BT-Drucksache 17/897

Vorwürfe gegen Ausländerbehörden wegen Gentests bei binationalen Eltern

Vom 2. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/897
17. Wahlperiode 02. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Jens
Petermann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Vorwürfe gegen Ausländerbehörden wegen Gentests bei binationalen Eltern

In der „tageszeitung“ (taz) vom 6. Februar 2010 wird unter dem Titel „Gentests
für binationale Eltern“ von schweren Vorwürfen mehrerer Rechtsanwältinnen
und Rechtsanwälte gegen die Berliner Ausländerbehörde berichtet. Sie würde
unverheiratete Eltern „binationaler“ Kinder unter Generalverdacht stellen und
dem nichtdeutschen Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis verweigern, wenn diese
nicht „freiwillig“ einen Gentest machten. Behörden würden sich anmaßen, Man-
danten zum Vaterschaftstest zu schicken, obwohl hierfür – wenn dies überhaupt
der Rechtslage entspreche – lediglich die Gerichte zuständig seien. Der Gentest
mit Kosten in Höhe von ca. 500 Euro müsse durch die jungen Familien in der
Regel auch selbst bezahlt werden. Die Rechtsanwältin Katarina Fröbel berichtet,
dass die Betroffenen für den Gentest nicht einmal frei zwischen den Instituten
wählen könnten. Bis ein Ergebnis vorliege, bekäme der nichtdeutsche Elternteil
nur eine Duldung. Damit bestünden weder ein Anspruch auf Integrationskurs-
teilnahme noch ein Zugang zum Arbeitsmarkt.

Hintergrund dieses Generalverdachts gegen „binationale“ Eltern ist die seit 2008
geltende Regelung in § 1600 Absatz 1 Nummer 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) (eingefügt durch Gesetz vom 13. März 2008, BGBl. I S. 313, in Kraft
getreten am 1. Juni 2008), die es Behörden ermöglicht, Vaterschaften bei „bina-
tionalen“ Kindern anzufechten.

Nach Angaben im genannten Artikel werde der Vorwurf des Generalverdachts
von der Sprecherin des Berliner Innensenators Dr. Ehrhart Körting (SPD) mit
der Begründung zurückgewiesen, das Anfechtungsverfahren werde nur in Ein-
zelfällen bei Vorliegen eines Anfangsverdachts eingeleitet. Solche Einzelfälle
habe es aber allein in Berlin schon 245 Mal gegeben. Bisher seien lediglich
29 Anfechtungen vor Gericht anhängig. Eine rechtskräftige Entscheidung gebe es
in keinem Fall. Die betroffenen Mütter lebten in einem rechtsfreien Raum. Nach
Angaben des Rechtsanwalts Rolf Stahmann erteile die Ausländerbehörde keine
Aufenthaltserlaubnis, sondern rege jeweils bei dem Bezirksamt an, ein Anfech-
tungsverfahren vor Gericht zu betreiben. Dort würde die Akte dann zunächst
zwischen einem und zwei Jahren liegen bleiben. Den Mandantinnen sei diese
lange Wartezeit auf Aufenthaltserlaubnis und Kindergeld nicht zumutbar. Gin-
gen die Eltern dann „freiwillig“ zum Gentest, blieben sie auf den Kosten sitzen.
Die Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag haben das „Gesetz zur Er-
gänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft “ in der 16. Wahlperiode
ebenso abgelehnt wie die Mehrheit der vom Rechtsausschuss angehörten Sach-
verständigen, weil es eine spezielle Personengruppe unter den Generalverdacht
des Missbrauchs von Rechten stellt und die Tatsachen, die zu einer Anfechtung
führen können, nicht eindeutig festgelegt sind. Der tiefe Eingriff in den Schutz
der Familie und des Kindeswohls ist angesichts der unbekannten, in jedem Fall

Drucksache 17/897 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

jedoch verhältnismäßig kleinen Zahl möglicher Missbrauchsfälle (maximal
knapp 1 700 pro Jahr, es können aber z. B. auch nur wenige Dutzend sein; vgl.
Bundestagsdrucksache 16/2433, Frage 1) auch unverhältnismäßig.

