BT-Drucksache 17/9429

Beschäftigungssituation von Promovierenden in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen

Vom 24. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9429
17. Wahlperiode 24. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, Heidrun Dittrich, Klaus
Ernst, Nicole Gohlke, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Katja Kipping,
Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Beschäftigungssituation von Promovierenden in den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen

Die außeruniversitären Forschungsinstitute der Max-Planck-Gesellschaft zur
Förderung der Wissenschaften e. V., der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher
Forschungszentren e. V. und die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm
Leibniz e. V. sowie der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten
Forschung e. V. tragen zu einer forschungsnahen Qualifizierung des wissen-
schaftlichen Nachwuchses bei. Zugleich zählen Promovierende zu den Leis-
tungsträgern in Forschung und Lehre, befinden sie sich doch häufig in ihrer in-
novativsten Schaffensphase.

Lange stellte die Beschäftigung auf einer Stelle von 50 bis 100 Prozent Arbeits-
zeitumfang den Normalfall für eine Promotion an einem solchen Institut dar. In
den vergangenen Jahren gehen die Leitungen zunehmend zur Finanzierung der
Promotion über Stipendien über. Stipendien sind steuerfrei. Sie betragen für
Promovierende in der Regel zwischen 1 000 und 1 365 Euro pro Monat, die
durch einen Sachkosten- bzw. einen Krankenkassenzuschuss ergänzt werden
können. Stipendiatinnen und Stipendiaten sind nicht über einen Arbeitgeber ver-
sichert – etwa im Bereich der Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Unfallver-
sicherung.

2009 hatte eine Befragung unter Promovierenden der Max-Planck-Gesellschaft
zur Förderung der Wissenschaften e. V. jedoch ergeben, dass sich die Zahl der
Stipendiatinnen und Stipendiaten zuungunsten regulärer Nachwuchsstellen im-
mer weiter erhöht. Stipendiatinnen und Stipendiaten sollen ohne Arbeitgeber,
weisungsfrei und ungebunden an ihrer Qualifikation arbeiten können. Zugleich
wurde in der Studie deutlich, dass sich der durch Stipendiatinnen und Stipen-
diaten geleistete Anteil regulärer wissenschaftlicher Arbeit außerhalb der
eigenen Qualifikation kaum von den Promovierenden auf Stellen unterscheidet.
Zudem wird berichtet, dass viele Stipendiatinnen und Stipendiaten auch von den
Arbeitszeit-, Urlaubs- und Krankheitsregelungen her wie Angestellte behandelt
würden. Dies wirft Fragen nach dem Einsatz des Instruments Stipendium so-

wohl in wissenschaftspolitischer wie auch versicherungstechnischer Hinsicht
auf. Für die Institute sind Stipendien deutlich kostengünstiger als tarifierte,
sozialversicherungspflichtige Stellen.

Derzeit fordern Promovierende der außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen im Rahmen einer Petition ein Mindestgehalt von 65 Prozent einer Tarifstelle
für den öffentlichen Dienst, die freie Entscheidung zwischen Stelle oder Stipen-

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dium sowie die Einhaltung der gesellschaftsinternen Regeln für Stipendiatinnen
und Stipendiaten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Menschen befinden sich derzeit an den Instituten in einem Promo-
tionsverfahren (bitte nach den Forschungsorganisationen, Herkunft und Ge-
schlecht aufschlüsseln)?

2. Wie viele Promovierende werden auf Stellen beschäftigt bzw. über Stipen-
dien finanziert (bitte nach Forschungsorganisationen, Herkunft und Ge-
schlecht aufschlüsseln)?

3. Wie hat sich der Anteil der über Stipendien finanzierten Promotionen an
allen Promotionen in den vergangenen 15 Jahren in den vier Forschungs-
organisationen jeweils entwickelt?

4. Wie hoch ist die Zahl der Wissenschaftler in einer Postdoc-Phase, die im
Rahmen der Forschungsorganisationen und der Deutschen Forschungsge-
meinschaft e. V. (DFG) über Stipendien finanziert werden (bitte nach For-
schungsorganisationen, Herkunft und Geschlecht aufschlüsseln)?

5. Wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklung zu einem steigenden
Anteil von Stipendien bei Promotionen und Postdocs?

6. Wurde die Höhe der Stipendien von Seiten der in der Gemeinsamen Wissen-
schaftskonferenz versammelten Zuwendungsgeber an das Tarifniveau ange-
passt?

Wenn ja, wann, und in welchen Schritten?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Studie des PhDnet der Max-
Planck-Gesellschaft festgestellte Erkenntnis, dass sich Stipendiatinnen und
Stipendiaten im Umfang ihrer Arbeitszeit und Art der Tätigkeit kaum von
angestellten Kolleginnen und Kollegen unterscheiden?

8. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass Stipendiatinnen und
Stipendiaten weder in der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- noch in der Un-
fall- und Arbeitsschutzversicherung ihren angestellten Kolleginnen und
Kollegen gleichgestellt sind und ihnen daraus erhebliche finanzielle, sozial-
rechtliche und arbeitsrechtliche Nachteile (etwa bei Arbeitsunfällen oder
Berufskrankheiten) entstehen können?

9. Inwieweit sieht die Bundesregierung im versicherungsrechtlich unter-
schiedlichen Status bei ähnlicher, abhängiger Tätigkeit die Gefahr des Un-
terlaufens der Sozialversicherungspflicht?

10. Gab es bereits Statusfeststellungsverfahren durch die Deutsche Rentenver-
sicherung, ob, und unter welchen Bedingungen die Stipendiatinnen und Sti-
pendiaten faktisch abhängig Beschäftigte und damit sozialversicherungs-
pflichtig sind, und zu welchen Ergebnissen kamen gegebenenfalls diese
Verfahren?

11. Wird sie sich für eine Prüfung des Sachverhalts durch die Deutsche Renten-
versicherung einsetzen?

12. In welche einzelnen Betriebe mit welchem Sitz untergliedern sich jeweils
die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., die
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und die Wissen-
schaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. sowie die Fraunhofer-
Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V., und welcher
Rentenversicherungsträger ist jeweils für diese Betriebe zuständig?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9429

13. Hält die Bundesregierung die Finanzierung von hochqualifizierten Nach-
wuchswissenschaftlerinnen und - wissenschaftlern in ihrer ersten Berufs-
phase über ein derart prekäres Instrument wie Stipendien für angemessen?

14. Wie nimmt die Bundesregierung Einfluss auf die Forschungsorganisatio-
nen, um den Anteil der Stipendien in der Finanzierung der Qualifikations-
phasen zurückzudrängen?

15. Wie wird die Bundesregierung die prekäre Situation vieler Promovierender,
etwa im kommenden „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“, thematisieren und an-
gehen?

16. Inwieweit sieht die Bundesregierung das Kriterium der Anzahl von Promo-
vierenden als Leistungsindikator in internen wettbewerblichen Steuerungs-
verfahren kritisch?

Berlin, den 24. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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