BT-Drucksache 17/8353

Umfassende Initiative zur Digitalisierung des Filmerbes starten

Vom 18. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8353
17. Wahlperiode 18. 01. 2012

Antrag
der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz,
Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Agnes Krumwiede, Monika Lazar,
Krista Sager, Ulrich Schneider und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umfassende Initiative zur Digitalisierung des Filmerbes starten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Obwohl der Film als Medium erst wenig mehr als 100 Jahre alt ist, gehört das
Filmerbe bereits zu den wichtigsten Bestandteilen unseres kulturell-historischen
Erbes. Filme und filmische Dokumente eröffnen besondere Zugänge zur Zeit-
geschichte und Kultur. Mit der Lebendigkeit bewegter Bilder veranschaulichen
Filme Zeitumstände, historische Situationen, künstlerische Entwürfe und Pers-
pektivierungen der Welt.

Dass der Schutz dieses Erbes ein wichtiges Anliegen von Kulturpolitik ist, hat
der Deutsche Bundestag in einem auf Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN entstandenen interfraktionellen Antrag im Jahr 2008 deutlich
gemacht („Das deutsche Filmerbe sichern“, Bundestagsdrucksache 16/8504).
Der Antrag stellt die Sicherung und den Erhalt des Filmbestands in den Mittel-
punkt. Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem Jahr 2011 („Erhalt und Digitalisierung
des Filmerbes“, Bundestagsdrucksache 17/6723) ergab, dass die Bundesregie-
rung einen großen Teil der im Filmerbe- Antrag von 2008 aufgestellten Forde-
rungen noch nicht erfüllt hat. Hier ist ein schnelleres und konsequenteres Vor-
gehen der Bundesregierung dringend erforderlich.

Doch es geht nicht nur um die komplexen Fragen der physischen Erhaltung und
angemessenen Aufbewahrung des Filmerbes, sondern auch um seine bessere
Zugänglichkeit und Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung. Im Zuge der
Digitalisierung bietet sich zudem die Möglichkeit, durch Untertitelung und
Audiodeskription auch die Barrierefreiheit der Filme zu erhöhen.

Das Fachgespräch zum Thema „Filmerbe – Archivierung und Digitalisierung“,
das am 9. November 2011 im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen
Bundestages stattfand, machte deutlich, dass sich aus der Möglichkeit einer
Digitalisierung des Filmerbes zahlreiche neue Chancen ergeben. Gleichzeitig
muss jedoch auch eine Reihe von offenen Fragen geklärt werden.
Initiativen für eine digitale Sicherung und Langzeitarchivierung sowie eine bes-
sere Zugänglichkeit des Filmerbes in anderen Ländern sind längst im Gang. Die
Bundesrepublik Deutschland hat hier deutlichen Nachholbedarf. Die Nieder-
lande haben 2007 ein ehrgeiziges Programm zur weitgehenden Digitalisierung
und Onlinezugänglichkeit des nationalen Filmerbes aufgelegt und mit bedeuten-
den finanziellen Mitteln vorangetrieben. Diese Initiative ist inzwischen als

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„niederländisches Modell“ bekannt. Frankreich, das über ein zahlenmäßig um-
fangreicheres Filmerbe verfügt, nimmt mit seiner Digitalisierungsinitiative
zunächst schwerpunktmäßig die Digitalisierung von einigen tausend Filmen in
Angriff. Das British Film Institut (BFI) hat über 2 000 Filme archiviert und
katalogisiert und macht sie über verschiedene Kanäle einer breiteren Öffentlich-
keit zugänglich. In einem eigenen Youtubekanal (www.youtube.com/bfifilms)
werden hunderte dieser Filme vorgestellt.

In Deutschland bewahren verschiedene Archive und Institutionen das Filmerbe
auf und machen es zugänglich. Sie leisten dabei mit oft knappen Mitteln eine
wichtige und unverzichtbare Arbeit. Leider dokumentiert die Antwort der Bun-
desregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/6723, dass
die Bundesregierung wichtige Schritte, die in den letzten Jahren notwendig ge-
wesen wären, versäumt hat oder nicht zügig genug gegangen ist. So steht die für
eine effektive Pflichtregistrierung von Kinofilmen nötige Änderung des Archiv-
gesetzes immer noch aus. Eine Pflichtregistrierung wäre auch eine Basis, um die
Kosten für eine generelle Pflichthinterlegung zu ermitteln. Unklar bleibt auch,
für welche Maßnahmen die im Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien für 2012 für das Filmerbe neu eingestellten 350 000 Euro
verwendet werden sollen. Die Bundesregierung verfügt hier offensichtlich über
kein ausgearbeitetes Konzept.

