BT-Drucksache 17/9403

Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren und kontrollieren

Vom 24. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9403
17. Wahlperiode 24. 04. 2012

Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Sören Bartol, Klaus Brandner, Edelgard Bulmahn, Ulla Burchardt,
Martin Burkert, Garrelt Duin, Ingo Egloff, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger,
Karin Evers-Meyer, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Ulrike Gottschalck,
Michael Groschek, Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Bettina Hagedorn,
Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Johannes Kahrs, Dr. h. c. Susanne Kastner,
Lars Klingbeil, Hans-Ulrich Klose, Fritz Rudolf Körper, Ute Kumpf,
Gabriele Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann, Ullrich Meßmer, Dr. Rolf Mützenich,
Dietmar Nietan, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Johannes Pflug,
Florian Pronold, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Schmidt (Aachen), Dr. Carsten
Sieling, Sonja Steffen, Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Uta Zapf,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Einsatz privater Sicherheitsdienste im Kampf gegen Piraterie zertifizieren
und kontrollieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zahl und die Intensität von Piratenübergriffen auf Handelsschiffe hat in den
vergangenen Jahren weltweit zugenommen. Der regionale Schwerpunkt der
Überfälle liegt am Golf von Aden und vor der Küste Ostafrikas, hier insbeson-
dere vor Somalia.

Die Meerenge zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean ist eine der zentra-
len Schiffsrouten für den Warentransport zwischen dem europäischen Kontinent
und dem asiatischen Raum. Im Jahr 2010 erfolgten insgesamt 688 Passagen
deutschflaggiger Schiffe im betroffenen Seegebiet; im Jahr 2011 waren 933 Pas-
sagen deutschflaggiger Schiffe am Horn von Afrika zu verzeichnen (Stand:
30. September 2011). Mit insgesamt rund 1 700 Passagen pro Jahr haben deut-
sche Reeder einen erheblichen Anteil am Seeverkehrsaufkommen in diesem
Gebiet. Eine ungefährdete Durchfahrt dieser Seeregion ist für die maritime Wirt-
schaft in unserem Land von strategischer Bedeutung.

Durch Piraterie drohen sowohl eine Gefährdung für die körperliche Unversehrt-
heit und das Leben der Schiffsbesatzungen als auch ein wirtschaftlicher Scha-

den.

Die deutschen Reeder sind gesetzlich zur Eigensicherung ihrer Schiffe ver-
pflichtet. Die Befolgung der Verhaltensempfehlungen (Best Management
Practices to Deter Piracy in the Gulf of Aden and off the Coast of Somalia and
in the Arabian Sea Area/BMP) der International Maritime Organization (IMO)
bietet einen wirksamen Schutz gegen Piratenübergriffe. Zusätzliche Sicher-
heitsmaßnahmen der Reedereien reichen von organisatorischen Maßnahmen

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wie das schlichte Umfahren der gefährdeten Seegebiete über technisch-opera-
tive Maßnahmen wie die Ausstattung der Schiffsflotte mit aktiven und passiven
Sicherheitssystemen oder die Einrichtung von Sicherheitsräumen an Bord bis
hin zu speziellen Schulungen der Schiffsbesatzungen.

Die Abwehr der Piraterie bleibt eine Herausforderung auch für die Politik und
ist bereits heute Gegenstand eines international vereinbarten umfangreichen
Regelwerkes. Dieses ist die Basis für internationale Militäreinsätze unter der
Verantwortung der Europäischen Union und der NATO. Die multinationale
Mission EU NAVFOR Somalia (Operation Atalanta) schützt insbesondere die
Lebensmittellieferungen des Welternährungsprogramms nach Somalia vor
Piratenüberfällen. Zusätzlich überwachen auch die USA mit ihren Verbündeten
im Rahmen der Combined Task Force 150 (Operation Enduring Freedom) und
die NATO mit der Combined Task Force 151 die Seewege am Horn von Afrika.

Die Größe des Operationsgebietes steht jedoch in keinem Verhältnis zu der
Zahl der zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte. Ein flächendeckender Schutz
von deutschflaggigen Handelsschiffen durch den Einsatz der Bundeswehr oder
der Bundespolizei ist angesichts der hohen Zahl von Schiffspassagen weder
personell und logistisch noch finanziell möglich.

