BT-Drucksache 17/8882

Rohstoffderivatemärkte gezielt regulieren

Vom 6. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8882
17. Wahlperiode 06. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier,
Peter Aumer, Ralph Brinkhaus, Olav Gutting, Manfred Kolbe, Patricia Lips,
Dr. h. c. Hans Michelbach, Dr. Mathias Middelberg, Stefan Müller (Erlangen),
Eduard Oswald, Norbert Schindler, Dr. Frank Steffel, Christian Freiherr von
Stetten, Antje Tillmann, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, Dr. Birgit Reinemund,
Björn Sänger, Frank Schäffler, Dr. Volker Wissing, Rainer Brüderle und der
Fraktion der FDP

Rohstoffderivatemärkte gezielt regulieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

An den weltweiten Rohstoffmärkten sind seit einigen Jahren erhebliche Preis-
schwankungen zu verzeichnen. Die langfristige Preisentwicklung an den Roh-
stoffmärkten wird nach Meinung zahlreicher wissenschaftlicher Studien in
erster Linie durch Fundamentalfaktoren beeinflusst, also insbesondere durch
Angebot und Nachfrage auf den Kassamärkten. Faktoren wie Bevölkerungs-
wachstum, Geldmengenwachstum, Einkommenszuwächse in den Entwick-
lungsländern, Angebotsverknappung auf Grund externer Faktoren wie Witte-
rungsereignisse sowie politische Ereignisse spielen in diesem Zusammenhang
eine wichtige Rolle.

Gleichzeitig ist festzustellen, dass Rohstofftermingeschäfte zunehmend an Be-
deutung gewinnen. Rohstofftermingeschäfte sind sowohl für Produzenten von
Rohstoffen als auch für Unternehmen der Realwirtschaft, die für ihre Produk-
tion Rohstoffe benötigen, wichtige Instrumente zur Absicherung von Preis-
risiken im Rahmen des eigenen Risikomanagements (sog. Hedging). Neben
dem Einsatz von Rohstofftermingeschäften zur Absicherung von Preisrisiken
für realwirtschaftliche Tätigkeiten lässt sich eine zunehmende Aktivität von
Finanzinvestoren an den globalen Rohstoffterminmärkten feststellen: So weist
die Deutsche Bundesbank in ihrem Finanzstabilitätsbericht vom November
2011 auf die hohen Kapitalzuflüsse und das wachsende Engagement von
Banken, Indexfonds und Hedgefonds im Bereich der Rohstoffmärkte („Finan-
zialisierung“) hin.
Studien verschiedener internationaler Organisationen und wissenschaftliche
Untersuchungen haben bisher nicht abschließend klären können, ob und in
welchem Umfang das zunehmende Engagement von Finanzinvestoren auf den
Rohstoffterminmärkten Preisschwankungen auf den Rohstoffkassamärkten
verstärken kann, die nicht durch fundamentale Marktfaktoren bedingt sind.
Risiken für die Integrität der Rohstoffmärkte lassen sich aber nach Einschät-
zung vieler Experten und auch der Deutschen Bundesbank nicht ausschließen.

Drucksache 17/8882 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Um Fehlentwicklungen an den Rohstoffmärkten vorzubeugen, ist eine gezielte
und wirksame Regulierung des Rohstoffterminhandels erforderlich. In einem
ersten Schritt ist mehr Transparenz erforderlich, um die Wechselwirkungen
zwischen Rohstofftermin- und Rohstoffkassamärkten besser erkennen und ein-
schätzen zu können. Eine größere Transparenz verschafft Marktteilnehmern die
Möglichkeit, sich auf Entwicklungen besser einzustellen; Regulierungsbehör-
den können Fehlentwicklungen gezielter mit angemessenen Maßnahmen ent-
gegenwirken. Angesichts zunehmender Investitionen in Finanzmarktgeschäfte
mit physisch hinterlegten Rohstoffen und in physischen Marktsegmenten ist in
diesen Bereichen ebenfalls mehr Transparenz notwendig. Dabei ist es wichtig,
international abgestimmte Lösungsansätze zu entwickeln, um die wichtigen in-
ternationalen Handelsplätze und Marktakteure zu erreichen.

