BT-Drucksache 17/8572

Impulse für den Standort Deutschland - Für eine moderne Industriepolitik

Vom 7. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8572
17. Wahlperiode 07. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett,
Klaus Barthel, Klaus Brandner, Martin Dörmann, Ingo Egloff, Petra
Ernstberger, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Rolf Hempelmann, Ute Kumpf,
Manfred Nink, Thomas Oppermann, Wolfgang Tiefensee, Andrea Wicklein,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Impulse für den Standort Deutschland – Für eine moderne Industriepolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

A. Chancen des Strukturwandels nutzen

Deutschland ist aufgrund seines industriellen Kerns verhältnismäßig gut durch
die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen. Kein anderes Land in Europa ver-
fügt über eine so breite industrielle Wertschöpfungskette wie Deutschland. Die
besondere Stärke des Wirtschaftstandorts gründet auf dem Zusammenspiel der
Industrieunternehmen – vor allem einem starken Mittelstand – und den damit
verflochtenen Dienstleistungen. Denn Industrie und Dienstleistungen sind kein
Gegensatz: Der Ausbau moderner Industrien ist stets gekoppelt an nach-
gelagerte und vor allem hochwertige Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich;
umgekehrt wären weite Teile der Dienstleistungswirtschaft ohne eine starke in-
dustrielle Produktion in Deutschland jedoch nicht vorhanden.

Auch in Zukunft braucht Deutschland eine starke Industrie – rund jeder dritte
Arbeitsplatz hängt hierzulande an der Entwicklung industrieller Wertschöp-
fung. Mit der industriepolitischen Tatenlosigkeit der Bundesregierung können
die veränderten Rahmenbedingungen der globalisierten Märkte allerdings nicht
gemeistert werden. Deutschland muss durch eine aktive, zukunftsorientierte
Industriepolitik wieder besser regiert werden.

Denn die deutsche Industrie steht vor grundlegenden Herausforderungen: Glo-
balisierung, Umwelt- und Klimaschutz mit dem langfristigen Ziel, die ambitio-
nierten, nationalen Klimaziele zu erreichen, Rohstoff- und Flächenverknap-
pung, technologische Innovationen und demografische Entwicklung sind Trei-
ber eines Strukturwandels, der auch die Industrie weiter verändern wird. Funk-
tionsfähige Finanzmärkte sind eine wesentliche Voraussetzung für eine
leistungsfähige Industrie und zentrale Voraussetzung für Investitionen. In den
vergangenen Jahren haben ungezügelte Spekulationen an den Finanzmärkten

großen Schaden angerichtet. Die Lehre muss lauten, dass die Finanzmärkte re-
formiert und neu geordnet werden müssen. Kein Finanzmarktakteur und kein
Finanzprodukt dürfen unreguliert bleiben. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
müssen sich jetzt auf die Herausforderungen einstellen.

Mit Sorge ist in diesem Zusammenhang zu beobachten, wie die Probleme der
Industrie und der Produktion immer stärker aus dem öffentlichen Bewusstsein
geraten. Daher muss es bei einer Modernisierungsdebatte auch darum gehen,

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einen Diskurs zu Rolle und Selbstverständnis sowie gesellschaftlicher Akzep-
tanz einer zukunftsorientierten Industrie zu führen.

Europas Industrie ist zu modernisieren – Europas Krise muss mit einem „Indus-
triellen Erneuerungsprogramm“ für Europa (European Industrial Recovery Pro-
gram) beantwortet werden. Ziel sind Investitionen in die industrielle Moderni-
sierung, in Forschung und Entwicklung, um die Stärken der jeweiligen Länder
zu stärken.