Soweit der Bundesregierung eine Beantwortung aufgrund erforderlicher Rück-
fragen bei den Bundesländern nicht innerhalb der Beantwortungsfrist nach § 104
Absatz 2 Halbsatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages möglich
ist, erklären die Fragestellerinnen und Fragesteller hiermit vorsorglich ihr Ein-
verständnis für eine Verlängerung dieser Frist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit ist der Bundesregierung die oben genannte Praxis der Behörden in
Berlin bekannt, und inwieweit ist es nach Ansicht der Bundesregierung ins-
besondere rechtens und zulässig, dass Ausländerbehörden ein Verfahren zur
Anfechtung der Vaterschaft von sich aus anregen und/oder die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis selbst dann verweigern, wenn (noch) kein Anfech-
tungsverfahren im Sinne des § 79 Absatz 2 Nummer 2 des Aufenthaltsgeset-
zes (AufenthG) anhängig ist (bitte ausführen und insbesondere in Hinblick
auf den Wortlaut des § 79 Absatz 2 Nummer 2 AufenthG begründen)?

2. Inwieweit ist der Bundesregierung insbesondere die geschilderte Praxis der
Berliner Ausländerbehörde bekannt, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
von der Vorlage eines Gentests abhängig zu machen – und nicht etwa von
dem Umstand, ob ein Anfechtungsverfahren anhängig ist –, und inwieweit ist
dies nach Auffassung der Bundesregierung rechtens und zulässig (bitte be-
gründen)?

3. Ist ein Gentest nach Auffassung der Bundesregierung überhaupt dazu geeig-
net, Zweifel an der Vaterschaft im Sinne des § 1600 Absatz 3 BGB auszuräu-
men, da hier auf die „sozial-familiäre Beziehung“ abgestellt wird (bitte be-
gründen)?

4. Welche Schlussfolgerungen sind nach Auffassung der Bundesregierung aus
dem Umstand zu ziehen, dass in Berlin zwar offenkundig bereits 245 Mal
eine Aufenthaltserlaubnis wegen des Verdachts einer „Scheinvaterschaft“
verweigert wurde, jedoch lediglich 29 Anfechtungsklagen anhängig sind?

5. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse über interne Anweisungen/
Regelungen/Vorgaben für Ausländerbehörden, wie in Fällen, in denen ein
Aufenthaltsrecht infolge der Geburt eines deutschen Kindes entsteht und
beantragt wird, verfahren werden soll bzw. wie ist die entsprechende übliche
Praxis der Ausländerbehörden (bitte nach Bundesländern aufgegliedert
beantworten und insbesondere darauf eingehen, welche konkreten Verdachts-
momente vorliegen müssen bzw. unter welchen Bedingungen welche Ermitt-
lungen in welchem Umfang durch die Ausländerbehörden eingeleitet bzw.
ergriffen werden)?

6. Welche Behörden sind nach Kenntnis der Bundesregierung für die Anfech-
tung in den verschiedenen Bundesländern zuständig (bitte nach Bundeslän-
dern einzeln auflisten)?

7. Verfahren die zuständigen Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung in
den Bundesländern in der Praxis der Anfechtung unterschiedlich, und wie
laufen die Verfahren jeweils im Regelfall und im Zusammenspiel der ver-
schiedenen beteiligten Behörden ab (bitte nach Bundesländern einzeln auf-
listen)?

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8. In wie vielen Fällen seit Inkrafttreten der Neuregelung wurde nach Kenntnis
der Bundesregierung ein Anfechtungsverfahren eingeleitet, und in wie
vielen Fällen davon wurde die Anfechtung dann bei Gericht anhängig (bitte
aufschlüsseln nach Bundesländern)?

9. Wie viele Gerichtsurteile seit Inkrafttreten der Neuregelung liegen bereits
vor, und was lässt sich über den Inhalt der Entscheidungen und die Rechts-
kraft dieser Urteile sagen?

