BT-Drucksache 17/9173

Hochschulen auf das Studierendenhochplateau vorbereiten - Allen Studienberechtigten die Chance auf einen Studienplatz geben

Vom 28. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9173
17. Wahlperiode 28. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, Priska Hinz (Herborn),
Sylvia Kotting-Uhl, Katja Dörner, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner,
Ulrich Schneider und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hochschulen auf das Studierendenhochplateau vorbereiten – Allen
Studienberechtigten die Chance auf einen Studienplatz geben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, des Fachkräfte- und Akade-
mikermangels und des Übertritts in die Bildungs- und Wissensgesellschaft ste-
hen Bund, Länder und Kommunen vor der großen Aufgabe, das Bildungs- und
Wissenschaftssystem sowohl quantitativ als auch qualitativ anzupassen und aus-
zuweiten. Das Ziel muss lauten, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Le-
benschancen zu eröffnen und soziale, kulturelle, ökonomische und politische
Teilhabe zu ermöglichen. Grundlage wirksamer Strategien für mehr Bildungs-
gerechtigkeit und der Ausbildung von Fachkräften sind ein guter Bildungsstart
für die Kleinsten, ein Schulsystem, das jedes Kind nach seinen Fähigkeiten
individuell fördert und keines zurücklässt, ein Berufsbildungssystem, das alle
Jugendlichen zu einem beruflichen Abschluss führt, und ein offenes und leis-
tungsfähiges Hochschulsystem ohne soziale Schranken und mit hoher Qualität.

Reformen des Bildungs- und Wissenschaftssystems sind ein langer Prozess,
deren Effekte und Erfolge oft erst nach Jahren sichtbar werden. Erste Fortschritte
nach dem PISA-Schock (PISA = Internationales Programm zur Mitverfolgung
des von Schülern Erreichten) werden nun sichtbar. Immer mehr Jugendliche
erwerben die Hochschulreife. Gleichzeitig entscheidet sich ein immer höherer
Anteil von ihnen direkt nach ihrem Schulabschluss für ein Studium. Durch diese
positiven Entwicklungen werden derzeit und dauerhaft deutlich mehr Studien-
berechtigte erwartet, als in den letzten Jahren prognostiziert wurden. Der ver-
meintlich kurzzeitige „Studierendenberg“ entwickelt sich also zum lange an-
dauernden Studierendenhochplateau. Hinzu kommen die einmaligen Vorzieh-
effekte durch die Verkürzung der Gymnasialschulzeit auf acht Jahre (G 8) in
einigen westdeutschen Bundesländern und der vollzogene Ausstieg aus Wehr-
pflicht und Zivildienst. Das Zusammenspiel dieser Effekte zeigt sich in der
aktualisierten Studienanfängerprognose der Kultusministerkonferenz (KMK),

die Mitte Februar 2012 publik wurde. Darin korrigiert die KMK ihre prognosti-
zierten Studienanfängerinnen-/Studienanfängerzahlen deutlich nach oben; bis
2020 werden 750 000 Studierende mehr als bislang angenommen an die Hoch-
schulen strömen. Allein für die Laufzeit der derzeitigen zweiten Phase des
Hochschulpaktes bis 2015 wird daher mit zusätzlichen 357 000 Studienanfän-
gern gerechnet.

Drucksache 17/9173 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Hochschulpakt, mit dem Bund und Länder den Ausbau von zusätzlichen
Studienplätzen vereinbart haben, ist dem erfreulich großen zusätzlichen An-
sturm an Studienanfängerinnen und Studienanfänger nicht gewachsen. Mit
Blick auf den schon bestehenden Fachkräftemangel wäre es fatal, wenn junge
Menschen aufgrund des Studienplatzmangels ihre Studienberechtigung nicht
einlösen könnten. Angesichts knapper Länderhaushalte und der in den nächsten
Jahren wirksam werdenden Schuldenbremsen in den Länderverfassungen darf
die positive Wirkung von Schulreformen mit Blick auf den Hochschulübergang
nicht riskiert werden.

Es wäre ein schlechtes Zeichen an die junge Generation und vor allem an poten-
zielle Bildungsaufsteiger, wenn Zehntausende trotz Studienberechtigung ohne
tatsächlichen Studienplatz blieben und so ihr Studium verhindert würde. Ange-
sichts der Warnungen unter anderem von der bundesregierungseigenen „Exper-
tenkommission Forschung und Innovation“ (EFI) vor einem massiven Fach-
kräfte- und Akademikermangel hätte eine Nichtausweitung des Hochschulpak-
tes eine mittelfristig fatale Wirkung auf die Weiterentwicklung Deutschlands zu
einer Bildungs- und Wissensgesellschaft. Fehlende Studienplätze verhindern
Teilhabe und Aufstieg durch Bildung, vergrößern die Fachkräftelücke und er-
weisen sich so als Innovationshemmnis.