Der Wettbewerb zwischen Industrieländern und schnell wachsenden Schwellen-
ländern wird immer schärfer. Die Industrie der EU konkurriert mit China, Bra-
silien, Indien und anderen Schwellenländern auch um hochwertige Produkte,
die weltumspannende Arbeitsteilung nimmt an Intensität zu. Die Vorstellung
von nationalen Sektoren und Industrien, die kaum in Wechselwirkung mit der
übrigen Welt stehen, entspricht immer weniger der Wirklichkeit. Die Industrie-
nation, die es schafft, die Infrastruktur, die Energiefrage, die Produkt- und Pro-
duktionsbasis im eigenen Land nachhaltig auszurichten und dabei den Wohl-
stand der Gesellschaft zu erhalten und gleichzeitig angepasste Lösungen für
nachholende Nationen zu entwickeln, wird wirtschaftlich die Nase vorn haben.

Dabei muss es auch darum gehen, im In- und Ausland der ökologischen, sozia-
len und menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden. Orientierung
für Staaten und Unternehmen bieten dabei die ILO-Kernarbeitsnormen, die
OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen und die UN-Leitlinien zu
Wirtschaft und Menschenrechten.

Hinter dem jüngsten Erfolg der deutschen Industrie stehen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Ohne ihre Kreativität und ihr Engagement in den Unterneh-
men und Betrieben wäre ein solcher Erfolg nicht möglich. Aus diesem Grund
stehen die Beschäftigten im Vordergrund einer zukunftsorientierten Industrie-
politik. Entscheidend für die Entwicklung und Zukunft des Standortes ist die
Kooperation der kreativen Köpfe in Industrie, Dienstleistungen und Wissen-
schaft. Dabei geht es vor allem auch um die Gestaltung der Arbeitswelt von mor-
gen: Wissen und Information entscheiden zunehmend über wirtschaftlichen Er-
folg von Unternehmen und berufliche Perspektiven der Beschäftigten. Diese
Veränderungen bewirken einen Wandel der Arbeitsstrukturen und -verhältnisse.
Die Neubewertung der Arbeit steht im Zentrum der Politik der kommenden
Jahre. Sie ist eine Schlüsselfrage der Zukunft. Die Industrie ist durch den aufge-
werteten Faktor Arbeit zu stabilisieren und zukunftsfest zu machen. Industrie-
politik muss sich ebenso am Leitbild der „Guten Arbeit“ orientieren, wie gute
Arbeitspolitik am Leitbild einer innovations- und qualifikationsorientierten In-
dustrie.

Traditionelle und neue Industrien dürfen nicht gegeneinander ausgespielt wer-
den. Die klassischen industriellen Kernkompetenzen Deutschlands liegen bis-
her im Maschinen- und Anlagenbau, in der Chemie, der Elektrotechnik, dem
Schiffbau, dem Stahl oder dem Automobilbau. Sie bilden das Rückgrat der
Wirtschaft und haben grüne Technologien erst ermöglicht. Es geht auch für
unsere klassische Industrie um verlässliche Rahmenbedingungen und vor allem
eine nachhaltige, bezahlbare Energieversorgung. Mit der Energiewende er-
öffnen sich zudem neue Potenziale für die deutsche Industrie und Perspektiven
für neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze.

Es bedarf einer nachhaltigen Industriepolitik statt unregulierter Märkte. Der
Strukturwandel ist offensiv anzugehen. Ökonomische Effizienz, soziale Ba-
lance, effiziente Nutzung und Schonung der natürlichen Ressourcen sind Eck-
punkte einer solchen Strategie. Mit einer Modernisierung der Industrie müssen
heute die Arbeits- und Lebensperspektiven zukünftiger Generationen gestaltet
werden.
Der Markt muss klare Rahmenbedingungen haben. Auf vielen Feldern sind
politisch gesetzte Anreize und Leitplanken erforderlich, um Industrieproduktion

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zukunftsfähig zu machen und nachhaltig zu gestalten. Die Politik muss dies
auch gegen Widerstände durchsetzen. Das bedeutet allerdings keine staatliche
Alleinzuständigkeit für die Wirtschaftsentwicklung. Die Geschichte zeigt, dass
eine solche Alleinzuständigkeit eher das Gegenteil von positiver wirtschaft-
licher und gesellschaftlicher Entwicklung ist. Aber die zunehmenden Eingriffe
z. B. durch Kartelle und Verträge zwischen Staaten zur Sicherung der Rohstoff-
lieferungen machen deutlich, dass wachsende Teile von wirtschaftlichem Han-
deln nicht allein über das Marktgeschehen gestaltet werden und auch in Zukunft
nicht gestaltet werden können.

