BT-Drucksache 17/8441

Verharmlosung der Nazi-Herrschaft in Litauen durch den EU-Botschafter in Afghanistan

Vom 19. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8441
17. Wahlperiode 19. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Andrej Hunko, Stefan Liebich, Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln),
Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Verharmlosung der Nazi-Herrschaft in Litauen durch den EU-Botschafter
in Afghanistan

In einem Artikel im Wall Street Journal (6. Dezember 2011) hat der EU-Bot-
schafter in Afghanistan, der frühere litauische Außenminister Vygaudas
Us ¬ackas, die Besetzung Litauens durch die Nazis verharmlost. Die über drei
Jahre der deutschen Besetzung von 1941 bis 1944 bezeichnete Vygaudas Ušackas
als „Atempause von den Kommunisten“ („we had a few years‘ respite from the
communists while the Nazis were in control during World War II“).

Während der deutschen Besetzung sind rund 95 Prozent der litauischen Jüdin-
nen und Juden, insgesamt rund 200 000 Menschen, ermordet worden. Egal wie
man zur sowjetischen Herrschaft in Litauen vor und nach dem Zweiten Welt-
krieg steht – die deutsche Herrschaft als „Atempause“ zu bezeichnen, ist eine
ungeheuerliche Verharmlosung des Holocaust. Das würde auch für den Fall gel-
ten, dass man Vygaudas Us ¬ackas Text lediglich als Ausdruck eines subjektiven
Erlebens der Nazibesetzung durch das engere Familienumfeld wertet. Dann
würde zumindest ein Hinterfragen dieses Erlebens dazugehören.

Eine solche – nur scheinbar – unpolitische Deutung seines Aufsatzes hat
Vygaudas Us ¬ackas jedoch ohnehin selbst ausgeschlossen, als er mit Kritik kon-
frontiert wurde: In einer Auseinandersetzung mit dem Simon-Wiesenthal-
Zentrum generalisierte er seine Äußerungen. Anstatt sich für die – vom Simon-
Wiesenthal-Zentrum konstatierte – Beleidigung der Holocaustopfer zu entschul-
digen, versuchte sich Vygaudas Us ¬ackas Anfang Januar 2012 mit dem Hinweis
zu rechtfertigen, es gebe ein Ungleichgewicht zwischen der Beurteilung der
Nazi- und der sowjetischen Herrschaft (www.defendinghistory.com). Er verur-
teilte zwar in allgemeiner Form den Holocaust, war aber nicht bereit, von der
Bezeichnung der Naziherrschaft – die diesen Holocaust angeordnet hat – als
„Atempause“ abzurücken. Damit hat er zugleich dieser Bezeichnung eine über
persönliches Familienerleben hinausreichende Berechtigung zuschreiben
wollen.

Wer solche Äußerungen von sich gibt und auch noch Wochen danach daran fest-

hält, ist aus Sicht der Fragesteller absolut ungeeignet, einen hohen diplomati-
schen Posten der Europäischen Union (EU) zu besetzen. Die Bundesregierung
sollte dringend Schritte gegenüber der EU-Kommission ergreifen, um Vygaudas
Us ¬ackas abzulösen.

Drucksache 17/8441 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann hat die Bundesregierung erstmals Kenntnis von den genannten Äuße-
rungen Vygaudas Us ¬ackas erhalten?

2. Wie bewertet sie diese Äußerungen?

3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Simon-Wiesenthal-Zen-
trums, die Äußerungen Vygaudas Us ¬ackas seien eine „schwere Beleidigung
der Opfer des Holocaust und besonders der in Litauen Ermordeten“, und
wenn nein, warum nicht?

4. Beabsichtigt die Bundesregierung, gegenüber Vygaudas Us ¬ackas Stellung zu
beziehen und ihn zum Rücktritt als EU-Vertreter in Afghanistan aufzufor-
dern, und wenn nein, warum nicht?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung, in der EU-Kommission die Äußerungen
von Vygaudas Us ¬ackas anzusprechen, und wenn ja, mit welcher Intention,
und wenn nein, warum nicht?

6. Beabsichtigt die Bundesregierung, auf die Ablösung Vygaudas Us ¬ackas als
EU-Vertreter in Kabul hinzuwirken, und wenn nein, warum nicht?

7. Inwiefern ist die Bundesregierung der Auffassung, dass jemand, der die
mörderische Naziherrschaft als „Atempause“ bezeichnet, geeignet ist, die
Europäische Union in Afghanistan zu vertreten?

8. Inwiefern ist die Angelegenheit bereits gegenüber Vygaudas Us ¬ackas sowie
in der EU-Kommission oder auf anderen Ebenen thematisiert worden,
welche Einschätzungen wurden dabei vorgenommen, und welche Schluss-
folgerungen gezogen?

9. Welche weiteren Schritte unternimmt die Bundesregierung in dieser Sache
oder hat sie bereits unternommen?

Berlin, den 19. Januar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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