben des Salmbacher Bürgermeisters vom Fraktionsvorsitzenden der NPD-
Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, unter der falschen Angabe
angemietet, einen „Freizeitnachmittag“ veranstalten zu wollen. Im Vorjahr war
bereits der „2. Südwestdeutsche Kulturtag“ im elsässischen Hatten durchgeführt
worden, während der erste Kulturtag am 10. April 2010 noch im rheinland-pfäl-
zischen Ludwigshafen stattfand.
Der unter maßgeblicher Beteiligung der IG Fahrt und Lager vorbereitete
„3. Südwestdeutsche Kulturtag“, auf dem der ehemalige HDJ-Bundesführer
S. R. als Moderator angekündigt wurde, offenbart nach Informationen der Grup-
pen „recherche-nord & Autonome Antifa Freiburg“ deutliche Parallelen zum
seit 2001 von der HDJ in Brandenburg durchgeführten „Märkischen Kulturtag“
mit Teilnehmenden aus nahezu der gesamten rechtsextremen Szene. Bereits in
den letzten Jahren nahmen demnach die früheren Einheitsführer der HDJ-Ein-

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heiten Schwaben und Thüringen an dem weitgehend konspirativ vorbereiteten
Neonazitreffen teil. Einer der Hauptredner auf dem „2. Südwestdeutschen
Kulturtag“ am 9. April 2011 war der Berliner Rechtsanwalt W. N., früherer Vor-
sitzender der 1994 verbotenen Wiking Jugend und anschließend HDJ-Aktivist.

In einem Interview zum „3. Südwestdeutschen Kulturtag“ erklärte der Haupt-
redner Udo Pastörs, die NPD habe „in weiten Bereichen emotional nicht erfasst
[…], was das Verbot der HDJ langfristig auch für den politischen Kampf be-
deutet“. Er werde als stellvertretender Parteivorsitzender seinen „Einfluss wahr-
nehmen, um hier eine Veränderung herbeizuführen“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über die JN?

2. Welche Erkenntnisse im Einzelnen hat die Bundesregierung über eine in
Bundestagsdrucksache 17/4647 genannte politische Weiterbetätigung ehema-
liger HDJ-Mitglieder in rechtsextremen Kreisen nach dem Verbot der HDJ?

3. Welche mutmaßlichen Nachfolgevereinigungen der verbotenen HDJ sind der
Bundesregierung bekannt?

4. Welche schon vor dem HDJ-Verbot maßgeblich von HDJ-Mitgliedern beein-
flusste Vereinigungen sind der Bundesregierung bekannt, und welche Aktivi-
täten gingen von diesen nach dem HDJ-Verbot aus?

5. Inwieweit kam es nach Kenntnis der Bundesregierung nach dem Verbot der
HDJ zu Neugründungen von Organisationen durch ehemalige HDJ-Mit-
glieder?

6. Inwieweit gab es nach Kenntnis der Bundesregierung zum Zeitpunkt des
HDJ-Verbots Mitgliedschaften von HDJ-Aktivistinnen und Aktivisten in der
JN oder der NPD, und sind diese Personen weiterhin Mitglieder?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Eintritte ehemaliger
HDJ-Mitglieder oder Funktionäre in die JN oder die NPD?

8. Inwiefern haben nach Kenntnis der Bundesregierung ehemalige HDJ-Mit-
glieder zum Zeitpunkt des Verbots oder danach Funktionärsposten in der JN
oder der NPD übernommen?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die IG Fahrt und Lager
innerhalb der JN?

a) Seit wann besteht nach Kenntnis der Bundesregierung die IG Fahrt und
Lager, und inwieweit gab es Vorläuferorganisationen?

b) Hat die Bundesregierung Kenntnis über welchen organisatorischen und
vereinsrechtlichen Status die IG Fahrt und Lager innerhalb der JN verfügt,
und welche Rechte stehen ihr damit innerhalb der Gesamtorganisation zu?

c) Über welches finanzielle Budget verfügt die IG Fahrt und Lager, und aus
welchen Quellen stammen diese Gelder?

d) Über wie viele Aktive verfügt die IG Fahrt und Lager?

e) Inwieweit finden sich unter den leitenden Funktionärinnen und Funk-
tionären der IG Fahrt und Lager frühere Mitglieder der HDJ?

f) Wer sind die führenden Funktionärinnen und Funktionäre der IG Fahrt
und Lager?

