BT-Drucksache 17/87

Ausgestaltung eines nationalen Stipendienprogramms des Bundes und der Länder unter Beteiligung der Wirtschaft

Vom 27. November 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/87
17. Wahlperiode 27. 11. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Sylvia
Kotting-Uhl, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Agnes Krumwiede, Monika Lazar,
Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ausgestaltung eines nationalen Stipendienprogramms des Bundes und
der Länder unter Beteiligung der Wirtschaft

Nach zwei ergebnislosen Anläufen der von der CDU und der FDP geführten
Landesregierung Nordrhein-Westfalen, über den Bundesrat ein nationales Stipen-
diensystem einzuführen, soll nun die neue Bundesregierung ein nationales Stipen-
dienprogramm aufbauen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
hatte in der 16. Wahlperiode eine Beteiligung des Bundes an einem nationalen Sti-
pendienprogramm, wie es die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vorge-
schlagen hat, abgelehnt. Damals wurde argumentiert, der Aufbau müsse in erster
Linie durch private Initiativen realisiert werden (Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bundestags-
drucksache 16/8677 – Nationales Stipendiensystem).

Nun soll laut Koalitionsvertrag der CDU, CSU und FDP das Bundesministerium
für Bildung und Forschung ein nationales Stipendienprogramm auf den Weg
bringen. Geplant ist demnach, von Universitäten und Fachhochschulen bei der
Wirtschaft und Privaten eingeworbene Stipendien in Höhe von 150 Euro im
Monat in gleicher Höhe mit Steuergeldern zu ergänzen. Der öffentliche Zuschuss
soll je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert werden. Zudem soll das
Stipendium von der BAföG-Anrechnung freigestellt werden. Das bisherige Bü-
chergeld der Begabtenförderungswerke soll gleichzeitig auf 300 Euro angeho-
ben und von der BAföG-Anrechnung befreit bleiben.

Diese Eckpunkte für ein Stipendienprogramm lassen aber zahlreiche Fragen
offen. Die konkrete Ausgestaltung des nationalen Stipendienprogramms bleibt
unklar und wirft viele Probleme auf. Überdies scheint es fraglich, ob dies ein
geeignetes Instrument ist, brachliegende Potenziale von jungen Leuten aus
bildungsfernen Schichten zu heben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage beabsichtigt der Bund, Mittel
für das im Koalitionsvertrag skizzierte nationale Stipendienprogramm bereit-

zustellen?

2. Mit welchen zusätzlichen Kosten rechnet die Bundesregierung, um den Anteil
der Stipendiaten von zwei auf zehn Prozent zu steigern, und wie hoch werden
dann die Gesamtaufwendungen von Bund, Ländern und Privaten für die Be-
gabtenförderung sein (bitte nach Geldgebern aufschlüsseln)?

Drucksache 17/87 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Nach welchen Maßstäben (z. B. Finanzkraft der Länder, Anzahl der Studie-
renden, Anzahl der Hochschulzugangsberechtigten, Anzahl der Stipen-
diaten nach Wohnort, Anzahl der Stipendiaten nach Studienort) sollen nach
den Vorstellungen der Bundesregierung die Kosten zwischen den einzelnen
Bundesländern aufgeteilt werden?

4. Strebt die Bundesregierung einen Maßstab an, bei dem es zu Querfinanzie-
rungen zwischen den Ländern kommen kann, und wenn ja, warum?

5. Wann und in welchen Gremien wird die Bundesregierung Gespräche mit den
Ländern aufnehmen, um die Errichtung des im Koalitionsvertrag skizzierten
nationalen Stipendienprogramms zu beraten und verbindlich zu beschlie-
ßen?

6. Teilt die Bundesregierung Befürchtungen, dass wirtschaftsschwache Länder
durch das geplante nationale Stipendienprogramm benachteiligt werden
könnten?

7. Inwieweit und mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung aus-
schließen, dass regionale Disparitäten zwischen Hochschulen in struktur-
schwachen und strukturstarken Regionen durch die Finanzierung des natio-
nalen Stipendienprogramms verschärft werden?