Dabei ist im Blick zu behalten, dass Rohstoffderivate eine wichtige Rolle bei
der Absicherung der Realwirtschaft gegen Preisrisiken spielen. Die Möglich-
keit der Realwirtschaft, sich gegen Preisrisiken abzusichern, muss bei der
Finanzmarktregulierung angemessen berücksichtigt werden. Unternehmen der
Realwirtschaft sind darauf angewiesen, dass ihnen für ihre Absicherungsge-
schäfte Gegenparteien in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen; daher sind
Marktteilnehmer und Investoren, die Risikopositionen eingehen, für einen
funktionsfähigen Rohstoffderivatemarkt erforderlich und aus Sicht realwirt-
schaftlicher Unternehmen grundsätzlich von Vorteil. Allerdings dürfen speku-
lative Geschäfte mit Rohstoffderivaten nicht das Marktgeschehen dominieren,
indem sie bspw. zu spekulativ bedingten Preisschwankungen auf den Rohstoff-
märkten führen. Bei einer weiter zunehmenden „Finanzialisierung“ ist nach
Einschätzung der Deutschen Bundesbank aber nicht auszuschließen, dass sich
die Schwankungsanfälligkeit der betroffenen Rohstoffmarktsegmente erhöht.

Der Deutsche Bundestag unterstützt daher, dass die G20-Staats- und -Regie-
rungschefs im November 2011 in Cannes eine schärfere Regulierung des Roh-
stoffhandels zur Eindämmung spekulativer Preisschwankungen beschlossen
und sich verpflichtet haben, für Transparenz auf den Terminmärkten zu sorgen
und den Aufsichtsbehörden wirksame Instrumentarien wie sog. Position Limits
zur Verfügung zu stellen, um Marktverwerfungen und marktmissbräuchlichem
Verhalten auf den Rohstoffterminmärkten begegnen zu können.

In Europa werden zentrale Elemente der G20-Beschlüsse im Rahmen laufen-
der Gesetzgebungsvorhaben umgesetzt. Die Europäische Kommission hat im
Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie für Märkte über Finanzinstrumente
(MiFID) und der Marktmissbrauchsrichtlinie (MAD) gezielte Vorschläge für
eine strengere Regulierung und bessere Transparenz der Rohstoffterminmärkte
vorgelegt. Daneben hat sie eine Verschärfung der Rahmenbedingungen für den
Hochfrequenzhandel vorgeschlagen. Auch der Hochfrequenzhandel kann zu
Preisschwankungen und einer Gefahr für die Marktintegrität führen. Zu mehr
Transparenz wird auch die EU-Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Clea-
ringstellen und Transaktionsregister (European Market Infrastructure Regu-
lation, EMIR) beitragen. Diese Verordnung wird dazu führen, dass die Ab-
wicklung von außerbörslichen (OTC-)Derivategeschäften sicherer wird und die
Transparenz über Derivatepositionen steigt. Zu diesem Zweck wird eine Ver-
pflichtung zur Abwicklung standardisierter OTC-Derivategeschäfte über zen-
trale Clearingstellen eingeführt. Für OTC-Derivategeschäfte, die sich für eine
Abwicklung über zentrale Clearingstellen nicht eignen, müssen bilateral ausrei-
chende Sicherheiten gestellt werden.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die laufenden Arbeiten zur strengeren Re-
gulierung der Rohstoffterminmärkte und des Hochfrequenzhandels auf interna-
tionaler und europäischer Ebene.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8882

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass die von den G20 be-
schlossenen Maßnahmen zur Eindämmung von nicht durch Fundamentalda-
ten begründeten Preisvolatilitäten im Rohstoffbereich und zur Stärkung der
Regulierung und Transparenz der OTC-Derivatemärkte weltweit konsequent
umgesetzt werden;

2. sich im Rahmen der von der Europäischen Kommission eingeleiteten Über-
arbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID Re-
view) dafür einzusetzen,

a) die Transparenz über den Rohstoffderivatehandel zu erhöhen,

b) angemessene Eingriffsinstrumente, wie z. B. die Möglichkeit zur Verhän-
gung von Positionslimits, einzuführen,

c) den legitimen Absicherungsinteressen der Realwirtschaft angemessen
Rechnung zu tragen,

d) den Hochfrequenzhandel zu regulieren und insbesondere künftig alle
Hochfrequenzhändler unter die Finanzmarktaufsicht zu stellen,

e) für Agrarderivate zusätzliche und strengere Regulierungsmaßnahmen zu
prüfen,

f) eine effektive Aufsicht sicherzustellen und durch einheitliche Regelun-
gen gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa zu gewährleisten,

g) einen effektiven Informationsaustausch zwischen den Finanzmarktbehör-
den und den europäischen Stellen sicherzustellen, die für die Überwa-
chung primärer Rohstoffmärkte (Strom und Gas, Agrarwirtschaft) zu-
ständig sind, sowie