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g) Über welche regionalen Untergliederungen verfügt die IG Fahrt und
Lager?

h) Welche Veröffentlichungen der IG Fahrt und Lager oder ihrer führenden
Funktionärinnen und Funktionäre sind der Bundesregierung bekannt?

i) Welche Aktivitäten gingen von der IG Fahrt und Lager seit ihrer Grün-
dung im Einzelnen aus (bitte einzeln aufzählen nach Ort, Zeit, Art der
Veranstaltung, Zahl der Teilnehmenden, Veranstalter)?

j) In welcher Form nimmt die IG Fahrt und Lager Einfluss auf die Politik
der JN?

k) Über welchen Einfluss verfügt die IG Fahrt und Lager innerhalb der JN?

10. Wie viele und welche Zeltlager, Wanderungen und Fahrten veranstalteten
die JN und die NPD in den letzten fünf Jahren (bitte Ort, Zeit, Zahl der Teil-
nehmenden, Art der Veranstaltung und Veranstalter nennen)?

11. Inwieweit kam es nach Kenntnis der Bundesregierung nach dem Verbot der
HDJ zu einer Steigerung von Aktivitäten wie Wanderungen, Lager und
Fahrten innerhalb der JN?

12. In wie vielen und welchen Fällen wurden – nach Kenntnis der Bundesregie-
rung – in den letzten fünf Jahren von Behördenseite Veranstaltungen oder
Lager der JN verboten oder deren Stattfinden durch besondere Auflagen be-
oder verhindert?

13. Inwieweit kam es bei Lagern der JN oder der NPD zu paramilitärischen
oder Wehrsportübungen (bitte Ort, Zeit, Zahl der Teilnehmenden, Art der
Veranstaltung und Veranstalter nennen)?

14. Inwieweit wurden, nach Kenntnis der Bundesregierung, bei Lagern, Wan-
derungen oder Fahrten der JN von den Teilnehmenden Uniformen oder uni-
formähnliche Kleidung getragen?

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Indoktrinierung
Minderjähriger und Kinder mit verfassungsfeindlichen Inhalten – etwa im
Rahmen sogenannter Rasseschulungen – auf Lagern und Veranstaltungen
der JN?

16. Welche Erkenntnisse über ein mögliches Fortführen der Aktivitäten der ver-
botenen HDJ im Rahmen der JN ergaben sich aus den bundesweiten Raz-
zien im Vorfeld des „Jahreswechsellagers“ der JN 2010/2011?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Teilnehmenden und
den Verlauf des „3. Südwestdeutschen Kulturtages“?

a) Wie viele Personen nahmen teil?

b) Inwieweit beteiligten sich auch französische Rechtsextreme an der Ver-
anstaltung?

c) Welche Rednerinnen und Redner und Moderatoren traten auf?

d) Welche kulturellen und politischen Programmpunkte fanden statt?

e) Inwieweit kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zu einschlägigen
Straftaten im Zusammenhang mit dem Kulturtag?

18. Kann die Bundesregierung Parallelen zwischen dem „Märkischen Kultur-
tag“ der HDJ und dem „Südwestdeutschen Kulturtag“ der JN erkennen, und
wenn ja, welche?

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19. Hatten bundesdeutsche Behörden im Vorfeld des „3 Südwestdeutschen Kul-
turtages“ Kenntnis über den Veranstaltungsort im Elsass?

Wenn ja, inwieweit wurden die französischen Behörden von Seiten deut-
scher Behörden über die geplante Veranstaltung in Kenntnis gesetzt?

Wenn nein, inwieweit haben sich bundesdeutsche Behörden im Vorfeld der
Veranstaltung um entsprechende Kenntnisse bemüht?

20. Inwieweit gab es bezüglich des „3. Südwestdeutschen Kulturtages“ der JN
Kontakte französischer und deutscher Sicherheitsbehörden?

21. In wie vielen und welchen Fällen fanden Veranstaltungen der JN oder der
NPD in den letzten fünf Jahren im Ausland statt (bitte Art der Veranstal-
tung, Datum, Veranstalter, Teilnehmerzahl und Veranstaltungsort nennen)?

22. Welche Maßnahmen gegen eine mögliche Fortführung der Aktivitäten der
verbotenen HDJ in anderen Organisationen oder durch mögliche Nach-
folgeorganisationen hat die Bundesregierung bislang unternommen bzw.
beabsichtigt sie zu unternehmen?

Berlin, den 7. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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