Ziel muss sein, die Bedeutung der Industriepolitik innerhalb einer modernen
Wirtschaftspolitik wieder zu erkennen, ihr einen besonderen Stellenwert einzu-
räumen und aktive Industriepolitik zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie
Vollbeschäftigung und als Kernelement zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
der Industrie zu fördern.

B. Den Industriestandort Deutschland durch eine integrierte Industriepolitik
stärken

Industriepolitik ist als Querschnittsaufgabe zugunsten des verarbeitenden Ge-
werbes und als Klammer von Standort- und Wettbewerbspolitik, Arbeitsmarkt-
politik, Bildungspolitik, Umwelt- und Energiepolitik, Technologiepolitik, Mit-
telstandspolitik und Europa- und Außenwirtschaftspolitik zur Schaffung in-
dustriefreundlicher Rahmenbedingungen zu verstehen. Nur wenn diese Politik-
felder gemeinsam im Sinne einer integrierten Industriepolitik gedacht werden,
können die Herausforderungen des Strukturwandels erfolgreich bewältigt und
die Industrie zukunftsfest gemacht werden. Eine aktive Industriepolitik muss
insbesondere folgende Schwerpunkte umfassen:

1. Standortbedingungen für die Industrie durch ein Impulsprogramm für Inves-
titionen verbessern – Einen neuen gesellschaftlichen Konsens für Infrastruk-
turprojekte schaffen

Ein Schlüssel für Wohlstand und Arbeit in der Industrie von morgen ist eine ge-
zielte Investitions- und Modernisierungsstrategie und die Schaffung von guter
Arbeit für die Zukunft. Als Grundlage für neues Wachstum und für die Arbeit
von morgen braucht Deutschland eine Modernisierung seiner Energie-, Ver-
kehrs- und Kommunikationsinfrastruktur.

Industriearbeitsplätze in einer erfolgreichen Wirtschaft wird es nur geben, wenn
die Infrastruktur stimmt. Insbesondere neue Energien brauchen eine veränderte
Transportinfrastruktur. Dabei müssen alle Beteiligten – Politik, Netzbetreiber,
Energieerzeuger – im ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern um
Akzeptanz für Investitionen in Energieinfrastrukturprojekte werben. In diesem
Zusammenhang muss es um einen neuen gesellschaftlichen Konsens gehen, der
die Bedeutung der Infrastruktur für unseren Wohlstand kommuniziert, und in
dem darüber Verständigung erzielt wird, wie die Verkehrs-, Energie- und Kom-
munikationsinfrastruktur der Zukunft aussehen soll. Daran müssen Gesell-
schaft, Unternehmen und Politik gemeinsam arbeiten. Am Ende müssen Ent-
scheidungen, die demokratisch legitimiert und unter breiter Beteiligung der Be-
völkerung getroffen worden sind, dann aber auch von allen mitgetragen werden.
Entscheidungen zur Infrastruktur müssen für alle Akteure verlässlich sein.

2. Sicherung des Fachkräftebedarfs

Der demografische Wandel wird den Wettbewerb um Fachkräfte in den kom-
menden Jahren spürbar verschärfen. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften

kann zum Engpass für die wirtschaftliche Entwicklung führen. Industriepro-
zesse sind zunehmend wissensbasiert – Deutschlands Potenzial sind hochquali-

Drucksache 17/8572 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

fizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit produktionsbezogenem
Know-how und hohem Fachwissen. Dieses Potenzial muss gesichert und durch
eine Bildungs- und Qualifikationsoffensive weiterentwickelt werden.

