BT-Drucksache 17/8522

Stuttgart 21 - Naturschutzrechtliche Situation im Schlossgarten vor den geplanten Baumfällungen

Vom 30. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8522
17. Wahlperiode 30. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Ebner, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Anton Hofreiter,
Stephan Kühn, Dr. Valerie Wilms, Ingrid Nestle, Bettina Herlitzius, Daniela
Wagner, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Agnes Brugger, Ingrid Hönlinger,
Memet Kilic, Sylvia Kotting-Uhl, Fritz Kuhn, Beate Müller-Gemmeke,
Dr. Gerhard Schick, Ulrich Schneider und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stuttgart 21 – Naturschutzrechtliche Situation im Schlossgarten
vor den geplanten Baumfällungen

Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 im November des vergangenen Jahres hat
deutlich gemacht, dass sich eine Mehrheit der baden-württembergischen Be-
völkerung für den Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofes ausspricht. Die grün-rote
Landesregierung Baden-Württembergs hat sich daraufhin geschlossen hinter die
Realisierung des Projektes gestellt, nicht jedoch ohne zu verdeutlichen, dass
eine erfolgreiche Umsetzung der Baumaßnahmen einer konstruktiven und kri-
tischen Begleitung der Politik bedarf.

Eine „konstruktiv-kritische“ Begleitung der weiteren Baumaßnahmen für das
Projekt Stuttgart 21 bedeutet auch, sicherzustellen, dass rechtliche Vorgaben
eingehalten werden. Naturschutzrechtliche Regelungen bzw. Beteiligungs-
rechte wurden bisher – auch nach Feststellung von Gerichten – mehrfach nicht
korrekt berücksichtigt. So wurden am frühen Morgen des 1. Oktober 2010 im
Bereich des Schlossgartens Bäume gefällt, obwohl das Eisenbahn-Bundesamt
(EBA) am 30. September 2010 mitgeteilt hatte, dass mit den Baumfällungen
vorerst nicht begonnen werden könne, bis das artenschutzrechtliche Konflikt-
potenzial bewältigt sei.

Ein Eilantrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND),
Landesverband Baden-Württemberg e. V. mit dem Ziel, die Baumfällungen zu
verhandeln, wurde am 14. Oktober 2010 vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart
verhandelt. Das Gericht Stuttgart kam am 14. Oktober 2010 zu dem Ergebnis
(AZ 13 K 3749/10), „dass es dem Antrag mit hoher Wahrscheinlichkeit noch vor
Beginn der Baumfällarbeiten stattgegeben hätte, wenn ihm am Abend des
30. September 2010 alle entscheidungserheblichen Tatsachen und insbesondere
das Schreiben des EBA vom selben Tage bekannt gewesen wäre.“ Die Staats-
anwaltschaft Stuttgart hat in diesem Zusammenhang am 4. November 2011
beim Amtsgericht Stuttgart einen Strafbefehl gegen drei Beschuldigte beantragt.

Darüber hinaus gibt es im selben Kontext eine Beschwerde des BUND bei der
Europäischen Kommission aus dem Jahr 2010 (1405/10/ENVI). Darüber hinaus
stellt sich die Frage, ob im Verfahren um das Projekt Stuttgart 21 und die damit
verbundenen zu erwartenden Baumfällungen im Schlossgarten die einschlägigen
Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10. Januar 2006 (C-98-03)
und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 21. Juni 2006 (9 A 28/05)
berücksichtigt wurden bzw. werden.

Drucksache 17/8522 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Was die naturschutzfachlichen Grundlagen betrifft, lagen für das Vorkommen
von Fledermäusen bisher offensichtlich veraltete und nicht mehr relevante Da-
ten vor: Beim Planfeststellungsbeschluss wurden Untersuchungen von Quar-
tierbäumen des Schlossgartens aus Mitte der 80er-Jahre herangezogen. In der
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist als Datenquelle Heft 5 des Amtes für
Umweltschutz aus dem Jahr 1997 angegeben. Im Rahmen dieser UVP erfolgte
jedoch keine Untersuchung potenzieller oder tatsächlicher Quartiere, sondern
nur eine Auswertung von Jagdrevieren im Park.

Zwischenzeitlich scheinen von verschiedenen Seiten aktuelle Gutachten zum
Vorkommen von Juchtenkäfern, Fledermäusen und Vögeln vorzuliegen, deren
Berücksichtigung in den naturschutzrechtlichen Planungsprozess unklar sind,
deren Bewertung kontrovers zu sein scheint und deren Ergebnisse der Öffent-
lichkeit bislang noch nicht bekannt gemacht wurden.