8. Teilt die Bundesregierung die Feststellung des bayerischen Wissenschafts-
ministers Wolfgang Heubisch (FDP), der ausgeführt hat, ein Stiftungs- oder
Matchingsystem, das mit Hilfe der Wirtschaft aufgebaut werden soll, „ver-
spricht bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage und Entwicklung leider
wenig Aussicht auf Erfolg“ (Bericht zum Stipendienwesen des bayerischen
Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Wolfgang Heubisch,
an den bayerischen Landtag vom 8. April 2009), und falls nein, warum
nicht?

9. Wann und in welchen Gremien wird die Bundesregierung Gespräche mit der
Wirtschaft und sonstigen privaten Stiftern aufnehmen, um die Errichtung des
im Koalitionsvertrag skizzierten nationalen Stipendienprogramms zu bera-
ten und zu verabreden?

10. Sollen auf der operativen Ebene der Bund, die Länder, die Hochschulen, die
Fakultäten und Institute oder die einzelnen Lehrstuhlinhaber die Stipendien
bei Wirtschaft und privaten Stiftungen einwerben?

11. Für wie realistisch hält die Bundesregierung die vorgesehene Beteiligung
der Wirtschaft in Höhe von 50 Prozent der Kosten, und auf welchen konkre-
ten Erkenntnissen beruht diese Einschätzung der Bundesregierung?

12. Welche Stipendienmodelle in anderen OECD-Staaten wird die Bundesregie-
rung zum Vorbild für ihr Programm nehmen?

13. Zu welchem Semester rechnet die Bundesregierung mit den ersten Studie-
renden, die mittels des nationalen Stipendienprogramms gefördert werden,
und wie viele Stipendien sollen bis 2013 durch das nationale Stipendienpro-
gramm geschaffen werden (bitte nach einzelnen Jahren aufschlüsseln)?

14. Plant die Bundesregierung einen Schlüssel, nach dem die Stipendien auf die
Hochschulen verteilt werden?

15. In welchem prozentualen Umfang sollen Studierende an Fachhochschulen
vom geplanten Stipendienprogramm profitieren?

16. Sind auch Studierende an privaten Hochschulen antragsberechtigt?

17. Auf wie viele Jahre soll die staatliche Kofinanzierung des geplanten Stipen-
dienprogramms angelegt werden, soll die Wirtschaft die Finanzierung

perspektivisch vollständig übernehmen, und wenn ja, wann?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/87

18. Soll es einheitliche Vergabekriterien und Bewerbungsmodalitäten für die
Stipendien geben, und wessen Aufgabe wird es sein, solche Vergabekriterien
und Bewerbungsmodalitäten zu entwickeln, und welche Rolle sollen dabei
Bund, Länder, Hochschulen, Stipendiengeber oder sonstige Akteure spielen?

19. Betrachtet die Bundesregierung das Stipendienprogramm als Teil der MINT-
Förderung?

a) Falls ja, wie sollen besonders begabte Studierende der Geistes- und So-
zialwissenschaften gefördert werden?

b) Falls nein, welche besonderen Förderanreize wird die Bundesregierung
setzen, damit auch Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften
gefördert werden?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass die Hoch-
schulen in Nordrhein-Westfalen von der Wirtschaft nur wenige Stipendien
für Studierende geisteswissenschaftlicher Fächer einwerben konnten, den
Einfluss von Stipendiengebern aus der Wirtschaft auf die Studienfachwahl?

21. Wie wird die Mobilität der Geförderten im Rahmen des Stipendienpro-
gramms sichergestellt?

a) Ist im Rahmen eines Stipendiums ein Hochschulwechsel zwischen
Bundesländern möglich?

b) Ist ein zeitweiliger Wechsel an Hochschulen in Bologna-Teilnahme-
Staaten oder an Hochschulen in Drittstaaten möglich?

c) Unter welchen Voraussetzungen ist es möglich, das gesamte Studium an
Hochschulen in Bologna-Teilnahme-Staaten oder an Hochschulen in
Drittstaaten zu absolvieren?

d) Ist geplant, dass im Falle eines kompletten Auslandsstudiums der Bund
den gesamten Anteil der öffentlichen Kofinanzierung übernimmt?