3. sich im Rahmen der Überarbeitung der Marktmissbrauchsrichtlinie dafür
einzusetzen, dass Rohstoffderivate von den Regelungen gegen Marktmiss-
brauch erfasst werden und

4. sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, die Transparenz in Bezug
auf Investitionen institutioneller Anleger in Finanzmarktgeschäften mit phy-
sisch hinterlegten Rohstoffen und in physischen Marktsegmenten zu erhö-
hen.

Begründung

Transparenz über Rohstoffderivatepositionen

Um bei Fehlentwicklungen an den Rohstoffterminmärkten und an den Roh-
stoffmärkten zielgenau gegensteuern zu können, ist es erforderlich, dass Roh-
stoffderivatepositionen regelmäßig gemeldet werden. Im Rahmen der laufen-
den Überarbeitung der MiFID hat die Europäische Kommission vorgeschlagen,
dass regulierte Märkte sowie multilaterale und organisierte Handelssysteme
einen wöchentlichen Bericht mit aggregierten Warenderivatepositionen ver-
schiedener Kategorien von Handelsteilnehmern veröffentlichen. Der Deutsche
Bundestag begrüßt die Vorschläge zur Erhöhung der Transparenz auf den Roh-
stoffmärkten und verweist auf seinen entsprechenden Beschluss vom 20. Okto-
ber 2011 auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (Bundestagsdruck-
sache 17/7353).

Drucksache 17/8882 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Möglichkeit zur Verhängung von Positionslimits

Die G20 haben sich im November 2011 dazu verpflichtet, das Eingriffsinstru-
mentarium in Bezug auf Rohstoffterminmärkte auszubauen und – neben ande-
ren Eingriffsbefugnissen – den zuständigen Stellen weltweit die Möglichkeit
einzuräumen, die Positionen einzelner Händler an einer Rohstoffterminbörse zu
begrenzen, wenn dies zur Sicherstellung eines reibungslosen Marktgeschehens
notwendig ist. Die Europäische Kommission hat im Rahmen der Überarbeitung
der MiFID dazu Vorschläge unterbreitet. Ziel muss es hierbei sein, ein effek-
tives Positionsmanagement der betroffenen Handelsplätze zu ermöglichen. Al-
ternativen zu starren Ex-ante-Limits und zentralen Vorgaben für alle Handels-
plätze sollten daher intensiv geprüft werden.

Legitimem Absicherungsinteresse der Realwirtschaft angemessen Rechnung
tragen

Heute nutzen nicht nur international agierende Konzerne, sondern auch im In-
land tätige Unternehmen und Produzenten derivative Instrumente zur Absiche-
rung ihrer Geschäftsrisiken. So sind Landwirtschaft, industrielle Produktion
und Energieunternehmen darauf angewiesen, Absicherungsinstrumente gegen
mittelfristige Preisänderungsrisiken oder Wechselkursrisiken bei Im- oder
Exporten zur Verfügung zu haben. Produzenten sind nur bereit, das Risiko
langfristiger Investitionen auf sich zu nehmen, wenn die Kosten der Produk-
tionsfaktoren ebenso wie die voraussichtlichen Verkaufserträge in gewissem
Umfang planbar sind. Für ihre Absicherungsgeschäfte brauchen Landwirte,
Industrieproduzenten und Energieunternehmen einen effizient funktionieren-
den Terminmarkt. Daher sollten das Interesse an einer strengeren Handelskon-
trolle sowie notwendige Spielräume für Absicherungsgeschäfte bei der MiFID-
Review ähnlich zum Ausgleich gebracht werden wie bei der Neuregelung des
außerbörslichen Derivatehandels (EMIR).