Auch wichtige urheberrechtliche Fragen sind zu klären. Auf Grundlage des gel-
tenden Rechts dürfen urheberrechtlich geschützte Werke nicht ohne eine indivi-
duelle Rechteeinholung online öffentlich verfügbar gemacht werden, was bei
verwaisten Werken ein nach wie vor ungelöstes rechtliches Problem darstellt.
Deshalb soll zum Schutz der Urheberinnen und Urheber verwaister Werke nach
dem EU-Richtlinienvorschlag KOM(2011) 289 vor der Veröffentlichung eine
sogenannte sorgfältige Suche durchgeführt werden. Für eine Suche nach diesem
Richtlinienvorschlag gibt es vonseiten der Bundesregierung bisher keine klaren
Konzepte respektive Vorschläge für Gesetzesänderungen. Für einen rechtssiche-
ren Umgang mit verwaisten Werken im Zuge der Digitalisierung und besseren
Zugänglichmachung ist eine entsprechende Gesetzesänderung dringend not-
wendig (vgl. Antrag „Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstellen und den
Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek auf ein solides Fundament stellen“
auf Bundestagsdrucksache 17/8164).

Die Frage einer Digitalisierung des Filmerbes stellt sich auch vor dem Hinter-
grund der rapide voranschreitenden Kinodigitalisierung. Denn immer weniger
Kinos werden parallel zum Digitalbetrieb noch analoge Technik vorhalten, mit
der die in nichtdigitaler Fassung vorliegenden Filme abspielbar sind. Auch die
inzwischen fast nur noch digital stattfindende Postproduktion ist ein weiterer
Schritt dahin, dass Filme nur noch in digitaler Form vorhanden sein werden.

Eine Initiative zur Digitalisierung des Filmerbes muss komplexe Probleme und
Interessenlagen berücksichtigen. Ein intensiver Dialog zwischen den beteiligten
Gruppen und Institutionen ist Voraussetzung für den Erfolg einer Digitalisie-
rungsinitiative. Ein geeignetes Instrument für einen solchen Dialog ist ein
Runder Tisch, der den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Rahmen einer
Initiative zur Filmdigitalisierung einzubringen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die im interfraktionellen Antrag „Das deutsche Filmerbe sichern“ (Bundes-
tagsdrucksache 16/8504) aufgestellten Forderungen zügig umzusetzen;

– eine umfassende Digitalisierungsinitiative zu starten, mit dem Ziel, das
Filmerbe nachhaltig zu sichern, es öffentlich besser zugänglich zu machen

und dabei insbesondere auch die Möglichkeiten des Internets zu nutzen;

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– die am Erhalt und der Zugänglichmachung des Filmerbes beteiligten Gruppen,
Institutionen und Initiativen an einen Runden Tisch zu laden, um

a) gemeinsam zu klären, ob und wie sich aus dem europäischen Ausland be-
kannte Modelle (Niederlande, Frankreich) in der Bundesrepublik Deutsch-
land umsetzen lassen;

b) eine Lösung zu finden, die die vorhandenen Bestandsdaten besser zugäng-
lich und verwertbar macht;

c) sinnvolle Kriterien zu finden, mit deren Hilfe über die Schwerpunkte und
die Reihenfolge der Digitalisierung von Material entschieden werden
kann;

d) in einer Technik-Kommission die auch unter Kostengesichtspunkten an-
gemessenen digitalen Möglichkeiten der Sicherung, Langzeitarchivierung
und Zugänglichmachung des Filmerbes zu erörtern und die Kosten zu prü-
fen;

e) die Möglichkeiten einer Erweiterung des barrierefreien Filmangebots für
sehbehinderte, blinde, hörbeeinträchtigte und gehörlose Menschen zu ver-
deutlichen, die sich im Zuge der Digitalisierung des Filmerbes ergeben;

– bis Frühjahr 2012 ein umfassendes Konzept vorzulegen, das erläutert, wie
und an welcher Stelle die im Haushalt für 2012 zusätzlich für „Maßnahmen
zum Erhalt des Filmerbes“ bereitgestellten 350 000 Euro zum Einsatz kom-
men sollen;

– Änderung im Archivgesetz vorzunehmen, um eine Pflichtregistrierung für
alle deutschen Kinofilme zu erreichen und dabei darauf zu achten, dass diese
nicht nur im engeren Sinne statistische, sondern auch qualitative Daten um-
fasst;

– in den anstehenden Änderungen zum sogenannten dritten Korb des Urheber-
rechts auch solche Änderungen aufzunehmen, die die Sicherung, Bewahrung
und Zugänglichmachung des Filmerbes für die hiermit befassten Institu-
tionen erleichtern und eine kostengünstige und praktikable Lösung für den
Umgang mit verwaisten Werken ermöglichen, in dem eine zentrale und ein-
sehbare Registrierungsstelle für verwaiste Werke geschaffen und etwaigen
auftauchenden Rechteinhabern Schutz geboten wird;

– zu prüfen, ob sich die Sicherung, Aufbewahrung und Zugänglichmachung
des Filmerbes in die Filmförderung einpreisen ließe und welche Kosten
damit verbunden wären;

– im Zuge der Digitalisierung auch durch Nachbearbeitung eine breite barriere-
freie Zugänglichkeit zum Filmerbe zu ermöglichen und im Urheberrecht die
Möglichkeit hierzu zu schaffen.

Berlin, den 17. Januar 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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