Bei den naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen sind neben verschiede-
nen anderen gesetzlichen Regelungen § 15 des Bundesnaturschutzgesetzes
(BNatSchG) in Verbindung mit § 44 Absatz 5 BNatschG zu berücksichtigen.
Die sogenannten CEF-Maßnahmen (continuous ecological functionality-measu-
res) müssen dabei direkt am betroffenen Bestand der geschützten Arten anset-
zen. Sie sollen die Lebensstätte für die betroffenen Populationen in Qualität und
Quantität erhalten. Die Maßnahmen sollen dabei einen unmittelbaren räum-
lichen Bezug zum betroffenen Lebensraum (Habitat) haben und angrenzend
neue Lebensräume schaffen, die in direkter funktionaler Beziehung mit dem Ur-
sprungshabitat stehen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wurde die Bundesregierung von der Europäischen Kommission (General-
direktion Umwelt) um eine Stellungnahme zur Beschwerde des BUND
Baden-Württemberg (1405/10/ENVI) gebeten?

Wenn ja, wann?

2. Wird die Deutsche Bahn AG (DB AG) bzw. die DB ProjektBau GmbH mit
dem Fällen von Bäumen im Schlossgarten warten, bis die Europäische
Kommission ihre Stellungnahme hierzu abgegeben hat?

3. Wann hat das EBA erstmals die vorgeschriebene landschaftspflegerische
Ausführungsplanung zu den Maßnahmen im Schlossgarten eingefordert?

4. Aus welchen Gründen hat die DB AG bzw. die DB ProjektBau GmbH die
vorgeschriebene landschaftspflegerische Ausführungsplanung bis dahin
nicht vorgelegt?

5. Aus welchen Gründen hat sich das Vorlegen der vorgeschriebenen land-
schaftspflegerischen Ausführungsplanung nach der Einforderung durch das
EBA verzögert?

6. Wann wird die DB AG die vorgeschriebene landschaftspflegerische Ausfüh-
rungsplanung vorlegen?

7. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung für den Bereich der durch die
Baumaßnahme Stuttgart 21 betroffenen Bäume im Schlossgarten eine arten-
schutzrechtliche Prüfung, und wenn ja, zu welchen Ergebnissen kam diese?

8. Ist die Bundesregierung weiterhin der Auffassung, dass es für das Fällen von
Bäumen trotz des Vorkommens der prioritären Fauna-Flora-Habitat-Art
Eremit/Juchtenkäfer keiner Ausnahmegenehmigung bedarf (vgl. Antwort
der Bundesregierung zu Frage 18 der Kleinen Anfrage „Vorkommen und
Schutz des Juchtenkäfers“ der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,

Bundestagsdrucksache 17/4157), und wenn ja, wie vereinbart sich das nach

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8522

Meinung der Bundesregierung mit dem Urteil des EuGH vom 10. Januar
2006 (C-98-203) sowie dem darauf fußenden Urteil des BVerwG vom
21. Juni 2006 (9 A 28/05)?

9. Welche Untersuchungen existieren nach Kenntnis der Bundesregierung aus
den letzten 20 Jahren über die Quartierbäume und sonstige Lebensstätten
von Fledermäusen und Vögeln im Schlossgarten, im Südflügel des Haupt-
bahnhofes sowie im Gebäude Heilbronner Straße 7 (ehemalige Eisenbahn-
direktion), und welche Ergebnisse bringen diese hervor (wenn möglich
bitte nach Arten aufschlüsseln)?

10. Welche naturschutzrechtlichen Regelungen sind vor dem Hintergrund der
Beobachtung von fünf Fledermausarten durch die AG Fledermausschutz
Baden-Württemberg e. V. im September 2010 und ggf. weiterer nachgewie-
sener gefährdeter Fledermaus- und Vogelarten wie beispielsweise dem
Schwarzspecht im Schlossgarten anzuwenden, bevor höhlenfähige Bäume
für das Projekt Stuttgart 21 gefällt werden?

11. Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung die festzusetzenden
CEF- bzw. Kompensationsmaßnahmen für den Eingriff in Lebensstätten
gefährdeter Fledermaus-, Vogel- und Insektenarten?

12. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen des Bauprojektes
Stuttgart 21 gewährleistet, dass die besonders habitatreichen Bäume, in
denen teilweise Juchtenkäfer, Fledermausquartiere und Bruthöhlen für
Vögel vorkommen, nicht von den Baumaßnahmen tangiert werden, und
welche Schutzmaßnahmen gegen Beschädigungen durch Baumfällungen
und Baumaschinen, gegen starke Lichtquellen und gegen Austrocknen
durch die Grundwasserabsenkung sind vorgesehen bzw. werden behördlich
festgesetzt?

Berlin, den 30. Januar 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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