10. In wie vielen Fällen seit Inkrafttreten der Neuregelung wird nach Kenntnis
der Bundesregierung bundesweit (bitte aufschlüsseln nach Bundesländern)
aufgrund der Anzweiflung der Vaterschaft bei Kindern „binationaler“,
unverheirateter Eltern dem nichtdeutschen Elternteil eine Aufenthalts-
erlaubnis – vorläufig bis zur Klärung der Vaterschaft oder durch ablehnen-
den Bescheid (bitte differenzieren) – verweigert?

11. In wie vielen Fällen davon kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zur
Ausweisung und/oder Abschiebung des Kindes und/oder der Mutter (bitte
aufschlüsseln nach Bundesländern)?

12. In wie vielen Fällen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung vom Stan-
desbeamten die Beurkundung nach § 44 Absatz 1 des Personenstands-
gesetzes abgelehnt, weil eine Anfechtbarkeit offenkundig war (bitte auf-
schlüsseln nach Bundesländern)?

13. Woran knüpft sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Beurteilung der
Standesbeamten nach § 44 Absatz 1 des Personenstandsgesetzes in der
Praxis, dass die Anerkennung der Vaterschaft nach § 1600 Absatz 1 Num-
mer 5 BGB anfechtbar wäre (bitte aufschlüsseln nach Bundesländern)?

14. Wie lange dauern nach Kenntnis der Bundesregierung die Anfechtungsver-
fahren insgesamt (bitte aufschlüsseln nach unter sechs Monaten, sechs
Monate bis ein Jahr, ein bis eineinhalb Jahre, eineinhalb bis zwei Jahre, ab-
sehbar länger als zwei Jahre; jeweils nach Bundesland)?

15. Auf welche Kriterien wird im Einzelfall der Anfangsverdacht für eine
Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Absatz 1 Nummer 5 BGB gestützt,
welche Behörde ermittelt in welcher Form und in welchem Umfang entspre-
chende Verdachtsmomente, und welche Mitwirkungs- und Nachweis-
pflichten werden dabei den betroffenen Eltern auferlegt (bitte nach Bundes-
ländern getrennt beantworten)?

16. Welche Kriterien werden in der Praxis zugrunde gelegt, um festzustellen, ob
eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und Vater besteht?

17. Hält die Bundesregierung es für notwendig, die gesetzlichen Regelungen zu
ändern, um den Vorwürfen eines vermeintlichen Generalverdachts gegen-
über unverheirateten „binationalen“ Eltern zukünftig zu begegnen, wenn
nein, warum nicht, wenn ja, wie genau?

18. Falls die Bundesregierung der Auffassung ist, es sollte bei der Vater-
schaftsanfechtung durch eine Behörde im Sinne des § 1600 Absatz 1 Num-
mer 5 BGB bleiben: Sieht die Bundesregierung eine Rechtsgrundlage für
Regressansprüche gegenüber der zuständigen Behörde für die von ihr
verursachten Kosten von Betroffenen, die sich außerhalb eines anhängigen
Gerichtsverfahrens gezwungen sehen, „freiwillig“ einen Gentest zum Nach-
weis der Vaterschaft durchzuführen oder denen es aufgrund der fehlenden
Arbeitserlaubnis nicht möglich ist, für die Dauer des Anfechtungsverfah-
rens zu arbeiten?

Falls nein, sieht sie die Notwendigkeit, eine solche Rechtsgrundlage zu

schaffen, und wie will sie diese gegebenenfalls ausgestalten?

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19. Falls die Bundesregierung der Auffassung ist, es sollte bei der Vater-
schaftsanfechtung durch eine Behörde im Sinne des § 1600 Absatz 1 Num-
mer 5 BGB bleiben: Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Praxis der
Ausländerbehörden regulierungs- und verbesserungswürdig, wenn nein,
warum nicht, wenn ja, wie?

20. Welche Möglichkeiten für die Betroffenen gibt es für den Fall, dass die
Anfechtung der Vaterschaft rechtswirksam zurückgewiesen wird, entstan-
dene Kosten (etwa den Verlust von Kindergeld und von steuerrechtlichen
Vorteilen für die Dauer des Verfahrens) geltend zu machen?

Berlin, den 2. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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