Eine verantwortungsbewusste Politik zur Deckung des aktuellen und zukünfti-
gen Fachkräftebedarfs muss differenziert und vorausschauend sein. Politik und
Unternehmen sind in gleichem Maße gefordert, den Arbeitsmarkt der Zukunft
zu gestalten. Um dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel zu begegnen, ist
eine gemeinsame Allianz von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik auf den
Weg zu bringen. Es muss alles dafür getan werden, um die Potenziale unserer
Gesellschaft besser auszuschöpfen, gleichzeitig bedarf es einer gezielten Ein-
wanderung. Besonders schwierig ist die Situation weiter für Geringqualifizierte
in häufig nur prekären Beschäftigungsverhältnissen. Im Hinblick auf die Siche-
rung des Fachkräftebedarfs sind daher Weiterbildungsinitiativen geringqualifi-
zierter und behinderter Beschäftigter erforderlich.

Gerade hochqualifizierte Fachkräfte sind der Schlüssel, um auch in Zukunft in-
ternational wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb müssen konsequent mehr
Menschen mit beruflichen Qualifikationen für ein Studium gewonnen werden.
Eine erheblich höhere Durchlässigkeit des Bildungssystems zwischen beruf-
licher und akademischer Ausbildung ist zwingend notwendig. Die erfolg-
reichen Regelungen hierzu, mit denen in SPD-geführten Bundesländern bereits
gute Erfahrungen gemacht wurden, müssen gemeinsam mit den Hochschulen
weiter ausgebaut werden.

3. Gute Arbeit, starke Sozialpartnerschaft und kooperative Unternehmensfüh-
rung – Eckpfeiler moderner Industriepolitik

Gute Arbeit ist zentrale Voraussetzung für die Bewältigung des Strukturwan-
dels und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Qualifizierung
und faire Löhne sind keineswegs allein sozialpolitische Fragen, sondern vor
allem wachstums-, innovations- und investitionspolitische Voraussetzungen.
Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, barrierefreie Arbeitsplatz-
gestaltung, Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsintensität und Arbeitsplatzsicherheit
sind ein Gestaltungsauftrag auch an die Unternehmen.

Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie sind eine bewährte Grundlage für
eine gute Unternehmenskultur. Sie sind Erfolgsfaktor und Wettbewerbsvorteil
für Unternehmen. Eine erfolgreiche Erneuerung der industriellen Basis kann
umso besser gelingen, je mehr Beschäftigte in diesen Prozess einbezogen wer-
den. Gute Unternehmensführung steht für Kooperation. Die Unternehmens-
praxis zeigt, dass dort, wo eine konsequente Ausrichtung des Managementhan-
delns auf Kooperation und Partizipation mit den Beschäftigten und ihrer Inte-
ressenvertretung erfolgt, die Qualität der Unternehmensführung zunimmt. Gute
Unternehmensführung steht schon heute für wirtschaftlichen Erfolg. Sozial-
partnerschaft lohnt sich.

Zu moderner Unternehmensführung gehört auch Corporate Social Responsibi-
lity (CSR), d. h. die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung durch die
Unternehmen über gesetzliche Anforderungen hinaus. Bei transnationalen Un-
ternehmen umfasst die gesellschaftliche Verantwortung auch Tochterfirmen
und Kooperationspartner im Ausland. Strategisch angelegte CSR wird zuneh-
mend zu einem Wettbewerbsvorteil und stärkt gleichzeitig den gesellschaft-
lichen Zusammenhalt. International agierende Unternehmen tragen hier eine
besondere Verantwortung, insbesondere wenn sie auf schwach regulierten
Märkten und politisch instabilen Staaten – vor allem in prosperierenden
Schwellen- und Entwicklungsländern – tätig sind. Diese Verantwortung gilt es
aus sozialstaatlicher Perspektive einzufordern und nachhaltig zu unterstützen.

