BT-Drucksache 17/946

Auswirkungen der neuen Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug - Bilanz für das Jahr 2009

Vom 5. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/946
17. Wahlperiode 05. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Ulla Jelpke, Ulrich Maurer,
Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens Petermann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der neuen Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug –
Bilanz für das Jahr 2009

Die Bestehensquoten bei Sprachprüfungen im Ausland im Rahmen des Ehe-
gattennachzugs sind rückläufig: Nur 64 Prozent aller Prüfungsteilnehmenden
weltweit, und damit 2 Prozent weniger als 2008, bestanden im 1. Halbjahr 2009
den Deutschtest, der seit August 2007 Voraussetzung für den Ehegattennachzug
ist (vgl. Bundestagsdrucksache 17/194, Antwort zu Frage 4).

Die offiziellen Zahlen zu Bestehensquoten bei Sprachtests im Ausland ver-
mitteln sogar noch ein geschöntes Bild der Wirklichkeit, denn es wird nicht er-
fasst, wie viele Versuche die Betroffenen unternehmen mussten, um den Sprach-
test bestehen zu können. Die Quoten der erstmaligen Prüfungsteilnahme werden
nicht gesondert erfasst. Die Bundesregierung ist auch nicht dazu bereit, in abseh-
barer Zeit realistischere Zahlen zu ermitteln, denn die notwendigen Voraus-
setzungen hierfür zu schaffen benötige angeblich „mehrere Jahre“ (vgl. ebd., Ant-
worten zu den Fragen 5 und 6). Deshalb kann nur geschätzt werden, dass vermut-
lich nur etwa die Hälfte aller nachzugswilligen Ehegatten die Hürde des Sprach-
tests im ersten Anlauf schafft. Die Bestehensquoten sind zudem noch einmal
schlechter, wenn Betroffene keinen Zugang zu einem Sprachkurs eines Goethe-
Instituts haben oder sich einen solchen Kurs nicht leisten können – und das ist bei
etwa 80 Prozent der Betroffenen der Fall (vgl. ebd., Antwort zu Frage 4). In zahl-
reichen Ländern sind die Quoten aufgrund länderspezifischer und sprachlicher
Besonderheiten noch einmal wesentlich schlechter.

Damit ist offenkundig, dass in der Praxis das Grundrecht auf Familienzusam-
menleben vielfach verletzt wird, denn die Eheleute müssen zwangsweise vonein-
ander getrennt leben, solange das Deutschzertifikat nicht vorliegt. Die hohen
Misserfolgsquoten sind ein Beleg dafür, dass der notwendige Spracherwerb im
Ausland vielfach nicht innerhalb eines kurzen Zeitraums, etwa innerhalb von
drei Monaten, erfolgen kann, wie z. B. die Beauftragte der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integration Dr. Maria Böhmer im Bundestag sugge-
rierte (Plenarprotokoll 16/144, S. 15188).
Dass die Sprachprüfungen im Ausland geeignet sein sollen, Zwangsverheiratun-
gen zu verhindern oder eine Integration in Deutschland zu erleichtern, kann die
Bundesregierung nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar begründen (vgl.
ebd., Antworten zu den Fragen 14 ff.).

Drucksache 17/946 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Visa zum Ehegattennachzug wurden im vierten Quartal und im
Gesamtjahr 2009 erteilt (bitte auch die jeweiligen Vergleichswerte für 2008
und den prozentualen Rückgang oder Anstieg benennen)?

a) Wie lauten die entsprechenden Angaben zu den 15 stärksten Herkunftslän-
dern, differenziert nach Ländern (bitte auch die Summe aller 15 Länder
nennen)?

b) Wie lauten die entsprechenden Angaben zu den 15 stärksten Herkunftslän-
dern, differenziert nach Zuzug zu Deutschen/Nichtdeutschen/Ehefrauen/
Ehemännern?

2. Wie lautet die gesonderte Statistik des Auswärtigen Amts zum Sprachnach-
weis beim Ehegattennachzug für die zehn Hauptherkunftsländer (vgl. Anlage 2
auf Bundestagsdrucksache 16/12979) für das 4. Quartal und das Gesamtjahr
2009 (bitte auch die Vergleichswerte für 2008 benennen)?

3. Wie hoch war der Anteil der externen Prüfungsteilnehmenden bei Sprach-
prüfungen der Goethe-Institute „Start Deutsch 1“ bzw. anderen Anbietern im
Jahr 2009, gemessen an der Gesamtzahl der Prüflinge weltweit (bitte zusätz-
lich die jeweiligen Quoten der 15 wichtigsten Herkunftsländer und der jeweils
zehn Länder mit den höchsten und niedrigsten Quoten einzeln angeben)?