Die Bundesregierung hat im vergangenen Dezember ein Konzept zur Zulas-
sung von privat bewaffneten Sicherheitskräften an Bord von Schiffen unter
deutscher Flagge vorgestellt. Sie will noch in diesem Jahr die entsprechenden
rechtlichen Grundlagen dafür schaffen. Geplant sind eine Änderung der Gewer-
beordnung sowie der See-Eigensicherungsverordnung. Das Zulassungsverfah-
ren für den Einsatz privater Sicherheitsdienste soll durch das Bundesamt für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erfolgen und in einer Verordnung nä-
her geregelt werden.

Die Verpflichtung der Schiffseigner zu Vorsorgeverantwortung und Eigensiche-
rung ist im Rahmen eines international vereinbarten umfassenden Regelwerkes
klar normiert. Der Einsatz privater Sicherheitsdienste an Bord von Seeschiffen
ist bisher nicht geregelt. Die Fraktion der SPD hat in der Vergangenheit wieder-
holt den Regelungsbedarf für den weltweiten Einsatz privater Sicherheits-
dienstleister formuliert (Bundestagsdrucksache 17/4198); dieser gilt auch für
den Bereich der maritimen Sicherheit.

Der Schiffssicherheitsausschuss der IMO hat im Jahr 2011 „Vorläufige Leitlinien
für Schiffseigner, Schiffsbetreiber und Schiffsführer“ (Revised interim guidline
to shipowners, ship operators and shipmasters on the use of privately contracted
armed security personnel on board ships in the high risk area) als wesentliche
Vorarbeiten für ein künftiges Zertifizierungssystem verabschiedet, die als
Grundlage für alle weiteren Planungen dienen sollten.

Der Markt der privaten Sicherheitsdienstleister wird derzeit im Wesentlichen
von wenigen ausländischen Unternehmen beherrscht. Mittel- und langfristig ist
mit einem deutlichen Erstarken dieses Marktsegments zu rechnen. Laut einer
Studie der Beratungsgesellschaft PwC Pricewaterhouse Coopers aus dem Jahr
2009 haben bisher 12 Prozent der Schifffahrtsunternehmen in Deutschland pri-
vate Sicherheitsdienste engagiert. 20 Prozent der befragten Reedereien gaben
an, unmittelbar von der Piraterieproblematik betroffen zu sein – sei es durch er-
höhte Versicherungsprämien wegen des Piratenrisikos oder Ausfallzeiten durch
das Umfahren gefährdeter Seegebiete, sei es durch die Schwierigkeit, Personal
zu finden, das die gefährlichen Routen zu befahren bereit ist.

In Deutschland sind ca. 3 600 Sicherheitsunternehmen in allen Bereichen des
Personen- und Objektschutzes bzw. des Transportes von Personen und Gütern
tätig. Ihre Tätigkeit wird zum einen durch gewerbe- und waffenrechtliche Vor-

schriften reguliert, zum anderen greifen die Grenzen des Gebrauchs von Not-
hilfe und Notwehrrechten aus dem Straf- und dem Zivilrecht. Damit haben die

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Beschäftigten der Sicherheitsfirmen ausschließlich das Recht, private Rechte
auszuüben, die ihrem Auftraggeber – im vorliegenden Fall den Reedereien –
selbst zustehen. Hoheitliche Befugnisse ergeben sich aus diesen Regelungen
nicht. Nach dem völkerrechtlichen Prinzip der Flaggenhoheit kann der Gesetz-
geber nur Regelungen treffen, die sich auf Schiffe unter deutscher Flagge be-
ziehen.

Die Durchführung von Ermittlungs- und Gerichtsverfahren in Pirateriefällen
erfordert umfassende Erfahrungen im internationalen Recht und gute Kontakte
in die betroffenen Staaten. Daher ist es zielführend, die Ermittlungen bundes-
weit zu konzentrieren.

Die Bundesregierung ist aufgefordert, diesen Rahmen bei allen weiteren Schrit-
ten im Hinblick auf eine Zulassung privater Sicherheitsdienste für den Einsatz
im Antipirateriekampf zu berücksichtigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• die Befugnisse der privaten Sicherheitsdienste beim Einsatz gegen Piraten-
angriffe an Bord von Handelsschiffen unter deutscher Flagge gesetzlich ein-
deutig zu regeln und die Bestimmungen in § 34a der Gewerbeordnung in
Bezug auf einen internationalen Einsatz privater Sicherheitsdienste anzupas-
sen;

• eine Zertifizierung von privaten Sicherheitskräften auf der Basis der von der
IMO vorgegebenen Vorläufigen Leitlinien für Schiffseigner, Schiffsbetreiber
und Schiffsführer durchzuführen, um sicherzustellen, dass ausschließlich zu-
verlässige und ausreichend geschulte private Sicherheitskräfte zum Einsatz
kommen;

