BT-Drucksache 17/8946

Technische Probleme beim europäischen Zugleitsystem ERTMS

Vom 8. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8946
17. Wahlperiode 08. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Konstantin von Notz,
Stephan Kühn, Harald Ebner, Bettina Herlitzius, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Technische Probleme beim europäischen Zugleitsystem ERTMS

Bisher verhindert ein Flickenteppich verschiedener Zugleit- und Sicherungssys-
teme in der EU, dass die Deutsche Bahn AG auch über nationale Grenzen hin-
weg ihre Stärken ausspielen kann. Die EU hat deshalb die Einführung eines
gemeinsamen europäischen Systems zur Zugsicherung und -leitung („European
Rail Traffic Management System“ – ERTMS) beschlossen und die Ausrüstung
von europäischen Korridoren mit diesem System vertraglich vereinbart. Auf
diese Weise soll der Eisenbahnverkehr auf den Strecken der transeuropäischen
Netze interoperabel sichergestellt werden. Deutschland hat sich gegenüber den
EU- Partnern zur Einführung von ERTMS auf vier internationalen Korridoren
verpflichtet. Das europäische Zugleitsystem ERTMS erfordert sowohl Investi-
tionen in Streckenanlagen als auch in Triebfahrzeuge. Laut der Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/7618 be-
absichtigt die Bundesregierung, aufgrund zu hoher Kosten die Ausrüstung der
Korridore zu einem späteren Zeitpunkt als vertraglich vereinbart umzusetzen.
Dazu ist geplant, die Interoperabilität mittels so genannter System Specific
Transmission Modules (STM) zu erreichen, welche als Teilbestandteil des
ERTMS nur ein „Übersetzungssystem“ für die verschiedenen Zugsicherungs-
systeme in Europa auf Triebfahrzeugen bereitstellten. Ein entsprechender
Vorschlag für eine Modifizierung der bestehenden Vereinbarungen wurde der
Europäischen Kommission übermittelt. Neben den Kosten hinsichtlich der Ein-
führung hat die Bundesregierung auch Zweifel an der technischen Realisierbar-
keit und der Datensicherheit von ERTMS angemeldet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwiefern hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass die zur Einführung
von ERTMS mit Level 2 benötigten Funkkanalkapazitäten von GSM-R
(Global System for Mobile Communication – Railway) schon heute be-
ziehungsweise künftig nicht ausreichend sind?

2. Welche Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die fehlenden Funk-
kanalkapazitäten zu schaffen, und welche Kosten und technologischen

Anpassungen sowohl fahrzeug- als auch infrastrukturseitig werden hierdurch
erforderlich?

3. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass ERTMS vor dem Hintergrund
komplexer und zeitaufwendiger Anpassungsverfahren mit dem technologi-
schen Fortschritt, insbesondere bei der Datenübertragung, Schritt halten kann
und eine wirtschaftlich vertretbare Instandhaltung stets gewährleistet bleibt?

Drucksache 17/8946 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Sind die Kosten für erweiterte Funkkapazitäten in dem auf Bundestags-
drucksache 17/7618 angegebenen Betrag in Höhe von 4,5 Mrd. Euro für die
deutschen Korridore enthalten?

5. Sind diese erweiterten Funkkapazitäten interoperabel, und wer müsste hier-
für aufkommen?

6. Nach welchem System sollen die Daten für die Funkkommunikation zum
Triebfahrzeug verschlüsselt werden, und ist hierdurch ein durchgehender
und sicherer Datenaustausch im signaltechnischen Sinn gewährleistet?

7. Welche Maßnahmen müssten getroffen werden, um mit der Funkübertra-
gung ERTMS ein gleiches Sicherheitsniveau wie bei der Datenübertragung
über den Linienleiter der Linienzugbeeinflussung zu erreichen?

8. Welche Maßnahmen werden bei der Linienzugbeeinflussung zukünftig
nötig, um mit technologischen Entwicklungen Schritt zu halten und ein
gleich hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten?

9. Wie soll sichergestellt werden, dass die Daten in den Fahrzeugen sicher
gespeichert und vor manipulativem Zugriff Unbefugter geschützt werden?

