BT-Drucksache 17/834

Senkung der Stattgabe von Widersprüchen und Reduktion von Klageerfolgen im Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Vom 25. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/834
17. Wahlperiode 25. 02. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Cornelia
Möhring, Ingrid Remmers, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Senkung der Stattgabe von Widersprüchen und Reduktion von Klageerfolgen
im Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Mit der Weisung der Bundesagentur für Arbeit HEGA 12/09–12, die ab
dem 21. Dezember 2009 gültig ist (http://www.arbeitsagentur.de/nn_166486/
zentraler-Content/HEGA-Internet/A07-Geldleistung/Dokument/HEGA-12-2009-
VG-Leistungsgewaehrung.html), wird u. a. die Geschäftspolitik der Bundes-
agentur für Arbeit in der Widerspruchs- und Klagebearbeitung im Bereich des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) klargestellt. Es wird u. a. angewie-
sen, sogenannte Stattgaben in Widerspruchsverfahren bis Sommer 2010 auf
30 Prozent zu senken.

Bereits in einer E-Mail-Weisung der Bundesagentur für Arbeit vom 29. Sep-
tember 2008 (Aktenzeichen II – 7002/7003) war von einer Reduktion des ver-
meidbaren Anteils an Stattgaben von Widersprüchen auf 30 Prozent ab 2009
die Rede. Außerdem soll die Erfolgsquote von Klagen verringert werden. Der
Hintergrund wurde in dieser Weisung wie folgt beschrieben: „Widersprüchen
wird zu rd. 60 Prozent ganz oder teilweise statt gegeben, weil eine unzurei-
chende Sachverhaltsaufklärung erfolgte oder das Recht nicht richtig angewandt
wurde. Die Erfolgsquote bei Klagen beträgt trotz einer hohen Stattgabequote in
den Widerspruchsverfahren nahezu 50 Prozent. Es ist davon auszugehen, dass
die vergleichsweise hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolgs eines Rechtsmittels
dessen Einlegung begünstigt.“

Nach dieser Problembeschreibung wurde u. a. folgende Zielsetzung in dieser
Weisung festgehalten: „Die Grundsicherungsstellen schaffen die organisatori-
schen und fachlichen Voraussetzungen dafür, Hilfebedürftige nicht (mehr) ohne
Anhaltspunkte für eine rechtswidrig ergangene Entscheidung anlässlich von
Auskunftsbegehren oder Beschwerden auf die Möglichkeit des Widerspruchs
zu verweisen. Dasselbe gilt für die Aufnahme von Widersprüchen in der Wider-
spruchsstelle.“ Weiter heißt es: „Im Übrigen ist unter Wirtschaftlichkeitserwä-
gungen darüber zu befinden, ob zu einem als rechtmäßig erkannten Bescheid
ein Widerspruchsbescheid gefertigt oder der Widerspruchsführer eingeladen
wird, um ihn unter Darlegung der Sach- und Rechtslage zur Rücknahme des
Widerspruchs zu bewegen.“
Nach jüngsten Meldungen verzeichneten die Sozialgerichte im Jahr 2009 mit
rund 194 000 Klagen eine Rekordzahl im Bereich des SGB II und eine Zu-
nahme um 10 Prozent gegenüber dem Jahr 2008.

Mit den Weisungen soll offenbar dazu beigetragen werden, die Klageflut einzu-
dämmen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass dadurch die Möglichkeiten und
Rechtsmittel, die Erwerbslosen zustehen, eingeschränkt werden, was nicht hin-
nehmbar ist.

Drucksache 17/834 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Widersprüche und wie viele Klagen erfolgten gegen amtliche Ent-
scheidungen im Bereich des SGB II in den Jahren 2005, 2006, 2007, 2008
und 2009 (bitte getrennt nach Widerspruchs- und Klagegegenständen)?

2. Wie viele Widersprüche und wie viele Klagen (gesondert nach Ebene der
Gerichte, absolut und in Prozent) wurden ganz oder teilweise zugunsten der
Widerspruchs- und Klageführer entschieden (bitte getrennt nach Wider-
spruchs- und Klagegegenständen)?

3. Wie erklärt die Bundesregierung den von der Bundesagentur für Arbeit be-
haupteten Zusammenhang von unzureichender Sachverhaltsaufklärung und
hoher Stattgabe von Widersprüchen?

4. Wie hoch wäre nach Meinung der Bundesregierung der Anteil des Grundes
„unzureichende Sachverhaltsaufklärung“ an den Stattgaben von Wider-
sprüchen?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Weisung, dass Hilfebedürftige anläss-
lich von Auskunftsbegehren oder Beschwerden gegenüber der Grundsiche-
rungsstelle nicht mehr durch die Grundsicherungsstelle auf die Möglichkeit
von Widersprüchen verwiesen werden sollen, wenn seitens der Grundsiche-
rungsstelle, gegen deren Entscheidung möglicherweise ein Widerspruch ein-
gelegt werden könnte, keine Anhaltspunkte für eine rechtswidrig ergangene
Entscheidung gesehen werden?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Weisung, dass „Wirtschaftlichkeits-
erwägungen“ darüber befinden sollen, ob zu einem als rechtmäßig erkannten
Bescheid ein Widerspruchsbescheid gefertigt oder der Widerspruchsführer
eingeladen wird, um ihn unter Darlegung der Sach- und Rechtslage zur
Rücknahme des Widerspruchs zu bewegen?

7. Stimmt die Bundesregierung der Feststellung zu, dass die Ursache für die
Stattgabe von Widersprüchen und die hohe Erfolgsquote bei Klagen für die
Klageführerinnen und Klageführer in fehlerhaften Verwaltungsentscheiden
liegt?

8. Welche Ursachen kann die Bundesregierung für die hohe Anzahl von fehler-
haften Verwaltungsentscheiden benennen, und welche Maßnahmen sieht sie
geboten, damit fehlerhafte Verwaltungsentscheidungen weitgehend vermie-
den werden?

9. Stimmt die Bundesregierung zu, dass Widersprüche und Klagen ein legiti-
mes und rechtlich verbrieftes Mittel für Erwerbslose sind, ihre Rechte einzu-
fordern und sich gegen nachteilige Verwaltungsentscheidungen zur Wehr zu
setzen, und wie beurteilt sie vor diesem Hintergrund das Vorgehen, diese auf
dem Wege von Verwaltungsanweisungen einschränken zu wollen?

Berlin, den 25. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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