Es bedarf Verbindlichkeit durch Rechenschafts- und Transparenzpflichten zu
sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen im Kerngeschäft und ent-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8572

lang der Lieferkette, so wie dies im Entwurf der EU-Richtlinie für eine neue eu-
ropäische CSR-Strategie vorgesehen ist.

4. Ökonomischen und Ökologischen Wandel gestalten – Für eine sichere Ener-
gie- und Rohstoffversorgung der Industrie

Der Umbau unseres Energiesystems ist ein wesentlicher Bestandteil moderner
Industriepolitik. Eine verlässliche, umweltgerechte und nachhaltige Energie-
politik, die Versorgungssicherheit zu wettbewerbsfähigen Kosten garantiert, ist
ein wesentlicher Standortfaktor. Über die internationale Konkurrenzfähigkeit
der Produktion entscheiden künftig in geringerem Maße die Arbeitskosten, viel
stärker jedoch die Kosten für Energie, Rohstoffe und Materialien.

Der Schlüssel für eine zukunftsfähige Wirtschaftsentwicklung liegt darin, die
Ressourceneffizienz und Energieproduktivität so weit zu steigern, dass Wachs-
tum und Ressourcen-, Flächen- und Energieverbrauch entkoppelt werden. Um
der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, den Klimawandel abzumildern und mit
den – bei steigendem Bedarf – zurückgehenden Rohstoffvorräten zurechtzu-
kommen, müssen in der Industrie ressourcen- bzw. flächenschonende Produk-
tionsweisen die Regel werden, die nicht auf der Nutzung fossiler Kohlenstoff-
quellen beruhen.

Mit dem Klimawandel verbinden sich große Verpflichtungen, aber auch ebenso
große Chancen für die Industrie – Umwelttechnologien und Umweltinnnova-
tionen und der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien sind in
Deutschland längst zu einem verlässlichen Motor für Wachstum und Beschäfti-
gung geworden. Der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien bietet er-
hebliche Potenziale und ist zudem ein verlässlicher Jobmotor.

Bei einer Vielzahl von Rohstoffen bestehen Handels- und Wettbewerbsverzer-
rungen anderer Länder, die z. B. dem WTO-Regime entgegenstehen. Dadurch
wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen beein-
trächtigt. Für die deutsche Industrie bedeutet diese Entwicklung eingeschränkte
Planungssicherheit, zum Teil erhebliche Beschaffungsengpässe und einen zu-
nehmenden Druck hin zu einer höheren Ressourceneffizienz. Diese eröffnet
gleichzeitig große Chancen, die eigenen Ressourcen in Form von Einsparungen
und Recycling zu schonen und zu mobilisieren sowie Importabhängigkeiten zu
senken. Es besteht nationaler und internationaler Handlungsbedarf.

Trotz dieser neuen Herausforderungen gilt es, die Rohstoffsicherung und -be-
schaffung an die Einhaltung sozialer, ökologischer und menschrechtlicher Min-
deststandards zu knüpfen. Transparenz zu schaffen und international aner-
kannte Richtlinien sind als Grundvoraussetzung zu verstehen und müssen zum
Leitbild moderner Rohstoffpolitik werden. Nur in einem global verstandenen
Ansatz kann Rohstoffpolitik auch zukunftsweisende Industriepolitik sein.
Deutschland muss seiner globalen Verantwortung im Rohstoffhandel gerecht
werden.

5. Technologische Leistungsfäheigkeit der Industrie sichern – Innovation för-
dern und den industriellen Mittelstand stärken

Industrie ist ein wichtiger Motor für Innovation in Deutschland: Technologi-
sche Innovation muss dazu genutzt werden, um gute Arbeit und Wettbewerbs-
fähigkeit zu sichern. Deutschland muss die Idee des technischen Fortschritts
wiederentdecken. Durch technologischen Fortschritt kann nachhaltiger Wohl-
stand erzielt und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden.