10. Inwiefern stellt es ein Problem dar, dass Haltaufträge, etwa Befehle des
Fahrdienstleiters per GSM-R-Zugfunk an den Triebfahrzeugführer, nicht
verifiziert werden müssen und das System damit für mutwillig herbeige-
führte Server-Angriffe (Denial-of-Service-Attacken) anfällig wird?

11. Wie stellt die Bundesregierung in Knotenbahnhöfen und auf stark ausgelas-
teten Strecken sicher, dass mit der Einführung von ERTMS die Knoten- und
Streckenleistungsfähigkeit mindestens so hoch ist, wie bei einer flächen-
deckenden Einführung der Linienzugbeeinflussung möglich wäre?

12. Welche Vorteile werden demgegenüber von den STM erwartet?

13. Welche Kosten werden für die Entwicklung, Produktion und Bereitstellung
von STM erwartet?

14. In welchem Zeitraum könnten diese Module zugelassen und in ausreichen-
der Stückzahl geliefert werden?

15. Wie begründet die Bundesregierung den finanziellen Vorteil bei der Ent-
wicklung, Produktion und Bereitstellung von STM, wenn die haushalts-
mäßige Bewertung von STM künftigen Haushaltsaufstellungsverfahren
vorbehalten bleibt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/7618)?

16. Wie stellt sich heute der Vergleich zwischen ERTMS und einer möglichen
Optimierung der bestehenden Leit- und Sicherungstechnik im Vergleich mit
ETCS Level 2 Full Supervision dar?

17. Welche Systemverbesserungen sind aus Sicht der Bundesregierung bei
ERTMS notwendig, und inwiefern tragen diese zu einer weiteren Kosten-
steigerung bei?

18. Wieso wurde in Deutschland nie ETCS Level 1 LS wie in der Schweiz zer-
tifiziert, obwohl dadurch eine schnelle und kostengünstigere Umrüstung
und die Herstellung der Interoperabilität auf Bahnstrecken erreicht werden
kann?

19. Welche Vergleichsgrößen hat die Bundesregierung hinsichtlich der Kosten
bei einer Umrüstung auf ETCS Level 1 LS und der Umrüstung der Trieb-
fahrzeuge auf STM?

20. Inwiefern kann sichergestellt werden, dass alle auf den vier internationalen
Korridoren operierenden Eisenbahnunternehmen auch ohne ERTMS glei-

che Zugangsvoraussetzungen haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8946

21. In welcher Form und in welcher Höhe beabsichtigt die Bundesregierung,
ausländischen Eisenbahnunternehmen zugesagte Kompensationen für zu-
sätzlich durch STM entstehende Kosten zu zahlen?

22. Erwartet die Bundesregierung zusätzliche Kosten für Bahnunternehmen aus
europäischen Nachbarstaaten, welche die internationalen Korridore nutzen
wollen, wenn ERTMS mit Level 2 oder Level 3 nicht umgesetzt wird?
Inwiefern kann das als Wettbewerbsnachteil angesehen werden?

23. Welche Mitglied- und Nachbarstaaten sind bisher ihren vertraglichen
Verpflichtungen gefolgt und haben ERTMS auf den vereinbarten Strecken
realisiert (bitte die Länder mit Kilometerangaben und die Höhe der Kosten
einzeln benennen)?

24. Mit welchen Kosten rechnet die Bundesregierung bei der Einführung von
ERTMS auf den vier Korridoren, zu denen sie sich verpflichtet hat?

25. Liegen diesen Berechnungen die 4,5 Mrd. Euro zugrunde, welche die Deut-
sche Bahn AG als Kosten beziffert, oder bezieht sich die Zahl auf die etwa
200 Mio. Euro, welche die UNIFE (Union des Industries Ferroviaires Euro-
péennes – Verband der europäischen Eisenbahnindustrie) als interoperable
Kosten angibt?
Welche Kostenstruktur legt die Bundesregierung bei ihrer Berechnung zu-
grunde?

26. Mit welchen Strafzahlungen muss die Bundesregierung rechnen, wenn die
Europäische Kommission das angekündigte Vertragsverletzungsverfahren
durchführt, weil die vertraglich vereinbarten Maßnahmen nicht realisiert
wurden?

Berlin, den 8. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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