Damit das Studierendenhochplateau tatsächlich Wirklichkeit wird, muss die
Bundesregierung zügig einen Vorschlag für Stärkung und Ausbau der Bildungs-
infrastruktur durch den Hochschulpakt machen. Es ist davon auszugehen, dass
schon im nächsten Jahr die Mittel aus der bis 2015 laufenden Paktvereinbarung
erschöpft sein werden. Das bedeutet, dass ab dann die Länder in Vorleistung ge-
hen müssen und darüber hinaus nicht sicher sein können, dass der Bund sich zu
einem späteren Zeitpunkt zu einer Nachfinanzierung bereit erklärt. Wenn die
Bundesregierung den Hochschulpakt als „atmendes System“ ansieht, dann darf
sie den Studierendenansturm nicht im Keim ersticken. Denn die Länder werden
kaum in der Lage sein, die Vorfinanzierung des Studierendenhochplateaus allein
zu schultern und den erforderlichen Ausbau der Hochschulen zu leisten.

Die bisherigen Hochschulpakte haben trotz kleiner Ausweitungen wie bei der
aktuellen Paktphase II oder verspäteter Nachfinanzierung wie beim ersten Hoch-
schulpakt weder einen ausreichenden quantitativen noch einen qualitativen Aus-
bau der Hochschulen gebracht. Der jetzt vorliegende Eckwertebeschluss des
Haushalts 2013 lässt allerdings nichts Gutes ahnen. Für den Hochschulpakt
sollen demnach keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden. Zwar erkennt
die Bundesregierung einen Mehrbedarf an, verschiebt aber nur Mittel aus den
Jahren 2015 und 2016 ins Jahr 2013. Oberstes Ziel bei der dringend notwendi-
gen Neuaufstellung des Hochschulpaktes muss es sein, ihn zu einem wirksamen
Instrument zu machen,

• mit dem alle Studienberechtigten einen Studienplatz bekommen,

• das flächendeckend zu besseren Studienbedingungen führt und

• das die Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessert.

Mit einer zügigen Ausweitung des Hochschulpaktes auf mindestens die von der
KMK prognostizierten Studienanfängerzahlen würden Bund und Länder den
Hochschulen Planungssicherheit verschaffen, damit Baumaßnahmen frühzeitig
eingeleitet, Anmietungen zusätzlicher Räumlichkeiten verhandelt und zeitnah
zusätzliches wissenschaftliches Personal mit zumindest mittelfristig laufenden
Verträgen eingestellt werden können. Zudem würde der Bund zu seinem Wort
stehen, den Hochschulpakt als „atmendes System“ anzusehen, das den tatsäch-
lichen Studienanfängerzahlen angepasst wird.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9173

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) gemeinsam mit den Ländern einen Fahrplan für die notwendige zügige Aus-
weitung und qualitative Verbesserung des Hochschulpaktes auszuarbeiten.
Diese Überarbeitung der Verwaltungsvereinbarung muss zum Ergebnis
haben,

• die aktualisierte KMK-Studienanfängerprognose „Vorausberechnung der
Studienanfängerzahlen 2012 – 2025 – Fortschreibung (Stand: 24.01.2012)“
als Mindestausbauziel zu vereinbaren und die dafür notwendigen Mittel
für 2013 und die folgenden Jahre bis 2015 im Bundeshaushalt bereitzu-
stellen. Qualitativ ist dabei eine Orientierung am OECD-Durchschnitts-
wert der Mittel für einen Studienplatz anzustreben;

• bei der weiterhin je hälftig von Bund und Ländern zu finanzierenden
Ausweitung und qualitativen Verbesserung des Hochschulpaktes folgende
Qualitätsaspekte zu verabreden:

– Einführung einer Masterkomponente, mit der für eine Mehrheit der
Studienplätze auf der Basis realistischer Übergangsquoten eine Finan-
zierung von zehn Semestern ermöglicht wird;

– Vereinbarung von Mindeststandards für die Lehre hinsichtlich der Be-
treuungsschlüssel, der Beteiligung von C4-/W3-Professuren an der
Lehre und der Stärkung der Hochschuldidaktik und Weiterbildung im
Bereich Lehrkompetenz;

– Anreize für die Schaffung von zusätzlichen unbefristeten Beschäfti-
gungsmöglichkeiten für qualifizierte und erfahrene Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler auch jenseits der Professur sowie ein Pro-
gramm für Juniorprofessuren mit Tenure-Track-Regelung;

– Verbesserung der Qualität der Lehre durch die Finanzierung von Tuto-
ring- und Mentoringprogrammen an den Hochschulen;

• die Verwendung der Hochschulpaktmittel transparenter zu gestalten, ohne
zu mehr Bürokratie zu kommen;

b) neben den Verhandlungen zur Überarbeitung des Hochschulpaktes

• dauerhafte und verlässliche Regelungen zur bisherigen Verteilung der
Mittel von Bund und Ländern für den Hochschulpakt zu prüfen und ggf.
weiterzuverfolgen, wie z. B. das Prinzip „Geld folgt Studierenden“ oder
das Modell eines „Hochschulpaktfonds“;

• gemeinsam mit den Ländern eine Strategie zu erarbeiten, den Ausbau der
sozialen Infrastruktur (u. a. Beratungs- und Betreuungsangebote, Wohn-
heime, Mensen) voranzutreiben;

• das Zulassungschaos durch professionelles Projektmanagement, klare
Verantwortlichkeiten, ausreichendes Budget und kluges politisches Han-
deln unverzüglich zu ordnen und auf der Basis bundeseinheitlicher Regeln
zur Hochschulzulassung die Herstellung einer funktionsfähigen Software
auf den Weg zu bringen.

Berlin, den 27. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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