• eine umfassende Prüfung der für den Einsatz vorgesehenen Sicherheitsfir-
men in Bezug auf bisherige Unternehmensaktivitäten und die fachliche und
soziale Kompetenz des Personals vorzunehmen;

• für den Antipiraterieeinsatz an Bord von Handelsschiffen einen Sachkunde-
nachweis des zu zertifizierenden Unternehmens und seiner Beschäftigten
gesetzlich vorzusehen, wie er bereits heute für Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter von privaten Sicherheitsdiensten erforderlich ist, die Kontrollgänge
im öffentlichen Verkehrsraum oder in Hausrechtsbereichen mit tatsächlich
öffentlichem Verkehr durchführen;

• sicherzustellen, dass die eingesetzten Sicherheitskräfte bei ihrem Antipirate-
rieeinsatz die menschenrechtlichen Standards und das humanitäre Völker-
recht beachten;

• gesetzlich festzuschreiben, dass die Kommandokette an Bord beim Einsatz
privater Sicherheitskräfte auf der Grundlage der im Seemannsgesetz geregel-
ten Stellung des Kapitäns, der Rechtsverhältnisse der Besatzung und der
sonstigen im Rahmen des Schiffsbetriebs an Bord tätigen Personen vertrag-
lich klar definiert und sichergestellt wird, dass die Beschäftigten der Sicher-
heitsfirma erst auf Anweisung des Kapitäns tätig werden und dabei insbeson-
dere den Fall zu berücksichtigen, dass die Notwendigkeit von Maßnahmen
durch die Schiffsführung und die eingesetzten Sicherheitskräfte unterschied-
lich beurteilt wird;

• per Gesetz sicherzustellen, dass die Schifffahrtsunternehmen für eine umfas-
sende Sicherheitseinführung der privaten Sicherheitskräfte an Bord ihrer
Handelsschiffe sorgen und regelmäßige Übungen durchführen, insbesondere
auch im Hinblick auf die oben beschriebenen Rechte und Pflichten aller an
Bord tätigen Personen;

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• durch regelmäßige Kontrollen dafür Sorge zu tragen, dass die von der IMO
veröffentlichten Verhaltensempfehlungen (BMP) von den Schiffsbesatzun-
gen regelmäßig trainiert werden;

• durch Änderung der See-Eigensicherungsverordnung sicherzustellen, dass
die umfassenden Informationsrechte der zuständigen Bundesbehörden und
beauftragten Stellen auch beim Einsatz privater Sicherheitskräfte gewahrt
bleiben und sie von diesen auf Verlangen alle notwendigen Auskünfte und
erforderlichen Unterlagen erhalten;

• den Erwerb und Einsatz von Kriegswaffen nach dem Kriegswaffenkontroll-
gesetz für private Sicherheitskräfte an Bord deutschflaggiger Handelsschiffe
auch künftig nicht zu ermöglichen;

• dem Deutschen Bundestag einen jährlichen Bericht über die in Deutschland
ansässigen sowie über ausländische private Sicherheitsdienste vorzulegen,
deren Dienstleistungen von deutschen Reedereien in Anspruch genommen
werden, und die Erfahrungen mit dem Einsatz zertifizierter privater Sicher-
heitskräfte an Bord von Handelsschiffen unter deutscher Flagge zu evaluie-
ren;

• dafür Sorge zu tragen, dass der Einsatz hoheitlicher Sicherheitskräfte zum
Schutz deutschflaggiger Handelsschiffe auch in Zukunft nicht die Regel ist;

• zur Optimierung der Ermittlungsverfahren die Einführung einer Sonder-
staatsanwaltschaft und eine unmittelbare Zuständigkeit des Bundeskriminal-
amtes zu prüfen;

• gegenüber den deutschen Reedereien dafür einzutreten, dass sie – wie im
Rahmen der Nationalen Maritimen Konferenzen vereinbart – ihre ausge-
flaggten Handelsschiffe unter deutsche Flagge zurückführen und gemeinsam
mit den Partnern des Maritimen Bündnisses neue Ziele zur Rückflaggung
des Schiffsbestandes unter deutscher Flagge zu vereinbaren;

• sich international dafür einzusetzen, dass die Ursachen der Piraterie poli-
tisch gelöst werden und die Völkergemeinschaft sich speziell in Somalia
beim Aufbau staatlicher Strukturen und Unterstützungsleistungen zum wirt-
schaftlichen Wiederaufbau des Landes beteiligt.

Berlin, den 24. April 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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