BT-Drucksache 17/9124

Legalisierung von privaten bewaffneten Sicherheits- und Militärdienstleistern

Vom 23. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9124
17. Wahlperiode 23. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Herbert Behrens,
Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Harald Koch,
Jan Korte, Stefan Liebich, Niema Movassat, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Legalisierung von privaten bewaffneten Sicherheits- und Militärdienstleistern

Gegenwärtig arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetzentwurf, der den
Einsatz von „Privaten Bewaffneten Sicherheitsfirmen“ (PBS) an Bord von
Schiffen ermöglichen soll, die unter deutscher Flagge fahren. Die Entscheidung
der Bundesregierung kommt zu einer Zeit, in der unter anderem das Interna-
tionale Komitee des Roten Kreuzes, die Organisation für Sicherheit und Zusam-
menarbeit in Europa und die Vereinten Nationen versuchen, angesichts der
vielen negativen Erfahrungen mit bewaffneten Sicherheits- und Militärdienst-
leistern, z. B. in Angola, Sierra Leone oder Irak, die Risiken, die mit dieser Art
von Dienstleistung verbunden sind, einzudämmen. Die Initiative der Bundes-
regierung läuft auf das genaue Gegenteil heraus. Mit dieser Initiative würde erst-
mals in Deutschland der Einsatz von bewaffneten Militär- und Sicherheits-
dienstleistungsunternehmen außerhalb Deutschlands legalisiert werden. Diese
Unternehmen würden ihre Waffen dann nicht im Auftrag und unter Kontrolle
der Bundesregierung einsetzen, sondern im Auftrag und im Interesse von ande-
ren Unternehmen. Damit unterläuft die Bundesregierung sämtliche Bemühun-
gen auf internationaler Ebene die Rolle von Söldnern und militärischen Dienst-
leistern zu beschränken.

Der Ansatz, die Sicherheit des Seeverkehrs außerhalb Deutschlands durch pri-
vate Sicherheitsunternehmen bzw. Söldner, die für Geld bereit sind Schiffe mit
Waffengewalt zu sichern, wirft eine Reihe von Fragen auf, denen die Bundes-
regierung bisher ausgewichen ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Schiffe umfassen die Handelsflotten der deutschen Reedereien,
und unter den Flaggen welcher Staaten fahren diese Schiffe?

2. Wie viele Handelsschiffe fahren gegenwärtig unter deutscher Flagge?

3. Wie viele Handelsschiffe unter deutscher Flagge haben in den letzten fünf
Jahren das Einsatzgebiet der EU-Militäroperation Atalanta durchquert (bitte

nach Jahren aufgeschlüsselt)?

4. Wie viele Handelsschiffe unter deutscher Flagge befinden sich im Durch-
schnitt zu jedem Zeitpunkt im Einsatzgebiet der EU-Militäroperation
Atalanta?

Drucksache 17/9124 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Wie viele Fischereifahrzeuge für die große Hochseefischerei gehören deut-
schen Unternehmen, und unter den Flaggen welcher Staaten fahren diese
Schiffe?

6. Wie viele deutsche Reedereien setzen nach Kenntnis der Bundesregierung
bereits bewaffnete Sicherheitsdienste an Bord ihrer Schiffe ein, und wie
beurteilt die Bundesregierung diese Entwicklung in den letzten Jahren?

7. Auf wie vielen Schiffen unter deutscher Flagge werden derzeit wie viele
bewaffnete Sicherheitskräfte eingesetzt (bitte mit Nennung des jeweiligen
Unternehmens)?

8. Auf wie vielen Schiffen deutscher Reeder, die nicht unter deutscher Flagge
fahren, werden derzeit wie viele bewaffnete Sicherheitskräfte eingesetzt
(bitte mit Nennung des jeweiligen Unternehmens)?

9. Welche Nationalität hat das Sicherheitspersonal, das bislang auf Schiffen
der deutschen Reeder eingesetzt worden ist?

10. Welche Waffen werden von den bewaffneten Sicherheitsdiensten an Bord
von Schiffen deutscher Reedereien mitgeführt?

11. Auf welcher Rechtsgrundlage und unter welchen Umständen dürfen diese
bewaffneten Sicherheitsdienste, die auf Schiffen unter deutscher Flagge
eingesetzt werden, derzeit an Bord Gewalt anwenden, und welche Vor-
schriften müssen bei dem Einsatz von Gewalt beachtet werden?

12. Welche Art der Bewaffnung für diese Sicherheitsdienste ist gegenwärtig
nach deutschen Gesetzen erlaubt (bitte unter Auflistung der Waffenkatego-
rien)?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bislang gesammelt über den
Einsatz von privaten Sicherheitsunternehmen auf Schiffen zur Abwehr von
Piratenangriffen?