Innovationspolitik muss den technologischen Wandel in Märkten, die zuneh-

mend durch eine Verkürzung der Innovationszyklen und steigende Herausfor-
derungen der Globalisierung geprägt sind, durch Schaffung geeigneter Infra-

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strukturen unterstützen und somit Wachstumsimpulse verleihen. Hierbei
kommt es darauf an, dass sich bestehende und neue Industrien effizient mitein-
ander vernetzen. Es braucht in Deutschland die gesamte Wertschöpfungskette –
von der industriellen Grundstoffproduktion bis zum hochspezialisierten High-
techmittelständler; sie ist eine wichtige Voraussetzung für Innovationen.

Zur Innovationsfähigkeit werden kompetente Menschen und wandlungsfähige
Unternehmen gebraucht. Im Vordergrund muss daher insbesondere die Innova-
tionsfähigkeit durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen – das Know-
how der Beschäftigten ist Motor der Innovation. Humankapital muss von den
Unternehmen noch mehr als bisher innovativ und nachhaltig eingesetzt werden,
um die Industrie in die Lage zu versetzen, den Strukturwandel in einer sozial
nachhaltigen Weise zu bewältigen.

Innovationen entstehen vor allem auch dort, wo sich Partner aus Wirtschaft,
Wissenschaft und Bildung in Innovationsbündnissen zusammenschließen, um
die Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit ihrer Regionen zu erhöhen. Die
Förderung und Organisation von Innovationsprozessen und Netzwerkbildungen
wird daher zunehmend im Vordergrund stehen müssen.

Dabei sind Bedarfsfelder wie Klima/Energie, Gesundheit/Ernährung, Mobilität,
Sicherheit und Kommunikation genauso in den Blick zu nehmen wie Schlüssel-
technologien, Mikro- und Nanoelektronik, Optische Technologien, Mikrosys-
tem-, Werkstoff- und Produktionstechnik, Dienstleistungsforschung, Raum-
fahrttechnologie und Informations- und Kommunikationstechnologie, Rück-
bautechnologien sowie die Nano-, weiße und rote Biotechnologie. Eine sachge-
rechte Betrachtung und Abwägung der Chancen und Risiken ist dabei
selbstverständlich.

Digitalisierung und Vernetzung spielen heute in Unternehmensstrukturen wie
in Produktionsabläufen eine bedeutende Rolle. Deutschland muss seine indus-
trielle Erfolgsgeschichte fortsetzen und weiter auf die Strukturen seines indus-
triellen Clusters aufbauen – dazu ist der Produktionsstandort Deutschland auf
die Entwicklung von IT-Infrastruktur angewiesen.

Starke Industrieunternehmen sind die Grundlage wirtschaftlichen Erfolges. In
Deutschland sind es vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die das Rück-
grat dieser Dynamik ausmachen. Gerade mittelständischen Betrieben muss
daher besondere Aufmerksamkeit gelten. Weil Innovationen häufig auch aus
jungen Unternehmen hervorgehen, muss die Gründung neuer Unternehmen
erleichtert und unterstützt werden. In Deutschland steht zu wenig privates Be-
teiligungskapital zur Verfügung – die Finanzierungsmöglichkeiten für Start-up-
Unternehmen müssen verbessert werden.

6. Industriepolitik ist Mehrebenenpolitik

Gegenwärtig sind zentrale Politikbereiche und Instrumente von industriepoliti-
scher Bedeutung wie Forschung und Entwicklung auf zahlreiche Bundesminis-
terien verteilt, ohne dass eine zielorientierte Abstimmung erfolgt. Angesichts
ihrer übergreifenden Bedeutung muss Industriepolitik von der Bundesregierung
auch ressortübergreifend koordiniert werden. Insoweit besteht erheblicher
Handlungsbedarf. Hierzu bedarf es neben einer Bündelung zentraler industrie-
politischer Kompetenzen in einem Bundesministerium auch einer besseren Ko-
ordinierung wichtiger Bereiche der Forschungs- und Förderpolitik ohne Rei-
bungsverluste. Industriepolitik machen auch die Länder, Regionen und Städte,
deren Interessen in eine industriepolitische Gesamtausrichtung mehr als bisher
Eingang finden müssen.