22. Wie kann durch die konkrete Ausgestaltung des Stipendienprogramms aus-
geschlossen werden, dass ein Stifter/eine Stifterin ein Stipendienangebot auf
zum Beispiel Familienangehörige zuschneidet und die staatliche Kofinan-
zierung in Anspruch nimmt?

23. Wie steht die Bundesregierung zur Errichtung eines nationalen Fonds zur
Finanzierung von Stipendien, in den Bund, Länder und private Stifter ihren
Beitrag einzahlen?

24. Sollen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Stipendien „ausschließlich
nach Begabung einkommensunabhängig vergeben werden“, und wenn ja,
mit welcher Definition von Begabung geht die Bundesregierung in die Ver-
handlungen mit den Ländern und der Wirtschaft?

25. In welcher Gewichtung bzw. mit welcher Priorisierung sollen Schulnoten,
Berufserfahrung, gesellschaftspolitisches Engagement, Bedürftigkeit und
andere Fähigkeiten, Erfahrungen oder Kriterien bei der Entscheidung über
die Förderung im Rahmen des im Koalitionsvertrag skizzierten Stipendien-
programms einbezogen werden?

26. Wie wird die Bundesregierung beim geplanten nationalen Stipendienpro-
gramm dem Effekt vieler Auswahlverfahren nach Begabung entgegenwir-
ken, dass die Geförderten weit überproportional aus bildungsnahen Schich-
ten, vor allem Akademikerfamilien, kommen und der soziale Habitus über
die Vergabe mitentscheidet?

Drucksache 17/87 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
27. Welche konkreten Schritte erwartet die Bundesregierung von den Begabten-
förderwerken, um sich bislang unterrepräsentierten Gruppen stärker zu
öffnen, und mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung
sie dabei unterstützen?

28. Sollen auch andere Stipendien (z. B. von privaten Stiftungen, die eigene
Zielgruppen definieren und eigenverantwortlich über Stipendiaten entschei-
den) bis zur Höhe von 300 Euro von der BAföG-Anrechnung freigestellt
werden, und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt soll das geschehen?

29. Welche Auswirkungen wird das nationale Stipendienprogramm auf das
BAföG haben, und wie und mit welchen Zielen will die Bundesregierung das
BAföG weiterentwickeln?

30. In welcher Höhe ist eine Erhöhung der BAföG-Sätze und Freibeträge
geplant, und werden die Eckpunkte für eine BAföG-Novelle und zum natio-
nalen Stipendiensystem noch vor dem Treffen zwischen der Bundeskanz-
lerin und den Ministerpräsidenten der Länder am 16. Dezember 2009 dem
Deutschen Bundestag vorgelegt?

31. Warum will die Bundesregierung die in Aussicht gestellte allgemeine
BAföG-Erhöhung von der Zustimmung der Länder zum nationalen Stipen-
dienprogramm abhängig machen (dpa-Meldung vom 19. November 2009
„Bund will BAföG mit Stipendien-Vorstoß verknüpfen“)?

32. Hält die Bundesregierung an den im Koalitionsvertrag formulierten Zielen
fest, dass eine Studienfinanzierungsberatung bereits in der Schule stattfindet
und die Möglichkeit ausgeweitet wird, dass Bildungskredite auch über das
30. Lebensjahr hinaus vergeben werden können, und soll das auch für das
Stipendienprogramm, das BAföG und die KfW-Studienkredite gelten?

33. Welche Änderungen plant die Bundesregierung bei den Studien- und Wis-
senskrediten, insbesondere den KfW-Studienkrediten?

34. In welchem Verhältnis werden die Studienfinanzierungsinstrumente
BAföG, Studien- und Wissenskredite, Stipendien der Begabtenförderungs-
werke und Stipendien aus dem nationalen Stipendienprogramm unterein-
ander stehen?

Berlin, den 27. November 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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