14. Falls keine Erkenntnisse gesammelt worden sind, warum nicht?

15. Hält die Bundesregierung einen solchen Einsatz für notwendig und wün-
schenswert?

16. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen bewaffnetes Sicherheits-
personal an Bord von Schiffen deutscher Reedereien von Schusswaffen Ge-
brauch gemacht haben und andere Menschen verletzt oder getötet haben?

Wenn ja, was waren jeweils die Umstände des Waffengebrauchs?

17. Welche Vorschriften existieren für die Meldung von Waffeneinsatz auf
Schiffen deutscher Reedereien?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Waffeneinsatz von Pri-
vatpersonen und Personal von Sicherheitsunternehmen an Bord von Schif-
fen deutscher Reedereien zumindest zu einem Ermittlungsverfahren führen
muss, und

a) wenn ja, wie wurde dies bislang gewährleistet;

b) wenn nicht, warum nicht?

19. Wie soll das Zertifizierungsverfahren für den Einsatz von privaten bewaff-
neten Sicherheitskräften gegenwärtig nach Vorstellung der Bundesregie-
rung aussehen, und welche Regierungsbehörden sollen daran beteiligt wer-
den?

20. Welche Überlegungen stellt die Bundesregierung derzeit an, um einheitli-
che Ausbildungsstandards von „Privaten Bewaffneten Sicherheitskräften“

(PBS) für die Begleitung von Schiffen unter deutscher Flagge festzulegen
und zu überwachen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9124

21. Welche Bundesministerien und Behörden sollen an der Ausbildung beteiligt
sein?

22. Mit welchen Kosten rechnet die Bundesregierung für die Durchführung der
Ausbildung und des Zertifizierungsverfahrens?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung das Risiko, dass im Falle der Beteiligung
der Bundespolizei im Rahmen des Ausbildungsverfahrens auch ein Know-
how-Transfer an private Unternehmen stattfindet?

24. Inwiefern wird bei den Zulassungs- bzw. Zertifizierungsverfahren geprüft,
ob das Unternehmen

a) aufgrund anderer Verträge oder der Einbindung in andere Unterneh-
mensstrukturen (z. B. durch Joint Ventures oder Tochtergesellschaften)
in einem Interessenskonflikt steht;

b) in der Vergangenheit direkt oder indirekt an der unrechtmäßigen Tötung
oder Verletzung von Personen beteiligt war;

c) Personal einsetzt, welches in der Vergangenheit an Verbrechen beteiligt
war?

25. Wie beurteilt die Bundesregierung das Risiko, dass die zugelassenen bzw.
zertifizierten Unternehmen sowohl Personalrekrutierung, Waffenbeschaf-
fung und -transport als auch andere organisatorische Aufgaben an andere
Firmen auslagern?

26. Wie will die Bundesregierung in diesen Fällen gewährleisten, dass das Per-
sonal den vereinbarten Kriterien entspricht, und wie sollen Verstöße dieser
Personen gegen deutsche Vorschriften und Gesetze durch nichtdeutsche
Staatsbürger und ausländische Unternehmen geahndet werden?

27. Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass bei den Einsätzen von
PBS auf Schiffen unter deutscher Flagge die rechtlichen Bestimmungen
zum Einsatz von Gewalt gegen Dritte eingehalten werden, und über welche
Instrumentarien verfügt die Bundesregierung, zeitnah ein Ermittlungsver-
fahren durchzuführen und mutmaßliche Straftäter in Gewahrsam zu neh-
men?

28. Welche Maßnahmen zur wirksamen und verhältnismäßigen Abwehr von
Piratenangriffen sollen den PBS auf deutschen Schiffen erlaubt werden, und
auf welcher rechtlichen Grundlage beruhen diese jeweils?

29. Sollen PBS auch Gewaltmaßnahmen zur vorbeugenden Verteidigung er-
greifen dürfen?

30. Dürfen die PBS diese Maßnahmen nur in internationalen Gewässern an-
wenden oder auch in den Küstengewässern souveräner Staaten, und wenn
ja, unter welchen Bedingungen?

31. Wer darf diese Maßnahmen anordnen, und wie soll gewährleistet werden,
dass er für diese Entscheidung qualifiziert ist?

32. Welche Rolle soll bei diesen Prozessen der Kapitän des Schiffes spielen,
und wie wird gewährleistet, dass er für diese Aufgaben ausreichend vorbe-
reitet ist?

33. Sollen die PBS nach Auffassung der Bundesregierung auch mit hoheitli-
chen Aufgaben beliehen werden, und darf der Kapitän Aufgaben an die PBS
übertragen?