In gleichem Maße, wie Industriepolitik stärker national koordiniert werden

muss, bedarf es auch einer koordinierten Industriepolitik in Europa: Der
Schlüssel zum Erfolg einer modernen Industriepolitik kann nur in einem inte-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/8572

grierten, branchenübergreifenden Ansatz liegen, der durch horizontale und sek-
torale Initiativen und Maßnahmen auf europäischer, nationaler und regionaler
Ebene unterstützt wird. Industriepolitik muss wieder ins Zentrum europäischer
Politik gerückt werden.

Die internationalen Wertschöpfungsketten sind immer stärker verknüpft, der
Wettbewerb um knappe Energie und knappe Rohstoffe und um Böden wird in-
tensiver. Die Industrie der EU muss auch bei der Umstellung auf eine CO2-
emissionsarme, ressourceneffiziente Wirtschaft die Führungsrolle übernehmen.
Gleichzeitig darf diese Umstellung jedoch nicht zu Lasten rohstoffreicher Ent-
wicklungsländer gehen. Die faire Ausgestaltung internationaler Handelsbezie-
hungen ist notwendige Voraussetzung. Nur in einer gemeinsamen europäischen
Anstrengung kann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie sicher-
gestellt werden. Deutsche Unternehmen sind in vielen Bereichen weltweit
führende Ausrüster. Eine industriepolitische Strategie ist deshalb durch eine
schlüssige Handelspolitik mit verlässlichen Rahmenbedingungen und fairen
Handelsregelungen im globalen Maßstab zu flankieren.

Fast ein Viertel unserer Wertschöpfung wird in der Industrie erwirtschaftet. Um
Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern, führt kein Weg an einer leistungsfähi-
gen Industrie vorbei. Der Deutsche Bundestag setzt sich für die notwendige
Modernisierung der Industrie ein, damit Deutschland auch im Jahr 2020 ein
wirtschaftlich erfolgreicher Industriestandort ist. Die Fraktion der SPD hat dazu
ein Positionspapier mit dem Titel „Sozialdemokratische Industriepolitik – Im-
pulse für den Standort Deutschland“ vorgelegt, das eine entsprechende Strate-
gie zur Modernisierung der Industrie im Einzelnen erläutert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen neuen gesellschaftlichen Konsens für die dringend benötigte Moderni-
sierung und den Ausbau der Infrastruktur in Deutschland, der die Bedeutung
der Industrie berücksichtigt und eine neue Akzeptanz schafft, auf den Weg
zu bringen;

2. eine Allianz gegen Fachkräftemangel als gemeinsame Aktion von Wirt-
schaft, Gewerkschaften und Politik zu initiieren;

3. eine aktive Industriepolitik für Vollbeschäftigung zu betreiben, die sich am
Leitbild „Gute Arbeit“ orientiert;

4. die Rahmenbedingungen für eine sichere, bezahlbare und nachhaltige Ener-
gie- und Rohstoffversorgung der Industrie durch unverzügliche Vorlage
eines Masterplans für die einzelnen Schritte der Energiewende zu schaffen;

5. durch eine zielgerichtete Innovationspolitik, die durch eine Initiative zur
Schaffung von mehr Technikverständnis unterstützt wird, die technologische
Leistungsfähigkeit der Industrie zu sichern und den Mittelstand zu stärken;

6. den Industriestandort zielgerichteter national zu koordinieren, stärker euro-
päisch auszurichten und mit einer schlüssigen Handelspolitik zu flankieren.

Berlin, den 7. Februar 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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