Strengere Regulierung des Hochfrequenzhandels

Der auf Algorithmen basierende Börsenhandel wird zunehmend von eigenstän-
dig handelnden Hochleistungscomputern bestimmt. Diese lösen innerhalb von
Millisekunden den Kauf und Verkauf von Wertpapieren auf der Basis von elek-
tronisch erhaltenen Marktinformationen aus. Um den mit dem Hochfrequenz-
handel verbundenen Risiken zu begegnen, hat die Europäische Kommission
schärfere Vorgaben vorgeschlagen, unter anderem eine Registrierung von
Hochfrequenzhändlern und spezielle Sicherheitsvorkehrungen an den Handels-
plätzen. Gesetzliche Eingriffskompetenzen der Aufsicht und entsprechende
Vorgaben an Börsenbetreiber sollen helfen, gezielt Missbräuche zu verhindern,
ohne dabei die Funktion des Handels selbst zu beeinträchtigen.

Strengere Regulierungsmaßnahmen für Agrarderivate

Preisschwankungen bei Agrarrohstoffen und insbesondere Nahrungsmitteln
haben eine besondere Bedeutung. Um Fehlentwicklungen auf den Agrarmärk-
ten möglichst frühzeitig vorzubeugen, sollte im Rahmen der laufenden euro-
päischen Regulierungsarbeiten auch untersucht werden, ob für Agrarderivate
nicht zusätzliche Regulierungsvorgaben erforderlich sind. Hierbei sollte auch
der US-Ansatz zur Regulierung von Agrarderivaten näher geprüft, gleichzeitig
aber auf die spezifischen Gegebenheiten im europäischen Handel Rücksicht ge-
nommen werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8882

Effektive Aufsicht und gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherstellen

Um eine effektive Aufsicht sicherzustellen, sollen die zuständigen Behörden im
Rahmen der Überarbeitung der MiFID unter anderem das Recht erhalten, von
jeder Person Auskünfte über das Volumen und den Zweck einer Position in
Warenderivaten zu verlangen. Um gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa
sicherzustellen, sollen verbindliche Vorgaben auf europäischer Ebene festgelegt
werden, entweder in der überarbeiteten MiFID oder in daran anknüpfenden
Ausführungsbestimmungen der Europäischen Kommission. Das gilt insbeson-
dere bei Maßnahmen, wie z. B. Positionslimits, die an allen Handelsplätzen in
Europa umgesetzt werden sollten.

Informationsaustausch zwischen den Finanzmarktbehörden und anderen
europäischen Behörden, die für die (Agrar-)Rohstoffmärkte zuständig sind

Im Rahmen der laufenden MiFID-Verhandlungen sollte vorgeschlagen werden,
den Informationsaustausch zwischen den Finanzmarktbehörden und den für die
Agrarmärkte zuständigen europäischen Behörden zu stärken.

Striktere Marktmissbrauchsregelungen für Rohstoffderivate

Um Marktmissbrauch effektiver und EU-weit einheitlich zu bekämpfen, hat die
EU-Kommission eine Verordnung über Insidergeschäfte und Marktmanipula-
tion (Marktmissbrauch) vorgeschlagen. Marktmissbrauch in Warenderivaten
wird zwar bereits von der geltenden Marktmissbrauchsrichtlinie erfasst. Aller-
dings gelten derzeit als Insiderinformation nur die Informationen, deren öffent-
liches Bekanntwerden sich auf den Preis des Derivats auswirken würde. Die
bisherige Marktmissbrauchsrichtlinie trägt damit der engen Vernetzung der
Warenspotmärkte und der dazugehörigen Warenderivate nicht hinreichend
Rechnung. Deshalb soll die neue Marktmissbrauchsverordnung als Insiderin-
formation auch solche Information erfassen, deren öffentliches Bekanntwerden
sich zwar nicht auf den Preis des Derivats, aber auf den Preis des Basiswertroh-
stoffs auswirken würde.

Transparenz in Bezug auf Finanzmarktgeschäfte mit physisch hinterlegten
Rohstoffen und in physischen Marktsegmenten

Zunehmende Investitionen institutioneller Anleger in Finanzmarktgeschäfte
mit physisch hinterlegten Rohstoffen und in physischen Marktsegmenten
machen es erforderlich, auch in diesen Bereichen weltweit mehr Transparenz
zu schaffen. Nur auf diese Weise ist es möglich, das Engagement von Finanz-
investoren auf den internationalen Rohstoffmärkten in vollem Umfang zu er-
fassen und aus den hieraus gewonnenen Informationen die richtigen Schlüsse
für eine angemessene Regulierung zu ziehen.

Berlin, den 6. März 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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