34. Inwieweit wird das Einsatzspektrum von Gewaltmitteln durch PBS an Bord
von Schiffen durch das sogenannte Jedermannsrecht (§ 127 Absatz 1 der

Strafprozessordnung) abgedeckt?

Drucksache 17/9124 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

35. Hält die Bundesregierung eine Neuregelung der Strafprozessordnung für
notwendig?

36. Welche Art der Bewaffnung soll in Zukunft den zertifizierten PBS zur Ver-
fügung stehen, und welche Konsequenzen hat dies für das Genehmigungs-
verfahren für die Verbringung dieser Waffen gemäß dem Gesetz über die
Kontrolle von Kriegswaffen und dem Außenwirtschaftsgesetz?

37. Wie soll die Kontrolle darüber gewährleistet werden, dass die von PBS ins
Ausland verbrachten Waffen auch wieder zurück nach Deutschland ge-
bracht werden?

38. Sollen nach Auffassung der Bundesregierung alle Schiffe unter deutscher
Flagge das Recht auf den Einsatz von PBS an Bord haben, wie z. B. auch
die Fischereiflotten oder Kreuzfahrtschiffe, oder soll das Recht nur auf
Frachtschiffe beschränkt bleiben (bitte mit Begründung)?

39. Welche Unterstützungsverpflichtung hat die Bundeswehr für in Not gera-
tene Angestellte von PBS an Bord von Schiffen?

40. Wer sollte nach Auffassung der Bundesregierung berechtigt sein, im kon-
kreten Fall den PBS den Befehl bzw. die Erlaubnis für die Anwendung von
Gewalt an Bord eines Schiffes zu geben?

41. Wer trägt die rechtliche Verantwortung für den Einsatz von Waffen an Bord
von Schiffen unter deutscher Flagge, und wer übernimmt die Haftung für
das Verhalten der PBS auf diesen Schiffen auch gegenüber Dritten?

42. Wer haftet bei Verstößen der PBS gegen die Gesetze des Flaggenstaates
oder des Küstenstaates im Hinblick (z. B. Waffengesetze) und bei Ladungs-
und Personenschäden?

43. Dürfen die PBS mutmaßliche Piraten festnehmen bzw. an Bord festhalten,
und wenn ja, welche rechtlichen Bestimmungen gelten für die Behandlung
der Gefangenen an Bord?

44. Unter welchen Bedingungen dürfen von PBS festgesetzte mutmaßliche Pi-
raten an welche Dritte ausgehändigt werden?

45. Welche Möglichkeiten haben Personen, die von PBS verletzt worden sind,
oder deren Boote durch die PBS zerstört worden sind, und die Angehörigen
von durch PBS getöteten Personen, vor deutschen Gerichten ein Verfahren
gegen die deutschen Reeder, das PBS und die im konkreten Fall verantwort-
lichen Personen anzustrengen, und wer ist gegebenenfalls für die Haftung
und Zahlung von Entschädigungen verantwortlich?

46. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass PBS aufgrund der besonde-
ren Umstände der Seefahrt in einem weitgehend kontrollfreien Raum agie-
ren können, der sogar eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit
des Verhaltens erschwert?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie daraus?

47. Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit einer verpflichtenden
Videodokumentation für die PBS-Einsätze?

48. Gilt nach Auffassung der Bundesregierung auch auf Hoher See an Bord von
Schiffen unter deutscher Flagge das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei der
Anwendung von Gewaltmitteln, und wenn ja, gilt dies auch für PBS, und
wie will die Bundesregierung dies kontrollieren?

49. Inwiefern unterscheiden sich die Grundlagen von Bundeswehrpersonal,
Polizeipersonal und privaten Sicherheitskräften beim Einsatz von Gewalt

auf Hoher See?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9124

50. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für PBS die restriktivsten
Regeln gelten sollten, die auch für Wachpersonal in Deutschland gelten,
und wenn ja, wie soll dies gewährleistet werden, wenn nicht, warum nicht?

51. Wie bewertet die Bundesregierung das Risiko, dass mit der Zulassung von
PBS auf Schiffen ein Präzedenzfall geschaffen wird für die weitere Lega-
lisierung dieser Art von bewaffneten Einsätzen privater Unternehmen an
Land?

52. Sieht die Bundesregierung einen Handlungsbedarf angesichts der Tatsache,
dass deutsche Reedereien ohne jegliche Kontrolle der Bundesregierung auf
ihren Schiffen, die nicht unter deutscher Flagge fahren, bewaffnetes Sicher-
heitspersonal einsetzen dürfen?

53. Wer haftet für das Fehlverhalten des bewaffneten Sicherheitspersonals an
Bord von Schiffen deutscher Reedereien, die nicht unter deutscher Flagge
fahren?

Berlin, den 23. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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