4. Wie hoch waren die Bestehensquoten bei Sprachprüfungen „Start Deutsch 1“
der Goethe-Institute bzw. anderen Sprachtests (z. B. „TestDaf“) im Ausland
im Jahr 2009 (bitte nach externen und internen Prüfungsteilnehmenden und
der Gesamtzahl differenziert angeben sowie absolute und relative Zahlen
nennen und diese Quoten bitte zusätzlich noch einmal für die 15 Haupt-
herkunftsländer und die jeweils zehn Länder mit höchsten und niedrigsten
Quoten angeben sowie insgesamt gegebenenfalls auch nach Testanbietern
differenzieren)?

5. Was sind die Kerninhalte des im Mai 2009 zusammengestellten und spätes-
tens Ende 2009 fertig gestellten, damals aber noch in der Ressortabstimmung
befindlichen Berichtsentwurfs zur Evaluierung der Umsetzung der Sprach-
nachweise (vgl. auch Bundestagsdrucksache 17/194, Antwort zu Frage 7), in
welcher Form wird dieser Bericht wann und wo veröffentlicht oder den Abge-
ordneten des Bundestages zur Kenntnis gegeben, welche Schlussfolgerungen
zieht die Bundesregierung hieraus, und falls immer noch kein Evaluierungs-
bericht vorliegen sollte, was sind die Gründe hierfür angesichts des auch im
Koalitionsvertrag vereinbarten „zügigen“ Abschlusses dieser Prüfung?

6. Wieso ist es den Goethe-Instituten möglich, die Zahlen der Prüfungsteilneh-
menden, differenziert nach externen und internen Teilnehmenden, sowie die
dazugehörigen Quoten der erfolgreichen Teilnahme zu erfassen und zu über-
mitteln, nicht aber den Anteil der erstmalig Teilnehmenden und deren Er-
folgsquoten (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 17/194, Frage 5)?

7. Wie viele Aufenthaltskarten an drittstaatsangehörige Familienangehörige von
Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern wurden im vierten Quartal und im
Gesamtjahr 2009 erteilt (bitte die Zahlen bezüglich der zehn wichtigsten Her-
kunftsländer gesondert ausweisen)?

8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Personen, die einen 600- bis
1 200-stündigen Integrationskurs besucht haben, in einer relevanten Größen-
ordnung nicht einmal über Sprachkenntnisse des Niveaus A1 GER verfügen
(bitte begründen)?

Wenn ja, was sagt dies über die Qualität des Sprachunterrichts in Integrations-

kursen aus?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/946

Wenn nein, mit welchen Argumenten hält die Bundesregierung an ihrem
Argument (z. B. in der Gesetzesbegründung) fest, die Regelung der Sprach-
nachweise im Ausland sei deshalb erforderlich, weil nur sie garantiere, dass
die Betroffenen tatsächlich über einfache Sprachkenntnisse verfügen, wäh-
rend die – mit Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzbare – Teilnahme an
Integrationskursen in Deutschland ein solches Sprachniveau nicht garantiere
(bitte ausführen)?

9. Inwieweit ist der Bundesregierung der Bericht der „Hürriyet“ vom 21. Feb-
ruar 2010 über eine Frau bekannt, die an einem Sprachkurs teilgenommen
und den Sprachtest bestanden habe, aber dennoch von der deutschen Aus-
landsvertretung wegen angeblich mangelnder Sprachkenntnisse kein Visum
erteilt bekommen habe, und wie schätzt sie den Vorgang ein?

a) In welchem Umfang, in welchen Fallkonstellationen und wie überprüfen
deutsche Auslandsvertretungen generell, aber insbesondere auch in der
Türkei, deutsche Sprachkenntnisse im Rahmen des Ehegattennachzugs in
Fällen, in denen das geforderte Sprachzertifikat eigentlich vorliegt, und
was sind die Gründe hierfür?

b) In wie vielen Fällen wurde ein Visum zur Familienzusammenführung
wegen mangelnder Sprachkenntnisse versagt, obwohl das geforderte
Sprachzertifikat vorlag, und wenn keine genauen Zahlen hierzu vorlie-
gen, welche ungefähre quantitative Bedeutung haben solche Fälle?

10. Inwieweit ist der Bundesregierung der Vorschlag des für „Auslandstürken“
zuständigen türkischen Ministers, Faruk Celik, bekannt, die deutsche
Sprache solle in Deutschland gelernt werden und wenn sich die Betroffenen
nach acht bis zehn Monaten die erforderlichen Sprachkenntnisse nicht ange-
eignet haben sollten, würde die Türkei den Rückflug bezahlen, wie mehrere
türkische Tageszeitungen am 22. Februar 2010 berichteten, und inwieweit
hält die Bundesregierung diesen Vorschlag für diskussionswürdig?

Berlin, den 4. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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